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Judentum und Israel
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Zionismus und Eretz Israel:
Der Kibbuz als Vorreiter zionistischer Siedlungsarbeit

Seit im Jahre 1909 - vor nunmehr 80 Jahren - am Südende des See Genezareth der erste Kibbuz ”Degania” gegründet wurde, haben die seither entstandenen rund 270 Kibbuzsiedlungen nicht nur die Siedlungsgeographie des heutigen Israel mitgestaltet; sie haben vor allem als Wegbereiter des Staates Israel Ideologie und Politik der zionistischen Bewegung sowie die sich entwickelnden institutionellen und sozialen Strukturen des jüdischen Gemeinwesens in Palästina/Israel wesentlich mitgeprägt.

[…] Historisch ist die Kibbuzbewegung untrennbar verbunden mit der nationalen Bewegung zur Errichtung einer Heimstätte des jüdischen Volkes in Palästina/Israel; eine Geschichte der jüdischen Staatswerdung ohne Berücksichtigung der kolonisatorischen Leistung der Kibbuzim ist schlechterdings unmöglich. Es ist aber umgekehrt auch darauf hinzuweisen, daß ohne die Unterstützung dieser ”kommunistischen Experimente” durch die organisatorische und finanzielle Kraft der zionistischen Bewegung die Kibbuzim aller Wahrscheinlichkeit nach ein recht peripheres Phänomen geblieben wären.

Mishkei JisraelDie Aufgabe einer Avantgarde zionistischer Siedlungsarbeit erfüllten die Kibbuzim insbesondere während der Zeit der englischen Mandatsverwaltung (1920-1948). Sie verkörperten den Widerstand gegen die Beschränkungen, die die englische Regierung in jener Zeit der zionistischen Bewegung bei Bodenkauf und Einwanderung auferlegte, und errangen damit besonders hohes Ansehen in der jüdischen Bevölkerung sowie Respekt auch in den arabischen Nachbardörfern. Im Gefolge der Staatsgründung 1948 verloren die Kibbuzim an Gewicht und Einfluß: nicht nur weil ein Teil ihrer Aufgaben nun von staatlichen Institutionen übernommen wurde - zum Beispiel im militärischen, kulturellen und erzieherischen Bereich -, sondern auch aus ideologischen Gründen. Während die Mehrzahl der jüdischen Einwanderer vor 1948 aus ideologischen Motiven ins Land gekommen waren, fehlte den in den Jahren danach in Massen vorwiegend aus afrikanischen und asiatischen Ländern einwandernden Juden eine solche Orientierung fast völlig; sie favorisierten andere Siedlungsformen, wie etwa die im herkömmlichen Sinn genossenschaftlich strukturierten ”Moshavim”, die die familiäre Haushaltsgemeinschaft und Eigentumssphäre nicht kollektivieren. […]

Konstitutiv für den Kibbuz ist ein dreidimensionales Wertsystem; in ihm verbindet sich die Zielsetzung der nationalen Wiedergeburt (Zionismus) und einer radikalen Erneuerung gemeinschaftlichen Lebens und Wirtschaftens (Sozialismus) mit humanistischen Idealen einer breiten individuellen Selbstverwirklichung. […]

Der Gedanke der ”Eroberung der Arbeit” stand am Anfang aller jüdischen Siedlungstätigkeit in Palästina im Sinne einer friedlichen Okkupierung aller Berufszweige im Land durch jüdische Arbeit: Reaktion auf Jahrhunderte des Ausschlusses der Juden von jeder landwirtschaftlichen und gewerblichen Betätigung in der europäischen Diaspora. […]

Die Rolle der Arbeit als zentraler Wert und Medium der nationalen Befreiung und Selbstfindung des jüdischen Volkes schloß für die jüdischen Siedlungspioniere zugleich ein ganzheitliches Arbeitsideal und eine strenge Betonung der Gleichberechtigung ein. Dabei wurde gerade die manuelle Arbeit nicht nur als notwendiges Übel angesehen, sondern als ethischer Wert an sich. […]

”Der Kibbuz stellt eine Kommune auf der Grundlage freiwilliger und kündbarer Mitgliedschaft dar.” Diese Kennzeichnung des Kibbuz muß vorweg ganz besonders herausgestellt werden - gerade im Gegensatz zum ”realsozialistischen” Kommunetyp, etwa der sowjetrussischen Kolchose. […]

”Die Ziele der Kibbuzim sind folgende:

a) Eine Siedlung zu errichten und zu unterhalten, die sich auf Landwirtschaft, Industrie und Handwerk sowie jede andere Arbeit stützt und zum ständigen Wohnort ausschließlich von Kibbuzniks und ihren Angehörigen bestimmt ist; […]

c) für die ökonomischen, sozialen, kulturellen, individuellen und die Ausbildung betreffenden Bedürfnisse der Kibbuzniks und ihrer Angehörigen zu sorgen, Gesundheitsvorsorge zu betreiben und die dafür notwendigen Dienstleistungen, Institutionen und Unternehmen einzurichten […]

f) die Persönlichkeit sowie die individuellen und die für die Allgemeinheit einzusetzenden Fähigkeiten der Mitglieder sowohl im sozialen als auch im ökonomischen, kulturellen, wissenschaftlichen und künstlerischen Bereich zu fördern;

g) die weiblichen Kibbuzmitglieder zu fördern, so daß tatsächliche Gleichheit auf ökonomischem und sozialem Gebiet wie auf dem Gebiet der Bildung, bei öffentlichen Tätigkeiten und solchen im Rahmen der Bewegung erreicht wird;

h) die Kinder des Kibbuz zu erziehen, das Niveau ihrer Erziehung und ihren Wissensstand zu entwickeln und zu erweitern; […]

i) Neueinwanderer und -siedler zu integrieren; […]

m) Aufgaben zu erfüllen, die die Position, die Wirtschaft und die Sicherheit des Staates Israel stärken, ebenso Aufgaben, die die Sache der Arbeiterklasse und der Kibbuzbewegung als ganze stärken, so wie sie von der Bewegung beschlossen und vom Kibbuz übernommen wurden.”

Bei allen politisch-ideologischen Nuancierungen […] ist es besonders bemerkenswert, in welchem Maße die Kibbuzim ihren ursprünglichen prinzipiellen Orientierungen bis heute treu geblieben sind, die sich wie folgt zusammenfassen lassen:

  1. Das gesamte Kibbuz-Eigentum gehört der Gemeinschaft als Kollektiveigentum; dies betrifft nicht nur alle Produktionsmittel, sondern auch viele Konsumgüter, soweit sie sich in gemeinschaftlicher Verfügung befinden (zum Beispiel Autos, Freizeitgüter und ähnlichem). Teile der Konsumgüter des persönlichen Bedarfs werden aber auf die Mitglieder verteilt (vom Teekessel in den fünfziger Jahren bis zum Farbfernseher und Videogerät heute). Es herrscht das Prinzip der ”Gemeinschaftlichen Produktion, Konsumtion und Erziehung”.
  2. Der Kibbuz stellt mit seinen Mitgliedern einen geschlossenen Arbeitsmarkt dar: Er beruht auf dem Prinzip der ”Selbstarbeit” seiner Mitglieder; […]
  3. Die Arbeitskräfte des Kibbuz stehen der Gemeinschaft zur Verfügung. Diese bestimmt durch ihre gewählten Organe die Zeiteinteilung zwischen Arbeit, Ausbildung, Studium und Freizeit sowie über die Verteilung auf die verschiedenen Beschäftigungen in den Produktions- und Dienstleistungs-Branchen des Kibbuz; dabei werden individuelle Wünsche und Neigungen aber nach Möglichkeit berücksichtigt.
    Der vollen Arbeitstätigkeit der Frau entspricht im Kibbuz ihre Befreiung von den Pflichten des privaten Haushalts und von der Pflege und Erziehung der Kinder. Alle Haushalts- und Erziehungsfunktionen werden grundsätzlich von kollektiven Institutionen erfüllt, gehören also zum Dienstleistungsbereich des Kibbuz.
  4. Der Kibbuz praktiziert das Prinzip der Gleichheit der realen Pro-Kopf-Einkommen; das bedeutet die konsequente Aufhebung des Zusammenhangs zwischen individueller Arbeitsleistung, persönlichem Beitrag zur Produktion und realer Einkommenssituation des einzelnen. Es herrscht also - ohne jedes materielle Anreizsystem - das Prinzip: ”Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen” - im Rahmen der Möglichkeiten der Gemeinschaft.
  5. Der Kibbuz ist als selbstverwaltetes Kollektiv nach basisdemokratischen Ordnungsprinzipien verfaßt; diese Selbstverwaltung wird getragen von zeitweiligen Amtsträgern ohne jede materielle Vergünstigung, die nach einem im ganzen eingehaltenen Rotationssystem nach zwei bis drei Jahren ausgetauscht werden.

Christiane Busch-Lüty, Leben und Arbeiten im Kibbuz, Bund-Verlag, Köln 1989, S. 31-48.

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