Im schattigsten Palmenhain:
Kordova
Walter Rathenau berichtet aus dem "Garten der
Hesperiden"
(1898, ersch. S.Fischer 1928)
In dem Dome zu Kordova
Stehen Säulen dreizehnhundert,
Dreizehnhundert Riesensäulen
tragen die gewalt'ge Kuppel ...
Das
klingt schön und überzeugend. Aber wenn man die Sache genauer betrachtet,
ergibt sich, daß an den dreizehnhundert Riesensäulen ein halbes Tausend
fehlt, daß sie außerdem kaum höher sind als eine gewöhnliche Straßenlaterne,
daß die gewaltige Kuppel überhaupt nicht vorhanden ist und daß die Stadt
Kordova seit ihrer Gründung den Ton auf der vordersten Silbe trägt.
Einst hatte Kordova mehr als eine Million Einwohner, war königliche Residenz
und Sitz aller morgen- und abendländischen Weisheit, eine Stadt der
Intelligenz, ein maurisches Berlin. Aber bald zerfiel alle Herrlichkeit, und
wie es in großen Universitätsstädten dann geschieht, ward die Produktivität
allmählich auf Leder beschränkt, das unter dem Namen Korduan in aller Welt
geschätzt war. Auch die lederne Epoche ist jetzt vorbei; die Stadt hat sich
mit einem trübseligen Rest von 30 000 Einwohnern zur Ruhe gesetzt und
erfreut sich in kindischer Greisenhaftigkeit an einem neuangelegten öden
Boulevard und etlichen Kaffeehäusern.
Betrübend ist es, sich durch die leeren Gassen zu winden, in denen kein
Stein an die große Vergangenheit zu erinnern wagt, und unerwartend, fast
erschreckt sieht man die steilen Mauern der Mesquita sich erheben, die einst
nächst der Kaaba die mächtigste aller Moscheen war. Diese Mauern, starr wie
Festungswälle, umwehren das ganze Heiligtum, Vorhof wie Tempel. Man
durchschreitet bedächtig den Orangenhof und tritt durch ein stolzes Portal
in das Dunkel des geweihten Hauses. Weder himmelstrebende Pfeiler noch
schwebende Wölbungen ziehen hier das Auge empor und zerknirschen den Geist
in dem Gefühl seiner Nichtigkeit: hier haust die Gottheit im schattigsten
Palmenhain, wie zur Zeit der alten östlichen Hirtenvölker. Der Blick
verliert sich in stillen Gängen, im Wald der steinernen Säulenstämme, und
der Geist fühlt sich beruhigt, befreit und geborgen. Waren doch auch die
alten Griechentempel nicht Andachtsund Bethäuser der Menschen, sondern
irdische Wohnungen des Gottes, die der Gast heiteren Sinnes, ein Geschenk in
der Hand und eine Bitte auf den Lippen, betrat.
Ich
freute mich der Ruhe des Tempels bis zum späten Abend und kehrte dann erst,
resigniert, in den leeren Gasthof zurück. Die Nacht war schlecht. Mir
träumte, es seien zwölfhundert Jahre verflossen, und ich machte meiner
Vaterstadt Berlin einen neugierigen Fremdenbesuch. Ach, auch diese schöne
Stadt hatte die Zeit des Leders längst hinter sich und fristete ihr Leben
als müder Provinzialflecken. Mit einem Führer, der sich rühmte, der letzte
wahre Nachkomme der alten Berliner zu sein, ging ich am trüben Tage aufs
Feld, um alte Überreste zu suchen, etwa die Trümmer des Brandenburger Tores,
der Neuen Wache oder der Grenadierkaserne.
Wir entdeckten nur die Umfassungsmauern des Polizeigebäudes, die aus
sumpfigem Grunde hervorragten; an der Stelle der alten Börse führte mein
Begleiter mich in weitem Umkreise vorüber, weil, wie er sagte, es dort noch
zu unsicher sei. Zwischen den Pfeilern des Opernhauses hüpfte eine magere
Ziegenherde, und wo in der Behrenstraße die stolzen Bankpaläste geprangt
hatten, wucherte jetzt nichts anderes mehr als rötliches Heidekraut. Auf dem
Rückwege erblickten wir eine Reihe zerbrochener Kirchenpfeiler, auf denen
ein schwärzliches Gesindel von Dohlen und Elstern nistete.
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Abb. v.
de.wikipedia.org/wiki/Mezquita_de_Córdoba
Mein Führer glaubte, das sei ein Tempel gewesen, in dem
die Frauen Erstlinge und Zehnten einem unbekannten Götzen darbrachten. »Mir
scheint, es war der Laden von Wertheim«, sagte ich. - »Ja, so hieß wohl
einer der Oberpriester«, entgegnete er; »es war ein großer Mann und ein
starker Wundertäter, und man sagt,« fügte der letzte wahre Abkomme der alten
Berliner mit selbstgefälligem Lächeln hinzu, »man sagt, er war einer von
unsere Leut'.«
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