Stef Wertheimer:
Initiator der dritten
Phase des Zionismus
«Wir müssen
arbeiten»
TEFEN-INDUSTRIE -
Zweieinhalb Autostunden von Tel Aviv
entfernt ist der Industrielle Stef
Wertheimer daran, eine zionistische
Utopie zu verwirklichen. In dem von
ihm aufgebauten Industriepark in
Tefen mit dem dazugehörenden
Gartendorf Gan Vradim hat er
inmitten der landschaftlichen Idylle
Galiläas ein wirtschaftliches und
gesellschaftliches Modell
entwickelt, das als Vorbild für ein
«neues Israel» dienen soll.
Produktivität, Innovationskraft und
Effizienz machen den Erfolg und die
Anziehungskraft des Modells aus, das
als Vorbild für den ganzen
Mittelmeerraum dienen soll.
VON SIMON ERLANGER
Auf
kurvigen Bergstrassen fährt man
durch die atemberaubende Landschaft
Galiläas, die an diesem Wintermorgen
in frischem Grün erstrahlt. Immer
abgelegener wird die Landschaft, bis
man hoch oben die ersten Gebäude des
Industrieparks von Tefen erblickt.
Gleich bei der Einfahrt fällt auf,
wie wohlgeordnet, durchdacht, solide
und sauber hier alles ist. Zwischen
den Hallen des Industrieparks
erstrecken sich Rasenflächen und
Skulpturgärten. Kunst und Industrie
verschmelzen harmonisch. Rauchende
Kamine sucht man vergebens, legt man
hier doch Wert auf «saubere»
Industrien, vorwiegend im
High-Tech-Bereich.
Bereits die Eingangshalle von ISCAR,
der Familienfirma von Stef
Wertheimer, vermittelt einen
Einblick in die Welt des
Firmengründers, der die Entwicklung
des Industrieparks in Tefen als
zionistischeas Unterfangen sieht. So
ist die Halle geschmückt mit
überlebensgrossen Fotos von Kämpfern
der legendären vorstaatlichen
Elitekampfgruppe Palmach, deren
Begründer Yitzhak Sadeh und deren
Kommandanten Yigal Alon und Yitzhak
Rabin. Eine Statue von Yitzhak Sadeh
ziert das Arbeitszimmer von Stef
Wertheimer. Der junge Wertheimer
hatte vor Israels Unabhängigkeit in
der Palmach Dienst geleistet. Bis
heute ist er von dem pragmatisch
zupackenden, verwegenen Ethos der
Palmach geprägt.
Eine
Erfolgsgeschichte
Wertheimer, der es sich nicht nehmen
lässt, die Besucher aus der Schweiz
persönlich in sein Büro zu führen,
von wo aus man einen atemberaubenden
Rundblick über Galiläa bis hinüber
nach Haifa und Akko geniesst, wurde
1926 in Kippenheim nördlich von
Basel geboren. Mit Basel verbinden
ihn bis heute verwandtschaftliche
Beziehungen. So meinte er gegenüber
den Besuchern aus der Rheinstadt,
dass auch er eigentlich ein Basler
sei. 1936 wanderte er mit seinen
Eltern nach Palästina aus, um der
Verfolgung durch Nazideutschland zu
entgehen. Nach dem
Unabhängigkeitskrieg und der Zeit in
der Palmach arbeitet er kurze Zeit
in der staatlichen Militärindustrie
Israels, doch bald macht er sich
selbständig. 1952 gründete er ISCAR
und produzierte im Alleingang
einfache Metallbearbeitungsgeräte
für den heimischen Markt. Doch der
wurde bald zu klein. 1958 begann
ISCAR mit dem Export. Seither wächst
die Firma beständig. 1977
überschritten die Exporte erstmals
die Fünf-Millionen-Dollar Grenze.
Heute beträgt der Umsatz über eine
halbe Milliarde. Bis heute ist die
Firma in Familienbesitz und wird
nicht an der Börse gehandelt. Heute
produziert ISCAR in erster Linie auf
Karbonbasis hergestellte Bohrköpfe
und Metallschneidgeräte, welche in
einem speziellen Verfahren die Härte
von Diamant erreichen. Für den
US-Hersteller von Düsentriebwerken,
Pratt & Whitney, stellt ISCAR die
Rotorblätter her. 97% der Produktion
von ISCAR geht in den Export. In 25
Ländern, darunter auch der Schweiz,
unterhält ISCAR Filialen und
Tochterfirmen. Nach Elbit und
Tadiran ist ISCAR damit heute die
drittgrösste private Firma in
Israel. Stef Wertheimer sah in der
Entwicklung seiner Firma aber nie
einen Selbstzweck. «Man muss
zwischen Mittel und Zweck
unterscheiden», betont er. «Die
Leute machen aus dem Kibbutz etwas
Idealistisches. Das ist idiotisch.
Der Kibbutz war das Mittel, um die
Landwirtschaft zu entwickeln. Die
Palmach war das Mittel zum Erlangen
der Unabhängigkeit. Und die
Exportindustrie ist auch nur ein
Mittel. Der Zweck ist der Aufbau
eines neuen Landes.» Vergeblich
versuchte Wertheimer die politischen
Eliten des Landes davon zu
überzeugen, sein Modell zu kopieren.
Vier frustrierende Jahre lang sass
er von 1977 bis 1981 für die
«Schinui»-Partei in der Knesset.
Dann
hatte er genug und zog in die
exponierteste Ecke Galiläas, um
seine Vision eines neuen Israel zu
verwirklichen. Leicht zynisch meint
er, Regierungskreise hätten alles
daran gesetzt, ihn aus Jerusalem
fernzuhalten, deshalb habe er damals
alles bekommen, was er wollte.
Export als Chance
Zweitausend Jahre Exil hätten die
Juden deformiert, erklärt Wertheimer
sein Credo. Man sei nicht gewohnt zu
arbeiten. Erziehung sei in Israel
bis heute nicht praxisorientiert.
Studenten würden auf akademische
Karrieren gedrillt und nicht auf
kreatives Schaffen in der Industrie.
Bildung ohne Umsetzung in die Praxis
sei aber nicht sinnvoll. Warum aber
will Wertheimer die jungen Leute in
die Exportindustrie holen? «Wir sind
nicht Teil des Nahen Ostens», meint
Wertheimer. «Wir haben kein Öl,
deshalb müssen wir arbeiten. In
Abwesenheit von Bodenschätzen liegt
unsere Chance einzig in der
Entwicklung von Exportindustrien, so
wie das auch in der Schweiz der Fall
war. Gäbe es in der Schweiz Öl, wäre
dort nie eine Uhrenindustrie
entstanden.»
1981
begann Wertheimer mit dem Aufbau des
Industrieparks von Tefen. Ziel war
und ist es, junge Firmen zu fördern.
Deshalb wird diesen jungen
exportorientierten Firmen für die
ersten fünf Jahre ihrer Existenz die
Infrastruktur zur Verfügung
gestellt. So verschafft Tefen den
jungen «Start ups», günstige
Rahmenbedingungen zur Entwicklung,
versieht sie mit professionellem
«Counselling», während die Firmen
das Kommunikationscenter, die
Konferenzräume, die Cafeteria und
die Büroräume des Parks verwenden
können. Wertheimer nennt Tefen einen
«kapitalistischen Kibbutz». Man
teile sich zwar die Dienste und esse
gar zusammen, habe aber die
Sozialethik des Kibbutzes mit freiem
Unternehmertum gekoppelt.
Entwicklungskonzept
Das
Modell ist erfolgreich. So sind in
den letzten 15 Jahren über 200
Jungfirmen durch Tefen flügge
geworden. Tausende von
Arbeitsplätzen sind geschaffen
worden. Gegenwärtig befinden sich 50
Firmen in Tefen.
Der
Industriepark ist aber nur Teil und
Motor eines umfassenden
Gesamtkonzepts der Entwicklung. So
hat Wertheimer nahe Tefen das
Gartendorf «Gan Vradim»
(Rosengarten) begründet, das bereits
3000 Einwohner zählt. Hier ist das
Motto hohe Lebensqualität. So gehört
zum Komplex auch eine Schule, ein
Sportzentrum, eine Konzertserie und
das «Offene Museum» in Tefen. Das
Museum umfasst einen Garten mit
israelischer Skulptur, das Museum
der Deutschen Juden, ein
Automobilmuseum und ein weitherum
berühmtes Kunstmuseum, das zurzeit
eine Übersicht über den 1933 aus
Berlin nach Jerusalem emigrierten
Maler Jacob Steinhart zeigt.
Zur
Verbreitung seines Credos hat
Wertheimer im drei Kilometer
entfernten Lavon eine Berufsschule
gegründet, in der junge Israeli nach
der Armee die Kunst des
Unternehmertums gelehrt wird.
Wertheimer sieht Tefen denn auch als
Vorbild für die unterentwickelte und
vernachlässigte Peripherie Israels
mit ihrer chronisch hohen
Arbeitslosigkeit. Bereits hat er
deshalb in Galiläa in Tel Chai, in
Lavon und im Negev bei Beer Schewa
Kopien seines Entwicklungsmodelles
erstellen lassen.
Teil Europas
Eben
erst hat er einen Industriepark in
der Türkei errichtet. Denn
Wertheimer sieht die Zukunft Israels
nicht als Teil des Nahen Ostens,
sondern als Teil des
Mittelmeerraumes vom Maghreb, über
die Türkei bis hin nach Spanien.
Sowohl die Türkei als auch Israel
wollten Teil Europas sein, so
Wertheimer. Durch die
Exportindustrie werde man letztlich
Teil der unternehmerischen und damit
der westlichen Welt.
Wertheimer möchte auch Israels
Nachbarn an seinem Erfolgsrezept
teilhaben lassen. «Indem man mit
seinen Nachbarn ein gemeinsames
Interesse kreiert, das auf Erfolg
und Wohlstand beruht, löst man
Probleme und macht Konflikte
vergessen und schafft so Frieden.
Exportindustrie ist das Werkzeug, um
auf kapitalistische Art Frieden zu
schliessen», sagt Wertheimer, der so
die dritte Phase des Zionismus
einläutet.
Die
erste Phase habe, so erklärt er, in
der Errichtung des Staates auf
Grundlage der Landwirtschaft
bestanden, die zweite Phase in der
Verteidigung des Staates und die
dritte Phase bestehe nun in der
Stabilisierung durch Produktivität
und der Schaffung einer reichen
Exportindustrie. Auf die Frage, was
er sich angesichts des 50.
Geburtstags Israels für die nächsten
50 Jahre wünsche, meinte Wertheimer:
«Freiheit,
weniger Bürokratie, weniger
religiöse Auseinandersetzungen und
eine auf das Mittelmeer
ausgerichtete produktive
Gesellschaft, die Juden aus dem
Westen anzieht, so dass sich Israels
Bevölkerung verdoppeln wird.»
Woche der Brüderlichkeit:
Buber-Rosenzweig-Medaille für Stef
Wertheimer
Das ZDF
dokumentiert die diesjährige "Woche
der Brüderlichkeit" in mehreren
Fernsehbeiträgen. Am kommenden
Sonntag überträgt es die Verleihung
der Buber-Rosenzweig-Medaille an den
israelischen Visionär und
Unternehmer Stef Wertheimer...
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