DAVID
[Jüdische
Kulturzeitschrift]
Von Wien nach Tel Aviv:
Die Journalistin und Schriftstellerin Alice
Schwarz-Gardos
Paul TISCHLER
Alice Schwarz Gardos
wurde am 31. August 1915 in Wien geboren, doch die Wurzeln ihrer Familie
lagen in der Slowakei. Der Vater stammte aus Neutra, kam aber schon als
kleiner Junge nach Wien. Ihre Mutter, eine charmante, gescheite, literarisch
sehr interessierte Frau ... stammte aus einer weitverzeigten Sippe, zu deren
Abkömmlingen Heinrich Heine, Theodor Herzl und Karl Marx, sowie die adelige
Familie Biedermann gehörten. Ein Urahn war Simon Michl, „der Preßburg"
genannt, kaiserlicher Münzjude und Hoffaktor bei Kaiser Joseph I. Ein Cousin
der Autorin war auch der Schriftsteller und Journalist Bruno Frei. Alice
Schwarz-Gardos kam schon als Kind nach Preßburg/ Bratislava, wo die
wohlhabende Familie in einer schönen Villa im Zentrum der Stadt lebte. Ihr
Onkel, ein reicher Geschäftsmann und geschätzter Bürger der Stadt, förderte
vor allem deutsche Theateraufführungen in Preßburg. Sie besuchte die
deutsche Voksschule und das tradionsreiche deutsche Gymnasium. Die begabte
Schülerin konnte nach der Matura nur noch vier Semester Medizin an der
Comenius-Universität ihrer Heimatstadt studieren. Denn Ende 1939 begann für
sie und ihre Eltern eine abenteuerreiche und lebensgefährliche Flucht - u.a.
mit einem Donauschiff nach Rumänien- die schließlich in Palästina endete.
In den Jahren 1940-1942
arbeitete sie als Stubenmädchen, Kellnerin, Tellerwäscherin und
Verkäuferin.; zu dieser Zeit sprach sie kein Wort Hebräisch. Die
Beschäftigung als Sekretärin bei der Royal Navy (1942- 1949) bedeutete schon
einen großen sozialen Aufstieg.
1949 kam es zum ersten
Aufenthalt in Europa; sie wurde von ihrem Cousin Bruno Frei, der aus dem
mexikanischen Exil heimgekehrt war, nach Wien eingeladen. Sie verbrachte
hier drei Monate als „eine Art Pressereferent bei der Jewish Agency" und
damit begann ihre bis heute andauernde Karriere als Journalistin.
Seit mehr als fünfzig
Jahren widmet sich Alice Schwarz-Gardos voller Hingabe dieser Tätigkeit.
Auch wenn ihre Beiträge
in hebräischen Zeitungen als Übersetzungen erschienen sind (u a.Maariv) ist
ihre Tätigkeit vor allem für zwei deutschsprachige Zeitungen maßgebend; mehr
als 25 Jahre lang (1949-1975) arbeitete sie für die „Yiediot Haym", dann für
deren Nachfolgerin „Israel Nachrichten" (Chadashot Israel).
Die „Starreporterin" hat in diesen 50 Jahren ungefähr 5000 Artikel
(über15000 Seiten!) verfasst, mit denen sie nicht nur den Einwanderern, die
meist der hebräischen Sprache nicht mächtig waren, beratend zur Seite stand,
sondern nicht selten auch meinungsbildend gewirkt hat. Sie, die sich den
Journalismus als Autodidaktin angeeignet hat, stieg zu einer der
bedeutendsten Journalisten Israels auf.
Zunächst als Reporterin
in der Haifaer Lokalredaktion eingesetzt, betätigte sich Schwarz-Gardos in
allen journalistischen Sparten: sie schrieb Glossen, Kommentare, lieferte
Nachrichten, Geschichten und Reportagen, umfangreiche politische Analysen,
Porträts bedeutender Israelis deutscher Sprache,
Serien von
Gerichtsberichten und machte zahlreiche Interviews mit bedeutenden
Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Sie schrieb von Beginn an in einer
prägnanten, präzisen und treffsicheren Sprache, mit einer Beobachtungsgabe,
die nur wenigen eigen ist, mit einer Intuition für Recht und Wahrheit. Denn
vor allem ging es ihr um Gerechtigkeit und Wahrheit, unabhängig von
nationaler oder sozialer Herkunft der Personen oder des politischen
Geschehens. Sie war und ist eine wahrhaft unbestechliche Berichterstatterin
und trotz der Jahrzehnte, die sie gleichsam "auf einer fremdsprachigen
Insel" verbrachte, ist sie eine Meisterin der deutschen Sprache, die in
Deutschland lebenden Autoren als Vorbild dienen könnte.
Als Journalistin hat sie
eine einmaligen Leistung erbracht. Sie redigiert seit 1975 ununterbrochen
die „Israel Nachrichten". Bedenkt man, dass tagtäglich ganze Seiten dieser
einzigen deutschen Tageszeitung Israels aus ihrer Feder stammen, staunt man,
wie diese Frau noch die Zeit fand, ein Dutzend Bücher zu veröffentlichen.
Dazu fuhr sie noch jeden Tag, von ihrem Haus in Chadera zu ihrem
Arbeitsplatz nach Tel Aviv.
Ihre journalistische
Leistung ging zwar über die Bedeutung für die „Jekkes", die
deutschsprachigen Juden, hinaus, doch kamen ihre Leser vor allem aus dieser
Gruppe. Das bezeugte auch ein Brief an die Redaktion, in dem ein Leser
schrieb, dass Alice Schwarz-Gardos mit ihren Beiträgen und ihrer Zeitung
daran schuld sei, dass er bis heute kein richtiges Hebräisch erlernt hätte,
da er tagtäglich das deutsche Blatt von A bis Z lese und somit der deutschen
Sprache treu bleibe, dadurch jedoch vergessen habe, das Hebräische zu
erlernen.
Alice Schwarz- Gardos
arbeitete auch als Korrespondentin aus Israel für mehrere europäische
Zeitungen und Zeitschriften u.a. den „Tagesspiegel" und für das in Buenos
Aires erschienene „Argentinische Tagblatt".
Sie hatte schon als
Vierzehnjährige für eine in der Jugendbeilage der „Neuen Freien Presse"
erschienenen Geschichte den ersten Preis erhalten. Doch zum „richtigen"
Schreiben kam sie erst in den Vierzigerjahren in Israel. Dass sie dabei
reichlich aus ihrer journalistischen Erfahrung schöpfte und diese sozusagen
im Leben erprobten Themen künstlerisch umsetzte, trug zur Überzeugungskraft
ihrer Werke bei.
Ihren ersten
Novellen-Band „ Labyrinth der Leidenschaften" (Haifa 1947) bezeichnete
Arnold Zweig, der sie ebenso wie Max Brod zum Schreiben ermutigt hatte, als
„Kammermusik" und schrieb dazu ein Vorwort.
Von den folgenden sechs
Romanen erschien 1954 als erster „Operation Goliath", der bis heute nur in
hebräischer Übersetzung vorliegt. Darin werden laut der Autorin die
„Ereignisse um die Eroberung Haifas aus der Sicht einiger mitteleuropäischer
Intellektueller, die ahnungs- und erfahrungslos in diesen Kampf gestürzt
wurden und von denen einige, eher Anti-Helden als Helden, denn auch in
diesem erbarmungslosen und für uns schwer überschaubaren Ringen gefallen
sind."
In ihrem erstem in
Europa erschienenen Buch „Schiff ohne Anker verarbeitete Alice Schwarz
-Gardos ihre eigenen Erfahrungen bei der illegalen Reise nach Palästina und
das tragische Geschehen um den Untergang des Dampfers „Struma". Dieses
Schiff ging am 24. Februar 1942 mit 789 jüdischen Flüchtlingen an Bord
unter, nachdem es vom Istanbuler Hafen aus, ins
Meer gezwungen wurde.
Dabei kamen alle Menschen, darunter 250 Frauen und 70 Kinder ums Leben. Es
gab einen einzigen Überlebenden.
Dieses Buch gehört zu
den besten Romanen von Alice Schwarz-Gardos. Arnold Zweig war es, der diese
Buchveröffentlichung in Europa ermöglicht hatte.
Das folgende Werk „Die
Abrechnung" ist die dichterische Umsetzung eines realen Gerichtsprozesses in
Israel. Ein slowakischer Katholik , der mit seiner jüdischen Frau nach
Israel übersiedelt war, wurde der Beteiligung am Mord eines jüdischen Kindes
an der slowakisch-ungarischen Grenze beschuldigt. Es handelte sich um den
ersten großen Prozeß in Israel und endete mit Freispruch für den
Angeklagten. Die Autorin meinte zu diesen Roman:" Damals hatte ich in
wenigen Wochen gelernt, wie man nicht nur die Wahrheit von Irrtum
unterscheidet, sondern auch ohne jeglichen Kommentar, nur durch die Auswahl
der Zitate, eine Tendenz verfolgen, eine gewissse Meinung durchscheinen
lassen und sogar Stimmung machen kann. Später musste ich nur zu oft auch in
ausländischen Blättern sehen, wie diese Methode gegen Israel zur Anwendung
gebracht wurde."
Mit „Versuchung" in
Nazareth" entstand ein Künstlerroman, in dem sich die Autorin nicht nur als
ausgezeichnete Psychologin erwies, sondern auch die Landschaften und das
Leben der vielen in Israel lebenden Völker ausgezeichnet beschrieb.
Die Kritiker lobten
ihren eindringlichen Stil und die Fähigkeit, die Protagonisten des Romans in
psychologisch überzeugenden Verstrickungen darzustellen.
Alice Schwarz-Gardos ist
auch als Kinder- und Jugendbuchautorin hervorgetreten. Mit „ Joel und Jael"
(1963) schuf sie einen umfangreichen Roman für Kinder, der in gewisser Weise
- auch wenn nicht thematisch, sondern nur der Intention nach - an Selma
Lagerlöfs „ Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen"
durch Schweden erinnert. Das Buch wurde - wie die Autorin betont- speziell
für den kleinen deutschen Leser verfaßt.
„Entscheidung in Israel"
(1965) ist als dichterischer Aufruf der Autorin , dem Lande Israel treu zu
bleiben, zu verstehen. Daher ist es auch vor allem an die israelische Jugend
gerichtet.
Später widmete sich die
Autorin vor allem Essays, ihrer Ansicht nach konnte sie in dieser Form die
deutschen Leser effizienter und aktueller über Israel informieren. Es
entstanden Essays und Skizzen, die sozusagen vom Alltag der israelischen
Gesellschaft, Politik, Kultur und der Religion diktiert wurden. Sie mußte
„nur" genau hinschauen und präzise niederschreiben.
Hier verband sich die
feinfühlige Romandichterin mit der scharfen Beobachtungsgabe der
talentierten Journalistin.
„Frauen in Israel"(1979)
ist ein „Bericht in Lebensläufen", den die Autorin bezeichnenderweise mit
dem Untertitel" Die Emanzipation hat viele Gesichter" versah. Es entstanden
Porträts von verschiedensten Frauen aus Politik und Wirtschaft, Kultur und
Kunst, Wissenschaft und dem öffentlichen Leben. Dabei handelt es sich nicht
um durchschnittliche Frauen, sondern um solche , die „hervorstechen „, die
querdenken oder höhere Leistungen hervorbrachten.
Die Frau nimmt
einerseits in der jüdischen Gesellschaft traditonellerweise eine zentrale
Stellung ein, anderseits scheint/ist sie jedoch „unterprivilegiert". Aber
gerade in einer Gesellschaft mit so unterschiedlichen Lebensformen, kommt
der Frau eine besondere Rolle zu.
Alice Schwarz- Gardos
räumt dabei mit vielen Klischees und Vorurteilen auf, zeigt, „daß Tradition
nicht Diskriminierung bedeuten müsse und daß Festhalten an religiösem
Herkommen und weibliche geistige Errungenschaften einander nicht
ausschließen müssen."
Wo jedoch Kritik
angebracht ist, drückt sie klar und deutlich ihre Meinung aus. Es ist ein
ungeschöntes, objektives, zuweilen kritisches Bild einer Gesellschaft, die
die Autorin überaus liebt, aber dennoch um konstruktive Kritik bemüht ist.
Faszit des Buches: Die
eigentlichen Heldinnen des israelischen Alltages sind zweifelsohne die
Frauen und Mütter schlechthin.
Die Intention des Buches
„Paradies mit Schönheitsfehlern" wird mit dem Untertitel „So lebt man in
Israel" in groben Zügen umrissen. Es ist ein heiterer Reiseführer geworden,
der das Alltagsleben in dem kleinen „Land voller kurioser Probleme, mit
denen man lächelnd am besten fertig wird" glossiert, gewissermaßen ein
Pendant zu Ephraim Kishons Werken. Es ist ein geistreiches, witziges,
humorvolles in einer meisterhaften deutschen Sprache geschriebenes Buch.
In ihrer letzten
Schaffensperiode betätigte sich Alice Schwarz-Gardos als Herausgeberin. So
ist „Heimat ist anderswo" (1979) eine der ersten Anthologien
deutschsprachiger Dichtung in Israel. Der Band enthält neben Erzählungen,
Prosa-Skizzen, Auszüge aus Hörfolgen, Essays, Literaturhistorisches usw .
Auch „Hügel des
Frühlings" ist eine Sammlung von Arbeiten deutschsprachiger Autoren in
Israel, der von Alice Schwarz-Gardos herausgegeben wurde. Es sind Zyklen zu
konkreten Themen, mit einigen ergreifenden Texten. Die Herausgeberin ist
sich bewußt, daß die „Jekken" in Israel nur eine Interimserscheinung
darstellen, doch eine intensive und wichtige in der Geschichte Israels, zu
dessen Aufbau und Kultur sie so entscheidend beigetragen haben. Nach
Schätzungen leben heute nur noch 30000 Israelis mit deutscher
Muttersprache.. Alice Schwarz-Gardos möchte auch auf die Vereinsamung der
deutschen Autoren in Israel aufmerksam machen.
Zuletzt erschien 1991 im
Bleicher-Verlag ihr Memoirenbuch „ Von Wien nach Tel Aviv".
Schon heute stellt
dieses Buch einen unerlässlichen Beitrag zur Geschichte der
deutschsprachigen Exilpresse und Exilliteratur dar. Alfred Marnau schrieb
1997 über dieses Buch: „Sie ist eine außerordentlich interessante Frau , sie
hat viel erlebt, viel mitgemacht, und sie ist obenauf geblieben, trotz aller
Hürden.
Ist das nun die
Beschreibung einer sentimentalen (Lebens-)reise - von Wien(eigentlich
Preßburg)nach Tel Aviv? Das auch. Ist es der Roman eines erfolgreichen
Lebens? Das auch. Es schließt mit einem Happy Ending, und so etwas liest
sich gern. Nur ist zu bedenken, wenn wir diese zwei Worte benützen, dass
ohne ein Happy Ending dies Buch ja niemals geschrieben worden wäre. Dieser
Umstand unterscheidet es von so vielen ähnlichen Büchern, die von einem
bösen Ende berichtet haben und über, statt von dem Autor geschrieben worden
sind. Ob unsere Autorin sich bewusst ist, dass ihr Leben ein ausgewähltes,
ein gesegnetes Leben war- und doch, sie weiß bestimmt auch, wie schwer das
Überleben sein kann."
Alice Schwarz Gardos war
auf der Liste für den deutschen Jugendbuchpreis und für den Lenau-Preis.
Unter den Preisen, die sie erhalten hat, war auch der
„Coudenhove-Kalergi-Preis (1982) und sie ist Trägerin des
Bundesverdiestkreuzes 1.Klasse (1982).
"In diesem
orientalischen Land hat ein deutscher Schriftsteller keine Zukunft" sagte
einmal Arnold Zweig zu Alice Schwarz-Gardos, doch sie hat bewiesen, daß
diese Aussage nicht immer stimmen mußte.
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