Der neue Roman von Martin Walser:
Kein Vorabdruck in der F.A.Z.
Frank Schirrmachers offener Brief
an Martin Walser:
Lieber Martin Walser, Ihr Buch werden wir nicht drucken
Lieber Herr Walser,
Ihr neuer Roman wird behandelt wie ein Staatsgeheimnis. Nur ein kleiner
Zirkel von Eingeweihten kannte bisher den Inhalt. Mittlerweile kenne auch
ich ihn. Nicht weil Rechercheure die Panzerschränke im Suhrkamp-Haus
geknackt hätten. Sie selbst haben uns, unspektakulär genug, die Fahnen
gegeben. Sie wünschen, daß Ihr neuer Roman, "Tod eines Kritikers", in dieser
Zeitung vorabgedruckt wird. Sie legen Wert darauf, daß er hier und gerade
hier erscheint.
Ich muß Ihnen mitteilen, daß Ihr Roman nicht in dieser Zeitung erscheinen
wird. Die Kritiker mögen entscheiden, wie gut oder wie schlecht dieses Buch
unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit ist. "Auch ein schlechter Walser ist
ein Ereignis", sagte einmal ein bekannter Redakteur.
Ihr Roman ist eine Exekution. Eine Abrechnung - lassen wir das Versteckspiel
mit den fiktiven Namen gleich von Anfang an beiseite! - mit Marcel
Reich-Ranicki. Es geht um die Ermordung des Starkritikers. Ein
Schriftsteller wird als Täter verdächtigt. Ein anderer, der Erzähler,
recherchiert. Später erfährt man, daß beide ein und diesselbe Person sind.
Am Ende die Aufklärung: Der Kritiker ist nicht tot, er hat nur tot gespielt,
um sich mit seiner Geliebten zu vergnügen. Dazwischen eine Art Gesamtanalyse
des Starkritikers, des literarischen Lebens unter Aufbietung
halbverschlüsselter Figuren wie Joachim Kaiser und Siegfried Unseld. In
Wahrheit aber: die Beschreibung eines Verhängnisses, das sich in André
Ehrl-König alias Marcel Reich-Ranicki über die Literatur in Deutschland
legt.
Ehe Sie, lieber Herr Walser, mit den Begriffen Fiktion, Rollenprosa,
Perspektivwechsel antworten - ich bin durchaus im Bilde. Ich bin imstande,
das literarische Reden vom nichtliterarischen zu unterscheiden. Man hat mich
unterrichtet, wie oft und wo überall in der modernen Literatur Kritiker
gemordet werden.
Doch die Burgtore des Normativen, der literarischen Tradition und Technik
stehen Ihnen als Zuflucht nicht offen. Denn das alles wären ja nur
Kategorien für ein "schlechtes" oder "gutes" Buch. Ich aber halte Ihr Buch
für ein Dokument des Hasses. Und ich weiß nicht, was ich befremdlicher
finden soll: die Zwanghaftigkeit, mit der Sie Ihr Thema durchführen, oder
den Versuch, den sogenannten Tabubruch als Travestie und Komödie zu tarnen.
Nicht wahr, Sie haben das "Schlagt ihn tot, den Hund, er ist ein Rezensent"
nur wörtlich genommen?
Werden Sie mir glauben, daß ich umgekehrt nun beginne, Sie wörtlich zu
nehmen? Ihr Buch ist nichts anderes als eine Mordphantasie. Daß der Mord
keiner ist, macht die wonnevolle Spekulation unangreifbar. "Habe allerdings
keinen, der für mich tötet", sagt der Erzähler beispielsweise einmal. Und
mehr als einmal fällt der Satz: "Eine Figur, deren Tod man für vollkommen
gerechtfertigt hält, das wäre Realismus." Sie haben sich eine Art
mechanisches Theater aufgebaut, in dem es möglich ist, den Mord auszukosten,
ohne ihn zu begehen. Doch es geht hier nicht um die Ermordung des Kritikers
als Kritiker, wie es etwa bei Tom Stoppard geschieht. Es geht um den Mord an
einem Juden.
Die Signale sind unübersehbar, und sie sind unheimlich. "Das Thema war
jetzt", heißt es, "daß Hans Lach einen Juden getötet hatte." Das kommt so
nebenbei, aber es ist Ihr Thema, es ist das Thema dieses Buches. Sie denken
sich die Sache so richtig durch. Was würde das große Nachrichtenmagazin
schreiben? "Wolfgang Leder erklärte scharf und genau, daß es von nichts als
Antisemitismus zeuge, wenn die Ermordung eines Juden, wenn er denn einer
gewesen sei, moralisch schlimmer geahndet werde als die Ermordung eines
Nichtjuden. Philosemiten seien eben, wie bekannt, Antisemiten, die die Juden
liebten." Wie kamen Sie auf die Idee, Ihren Verdächtigen dadurch besonders
verdächtig zu machen, daß der in höchster Wut dem Starkritiker in
Hitler-Sprache droht, "ab 0.00 Uhr wird zurückgeschlagen", worauf der
Kritiker tatsächlich wie vom Erdboden verschwindet. Welch ein Spaß, wenn man
erfährt, daß diese Kriegserklärung an den Kritiker von einem Unschuldigen
stammt! Natürlich kann Ihr Kritikerpapst nicht richtig Deutsch. Ihr
Reich-Ranicki sagt nicht "deutsch" sondern "doitsch", nicht Literatur,
sondern "Literatür", und er hat einen kapitalen Messiaskomplex: "Aber in
einer Hinsicht sei jeder, der sich im keritischen Dienst verzehre, in der
Nachfolge des Nazareners: der habe gelitten für die Sünden der Menschheit,
der Keritiker leidet unter den Sünden der Schschscheriftstellerrr." Sie,
lieber Martin Walser, wissen, was Sie hier tun. Und wer es literarhistorisch
nicht weiß, lese die Parodien des Juden Karl Kraus auf den Juden Alfred
Kerr.
Die "Herabsetzungslust", die "Verneinungskraft", das Repertoire
antisemitischer Klischees ist leider unübersehbar, und wenn "André
Ehrl-König zu seinen Vorfahren auch Juden zähle, darunter auch Opfer des
Holocaust", dann ist Ihr "darunter" besonders hervorhebenswert, als wäre die
große Mehrheit der europäischen Juden eben nicht Opfer gewesen. Das sind so
Kleinigkeiten, die mich stutzig machen und hinter denen ich schließlich zu
meiner eigenen Überraschung Methode vermute. Gut, Ihr Kritiker hat einen
Sprachfehler, und er trainiert sogar seine sprachliche Eigenheit. Und dann,
weil Sie glauben, Sie seien nun salviert, schreiben Sie diesen Satz, den man
im Schriftbild vor sich sehen muß, um die Verballhornung des Jiddischen
heraushören zu können: "Denken Sie nur an den Ehrl-König-Sound, wenn er über
doitsche Scheriftsteller spericht und über die Sperache, die sie schereiben
und wie scherecklich es ist, sein Leben geweiht zu haben einer Literatür,
die zu mehr als noinzig Perozent langeweilig ist" und so weiter und so
weiter.
Aber das alles ist nichts gegen den Clou dieses Buches. Mord,
Mordkommission, das alles spielt hier immer mit der Erinnerung an den
Massenmord der Nazis. Doch der Kritiker ist nicht tot. Seine Frau, die
kettenrauchend, kaum deutsch, sondern französisch sprechend, unter ihm
leidet, weiß es die ganze Zeit. Warum? Sie sagt es, ein Champagnerglas in
der Hand: "Umgebracht zu werden paßt doch nicht zu André Ehrl-König."
Es ist dieser Satz, der mich vollends sprachlos macht. Er ist Ihnen so
wichtig, daß er zweimal in dem Roman vorkommt. Auf dem Hintergrund der
Tatsache, daß Marcel Reich-Ranicki der einzige Überlebende seiner Familie
ist, halte ich den Satz, der das Getötetwerden oder Überleben zu einer
Charaktereigenschaft macht, für ungeheuerlich.
Ich habe, lieber Herr Walser, in meiner Laudatio in der Paulskirche eine
Summe ihres Werkes und Wirkens gezogen. Ebenso klar sage ich, daß ich fatal
finde, was Sie jetzt zu tun im Begriff sind. Als Adolf Hitler seine
Kriegserklärung gegen Polen formulierte, die Sie in Ihrem Roman so irrwitzig
parodieren, war dies auch eine Kriegserklärung an den damals in Polen
lebenden Marcel Reich und seine Familie. Nicht viele europäische Juden haben
diesen Satz von Adolf Hitler überlebt. "Darunter", um Sie zu zitieren, noch
weniger das Warschauer Ghetto. Und noch mal viel, viel weniger haben den
Aufstand im Warschauer Ghetto überlebt. Und noch viel weniger konnten dann
in einem Kellerloch in Polen überdauern. Und von all denen, die das überlebt
haben, gibt es nur noch einen Bruchteil eines Bruchteils, der heute noch
lebt. Zwei davon, lebend also wider jede Wahrscheinlichkeit, sind der heute
zweiundachtzigjährige Marcel Reich-Ranicki und seine Frau Teofila. Verstehen
Sie, daß wir keinen Roman drucken werden, der damit spielt, daß dieser Mord
fiktiv nachgeholt wird? Verstehen Sie, daß wir der hier verbrämt
wiederkehrenden These, der ewige Jude sei unverletzlich, kein Forum bieten
werden?
Ich muß diese Absage öffentlich machen. Sie haben bereits vorauseilend die
Vermutung geäußert, eine Absage wäre nur auf den undurchschaubaren Einfluß
Marcel Reich-Ranickis zurückzuführen. Doch die reale Hauptfigur Ihres Romans
weiß nichts von diesen Vorgängen. Es gibt keine Verschwörung.
Sie, lieber Herr Walser, haben oft genug gesagt, Sie wollten sich befreit
fühlen. Ich glaube heute: Ihre Freiheit ist unsere Niederlage. Mit bestem
Gruß
FRANK SCHIRRMACHER
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.05.2002, Nr. 122 / Seite 49
Walsers Mordphantasie:
Eher was für die "Junge
Freiheit"
Das Berliner Bündnis gegen
Antisemitismus und Antizionismus fordert der Suhrkamp Verlag solle den neuen
Roman Martin Walsers nicht veröffentlichen...
hagalil.com
29-05-2002
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