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Bücher / Morascha
Koscher leben...
Jüdische Weisheit
 
 

 

Avi Primor
»...mit Ausnahme Deutschlands«
Als Botschafter Israels in Bonn

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I. Teil - c

Deutschland – ein weisser Fleck

Als mögliche Ursache meiner Abneigung gegen Deutschland, die mich auch den neuen, nach dem Krieg gegründeten Staat, die demokratische Bundesrepublik, nicht wahrnehmen ließ, kam nicht zuletzt die massenhafte Vertreibung und Ermordung von Juden in Betracht, die Deutschland vor sich selbst und vor der Weltöffentlichkeit zu verantworten hat. Doch hatte es, wie wir es als Kinder lernten, nicht schon in früheren Jahrhunderten Judenverfolgungen großen Ausmaßes gegeben, Haß auf Menschen, die sich zum jüdischen Glauben bekannten, Pogrome und blindwütige Vernichtungszüge, die zum Tod von Tausenden und Abertausenden von Juden führten? Bereits vor zweitausend Jahren, als die Römer uns besiegt und Jerusalem zerstört hatten, sind wir aus dieser Stadt verbannt und schließlich auch aus unserem Land vertrieben worden.

Verheerender noch verlief die große Welle der Judenverfolgungen, die Ende des 11. Jahrhunderts mit den Kreuzzügen einsetzte. In Spanien hatte der Untergang der Araberstaaten, die Rückeroberung (Reconquista) des bis dahin arabisch beherrschten Südens und die Wiederherstellung der christlichen Oberherrschaft 1492 nicht nur die Vertreibung der nicht-christlichen Mauren zur Folge. Auch die Juden mußten das Land verlassen, sofern sie als »Ungläubige« sich nicht dem Taufgebot der Inquisition unterwarfen, wozu sich nur wenige bereit zeigten. Am Hof geachtet, am kulturellen Leben beteiligt und dank ihres hohen Bildungsstandes einflußreich, hatten sie glücklich und sozial voll integriert bis zur Ausweisung mehr als tausend Jahre lang in Spanien gelebt und das Land als ihre Heimat betrachtet, sowohl unter christlicher wie muslimischer Herrschaft. Die Juden Spaniens galten in der gesamten Diaspora als kultivierteste und mit ihren Gastvölkern am stärksten verbundene Gemeinschaft. Ihre Vertreibung machte sie über Nacht zu Recht- und Besitzlosen.

Schließlich, als weiteres Beispiel herausgegriffen aus der langen Leidensgeschichte des jüdischen Volkes, der Aufstand des ukrainischen Kosakenführers Bogdan Chmelnizkij im 17.Jahrhundert, sein Kampf gegen die Polen und der Anschluß der Ukraine an Rußland (1654). Im Grunde hatte er, durchaus ehrenwert, nichts anderes im Sinn, als sein Land von fremder Herrschaft zu befreien. Zur Bilanz seines Konflikts mit den Polen aber gehört auch die Ausrottung eines Großteils der jüdischen Bevölkerung. Warum eigentlich und zu wessen Nutzen? Waren schon damals nach landläufiger Auffassung die Juden »an allem schuld«? Eine Frage, die an jene bekannte Anekdote erinnert, die genau diese Meinung kolportiert und außer den Juden auch den Radfahrern die Schuld an allem und jedem zuweist. »Warum die Radfahrer?« fragt einer. Antwort: »Warum die Juden?«

Solche Geschichten, mehr oder minder geistreich und oft voll bitterer Ironie, sind undenkbar ohne die gewaltige Summe der Erfahrungen, die ihnen zugrunde liegt: soziale und rechtliche Diskriminierungen, etwa die Ausschaltung der Juden aus dem politischen und öffentlichen Leben, Einschränkungen der Berufs- und Glaubensfreiheit und die Pflicht, in eigenen Wohnvierteln zu leben, den Ghettos, sodann Heimsuchungen durch Pogrome bis hin zum staatlich geduldeten oder gar befohlenen Mord.

Mit dem während meiner Ausbildung vertieften Wissen um die leidvollen Erfahrungen meines Volkes aber kam ich kein Stück der Antwort auf die Frage näher, weshalb Deutschland für mich lange eine Art Niemandsland blieb, obwohl sich doch gerade hier Unsägliches ereignet hatte, nicht erst in jüngerer Vergangenheit. Auch der Krieg, genauer gesagt die Furcht vor einem Einfall deutscher Truppen in unser Land, der 1941 und im darauffolgenden Jahr nicht ganz auszuschließen war, hat mein Verhältnis zu Deutschland, das eigentlich ein Un-Verhältnis war, kaum bestimmt. Feldmarschall Rommel war mit den Soldaten seines Afrikakorps innerhalb kurzer Zeit zwar weit nach Osten vorgedrungen, so daß man bei uns schon Vorbereitungen zum Widerstand traf und von Städten sprach, die wie Festungen verteidigt werden sollten, mit Sprengsätzen für die Häuser und bis zum letzten Mann, falls die Invasoren tatsächlich eindringen und die Engländer sich zurückziehen und uns, wie vermutet, im Stich lassen würden. Die anfängliche Besorgnis schlug mehr und mehr in ein Gefühl ohnmächtiger Beklommenheit um.

Nur: Von all dem spürte und wußte ich so gut wie nichts. Ich war damals gerade erst sieben, meine bis dahin normal verlaufene, ja ausgesprochen glückliche Kindheit wurde von den Sorgen der Erwachsenen nicht belastet, schon gar nicht durch Schreckensnachrichten. Das erste, was ich über Rommel erfuhr, verband sich, ohne daß ich es ganz verstand, mit dem Namen Bir-Hakeim, dem Schauplatz jener Schlacht, in der es der Freien Französischen Armee de Gaulles unter ihrem Befehlshaber General Pierre Koenig gelang, das Afrikakorps sechzehn Tage aufzuhalten und damit den Engländern hinreichend Zeit für ihren Aufmarsch bei El Alamein zu verschaffen. Auch der Name dieser Oase in der Libyschen Wüste blieb mir seit jener Zeit im Gedächtnis, bedeutete er doch gleichsam das Ende aller Bedrohung: Die Niederlage des Afrikakorps in der Schlacht bei El Alamein besiegelte das Schicksal des deutschen Expeditionsheers in Nordafrika und leitete dessen Rückzug nach Italien ein. Danach reihte sich eine Siegesmeldung an die andere.

Kindheitsängste vor deutscher Kriegsgewalt also haben, da ich sie nicht erlebte, mein früheres Deutschlandbild mit Sicherheit nicht beeinflußt. Wohl aber kehrte die Erinnerung an jene Jahre zurück, als ich, inzwischen Botschafter in Bonn, Manfred Rommel kennenlernte, den Sohn jenes umstrittenen Feldherrn, der nach dem Afrikakorps später eine Heeresgruppe an der Westfront befehligte. Ich schätze Manfred Rommel, den langjährigen Oberbürgermeister Stuttgarts, als aufrichtigen Freund Israels, der 1987 als »Guardian of Jerusalem« ausgezeichnet worden ist und sich ebenso um die deutsch-französischen Beziehungen wie um die demokratische Erziehung der Nachkriegsjugend verdient gemacht hat. Das erste Mal sah ich ihn im Juni 1994 in einem Fernseh-Interview. Die Sendung war anläßlich des 50. Jahrestags der Invasion der Alliierten in der Normandie aufgezeichnet worden, bot aber nicht nur Gelegenheit zu kriegsgeschichtlichen Rückblicken. Zu den Erinnerungen an den berühmten Vater, die Rommel in diesem Interview preisgab, gehörte, daß er, der Sohn, bereits als Fünfzehnjähriger eine Luftwaffenuniform getragen, die SS der Luftwaffe damals jedoch entschieden vorgezogen habe. Daß man ihn nicht zum Dienst in der SS einzog, habe er allein seinem Vater zu danken.

Später, in einem Gespräch, konnte ich Manfred Rommel zu diesem Punkt näher befragen. Er bestätigte, daß er, fast noch ein Kind und indoktriniert durch Erziehung und Nazi-Propaganda, sich für die SS begeistert hatte, nicht zuletzt auch deshalb, weil die SS so schneidige Uniformen trug ... Als er sich aber dann ernstlich als Freiwilliger um Aufnahme bemühte und seinem Vater den Antrag zur Unterschrift vorlegte, die wegen der Minderjährigkeit des Bewerbers erforderlich war, zerstoben alle vermeintlich schönen Pläne: Nicht nur, daß der Feldmarschall die Unterschrift verweigerte, er deutete seinem Sohn gegenüber auch an, als SS-Mann müsse er bereit sein, Menschen zu vergasen. An dieser Stelle des Gesprächs überkam mich eine seltsam beunruhigende Vorstellung, absurd und doch so abwegig nicht: Was wäre aus unserem Land, was wäre aus mir geworden, hätten 1942 die Divisionen des Afrikakorps die Schlacht von El Alamein nicht verloren? Nichts hätte sie nach den voraufgegangenen Erfolgen daran hindern können, den Weg nach Palästina einzuschlagen. Und ich, kaum acht Jahre alt, hätte mein Leben womöglich in einer Gaskammer beendet.

Deutschland also als einziger Inbegriff und Verkörperung des Bösen schlechthin? Mich hat es nicht nachhaltig beeindruckt. Schon während des Kriegs gab es nicht wenige Menschen im heutigen Israel, die sich, neben der am Anfang nicht ganz unbegründeten Furcht vor einem dauerhaften Sieg Nazi-Deutschlands über alle mittel- und osteuropäischen Staaten, mit dem Vorgefühl des Entsetzens die Begegnung mit einer ungefähr ähnlich totalitären Ideologie ausmalten, wie sie der Nationalsozialismus darstellte.

Mein Großvater väterlicherseits etwa, der am Anfang des Jahrhunderts mit seiner Familie vor den Pogromen in der Ukraine nach Holland geflüchtet war, bevor er schließlich in Palästina eine neue Heimat fand, wurde, zumal gegen Ende des Krieges, nicht müde, vor den Gefahren des Kommunismus zu warnen. Es war bald nach der Schlacht von El Alamein, als ich ihn fragte, ob »die Bösen« nun endgültig besiegt seien. Die Antwort fiel weniger eindeutig aus, als ich es nach meinem damaligen Verständnis der Dinge erwartete. Nicht allein die Nazis seien »böse«, wurde mir erklärt. »Hast du schon mal von den Kommunisten gehört?« Als ich verneinte, erhielt ich einen Nachhilfeunterricht besonderer Art: Die Kommunisten würden auch als »Rote« bezeichnet, denn Rot sei die Farbe ihrer Fahnen, rot sei bekanntlich aber auch das Blut. Folglich handele es sich um blutrünstige, auf jeden Fall gefährliche Leute, welche ihre in der Farbe symbolisierten Absichten und Ziele sogar noch schamlos zur Schau trügen. Meine Mutter, die ins Zimmer getreten war, unterbrach die Belehrung abrupt. Sie widersprach ihr aber nicht, wich dem wegen der Zurechtweisung empörten Großvater vielmehr mit der schwer zu widerlegenden Feststellung aus, es gebe weiß Gott größere Sorgen und tiefere Ängste als die Furcht vor den Kommunisten.

Nächster Teil

Inhaltsverzeichnis

Erschienen 1997 beim Ullstein-Verlag, Berlin


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