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Bücher / Morascha
Koscher leben...
Jüdische Weisheit
 
 
Helene Seidler lebt seit mehr als zwanzig Jahren in Jerusalem, wo sie als Übersetzerin hebräischer Literatur ins Deutsche tätig ist, unter anderem für die bekannte israelische Autorin Batya Gur, den Psychotherapeuten Joram Jowel, die palästinensische Schriftstellerin und Malerin Aida Nasrallah.

Ihr erstes übersetztes Werk war "Die Stille der Steine", Daniel Dothans Suche nach Israels kulturellen Wurzeln in Europa. Ihren ersten eigenen Roman - "Das Meer vor meiner Tür", begann Helene, als sie in der Zeitung der "heillosen Heiligen Stadt" las, dass man Bobby Hatfield. den dreiundsechzigjährigen Tenor des Duos "The Righteous Brothers", vierzig Minuten vor einem Konzert in Michigan tot in seinem Hotelbett aufgefunden hatte. Sein Partner erlitt einen Schock, Helene starrte lange auf die lapidaren Zeilen, und alles war wieder da: "Die unbestimmte Verheißung, die der Soulgesang der beiden vor vierzig Jahren in mir ausgelöst hatte. Das triste Wohnzimmer, in dem ich damals heimlich vor dem Fernseher saß. Der weitläufige Garten hinter dem drei-flügeligen Fenster. Unser windumbraustes Backsteinhaus.

Wenig später erkundigte sich Rivka Keren, eine wunderbare Autorin, der ich während der Übersetzung ihrer Romane sehr nahe gekommen war, in einem Brief nach meiner Kindheit. Riwi. Riwi, du weißt nicht, was du mir antust!"...

Danach vergingen nur noch einige Tage, bevor sie in ihrer sonnigen Terrassenwohnung, auf eine Trittleiter stieg und die Bodenklappe öffnete: "Zwischen zerschlissenen Wolldecken, zu klein gewordenen Rollschuhstiefeln und zerbrochenen Bilderrahmen fand sich das Weidenköfferchen. in dem ich meine deutsche Vergangenheit aufbewahre"...

Helene Seidler, im Roman "Klärchen", kam 1948 in Deutschland zur Welt und wuchs in einem kleinen Dorf in Schleswig-Holstein auf. In Hamburg studierte sie Pädagogik und Neuere Deutsche Literaturwissenschaft.

"Die Wellen des Meeres bergen in sich die gewaltige Kraft der Veränderung. Sie packen uns, reißen mit. nehmen uns auf in ihren Spannungsbogen zwischen der großen, todbringenden Nordsee im Krieg und Nachkriegsdeutschland der Bundesrepublik bis hin zum heißen, heilenden Salzmeer Israels, in die Gegenwart. Ihre Schilderungen sind frappierend offen, dramatisch, teilweise pointiert witzig, psychologisch und zugleich dokumentarisch. Sie lassen vor uns Erinnerungen an eine schicksalhafte Kindheit und Jugend, die Suche nach Identität jenseits der geographischen Heimat und subjektiv empfundene Erlösung entstehen" schreibt Marie-Louise Jung in einer Rezension.

Helene Seidler hat zwei Töchter. Sophie, die ältere, beendete soeben ihren Militärdienst in Israel. Scharon, die jüngere, ist zur Zeit Schülerin am Hebräischen Gymnasium. Ihr Roman erschien im Roman Kovar Verlag.

Lektorat: Marie-Louise Jung, Umschlaggestaltung: Adams Grafik, Fotosatz: Vita Stolbunsky, Jerusalem, Israel, Druck und Bindung: tHB, Tschechische Republik, Internet: www.kovar-verlag.com

ISBN 978-3-86577-105-6

http://astore.amazon.de/buchundjudenhaga/detail/386577105X

 

Einsame Lippen:
Der Beginn einer Übersetzerkarriere

Aus Helene Seidlers "Das Meer vor meiner Tür"

Vier von Raphaels Schwestern wohnten in der näheren Umgebung, zwei lebten in Los Angeles den amerikanischen Traum; jede war auf ihre Art eine beeindruckende, orientalische Schönheit.

Sie arbeiteten als Verkäuferin. Friseurin oder Gehilfin im Kindergarten und besuchten uns an Festtagen gelegentlich mit ihren Familien. Ima Rachel (Anm.: die Schwiegermutter) bereitete für diese Gelegenheiten scharf gewürzte marokkanische Gerichte zu, geschmorte Auberginen, stundenlang geköchelte Paprikasauce mit Tomaten und Koriander, Zungen-Olivenragout, Lammrücken mit Rosmarin. Alle halfen, die dampfenden Kochtöpfe vier Treppen hinaufzuschleppen.

War das reichhaltige Mahl von Schabbatgesängen begleitet verzehrt und der Abwasch routiniert erledigt, aalten meine Schwägerinnen sich zwanglos auf allen verfügbaren Sesseln, Sofas und Betten, dösten in abgedunkelten Zimmern, ließen sich von ihren Kindern genüsslich Rücken. Arme und Beine massieren, erlaubten meinen Mädchen, ihnen Zöpfe in die dunklen Mähnen zu flechten und unterhielten sich gegenseitig mit harmlosem Geplauder über Kleider, Kinder und andere Verwandte. Dann war unsere Wohnung mit Lachen erfüllt, mit weiblicher Intimität. Es mangelte auch ihnen nicht an Sorgen; doch am Schabbat hielten sie sich an das Gebot, allen Kummer beiseite zu schieben.

Meine Töchter lernten bei den Tanten und ihrer Großmutter Rachel kreatürliche Wärme und vorbehaltloses Wohlbehagen kennen, das außerhalb meiner eigenen emotionalen Bandbreite lag. Ich war und bin diesen großherzigen Wesen zutiefst dankbar. Machten sie sich aber in meinem Territorium breit, fühlte ich mich gestört, hatte an Wut zu würgen und war erleichtert, wenn sie sich verabschiedeten. Die keifende Stimme in mir. die mich selbst unbarmherzig kritisierte, fand auch an Raphaels Verwandtschaft vieles befremdlich. Möglicherweise neidete ich ihnen auch die angeborene, wie selbstverständlich getragene Schönheit.

Am Morgen nach der Pyjamaparty zu Sophies zehntem Geburtstag tummelten sich fünfzehn muntere Möpse in der Morgensonne auf unserer Terrasse. Unsere Fünfjährige bestrich, außer sich vor Begeisterung. Pfannkuchen mit Nutella für die Freundinnen ihrer großen Schwester. Ich verließ die Wohnung in namenlosem Groll und ging, vor mich hin schimpfend, in das nahe gelegene Wäldchen. Ich hinterfragte den Groll nicht, ich hatte mich an sein plötzliches Auftreten gewöhnt und wusste, dass er nach einem Spaziergang meistens wieder abklang. Was ich verdrängte, haben meine Töchter mit ihren feinen Antennen gespürt. Ima, was hast du? Warum sprichst du nicht mit den anderen? Warum bist du so ernst?

In den Wochen nach dem Besuch bei Dr. Holtzman kam ich meinem Schatten allmählich auf die Schliche. Ich musste ihn wohl oder übel als Teil von mir akzeptieren. Leicht fiel es mir nicht.

Ich war achtundvierzig, die Wechseljahre plagten mich mit heißen Schauern und wachsender Gereiztheit.

"Wenn du dich nicht auf eine Therapie einlassen willst, nimm wenigstens Fluoxetin", riet mir mein Frauenarzt, nachdem ich ihm erzählte, was Mutter sich in ihrem achtundvierzigsten Jahr angetan hatte. "Flutin ist in unserem Land die begehrteste Medizin." Ich hole mir seitdem alle drei Monate ein Rezept bei ihm und halte den Kopf über Wasser.

War da noch unerlöste Wut am Werk, oder war es schon die zuträgliche Wirkung des Medikaments, dass ich nach einer Unstimmigkeit mit meinem Vorgesetzten das Büro der Stiftung, in das ich sieben Jahre lang jeden Morgen gestrebt war, schnurstracks verließ und nie zurückkehrte? Der Ordnung halber reichte ich eine vordatierte Kündigung nach.

Die Frage, was ich nun mit den freien Morgen anfangen sollte, stellte sich nicht. Ich folgte einer Eingebung, griff nach dem ersten hebräischen Roman, der mir in die Hand fiel, und machte mich an die Übersetzung der Anfangsseiten. Ich wunderte mich ein wenig, wie gut der Text herauskam, und wie er sich durch vielmaliges Lesen und Bearbeiten immer weiter verbessern ließ. Als sich ein schimmernder Wortteppich über zehn Seiten zog, faxte ich sie als Probeübersetzung an einige deutsche Verlage und stellte mich als Literaturübersetzerin vor.

Der Lektor eines namhaften Verlags schrieb mir, er würde meine Unterlagen zu seinen Akten nehmen. Seine schwungvolle Unterschrift wies ihn als Intellektuellen aus, der auch einmal ein Wagnis eingeht. "Bitte lassen Sie sie dort nicht verstauben", schrieb ich rasch zurück. Wenig später bat er um eine Probeübersetzung für ein Buch des Tel Aviver Musikers und Autors Daniel Dothan. Ich ließ alles stehen und liegen und machte mich sofort an die Arbeit. Der Text, ein geschickt zusammengefügtes literarisch-historisches Mosaik, erzählt vom Leben europäischer Künstler in Palästina. Als ich sah, dass es auch Episoden aus dem Leben der Else Lasker-Schüler enthielt, ahnte ich, es sei für mich bestimmt. Nach dem Abschicken der Arbeitsprobe zog ich mich weiterhin jeden Tag mit dem "dokumentarischen Roman" zurück. Eine tiefe, nie gekannte Genugtuung erfüllte mich. Klärchen, endlich eine Tätigkeit, die dir entspricht. Manchmal kamen mir die Tränen vor Glück.

Der Text belohnte jede Suche nach dem richtigen Wort, nach dem passenden Satzgefüge mit einer neuen Einsicht, mit tieferem Verständnis für die menschliche Psyche. Ich erkannte die magische Kraft meiner Muttersprache, sie muss ein Teil des Göttlichen in uns sein. Jahrzehntelang nicht benutzte Wendungen leuchteten aus dem Gewebe der Möglichkeiten auf und boten sich mir inmitten eines Schwalls von Erinnerungen dar. Von wem hatte ich sie zum ersten Mal gehört, in welchem Text waren sie mir begegnet? Mit dem monströsen Ausdruck "der innere Schweinehund" hatte Mutter mich manchmal erschreckt. Jetzt konnte ich ihn im Monolog einer zerrissenen, mit sich selbst zerstrittenen Figur verwenden. Als der Name Jack London auftauchte, fiel mir ein, wie oft Gabriel seine Bewunderung für den kühnen Abenteurer geäußert hatte, nicht von ungefähr. Ich benutzte das Wort Selbstabschaffungspläne, das ich vor langer Zeit in einem Brief von Thomas Mann an Heinrich gelesen und nicht wieder vergessen hatte (auch er?). Würde ein Leser erkennen, woher es stammte? Mit Rilke im Kopf konnte ich den Satz schreiben: "Doch Sascha gab Else nicht einmal ein Zeichen; nirgends fiel ein Blatt, auch der Wind schwieg." Die Sprache brachte mir meine Geschichte zurück. Wort für Wort half mir verstehen, woher ich kam und welchen Weg ich gegangen war.

Als der Verlag mir schrieb, dass man meine Probeübersetzung unter einigen anderen ausgewählt hatte, war ich nicht überrascht. Ich hatte inzwischen schon fast ein Drittel geschafft. Das Buch erhielt im Deutschen den Titel "Die Stille der Steine"; unsere berühmte Batya Gur schrieb ein Nachwort; auf seinem Einband prangt eine Lasker-Schüler-Zeichnung aus Dothans Privatbesitz. Das selten schöne Produkt wurde verramscht, als der Verlag vor einigen Jahren seine Pforten schloss. Wer Glück hat, kann es für einen Euro neunzig auf einem Wühltisch finden und dort von der Begegnung der beiden hebräischen Autoren Abraham Ben-Jitzchak und Josef Brenner nachlesen:
"Sie saßen da und schwiegen, zwei verbundene Gefäße, zwei Geschöpfe aus einer anderen Welt. Einer nahm das Wesen des anderen in sich auf, beide strömten ineinander. Abraham Ben-Jitzchak war nicht versucht, sich der menschlichen Sprache zu bedienen, die er so vollkommen beherrschte. Brenner dachte nicht daran, den Herausgeber hervorzukehren. ... In dieser Nacht weinte Brenner und schrie. Nie zuvor hatten die Nachbarn ein solches Wehklagen von ihm gehört. Er weinte um sich und um Ben-Jitzchak und um alle anderen, die wohl für einen Moment glücklich sind, sonst aber ihr Leben unter Schmerzen hinbringen. Endlich schlief er draußen unter dem jungen Olivenbaum ein."

Seit vier Jahren wohne ich mit meinen Töchtern in der nach Josef Chaim Brenner (1881-1921, Hebräischer Autor, Übersetzer. Redakteur) benannten Brennerstraße. Er wurde vierzigjährig von arabischen Terroristen ermordet. "Nackt und kalt lag Brenners Leichnam auf der Erde. Noch bevor Menschen ihn fanden, bedeckte der Wind ihn mit Laub. Die verkrampfte Faust über dem Herzen hielt handbeschriebene Blätter. Wer von seinen Mördern wusste, dass er Schriftsteller war? ... Araber fällen Juden, Juden fällen Araber."

Dothans Buch machte mich mit den Gedichten vertraut, auf denen allein Abraham Ben-Jitzchaks Ruhm beruht. Das aus Wien nach Jerusalem vertriebene Genie meinte, auf der Welt nur eine Aufgabe zu haben: zwölf geheimnisvolle Gedichte zu schreiben.

Einsame Lippen

Tag erbt vom Vortag den Untergang
Sommer um Sommer vergeht im Herbst
Nacht bricht um Nacht aus in Klagegesang
Die Welt schreit immerzu vor Schmerz.

Und morgen werden wir wortlos sterben
Stehen wie anfangs vor verschlossenem Tor
Jubelnd erwartet die Seele den Ewigen
Spürt sein Erbarmen - und erschauert davor.

Ein Tag reicht dem anderen die glühende Sonne
Jede Nacht gießt erneut ihre Sterne aus
Einsame Lippen verstummen: auf sieben Pfaden
Verloren wir uns, nur einer führt nach Haus.

Nachdem das vollbracht war. versank er im Meer des Schweigens. Eine Einsicht des Dichters traf mich wie der Blitz. Staunend und mit Herzklopfen probierte ich verschiedene deutsche Versionen aus. Nachdem ich eine Nacht darüber geschlafen hatte, lautete die endgültige Fassung: "Denn es zählte nicht wirklich, wie viele Bücher einer schrieb, wie viele Lieder er komponierte, wie viele Länder er entdeckte -wichtig war allein die Verbindung zum Absoluten." Nun war mir doch noch zugetragen worden, wonach ich seit meiner Kindheit auf Tausenden von Buchseiten gesucht hatte: ein Satz, der den Sinn des Lebens enthielt.

Epilog

An einem klaren Jerusalemer Wintermorgen, es ist der 29. Januar 2004, sitze ich grübelnd an meinem Schreibtisch. Meine beiden Töchter haben gerade mit leichter Verspätung die Wohnung verlassen und sind auf dem Weg ins Hebräische Gymnasium, die renommierte, von deutsch-jüdischen Intellektuellen in den zwanziger Jahren gegründete Oberschule.

Wir sind hier vor vier Jahren eingezogen, nach der Trennung von Raphael. Mein Vermieter erzählte mir, dass Gerschom Scholem, der bekannte Erforscher der jüdischen Mystik, in diesen Räumen gelegentlich zu Gast gewesen sei. Für mich ist er immer noch da. Die knallrote, am ersten Tag meiner Ankunft in Jerusalem erworbene Taschenbuchausgabe seiner Major Trends in Jewish Mysticism steht zerlesen in meinem weißen Regal. Das Haus, in dem Martin Buber eine Zeitlang wohnte, ist nur fünfzig Schritte entfernt. An manchen Morgen begrüße ich den schwarzen Holzbriefkasten, auf dem Wissende seinen Namen noch entziffern können. Der charaktervolle arabische Bau wird zurzeit bis auf die Fassade entkernt und renoviert.

Ein lauter Knall, die Fensterscheiben klirren, ich fahre auf. Ich weiß seit längerem zwischen einem F-16 Jäger, der versehentlich über der Stadt die Schallgrenze durchbricht, und der Explosion einer Bombe zu unterscheiden. Das eben war das besonders grausige, weil durch Körper aus Fleisch und Blut gedämpfte Dröhnen einer starken Explosion. Zum zweiten Mal ist ein Selbstmordattentäter der Residenz des Ministerpräsidenten erschreckend nahe gekommen. Und wir wohnen gleich um die Ecke.

Meine beiden Mädchen waren nur noch ein paar Schritte von der Kreuzung entfernt, an der es passierte. Auch sie sahen Hände vom Himmel fallen, wie Zeruya Shalev, die Schriftstellerin, die einige Meter vor ihnen verletzt zusammenbrach aus dem Krankenhaus ihre Erinnerung für einen deutschen Radiosender beschrieb.

"Ima, pigua", - Mutti, ein Attentat -, meldete Sophie mir weinend durchs Handy. "Uns ist nichts passiert, aber wir können den brennenden Autobus sehen. Halbe Menschen hängen aus den Fenstern. Die Gaza-Straße ist voller Blut." Ich trug ihr auf, ihre Schwester an die Hand zu nehmen und sich so rasch wie möglich zu entfernen. Dann hörte ich die Sirenen der Rettungsdienste und der Polizei heulen und machte mich benommen auf den Weg, um die Bilder aus dem Fernsehen in Wirklichkeit zu erblicken. Die sonst ruhige Brenner-Straße war voller kreischender Ambulanzen, Sanitäter stürzten heraus, Polizisten streiften sich noch im Rennen gelbe Westen über. Sie sperrten die Unglücksstelle ab. Der Anblick dessen, was Sophie mir beschrieben hatte, blieb mir erspart.

Sophie sollte an diesem Tag ihre Abiturarbeit in Bibelkunde schreiben. Man bot ihr Zusatzzeit an, damit sie sich beruhigen konnte. Sie kam nach zwei Stunden haltlos weinend heim. Scharon, meine jüngere Tochter, verlor vor anderthalb Jahren eine Klassenkameradin bei dem Busattentat in Gilo. Zunächst hatten die Kinder gehofft, Galila hätte sich nur verspätet. Aber sie kam nicht und ist dann nie mehr gekommen. Scharon ist seitdem ängstlich und verstört. Im Gymnasium wurde sie gleich von einer Psychologin betreut. Die Schulbehörde hatte das Notfallteam schon geschickt.

Im Neunzehner, der explodiert war, saß nur ein Schüler des Gymnasiums; er kam mit Brandwunden davon. Zehn seiner Mitfahrer wurden getötet, mehr als fünfzig Menschen verletzt, darunter auch viele Passanten.
Drei Wochen später heulen morgens wieder die Sirenen. Diesmal hat ein Selbstmörderattentäter die Linie 14 gewählt, die Schüler aus den südöstlichen Stadtteilen ins Gymnasium fährt. Metallsplitter zerreißen Lior Asulai, einem fußballbegeisterten Achtzehnjährigen aus Sophies Freundeskreis, die Kehle. Das Bürgerkundebuch aus seinem Rucksack fand man blutverschmiert auf dem Asphalt. In seinem Schoß lag die aufgeschlagene Bibel. Liors Körper wird am Tag darauf in Anwesenheit des Bürgermeisters und eines Ministers begraben. Die Schreie der verwaisten Mutter gellen mir noch in den Ohren.

Sieben weitere Schüler liegen mit fehlenden Gliedmaßen oder schweren inneren Verletzungen im Krankenhaus. "Das Hebräische Gymnasium weint", verkünden am nächsten Morgen dicke, schwarze Schlagzeilen. Statt in ihre Klassen strömen die Primaner fassungslos an die Betten ihrer verstümmelten Freunde und an das Grab von Lior.
Ich bin im Land der Väter und der Kriege gelandet. Mein Herz blutet, es lebt.


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