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BRD/SERIE (TEIL 1) - In nur sieben Jahren hat sich die jüdische Bevölkerung verdreifacht

Deutschland, das verheissene Land

Die Einwanderungswelle russischer Immigranten in das wiedervereinigte Deutschland hat einerseits eine Wiederbelebung der jüdischen Gemeinde Deutschlands zur Folge, führt andererseits aber zusehens zu wachsenden Konflikten und Unstimmigkeiten unter den in der Bundesrepublik ansässigen Juden. Denn selbst für die "Alteingesessenen" ist es noch heute schwierig, als "normaler" Jude in Deutschland zu leben, wie der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, offen zugibt.

Von Sue Fishkoff

"Unmittelbar nach dem Krieg konnte kaum jemand sich vorstellen, dass Juden sich wieder auf deutschem Boden niederlassen würden", sagt die aus den USA stammende Susan Stern, die seit 20 Jahren in Deutschland lebt, an der Universität Frankfurt doziert und viele Arbeiten über die deutsche Gesellschaft und deren jüdische Gemeinde veröffentlicht hat. "Jahrzehntelang hielten die Juden sich an der Illusion fest, sie seien nur im Transit hier, sozusagen auf der Durchreise, auf gepackten Koffern sitzend. Erst in den achtziger Jahren veränderte sich etwas Wesentliches in ihrem Bewusstsein. Viele Juden, die eine Generation lang in Deutschland gelebt, gearbeitet und Familien gegründet hatten, mussten zugeben, dass Deutschland ihre Heimat geworden war."

Einwanderung als Herausforderung

Kaum hatte die jüdische Gemeinde der BRD sich einen neuen Stolz und eine neue Offenheit angeeignet, wurde sie zum zweitenmal innert weniger als einem halben Jahrhundert von einer neuen Revolution ereilt: Eine enorme Einwanderung von Juden aus den GUS-Republiken stellt eine gewaltige Herausforderung für die Gemeinden dar. 1990 zählte man 29 000 jüdische Gemeindemitglieder in Deutschland, doch seither sind über 60 000 Juden und begleitende Familienmitglieder aus der GUS in Deutschland eingetroffen. Ausmass und Tempo dieser Immigration haben alle Aspekte des jüdischen Lebens im Lande beeinflusst, und die Gemeinden müssen sich Gedanken über ihre Prioritäten und ihre Beziehungen zur nichtjüdischen Bevölkerung Deutschlands machen.

Nach 1945 lebten in Deutschland weniger als 200 000 Juden, vor allem aus Osteuropa deportierte KZ-Überlebende, sogenannte "Displaced Persons". Im Laufe einiger Jahre gingen fast alle nach Israel, in die USA und nach Australien. Zu Beginn der fünfziger Jahre zählte man in Deutschland nur gerade noch 20 000 Juden; die wenigsten von ihnen waren im Lande zur Welt gekommen. Im nächsten halben Jahrhundert wuchs die Gemeinde kaum, doch dann folgte 1991 die deutsche Wiedervereinigung und der Zusammenbruch der Sowjetunion.

Ausserhalb der Quoten

Die meisten Juden, welche die GUS verlassen, gehen noch immer nach Israel, rund 40 000 pro Jahr immigrieren in die USA. Etwa 700 pro Monat aber entscheiden sich für Deutschland, ermutigt durch ein 1991 verabschiedetes Gesetz, das jüdische Einwanderer aus der GUS bevorzugt behandelt. Während andere potentielle Immigranten nach Deutschland Quotenregelungen und langfädiger Bürokratie unterworfen sind, gibt es diese Beschränkungen für GUS-Juden nicht. Sie müssen nur den Beweis erbringen, von einer jüdischen Mutter oder einem jüdischen Vater abzustammen, damit die Türe sich öffnet. Sind sie einmal in Deutschland, gelangen sie in den Genuss eines weiten Spektrums staatlicher Vergünstigungen, die ihnen bei der Integration helfen sollen. Dazu gehören berufliche Umschulung, Sprachkurse, subventionierte Wohnungen, unentgeltliches Gesundheitswesen und grosszügige Sozialzahlungen. Nach einem Aufenthalt von sieben Jahren können sie die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen.

Gemäss offiziellen Zahlen in Deutschland haben 128 000 Juden in der GUS die Einwanderungserlaubnis nach Deutschland erhalten. Über die Hälfte ist bereits zusammen mit ihren nichtjüdischen Familienangehörigen eingetroffen. "Viele bleiben vorläufig in Russland und behalten ihr deutsches Visum als ‹Versicherungspolice› für den Fall, dass die Situation wirklich schlecht werden sollte", erklärte Judith Kessler, die an der Berliner jüdischen Gemeinde das Integrationsprogramm für Russen leitet. "Andere haben inzwischen vielleicht eine Einreiseerlaubnis für die USA und Kanada erhalten. Doch immer noch kommen Juden nach Deutschland, vor allem nach Berlin." Finanziell wirkt die Einwanderung sich nicht sonderlich auf die etablierte jüdische Gemeinde aus. Die Bundesregierung finanziert die meisten der Programme, welche den Immigranten in ihrer anfänglichen Integrationsperiode helfen. Einerseits stärken die russischsprechenden Einwanderer die Gemeinde zahlenmässig. Sie führen einer bis dahin überalterten und schrumpfenden jüdischen Bevölkerung frisches Blut und Begeisterungsfähigkeit zu. "Für mich ist das Ganze ein Wunder", erklärt der Historiker Andreas Nechama, seit kurzem das erste Mitglied der Nachkriegsgeneration, das zum Präsidenten der Berliner Gemeinde gewählt worden ist. "Als ich 1964 Barmizwa wurde, sagte der Rabbiner, im Jahr 2000 würde ich einer von vielleicht noch 800 Berliner Juden sein. Statt dessen haben wir heute über 10 000, und das ist ein Wunder. Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um diese russischsprechenden Juden in unsere Gemeinde zu integrieren."

Alles auf russisch

Die Neuankömmlinge sind zweifelsohne "anders". Die sozialen Probleme im Zusammenhang mit der Integration einer so grossen Anzahl von Menschen, die grösstenteils nur nominell jüdisch sind, die eine andere Sprache sprechen, ein kulturell verschiedenes Rüstzeug mitbringen und zudem zu einem überwiegenden Teil betagt sind, belastet die an sich schon delikate Struktur des jüdischen Lebens in Deutschland nicht wenig.

Wie auch in Israel hat sich die Begeisterung über die Neuankömmlinge rasch gelegt. Gemeindearbeiter sagen, die Immigranten wollten zu viel zu rasch erreichen. "Sie kommen nach Berlin, sehen den neuen, goldenen Dom der renovierten Grossen Synagoge und glauben, die jüdische Gemeinde Deutschlands sei reich", sagt Judith Kessler. "Sie betreten unsere Büros und sagen: ‹Gebt mir Geld und eine Wohnung›."

Alle wichtigen jüdischen Gemeinden im Bundesgebiet haben ihre sozialen Programme mit Rücksicht auf die russischsprechenden Immigranten angepasst, was unter den alteingesessenen Deutschland-Juden nicht nur eitel Freude ausgelöst hat, vor allem dann nicht, wenn diese Juden das Gefühl haben, dadurch selber um soziale Vorteile geprellt zu werden. "Ganz besonders frustriert sind", wie Judith Kessler erklärt, "betagte deutsche Juden und Eltern junger Kinder. Alles wird heute auf russisch angeboten. Die Kinder in den jüdischen Tagesschulen sprechen russisch, Pogramme in Altersheimen werden auf russisch abgewickelt, und sogar die Plakate an den Wänden der Gemeindezentren sind auf russisch. 27 Prozent der Immigranten sind älter als 65 Jahre, und unsere betagten polnischen und deutschen Juden sind alles andere als erfreut." Auch die Führungsspitze drückt ähnlich ambivalente Gefühle gegenüber den Neuankömmlingen aus. "Den Juden aus der ehemaligen UdSSR empfehle ich, eher nach Israel als nach Berlin zu gehen", meint Nechama freimütig. "Sind sie aber einmal hier, müssen wir uns mit der Sache befassen."

Woher kommt die Infrastruktur?

Das Problem wird dadurch verschärft, dass die Regierung die Immigranten proportional zur Bevölkerungsgrösse auf die verschiedenen Bundesstaaten verteilt. Die überwiegende Mehrheit der jüdischen Immigranten würde sich logischerweise in Berlin, München oder Frankfurt und einer Handvoll weiteren Städten mit einer ernstzunehmenden jüdischen Bevölkerung und funktionierenden Sozialdiensten niederlassen, doch erhalten sie ihren neuen Wohnort von den Bundesbehörden in Zusammenarbeit mit den jüdischen Stellen zugewiesen. Die Zahlen sprechen für sich. Berlin, das bisher mehr als 5000 Neueinwanderer aufgenommen hat, was seinen Anteil bei weitem übersteigt, ist heute offiziell geschlossen für die jüdische Immigration. Es werden nur noch dringende Fälle von Familienvereinigung berücksichtigt. Heute schickt man Neueinwanderer in kleinen Gruppen in Städte und Orte der früheren DDR, die oft über keine jüdische Infrastruktur verfügen.

In diesem Zusammenhang machte das Dorf Berfelden unlängst Schlagzeilen. 40 jüdische, russischsprechende Immigrantenfamilien wurden dort in die Nachbarschaft von 150 Familien ethnischer Deutscher aus der GUS (eine weitere Gruppe, denen das Flüchtlingsgesetz von 1991 Privilegien bringt) angesiedelt. Die beiden Gruppen harmonierten aber gar nicht miteinander, und die Juden baten um die Umsiedlung in einen Häuserkomplex des sozialen Wohnungsbaus in einem separaten Teil der Ortschaft. "Hätte man sie nach Berlin oder Frankfurt geschickt, wären ihre Chancen für ein jüdisches Leben grösser gewesen", meint Stefan Szajak, Direktor der jüdischen Gemeinde von Frankfurt. "So ist das schon viel schwieriger." In Berlin profitieren Immigranten, wie Judith Kessler unterstreicht, von der kürzlich errichteten jüdischen Primar- und Mittelschule der Stadt, sie können der Jugendbewegung Maccabi beitreten und in verschiedenen Gemeindezentren Deutschkurse belegen. "In der ehemaligen DDR gibt es diese Infrastruktur nicht", sagt sie. "Was können 400 russischsprechende Juden in einer Kleinstadt unter mehreren tausend Deutschen schon finden?"

Wer ist Jude?

Wie auch in Israel sind viele der Immigranten - vielleicht die Hälfte - halachisch (religionsgesetzlich) keine Juden. Sie reisten zwar aufgrund ihrer ethnischen Identifikation als Sowjetjuden nach Deutschland ein, doch können sie wegen der Gesetze der offiziellen jüdischen Gemeinde dort nicht Mitglieder werden. Abgesehen von einer liberalen Gemeinde in Berlin und einer Handvoll von "Chawurot" (Gemeinschaften) in Universitätskreisen halten die deutschen Juden am orthodoxen Prinzip der sogenannten "Einheitsgemeinde" fest. Und in Deutschland, in deren jüdischer Gemeinde eine formelle zehnprozentige Einkommenssteuer besteht, die durch grosszügige Staatssubventionen für jüdische Aktivitäten und Institutionen mehr als kompensiert wird, ist der Ausschluss nicht-halachischer Immigranten ein totaler. Sie können ihre Kinder weder ins Sommerlager noch in Hebräischkurse schicken, sie können nicht Mitglieder in der Synagoge werden und auch nicht innerhalb der Gemeinde heiraten. Darüber hinaus besitzen auch von jenen, die einen jüdischen Ehepartner haben, nur wenige die Chance, überzutreten. Laut Ignatz Bubis, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, durften nur drei bis vier der total 16 in Deutschland amtierenden Rabbiner Übertritte vollziehen, die auch in Israel anerkannt sind. "Und auch diese", sagt er, "werden in Israel nur mit Mühe anerkannt." Pro Jahr registriert man in der Folge nur eine Handvoll Konversionen, seit 1990 schätzungsweise 385. In den meisten Fällen gehen nicht-halachische jüdische Immigranten und deren Familien dem Judentum einfach verloren.

Parallele Welt

Da nur die, die in den offiziellen Statistiken der jüdischen Gemeinden Deutschlands figurieren, gezählt werden, kann kaum festgestellt werden, wie viele Menschen aufgrund ihrer jüdischen Identitätskarte aus der GUS nach Deutschland eingewandert sind. Es können 40 000, 60 000 oder noch mehr sein. "Niemand enthüllt genaue Ziffern", klagt Stern, "denn niemand will zugeben, wie viele Menschen nicht als Juden akzeptiert sind." In Berlin, wo sich die grösste Zahl russischsprechender Immigranten niedergelassen hat, entwickelte sich rund um den "Jüdischen Kulturverein" ein regelrechtes Parallelsystem jüdischer Institutionen für die halachisch nicht einwandfreien Einwanderer. Hier erhalten die vom offiziellen jüdischen Gemeindezentrum ausgeschlossenen Menschen Hebräischunterricht, feiern jüdische Feiertage und lernen israelische Volkstänze.

"Eine jüdische Gemeinde ist und bleibt eine jüdische Gemeinde", hält Nechama in Verteidigung des Status quo fest. "Die Rabbiner haben ihre Definition von einem Juden. Im Kulturverein kann man tun, was man will. Ich respektiere das und reiche ihnen die Hand, doch der jüdischen Gemeinde können sie nicht angehören." Judith Kessler bemerkt, dass die offizielle jüdische Gemeinde Berlins fast 7000 Mitglieder hat. Zusätzlich sind seit 1991 schätzungsweise weitere 7000 bis 8000 "nicht-halachische Juden" aus der GUS in die Stadt gekommen. Viele von ihnen hätten gerne an den jüdischen Programmen teilgenommen und empfinden ihren Ausschluss sehr. "Wir begegnen", sagt Kessler, "vielen Problemen bei Eltern nichtjüdischer Kinder, und das ist erst die Spitze des Eisbergs."

Erschienen in der "Jerusalem Post". Übersetzung und Bearbeitung: Jacques Ungar.

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