Leseprobe aus "ISHA":
Frau und Judentum - Esther
"Und Mose schrieb diese Lehre auf
und gab sie den Priestern, den Söhnen Levis, die die Bundeslade des
Ewigen trugen, und all den Ältesten Israels. Und Mose gebot ihnen also:
Am Schlusse von sieben Jahren um die Zeit des Erlassjahres am
Laubhüttenfest, wenn ganz Israel kommt, vor dem Antlitze des Ewigen
deines Gottes zu erscheinen an dem Orte, den Er erwählen wird, sollst du
diese Lehre vorlesen in Gegenwart von ganz Israel, vor ihren Ohren.
Versammle das Volk, die Männer und die Frauen, und die Kinder und deinen
Fremdling, der in deinen Toren [wohnt], auf dass sie hören und auf dass
sie lernen und fürchten den Ewigen euren Gott und beobachten all die
Worte dieser Lehre auszuüben" (Deut. 31:9-12).
Zu biblischer Zeit bestand die
Toralesung aus einer Zusammenfassung der Gebote und einem Abriss der
Geschichte Israels, vermutlich aus dem Buch Deuteronomium. Sie fand nur
alle sieben Jahre vor einer Versammlung des ganzen Volkes Israel statt.
Leitet sich die drei mal wöchentlich [innerhalb des Gottesdienstes]
stattfindende Toralesung von dieser biblischen Passage her, müssten
Frauen sich folglich die Lesung gemeinsam mit allen anderen anhören.
Dieser Standpunkt wird auch von einigen Toragelehrten vertreten, andere
jedoch sehen eher einen Bezug zur Einführung der Toralesung in der
Epoche von Esra und Nehemia im fünften Jahrhundert vor unserer Zeit; in
diesem Zusammenhang ist die Anwesenheit von Frauen nicht gesondert
aufgeführt (8:2). Die Toralesung wird so mit dem Torastudium in
Verbindung gebracht, das für die Frauen nicht verpflichtend ist.
Wenn Frauen nicht verpflichtet sind,
die Toralesung zu hören, können sie auch nicht für andere aus der Tora
lesen (1). Doch es gibt einen talmudischen Text, nach dem sie zur
Toralesung berechtigt sind: "die Rabbinen lehrten: Jeder ist zu den
sieben (2) zulässig, selbst ein Minderjähriger und selbst eine Frau;
jedoch sagten die Weisen, eine Frau dürfe aus Achtung vor der Gemeinde
aus der Tora nicht vorlesen" (Meg. 23a). Der Text beginnt mit einer
allgemeinen Berechtigung durch die Rabbinen, die dann unter Anführung
des reichlich diskutierten Prinzips des Kevod Hazibur, der "Ehre der
Gemeinde" wieder eingeschränkt wird. Weder im Talmud noch bei den
mittelalterlichen Kommentatoren finden wir eine Erklärung dieses
Begriffes. Die Gegner der Toralesung durch Frauen berufen sich auf das
Prinzip der Geschlechtertrennung. Sie gehen von der Auffassung aus, dass
schon die Stimme der Frau eine sexuelle Ablenkung für den Mann bedeutet
[Kol beIscha erva], und dass deshalb eine Frau, die aus der Tora liest,
den Mann von seinem Gebet abbringen könnte. Doch diese Interpretation
ist wenig überzeugend; die Rabbiner kannten genug andere Ausdrücke für
sexuelle Ablenkung (3).
Zwei weitere Texte können dazu
beitragen, die Bedeutung des Ausdrucks Kevod Hazibur näher zu
beleuchten. Da ist einmal der Fall eines Mannes, für den seine Frau oder
seine Kinder das Tischgebet sprechen müssen: "Ein Fluch treffe den, dem
seine Frau oder seine Kinder den [Tisch]segen sprechen" (Brachot 20b).
Mit anderen Worten: Selbst wenn eine Frau oder Minderjährige in der Lage
sind den Segen für ihn zu sprechen, zeigt doch schon die bloße Tatsache,
dass sie es tun müssen dass er selbst hierzu unfähig ist. Für ihn ist
das unehrenhaft. Der zweite Fall wird im 13. Jahrhundert vom Maharam von
Rothenburg vorgebracht, er gibt für eine ausschließlich von Priestern
bewohnte Stadt eine vergleichbare Erklärung. Um die Ehre der anwesenden
Männer zu wahren, können die Frauen an dritter Stelle aus der Tora lesen
(4). Würde einer der Priester an dritter Stelle lesen, könnte man ihm ja
einen Statusverlust unterstellen. Läse eine Frau aus der Tora, müsste
das im Paralellschluss für den Normalfall so gedeutet werden, als sei
keiner der anwesenden Männer hierzu in der Lage, und das wäre für die
Männer der Gemeinde wenig ehrenvoll. Diese Haltung vertritt auch der
Großrabbiner von Israel, Ben Zion Usiel: "Kevod haZibur bedeutet, dass
man nicht sagen soll, kein Mann sei in der Lage aus der Tora zu lesen;
um sexuelle Ablenkung geht es hier nicht" (Mischpetei Usiel, CHM 6).
Diese Auslegung besagt implizit, dass die Toralesung durch einen Mann
innerhalb der Gemeinden einen höheren Stellenwert hat.
In einigen Kreisen der modernen
Orthodoxie, besonders in den USA und in Israel lesen in reinen
Frauengruppen auch Frauen aus der Tora. Diese Minjanim (Gebetsgruppen)
von Frauen werden immer zahlreicher (5). In den Liberalen Synagogen
lesen, von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen heute auch die Frauen aus
der Tora; dies hat sich auch in der Mehrzahl der konservativen Synagogen
durchgesetzt (6).
Anmerkungen:
(1) Nach der Halacha, kann nur eine Person die gleichermaßen
verpflichtet ist, für eine andere ein Gebot erfüllen.
(2) Die sieben, die am Schabbat zur Toralesung aufgerufen werden.
(3) iehe Rachel Biale, Women and Jewish Law, S. 26-27.
(4) Die übliche Reihenfolge der Lesenden wäre Kohen, Levi [d.h. erst die
Priester] und dann Israel; die Frauen stünden hier für Israel.
(5) In neuester Zeit gibt es auch innerhalb der Orthodoxie zaghafte
Ansätze, Frauen in gemischten Minyanim aus der Tora lesen zu lassen.
Siehe: Talia Bloch, A Woman's Voice, Aufbau, Nr. 24 vom 28.11.2002
(Übs.).
(6) Siehe Eintrag: Toraaufruf.
hagalil.com 14-08-03
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