Leseprobe aus "ISHA":
Frau und Judentum -
Mikwe
Die Mikwe ist ein kleines, mit
"lebendigem Wasser" gefülltes Tauchbecken. Das Eintauchen wird in den Büchern
Levitikus (Kap. 15) und Numeri (Kap. 19) erwähnt. Es geht darum durch Kontakt
mit Toten oder Körperflüssigkeiten erlangte rituelle Unreinheit abzuwaschen.
Nach der Tempelzerstörung sind auch die Gesetze über rituelle Reinheit und
Unreinheit verschwunden, doch der Gebrauch der Mikwe blieb, überwiegend für
Frauen, bestehen. Das Ritual ist sehr alt; schon für die Gemeinden der ersten
Jahrhunderte unserer Zeitrechnung, wie z. B. in Messada sind sie belegt. Das
verwendete Wasser muss zum Teil aus Regenfällen oder einer natürlichen Quelle
gespeist werden.
Von den Rabbinen stammen detaillierte Gesetze über die Mikwe, die Herkunft des
Wassers, die exakte Menge, und die sich hieraus ableitende Konstruktion. Ein
ganzes Talmudtraktat ist diesem Thema gewidmet. Wasser spielt in der ganzen Tora
eine sehr wichtige Rolle: als überlebenswichtiges Element in der Wüste ist es
Symbol des Lebens, als alles mitreißende Flut Symbol des Todes und allgemein
Symbol der Tora und des Wissens. Häufig begegnen sich Personen der Bibel an
Brunnen und knüpfen dort Kontakte; Wasser ist das Lebenselement schlechthin, es
ist wichtigster Bestandteil des Körpers und für sein Überleben unverzichtbar.
Traditionell fand die Mikwe als Übergangsritual von einer Lebensphase in eine
andere Verwendung. Konvertiten gehen in die Mikwe um damit ihr Eintreten in die
jüdische Gemeinschaft zu bestätigen, Verlobte vor ihrer Hochzeit, Frauen, wenn
ihre Periode vorbei ist sowie Männer und Frauen vor den Feiertagen. Auch zum
Kaschern von neugekauften Geschirr (nach Num. 31:22-23) oder vor Pessach wird
die Mikwe benutzt.
Doch im Allgemeinen wird die Mikwe eher mit Frauen als mit Männern in Verbindung
gebracht; genauer gesagt, mit verheirateten Frauen; Geschiedene oder
Alleinstehende benutzen sie im Allgemeinen nicht. So geht im traditionellen
Denken das rituelle Tauchbad der Wiederaufnahme sexueller Beziehungen zwischen
Eheleuten voraus. Weil das Ritual auch mit der Vorstellung einer "Reinigung"
nach der "Unreinheit" der Menstruation verbunden ist, haben sich viele moderne
Frauen, die hierin eine Verbindung zu primitiven Tabus über Blut und Tod sahen,
von ihm abgewandt. Inzwischen ist es jedoch im Lichte einer neuen Betrachtung zu
einer Reinterpretation und einer erneuten Annahme dieses Rituals gekommen. Es
geht nicht mehr darum die Gesetze der "familiären Reinheit" zu befolgen – seit
der Tempel nicht mehr steht, sind Frau und Mann gleichermaßen rituell rein oder
unrein.
Verschiedene Ansätze wurden vorgeschlagen: Die Mikwe wird aus der
selbstverständlichen Verknüpfung mit der Ehe gelöst, sie kann jetzt allgemein
als Ritual der Wiedergeburt und des Neuanfangs aufgefasst werden. Nicht nur nach
der Periode sondern überhaupt nach einer schwierigen Phase oder einem
einschneidenden Ereignis, wie zum Beispiel Trauer, Fehlgeburt, Scheidung,
Gewalterlebnissen, oder auch zur Feier des Rosch Chodesch, des Beginns des
Mond-Monats oder anderer feierlicher Momente im persönlichen Leben. Wenn die
Mikwe nicht mehr ausschließlich mit sexuellen Kontakten zu tun hat, ist sie kein
Tabuthema mehr; traditionell wird sie aus Gründen der Sittsamkeit eher
verstohlen benutzt. Gerät man nicht in die Gefahr ihr magische Kraft
zuzuschreiben, kann sie ganz entsprechend ihrer ursprünglichen Bedeutung als
Therapie für die Seele, als symbolischer Akt des Übergangs von einer Lebensphase
in die andere verwendet werden. Eine neue Liturgie müsste für diejenigen
Ereignisse gefunden werden, die nicht schon einen Platz in der Tradition haben.
Solche kreativen Texte könnten von Rabbinern und Rabbinerinnen oder auch von den
Benutzerinnen der Mikwe entwickelt werden.
hagalil.com 17-03-03
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