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Süddeutsche Zeitung

Süddeutsche Zeitung / KULTUR / Montag, 31. Mai 1999
Deutschland Seite 18 / Bayern Seite 18 / München Seite 18

Galiläa sendet aus München:
Wie nach Rabins Tod Europas größter
jüdischer Onlinedienst "haGalil" entstand

"Jüdische Nostalgie ist in. Man hört gerne Klezmer-Musik, weil es sie nicht mehr gibt. Als es sie gab, wollte sie keiner hören.“ So Ignaz Bubis’ düstere Diagnose auf die Frage nach einer neuen Blütezeit für das deutsche Judentum. Dennoch macht man gelegentlich ganz erstaunliche Entdeckungen, und das – von wegen Nostalgie – ausgerechnet in einem der modernsten Medien überhaupt: im Internet. Hier erschien vor etwa drei Jahren erstmals eine ausgewiesen jüdische Seite mit Namen haGalil, zu deutsch Galiläa. haGalil präsentierte sich in englischer Sprache und lieferte neben eigenen Texten vor allem Querverweise, sogenannte Links, zu anderen Internetseiten, die sich mit Israel, jüdischer Religion, Kultur und Geschichte beschäftigen.

Ins Leben gerufen wurde diese Seite in München von David Gall und seiner Frau Eva Ehrlich, beide in den 50er Jahren geboren, beide Angehörige der sogenannten zweiten Generation nach dem Holocaust. Der Schock, den das Attentat auf Yitzhak Rabin im November 1995 weltweit ausgelöst hatte, ließ sie nicht länger ruhen, und so entstand die erste Ausgabe von haGalil, eine kleine, private Friedensinitiative, "eine Art Hobby“, wie Eva Ehrlich sich erinnert: "Wir haben nie gedacht, daß wir das ausbauen.“

Doch so bescheiden diese erste Seite auch war, sie wurde vor allem in den USA und Israel mit großem Interesse zur Kenntnis genommen, was keineswegs selbstverständlich gewesen sei, sagt Gall: "In Amerika oder auch in Israel ist die Tatsache, daß es in Deutschland Juden gibt, eine Angelegenheit, die die Leute gar nicht wissen wollen. Sie gehen davon aus, daß das ziemlich charakterlose Leute sein müssen, denn wie könnten die sonst hier leben? Daß die aber genauso Juden sind wie anderswo und vielleicht gerade die Geschichte und Situation in Deutschland bewußter erleben und eine differenziertere Meinung dazu haben, das wollten wir zeigen.“

Hilfe fürs Examen

Auch hierzulande sprach sich das Erscheinen von haGalil erstaunlich schnell herum, und schon bald kamen die E-mail-Zuschriften mit Kommentaren und Anfragen mehrheitlich aus Deutschland. Ehrlich und Gall reagierten prompt: Zum einen ergänzten und ersetzten sie ihre englischen Beiträge durch Artikel in deutscher Sprache, und zum anderen beantworteten sie buchstäblich jede Zuschrift! Wer etwas über das Purimfest oder die nächstgelegene Synagoge im Kreis Wesel wissen wollte, erhielt ebenso Auskunft wie jener eilige Examenskandidat, der am Vorabend seiner Geschichtsprüfung auf die Frage stieß: "Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Jude und Israeli?“

Aus den Fragen und Antworten zu einer einzelnen Internetseite wurde der größte deutschsprachig-jüdische Onlinedienst Europas. Heute erscheint haGalil mit über 5000 Seiten, einige davon in Englisch und Hebräisch, verzeichnet mehr als 320 000 Zugriffe im Monat und erhält täglich bis zu 100 E-mails mit Anfragen aller Art und aus aller Welt.

Neben aktuellen Meldungen aus Deutschland, Österreich, Israel oder der Schweiz gibt es Informationen zu koscherem Leben, dem jüdischen Kalender oder Reisen nach Israel; hinzu kommen Beiträge zu Literatur und Musik, eigene Kinderseiten, eine Einführung in Hebräisch und Jiddisch sowie verschiedene Diskussionsforen zu aktuellen Themen. Wer über die entsprechende Empfangstechnik verfügt, kann sogar die Jerusalem Post in hebräischer Schrift lesen und Meldungen des israelischen Rundfunks hören.

Natürlich gibt es auch eine Seite zur Shoah. In nächtelanger Kleinarbeit hat David Gall mit Phantasie und Geschick eine beeindruckende Gedenk-Graphik ins Internet gesetzt. Der schlichte Text dazu klingt wie eine Antwort an Martin Walser und ist doch schon lange vor dessen Rede entstanden: "Es ist nicht unsere Absicht, unseren nichtjüdischen Nächsten ein schlechtes Gewissen zu bereiten. Wir trauern, weil uns die Ermordeten fehlen. Es geht uns nicht darum, Gedenktage oder Denkmäler einzuklagen.“

Wie groß die Wissenslücken bezüglich deutsch-jüdischer Geschichte und Gegenwart sind, beweisen die zahlreichen Anfragen von Schülern, Lehrern und Studenten, die bei haGalil um Nachhilfe bitten. Noch vor wenigen Jahren lieferte das Internet unter dem Suchbegriff "Judentum“ vorrangig antisemitische Pamphlete wie "Der gefährlichste aller Juden ist der Talmudjude“ oder "der Racheplan des Judentums“. Neonazis wissen, wie wichtig das Internet ist. Während die Verfassungsschützer eine Verfünffachung neonazistischer Homepages innerhalb der letzten zwei Jahre beklagen, diesem Phänomen aber wenig entgegensetzen können, besetzt haGalil durch ständige Präsenz und Aktualisierung bei den Suchprogrammen im Internet eine Spitzenposition. Das kann antisemitisch-rassistische Naziseiten zwar nicht verhindern, aber zumindest bremst es ihre Verbreitung.

 

REISE INS MUSIKLAND ISRAEL:

Auch die aktuelle Pop-Szene des Landes ist bei "haGalil“ über Internet abrufbar. Auf dieser Seite wird sogar auf ein Lied von Konstantin Wecker hingewiesen.

Photo: Screenshot

Musik

Doch solche Erfolge haben ihren Preis. Aus dem "Hobby“ von einst ist inzwischen mehr als eine Vollzeitbeschäftigung geworden, vor allem für David Gall. Mindestens 70 Stunden in der Woche sitzt er am Computer, richtet neue Seiten ein, bearbeitet Nachrichten und telephoniert mit den unterschiedlichsten Institutionen und Firmen, um sie für haGalil zu interessieren. Seine Frau Eva, selbst ganztags berufstätig, löst ihn gegen Abend ab und bearbeitet unter anderem die tägliche Korrespondenz mit der Leserschaft. Unterstützung erhält das Paar inzwischen auch durch eine Reihe freier Autorinnen und Autoren, sowie durch einen im August 1998 gegründeten haGalil-Förderverein.

Noch ist es ein Zuschußunternehmen, und die Ressourcen werden knapp. Die bisherigen Erfahrungen bei der Suche nach Unterstützung scheinen einmal mehr die Aussagen von Ignaz Bubis zu bestätigen: Da ist der dynamische Juniorchef der PR-Agentur, der auf das Angebot, bei haGalil eine Internet-Annonce zu schalten, zurückfragt: "Ja gibt's denn überhaupt noch Juden in Deutschland?“ Oder sein aufgeschlossener Kollege, der von den haGalil-Seiten ganz begeistert ist und ernsthaft vorschlägt: "Fragen Sie doch einmal bei den jüdischen Bankdirektoren nach!“

Im Antwortschreiben der Commerzbank hieß es, haGalil entspreche nicht der "Kommunikationslinie“ der Bank. Die Deutsche Bank wollte, aber konnte nicht helfen mit der Begründung, haGalil sei "kein eingetragener Verein“. Als einige Zeit später der eingetragene Förderverein noch einmal an das Unternehmen herantrat, lautete die Antwort, daß man bereits Reisen deutscher Jugendlicher nach Israel fördere, um sie mit jüdischer Kultur vertraut zu machen und antisemitische Vorurteile abzubauen.

Auch andere namhafte Konzerne und Kulturinstitutionen fördern nach eigenem Bekunden in so großzügiger Weise Einrichtungen in Israel, den Wiederaufbau von Synagogen oder den Erhalt von KZ-Gedenkstätten, daß weitere Mittel bedauerlicherweise nicht zur Verfügung stehen. Es scheint, als hätte jüdische Kultur umso eher eine Chance, wahrgenommen und gefördert zu werden, je weiter sie in Raum und Zeit vom heutigen Deutschland entfernt liegt. Die unbestreitbar verdienstvollen Initiativen zur Aufarbeitung der deutsch-jüdischen Vergangenheit funktionieren aber auch als Vorwand, sich die deutsch-jüdische Gegenwart möglichst weit vom Hals zu halten.

Eva Ehrlich und David Gall betreiben keine Gedenkstätte und kein Museum und erst recht kein Reservat für jüdische Nostalgiker. Vielmehr geht es um ein Stück lebendiger deutsch-jüdischer Gegenwart, und es ist zu hoffen, daß es haGalil nicht ergeht wie der Klezmer-Musik, die erst geliebt wurde, als es sie nicht mehr gab. (Die Adresse: http://www.hagalil.com)

FRANZISKA WERNERS

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