Sommeruniversität München 2005

Fremde Heimat - vertrautes Exil?
Jüdische Kultur und Traditionen

Die erste Sommer Universität München 2005 des Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Kultur hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine Woche lang Studierenden und anderen Interessierten Einblick in jüdische Kultur und Traditionen zu geben.

Die TeilnehmerInnen haben die Möglichkeit, in den klassischen Fächern sowie zu aktuellen Themengebieten wie jüdisch-christlicher Dialog und Antisemitismusforschung Einblick in die vielfältigen Traditionen und die facettenreiche Kultur des Judentums zu bekommen.

Interaktive Kurzseminare sowie das Rahmenprogramm haben zum Ziel, in einer Woche eine Einführung in jüdische Kultur und Traditionen zu geben, wie es sonst in diesem Umfang in universitärem Rahmen bisher nicht etabliert ist. Den TeilnehmerInnen soll nicht nur Basiswissen, sondern auch ein detaillierter Einblick in die sich vorstellenden Disziplinen gegeben werden.

Neben dem Hebräischkurs, der die ganze Woche hindurch stattfindet, steht es den TeilnehmerInnen frei, vormittags wie nachmittags zwischen den Seminaren zu wählen, die so angeordnet sind, dass eine Teilnahme an allen Seminaren möglich ist. Das Rahmenprogramm besteht aus Einleitungsabend, Vorträgen, Exkursionen und der Teilnahme an einer Schabbatfeier.

Detaillierte Infos zur Sommeruniversität finden sie auf der
Website des Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Kultur
Zeit: Sonntag, 17. Juli bis Freitag, 22. Juli 2005
Ort: Historicum der LMU-München, Schellingstr. 12, 80799 München

In der Vorlesungsreihe von Natan Sznaider spricht David Gall am 19-07-2005, 13.00h - 15.00h, über Antisemitismus und neue Medien

Unter den Teppich kehren:
Ist Antisemitismus überhaupt ein Problem?

Antisemitismus ist zwar ein Problem der gesamten Gesellschaft, wahrgenommen wird er aber noch immer am ehesten von Juden.

Die Mehrheit reagiert, auch wenn es in den letzten Jahren immer deutlicher wurde, dass antisemitische Stimmungen weit in die so genannte Mitte der Gesellschaft hinein reichen, noch immer fast reflexartig mit Wegschauen, Verschweigen, Verharmlosen.

Beispiele für den "Antisemitismus aus der Mitte" und das "Schweigen der Mehrheit":
Als Martin Walser in der Frankfurter Paulskirche seinen Unmut am "Holocaustgedenken" zum Ausdruck brachte, erntete er von der politischen und intellektuellen Elite der Republik standing Ovations, nur Ignatz und Ida Bubis blieben sitzen.
Beim Wiener Kommunalwahlkampf setzte die FPÖ, immerhin österreichische Regierungspartei, ganz gezielt auf antisemitische Stimmungen.
Auch Jürgen Möllemann (FDP) startete mit seinen Flugblättern im Bundestagswahlkampf 2002 ähnliches.
Auf die antisemitische Rede des CDU-MdB Hohmann wurde erst reagiert, nachdem haGalil onLine Ende Oktober 2003 darauf hingewiesen hatte, dass mittlerweile auch stundenlange antisemitische Tiraden auf öffentlichen Veranstaltungen einer demokratischen Volkspartei widerspruchslos hingenommen werden.
Auch auf die Tatsache, dass antisemitische Gewalttäter in Komplizenschaft mit der schweigenden Mehrheit heute - in aller Öffentlichkeit - wieder Existenzen ruinieren können, musste erst haGalil am Beispiel eines koscheren Lebensmittelgeschäfts hinweisen.
Dass solche Ereignisse ohne die ehrenamtliche Arbeit eines jüdischen Onlinedienstes gar nicht ins öffentliche Bewusstsein gelangt wären, macht das ganze Ausmaß von Gleichgültigkeit und Verdrängung deutlich.

Dass es notwendig und sinnvoll ist, relevante Informationen schnell und gezielt weiter zu vermitteln, zeigte sich auch im Falle einer neo-faschistischen Band aus Österreich, die sich ausgerechnet durch einen Auftritt in Tel Aviv ihre "unpolitische Harmlosigkeit" bescheinigen lassen wollte.


Gleichgültig? Unerfahren? Hilflos?
Antisemitismus und neue Medien

Über antisemitische Hetze in den mittlerweile nicht mehr ganz so "neuen Medien" wurde im Laufe der letzten 10 Jahre viel geschrieben, viel diskutiert, viel lamentiert. Viele Gründe wurden dafür angeführt, weshalb man so wenig gegen diese Flut der Hetze unternehmen könne. Einige Vorschläge zur Eindämmung wurden im Rahmen hochkarätig besetzter Konferenzen diskutiert und verworfen, andere wurden weiter verfolgt und irgendwann ad acta gelegt, an wieder anderen wird noch immer gefeilt. An die regelmäßigen Meldungen der Staatsschutzorgane über immer bedrohlichere Zuwachsraten der sogenannten "Hass-Seiten" und die zunehmende Hemmungslosigkeit der Hetzer, hat man sich unterdessen gewöhnt.

Während der sogenannte "Aufstand der Anständigen" Zivilcourage und zivilgesellschaftliches Engagement fördern wollte, finden in der Diskussion um die zunehmende "Volksverhetzung" fast nur obrigkeitsstaatliche Maßnahmen Gehör. Immer wieder werden "Patentlösungen", wie Filtersoftware, Positiv- und Negativlisten, Auswahl-CDs, Kontrolle durch Providerfirmen etc. angepriesen. Dem selben Ansatz entspringen auch Forderungen wie die nach dem "weltweiten Wertekonsens", den die UNO durchsetzen soll. Vor dem 11.September konnte man solche Vorschläge noch als "gut gemeint" belächeln, im Nachhinein sollte aber klar sein, dass sich hier ein erschreckendes Unvermögen die technischen und thematischen Realitäten wahrzunehmen dokumentiert.

Das Internet ist international. Die Hetze wird in allen Sprachen weltweit verbreitet. Betrachten wir das Hauptthema der Hetze, die Juden und den Staat Israel, dann hätte es auch schon vor der "zweiten Intifada" und dem 11.September klar sein müssen, dass hier kaum mit einem Konsens zu rechnen sein dürfte. Dieser hätte ja festlegen und durchsetzen müssen, was über Juden und Israel gesagt und verbreitet werden dürfte, und dies nicht nur am Bodensee, sondern auch in Malaysia, in Durban, in Budapest oder Riad.

Diskussionen in diesem Bereich müssen deshalb weniger davon ausgehen, was vielleicht wünschenswert wäre, als vielmehr davon, was überhaupt machbar ist. Hier liegt mit haGalil onLine ein nachweislich und nachhaltig erfolgreiches und vielfältig nutzbares Modell vor.

Der Erfolg dieses Modells liegt wohl mit darin begründet, dass wir von Anfang an nicht gegen etwas, sondern für etwas gearbeitet haben. Um es in einem Satz zu sagen: "Wir haben weniger gegen die Lüge gearbeitet als vielmehr für die Wahrheit". Wir waren nicht gegen die Einfalt, sondern haben die Vielfalt mitgestaltet.


Die antisemitische Propaganda im Allgemeinen
und in den neuen Medien im Besonderen:
Zwei Thesen

Antisemitismus ist das zentrale Merkmal fundamental-nationalistischer Weltanschauung und damit Bindemittel unterschiedlichster Bewegungen, von Pamjat in Russland bis zum Ku-Klux-Klan in Amerika, von christlich-arischen Allianzen und islamistischen Fundamentalisten. Diese Tatsache wird inzwischen oft genug und deutlich zur Schau gestellt, wenn z.B. Horst Mahler die Anschläge der Al-Kaida auf das World Trade Center bejubelt. Gerade die Beobachtung und Auswertung der Internet-Seiten all dieser Organisationen macht deutlich, dass der Antisemitismus seit vielen Jahren eine immer dominantere und immer aggressivere Stellung einnimmt.

Wie hemmungslos auch die dümmsten Hetzschriften immer wieder angeboten und auch angenommen werden, zeigt sich ganz besonders deutlich in den neuen Medien. Seit Mitte der 90er Jahre wird es immer offensichtlicher, dass antisemitische Propaganda im Internet, viel gefährlicher ist, als die bisher üblichen Propagandamittel (Zeitungen, Flugblätter und NPD-Vorträge in irgendwelchen Hinterzimmern). Die Erklärung dafür ist einfach: Über relevante Stichworte ist es im Internet möglich, völlig "unbedarfte Leser" zu erreichen, zum Beispiel einen Schüler, der ein Referat zum Thema "jüdische Feiertage" schreiben muss.

Die Studie "Kinder Online 2004" berichtet, dass das Internet bei Kindern und Jugendlichen inzwischen beliebter als das Fernsehen ist und von 90 Prozent aller Kinder genutzt wird. Kinder interessieren sie sich zwar nicht explizit für "verbotene" Inhalte. Die Begegnung mit NS-Propaganda erfolgt aber unbeabsichtigt, wenn Informationen für die Schule gesucht werden, d.h. also im Rahmen einer themenrelevanten Recherche in Suchmaschinen.


Information, Kommunikation und Repression:
Auf drei Dingen...

Als haGalil onLine seine Arbeit aufnahm, war Jizhak Rabin bereits ermordet, der Friedensprozess aber noch nicht zusammengebrochen. Die Hamas sammelte schon Gelder in Europa, von Al-Kaida hatte aber noch niemand gehört. Horst Mahler schrieb schon alles, was wir heute auch in der saudischen Presse lesen können. In Brandenburg gab es schon national-befreite Zonen und in Rostock brannte das Sonnenblumenhaus. Vom WTC konnte man die halbe Welt sehen und die war damals noch bunter, von Nuancen zu reden war noch selbstverständlicher.

Klar, für Antisemiten war die Welt schon immer schwarz und weiß und alle Probleme der Welt haben seit eh und je nur eine einzige Ursache - die Juden. Die Weltwirtschaft wird vom jüdischen Kapital geknechtet, der Weltfrieden vom Judenstaat bedroht.

Vielen erscheint es hoffnungslos, gegen all diese uralten und abgrundtief dummen Hassparolen vorzugehen - wir meinen aber, dass man die Hetzer weder gewähren lassen kann noch darf.

Im übrigen ist es auch hier so, dass sich selbst aus beunruhigenden Tatsachen ein "positiver Aspekt" folgern lässt: Je zentraler die Bedeutung der antisemitisch-antizionistischen Konstrukte im ideologischen Fundament einer Bewegung, um so nachhaltiger ist sie in ihren Grundfesten zu erschüttern, wenn es gelingt, diese Propaganda als Wahngebilde zu entlarven.

Wir behaupten nicht, dass dies das wichtigste aller Probleme sei und auch nicht, dass wir die einzig mögliche Lösung gefunden haben. Wir betonen lediglich, dass dieses Problem ein ernstzunehmendes ist und dass man etwas tun muss und etwas tun kann.

Dass der Antisemitismus eine Gefahr für die gesamte Gesellschaft darstellt betonen Politiker aller Couleur. Viele schildern bei Gedenkveranstaltungen oder nach Wahlsiegen nazistischer Parteien die Lage zehnmal bedrohlicher als wir es je getan haben. Betroffenheit heucheln ist aber etwas anderes als betroffen sein. Das eine führt zum Reden, Konferieren, Konzipieren, perspektivisch andenken, das andere zum Tun.

Wenn Sie der Meinung sind, dass Antisemitismus ein Problem ist, dass Antisemitismus ein Problem der Gesellschaft und nicht nur Privatangelegenheit einiger weniger ist, dann sollten Sie sich nicht nur überlegen was vielleicht wünschenswert wäre, als vielmehr, was überhaupt machbar ist - und jene unterstützen, die dies schon lange tun.

ERSTENS:

Gegen hetzerische Inhalte im Internet ist uns die Schaffung eines massiven Gegengewichts durch aufklärende Inhalte am wichtigsten. Das heißt Wahrheit gegen Lüge und Hass. Der NPD-Anwalt Horst Mahler, um nur ein Beispiel zu nennen, sieht den Hauptfeind des Deutschtums inzwischen nicht mehr in der "jüdischen Rasse", sondern in der jüdischen Religion. Dementsprechend finden wir auf den einschlägigen Seiten eine unglaubliche Menge an Artikeln die sich mit dem "Judentum" befassen – beziehungsweise dem, was Mahler und seine Kollegen (im weitesten Sinne) dafür halten.
Wenn wir nun einhundert unserer Seiten gegen eine dieser Seiten setzen - zum Beispiel zum harmlos erscheinenden Thema "jüdische Feiertage", dann liegen die Chancen eines Schülers, auf der Suche nach Informationen zu seinem Referat bei haGalil onLine anstatt auf den Nazi-Seiten zu landen bei 100:1.
Information und Aufklärung darf aber nicht Gegenpropaganda sein. Sie muss das Denken anregen, nicht vorschreiben. Widersprüche und Diskussionen, Facetten und Pluralismus sind nicht Mittel zum Zweck, sondern Weg und Ziel.
Bestechend an diesem absolut einfachen Ansatz ist, dass der "inhaltliche Schutzwall" unabhängig von allen Schwachpunkten der bisher von offizieller Seite angedachten Strategien funktioniert, denn das Verhältnis 100:1 bleibt effektiv auch ohne den in der "Berliner Erklärung" des Justizministeriums erhofften weltweiten Wertekonsens. Es wird auch noch bestehen, nachdem sich die vielleicht irgendwann einmal installierten Filterprogramme als wirkungslos - da umgehbar - erwiesen haben. Selbst im Falle, dass antisemitische Hetze einmal straffrei sein sollte, wird diese "Blockade" weiter funktionieren.

ZWEITENS:

Unser zweiter Ansatz nutzt die kommunikativen Möglichkeiten eines lebendigen Onlinedienstes, denn die beste Vorraussetzung für Verständigung sind Begegnung und authentische Information.
Wir wissen längst, dass Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit gerade dort am meisten verbreitet sind, wo die wenigsten Juden leben. Für einen Jugendlichen in Brandenburg ist haGalil onLine oft die erste und einzige Möglichkeit, mit Juden in einen Dialog zu treten.
Aus einer Menge von 220.000 Besuchern, jeden Monat, erhalten wir täglich Dutzende von e-Mails mit Anfragen von Schülern und Lehrern und unsere Foren und Chats bieten die Möglichkeiten zur Kommunikation der Leser untereinander.
So lernte beispielsweise eine Nazi-Aussteigerin die Vorsitzende einer jüdischen Gemeinde in Bayern kennen. Gemeinsam gestalteten sie zahlreiche Vorträge an Schulen und Jugendzentren.
Von vielen werden wir als Anlaufstelle für den Kampf gegen Rechts wahrgenommen und unsere Ausdauer, gerade auch nach verheerenden Angriffen auf unsere offenen Foren, ist für viele ein ermutigendes Zeichen in dieser Auseinandersetzung.
Die hier erhaltene Information und das Wissen sich hier auch weiterhin austauschen zu können stärkt die argumentative Sicherheit.

DRITTENS:

Unser dritter Ansatz resultiert aus massiven Angriffen rechtsextremer Hetzer: Die juristische Komponente unserer Arbeit konnte immer weiter ausgebaut und verbessert werden. 1997 haben wir das erste Meldeformular für NS-Seiten ins Netz gestellt. Im Jahr gehen hier ca. 1.000 Anzeigen ein, und inzwischen ist fast jede dritte Strafanzeige in Deutschland in diesem Bereich auf eine Meldung über unsere Anlaufstelle zurückzuführen.
Es geht hier aber nicht nur um Quantität, sondern vor allem um Qualität: Wir leiten die hier gemachten Beobachtungen unserer Leser nicht einfach an die Staatsanwaltschaften weiter, sondern führen eigene – oft auch anlassunabhängige - Ermittlungen zur Täterfeststellung durch und geben den Staatsanwaltschaften sowohl juristische als auch technische "Nachhilfe", so dass der größte Teil der über uns erstatteten Anzeigen auch tatsächlich zu einer Verurteilung führt. Es sind keine neuen Gesetze notwendig, die Anwendung der bestehenden würde bereits ausreichen.

Grundsätzlich lässt sich zusammenfassen, dass Antisemitismus, Antizionismus, Hass und Demokratiefeindlichkeit im Internet, im Internet und mit den Möglichkeiten des Internets bekämpft werden müssen. Wenn wir uns heute anschauen, welche Effektivität haGalil onLine mit welch geringen Mitteln, finanziell und personell, erreicht hat, dann besteht durchaus Hoffnung, dass die Verbreitung fundamentalistisch-nationalistischer Hetze – mit den Mitteln des Internets – ganz entscheidend behindert werden kann.

Auch nach zahlreichen Konferenzen zum Thema, die immer wieder die Bedeutung des Themas betonen (zB mehrere Konferenzen der OSZE), müssen wir darauf hinweisen, dass es höchste Zeit ist, dass die vielen Zuständigen in diesem Land endlich die unspektakuläre alltägliche Arbeit effektiver Gruppen unterstützen.

HaGalil onLine kommt nicht als Hochglanzbroschüre daher und nicht als pädagogisches Projekt zur theoretischen Konzeption politischer Bildungsarbeit. Wir sind einfach "al haMapah", d.h. wir sind präsent, als lebendiger, alltäglicher und selbstverständlicher Teil einer offenen und vielfarbigen Gesellschaft.


Was getan werden kann, muss endlich unterstützt werden:
Gegenmaßnahmen zum Antisemitismus im Internet

Rede gehalten im Rahmen der IV. Sitzung der OSCE-Conference zum Anti-Semitismus in Berlin: Information and Awareness Raising - The Role of the Media in Conveying and Countering Prejudice.
[SoundFile (English) - Session 4] [ENGLISH] [FRENCH]

Wir sollten das Internet nicht in erster Linie als Bedrohung, sondern viel mehr als eine Chance für Dialog und Verständigung in einer vielfältigen und globalen Gesellschaft begreifen.

Natürlich ist es wahr, dass der Antisemitismus im Internet eine immer dominantere und aggressivere Stellung einnimmt und dass das World Wide Web zum effektivsten Werkzeug zur Artikulation und Verbreitung von Ressentiment, Vorurteil und Hass gegen Juden geworden ist. Es erreicht nämlich nicht nur jene, die Hetzartikel und Propagandamaterialien suchen, sondern auch jene, die an themenbezogen neutraler Information interessiert sind.

Die Tatsache, dass die meisten Menschen, zumindest in Deutschland, sowenig über jüdisches Leben und Judentum wissen, macht es den Antisemiten so einfach, ihre Botschaft des Hasses zu verbreiten.

Antisemitismus ist das kennzeichnende Merkmal fundamentalistisch-nationalistischer Ideologie und als solches gemeinsamer Nenner so unterschiedlicher Bewegungen wie Pamjat in Russland und dem Ku-Klux-Klan in Amerika, Christlich-Arischer Allianzen und Islamistischer Fundamentalisten.

Es hat ungefähr zehn Jahre gedauert, bis diese Tatsachen zu einer breiteren Öffentlichkeit durchgedrungen sind, und wir sind sehr froh darüber, dass sich konsequenterweise eine OSZE-Konferenz in Paris schon im nächsten Monat speziell mit dem Thema "Antisemitismus im Internet" auseinandersetzen möchte.

Es ist nun sehr zu hoffen, dass diese Erkenntnisse auch zu den Entscheidungsträgern durchdringen werden, und es nicht noch einmal zehn Jahre dauern wird, bis geeignete Gegenstrategien nicht nur erkannt, sondern auch endlich unterstützt werden.

Es ist verständlich, dass Forderungen nach einem weltweit verbindlichen Wertekonsens immer wieder erhoben werden. Vielleicht sind solche Forderungen sogar lobenswert, realistisch sind sie auf keinen Fall.

Sie gehen davon aus, dass festgelegt werden könnte, was über Juden und den Staat Israel verbreitungswert sei, und dies nicht nur am Bodensee, sondern auch in Malaysia, in Durban, in Riad oder Teheran.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir reden hier über das hartnäckigste und mörderischste Vorurteil der menschlichen Geschichte. Im Hinblick auf ein internationales, dynamisches, dezentralisiertes und offenes Medium sind Strategien, die sich in erster Linie oder gar ausschließlich auf obrigkeitsstaatliche Kontrollmechanismen stützen nicht nur illusorisch, sondern geradezu fahrlässig und gefährlich.

Die Diskussion sollte endlich einmal darüber hinauskommen, was wünschenswert wäre und sich stattdessen darauf konzentrieren, was getan werden kann, bzw. schon längst getan wird und mit entsprechender Unterstützung noch viel besser getan werden könnte.

Seit 1995 haben wir ein recht einfaches Modell immer weiter entwickelt, so dass es heute vielfältig und in unterschiedlichen Ländern einsetzbar ist.

Vielleicht ist es gerade deshalb so erfolgreich, weil wir es nicht gegen, sondern für etwas aufgebaut haben. Wir haben sozusagen weniger gegen die Lüge, als vielmehr für die Wahrheit gearbeitet.

Unsere Hauptstrategie ist die Schaffung eines massiven Gegengewichts durch eine Vielfalt aufklärender Information. Die ständige Aktualisierung und Verbesserung unseres Angebots unter einer Adresse führt zu immer besseren Positionierung in den Suchmaschinen. Wenn es uns gelingt 100 unserer Seiten beispielsweise zum jüdischen Feiertag "Purim" zu veröffentlichen, so stehen die Chancen, dass ein Schüler auf der Suche nach Informationen zu diesem Thema bei uns landet, hundert mal größer als dass er beim NPD-Anwalt Horst Mahler landet, der diesem Thema aus ganz anderen Gründen ebenfalls  einen Artikel widmet.

Unser zweiter Ansatz nutzt die kommunikativen Möglichkeiten eines aktiven und lebendigen Onlinedienstes, denn die beste Vorraussetzung für Verständigung sind Begegnung und authentische Information.
Wir wissen längst, dass Antisemitismus gerade dort am meisten verbreitet ist, wo die wenigsten Juden leben. Für Jugendliche in Brandenburg ist haGalil onLine oft die erste und einzige Möglichkeit, mit Juden Kontakt aufzunehmen.

Aus einer Menge von monatlich 220.000 Besuchern, erhalten wir täglich Dutzende von Anrufen und e-Mails mit Anfragen von Journalisten, Schülern und Lehrern. Unsere Foren und Chats bieten weitere Möglichkeiten zur Kommunikation. So überraschte es uns nicht, dass eine Nazi-Aussteigerin die Vorsitzende einer jüdischen Gemeinde in Bayern kennenlernte und die beiden eine gemeinsame Reihe von Vorträgen an Schulen und Jugendzentren ins Leben riefen. Von vielen werden wir als Anlaufstelle für den Kampf gegen Rechts wahrgenommen und unsere Ausdauer ist für viele ein ermutigendes Zeichen in dieser Auseinandersetzung.

Wenn wir auch nicht in erster Linie auf legislative Maßnahmen bauen, nutzt unser dritter Ansatz dennoch juristische Mittel als ein weiteres effektives Werkzeug im Kampf gegen den Hass. Nach massiven Angriffen auf unsere offenen Foren stellten wir das weltweit erste Formular zur elektronischen Meldung antisemitischer Hetze. Im Jahr werden ca. 1000 Vorfälle gemeldet und ein großer Teil der deshalb geahndeten Straftaten kam über dieses Formular zur Verhandlung. Zur Vervollständigung entsprechender Erkenntnisse werden einschlägige Angebote konstant beobachtet. Diese Beobachtungen führten unter anderem auch zur Aufdeckung der antisemitischen Rede des Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann. Nachdem wir diese Erkenntnis im November 2003 der Öffentlichkeit mitgeteilt haben, folgte der Ausschluss Hohmanns aus seiner Fraktion.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.