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Jüdische Weisheit
 
 

 

Israels Hauptproblem
Missionäre für die strenge Observanz

In der Aufregung um die neuen Pläne zum Truppenrückzug, um die Skandale um Sarah Netanjahu, die Streikwellen und, und, und, ist ein Ereignis von außergewöhnlicher Bedeutung für Israels Zukunft beinahe unter den Tisch gefallen. Es handelt sich um die Frage der Erziehung und des Schulwesens.

Mehr noch als viele andere Aspekte wird es Israels Zukunft beeinflussen. Wie das Gesicht des Judenstaates im nächsten Jahrtausend aussehen wird, hängt nicht nur von technischen Fakten ab. Von ihnen ist an anderer Stelle dieses Blattes die Rede. In erster Linie wird aber die Erziehung der Jugend über die geistige, politische und sicherheitsmäßige Entwicklung des Staates entscheiden.

Auf dieser Ebene wird die große Entscheidungschlacht zwischen Religiösen und Säkularen, zwischen moderat Traditionsbewußten und Haredim geschlagen werden. Im Moment sind die Ultraorthodoxen im Vormarsch.

Fast ohne Komplikationen begann am l. September das neue Schuljahr. 1,792.000 Kinder und 137.000 Lehrer traten in einen neuen Lebensabschnitt. Hunderttausende Kinder strömten in die Klassenräume. In vielen tausenden von ihnen erklang das traditionelle "Schalom, Kita Aleph'' - "Sei gegrüßt, Erste Klasse!"

Raw Kaduri


In der ersten Klasse geht mit verstärktem Nachdruck weiter, was schon im Kindergarten einsetzte: die Formung des Charakters. Der werdende junge Staatsbürger wird in seinen Vorstellungen geprägt. Begriffe und Weltanschauungen, und nicht nur das Alphabet und Einmaleins, werden ihm tropfenweise eingetrichtert.

In diesem Jahr ist vieles anders als früher. Ein nationalreligiöser Unterrichts- und Religionsminister, Sebulun Hammer, hat das Sagen. Er steht an der Spitze der NRP, einer Partei, die heute meilenweit entfernt ist von dem, was ihm sein Vorgänger, der 'jekkische', zwar orthodoxe, aber doch auch humanistisch weltaufgeschlossenen Dr. Josef Burg aus Dresden hinterließ.

Dr. Burg wäre es nie im Leben eingefallen, Verordnungen zu erlassen, wie sie nunmehr Swulun Hammer anbefahl.

Viele Neuerungen im staatlichen Schulwerk sind in diesem Jahr zu vermerken. Das Hissen der Fahne ist nur eine davon. Außerdem wird jede Schule, die es wünscht, einen Rabbi erhalten können. Er wird mit einem ''Viertelamt" also zeitweise, zur Veriügung stehen. Am Eingang zu jeder Klasse werden Mesusot angebracht, die Klassen werden Ptlichtausflüge nach Jerusalem unternehmen. Angesichts des "Fahnengesetzes" nahmen der Ministerpräsident, Minister, hohe Polizei- und Armeeoffiziere wie auch Oberrichter an den Feiern zum Beginn des Schuljahres teil. Das, so Minister Hammer, versinnbildliche die Tendenz des Unterrichts, den er anstrebt. Er soll nicht nur Wissen, sondern auch Traditionsbewußtsein und Wertgefühle übermitteln. ''Die Schulen sollen nicht nur bilden, sondern auch erziehen," meint der Minister.

Patriotismus und Traditionsbewußtsein sind erstrebenswerte Tendenzen. Aber kann man nicht auch des Guten zu viel tun? Es waren nicht eben die aufgeklärtesten und besten Regime, die Dinge wie "Fahnenweihen" erfanden. In der zutiefst demokratischen Tschechslowakei vor dem Zweiten Weltkrieg mit ihren wahrhaft hervorragenden humanistischen Schulen gab es keine tägliche Fahnenhissung. Eine Fahne wurde dort werktags überhaupt nicht gesichtet, so begeistert man an Festtagen die Nationalhymne sang oder stundeniang Spalier stand, um den greisen Präsidenten G. Thomas Masaryk zu ehren. Auch ein Schulgebet war unüblich. Die Leute, die diesem Unterrichtssystem entsprangen, waren gar nicht so übel.

Unterrichtsminister Hammer verspricht, es werde bei alledem tolerant zugehen. Die Schüler würden zu den Werten des Judentums und Zionismus erzogen, aber zu nichts gezwungen werden. Seine Absichten hatte Hammer schon vor den Wahlen verkündet, mit erheblichem Erfolg. Von den zehn Mandaten, die die NRP erhielt, kamen wenigstens zwei von nichtreligiösen Juden. Darin sieht er die moralische Vollmacht für sein Vorgehen.

Prof. Amnon RubinsteinProf. Amnon Rubinstein, der frühere Unterrichtsminister von der linken Merez-Partei glaubt, in diesem Unterrichtsprogramm eine Art Missionärstätigkeit zu entdecken. Der nationalreligiöse Unterricht gewähre den Lehrern nicht jene Autonomie, die erforderlich sei. Er benachteilige deutlich die moderneren Strömungen im Judentum, Konservative und Reform, die ohnehin in Israel schwer zu kämpfen haben.

Aber Hammer selbst hat zu kämpfen. Er wird rechts überholt von den Haredim, die sich auf einem präzedenzlosen; scheinbar unauthaltsamen Vormarsch befinden.

Reporter berichteten diese Woche, daß sie in vielen staatlichen Schulen halbleere Klassenzimmer vorfanden. Wo sind die Schüler? Sie sind zum Haredi-Schulwerk, insbesondere zu Schas-Schulen abgewandert! Schas schwimmt in Geld, das es der Regierung für sein Mitwirken in derKoalition abgepreßt hat. Dieses Geld wird in das Schulwerk und andere "missionarisch"-philantropische Aktionen investiert.

Man muß es den Schas-Leuten lassen: Nur wenige Funktionäre leben in Saus und Braus. Die meisten haben einen sehr bescheidenen Lebensstandard. Wenn sie Geld brauchen, dann wegen ihres Kinderreichtums. Manche sind geradezu arm. Aber von den reichlich fließenden staatlichen Subventionen und Spendengeldern statten die Haredi-Politiker ihr Schulwerk geradezu verschwenderisch aus. Sie bieten einen langen Schultag, wovon die staatlichen Schulen vorläufig nur träumen können. Es gibt für jedes Kind mittags eine warme Gratismahlzeit, Transport von und zur Schule und fast gratis alle benötigten Lehrmittel. Nicht nur ultra-orthodoxe Familien machen von diesem großzügigen Angebot Gebrauch. Auch minderbemittette "Traditionsbewußte" oder sogar Säkulare, darunter nicht wenige Neueinwanderer, senden, ihre Kinder in diese Schulen. In ihnen herrscht natürlich strengste Geschlechtertrennung. Es wird nur die Weltanschauung der Haredim gelehrt und der Unterricht der Naturwissenschaften und Realfächer oft stark vernachläßigt. Das gesparte Geld lockt aber; und außerdem ermöglicht der lange Schultag auch den Müttern die Arbeit. außer Haus. Und die Haredim-Frauen müssen zum Unterhalt beisteuern, wenn ihn nicht völlig bestreiten, damit der Mann sich den ganzen Tag lang ausschließlich dem g'ttgefä1ligen Thora- und Talmudstudium widmen kann.

Dagegen wäre nichts einzuwenden, bestände nicht die Befürchtung, daß die säkularen Kinder, die nichts andres kennenlernen, gleichfalls zur strengen Observanz überlaufen. Sie werden dann nicht in der Armee dienen, sondern überlassen es G'tt und den Säkularen, sie zu verteidigen. Sie wissen meist, da viele von ihnen - siehe Deri - sehr intelligent sind, sehr wohl um den Lauf der Welt da draußen. Manche können auch ganz gut mitmischen. Aber sie sehen nicht fern, sie lassen das moderne Leben und die Kultur des 20. Jahrhunderts links liegen, viele glauben an Amulette und mystische Machinationen vom Bannfluch bis zum Heilbeten. Hätten sie allein das Sagen im Staate, müßte man um seine Zukuft sehr besorgt sein. Daß nicht dies dem eleganten und assimilierten Journalisten Theodor Herzl aus Wien vorschwebte, diesem charismatischen Visionär und großen Anführer, der die verschüttete Energie eines Volkes erstmals in aktive politische Bahnen lenkte, liegt auf der Hand. Aber das ist vielleicht nur von emotionaler Wichtigkeit und nur für unsereins.

Wichtig ist, daß die Säkularen sich durch den Vormarsch der Haredim nicht verunsichert fühlen dürfen; daß man nicht im Namen G'ttes Intoleranz gegen allen Andersdenkenden predigen darf. Das reicht von der Erklärung eines schweren Schulbusuufalls mit 22 Toten als "Strafe G'ttes für falsch geschriebene Mesusot an den Schulklassenzimmern" bis zur Verfluchung Rabins. Und zu der bekannten Ankündigung eines großen Rabbi und Bekehrers zum strengen Glauben, der zum Gedenken an die 74 Todesopfer des Zahal-Hetikopter-Unglücks auf dem Flug nach Libanon zu einer "Veranstaltung mit Humor und Überraschungen" einlud. Der betreffende Rabbi erklärte dann auch noch, die Soldaten seien möglicherweise wegen eines Vergehens in einem früheren Leben verunglückt. An Seelenwanderung und Bestrafung in einem künftigen Leben - ohne Urteilsverkündung! - glaubt er auch.

"Du glaubst nicht an Rabbi Kaduri?!?!"

Nicht alle Haredim teilen diese Ansicht. Aber manche hegen eigenartige Vorstellungen. Für viele fromme und naive Israelis ist eine Gestalt wie die des Raw Kaduri, der mit seinen Amuletten der Schas-Partei viele Mandate einbrachte, der Inbegriff der Heiligkeit.

Wer ihm die Hand küssen darf, ist beseligt. Die Frauen küssen seiner Gemahlin die Hand. Über sie veröffentlichte die Zeitung "Maariv" unlängst einen hochinteressanten Artikel. Die Rabbanit Dorit Kaduri, 49, Aschkenasin, ist wenigstens 40 Jehre jünger als ihr Gemahl. Er soll laut Gerüchten zwischen 97 und 106 Jahre alt sein. Sie ist eine "Choseret be-Tschuwa", eine zum strengen Glauben zurückgekehrte. Mit ihrem greisen Gemahl lebt sie hinter streng verschlossenen Stahltüren im großen, prunkvollen Komplex der Jeschiwa "Nachlat Jitzchak" in Jerusalem. Sie lernte den Rav durch einen Schiduch, eine Vermittlung, kennen, nachdem der Verwitwete von seinen Söhnen selbst eine solche gefordert hatte. Denn ein Unverheirateter sei "nur ein halber Mensch", seine Gebete daher nur halb so wirksam.

Der Raw, dem große Weisheit zugeschrieben wird, lehnte mehrere Kandidatinnen ab. Er ist mit seiner Wahl sehr zufrieden. Der Alte bezeichnet seine Frau, die rührend um sein leibliches Wohl besorgt ist, als eine "Gerechte". Sie führt nicht nur den Haushalt mit den vielen Gästen allein, sondern liest sich auch täglich durch das gesamte Psalmenbuch durch. Der Zeitung gelang eine seltene Aufnahme der Frau mit den feinen, ungeschminkten Zügen im Kittel und Kopftuch, die in der entsagenden Pflege und Verehrung eines fast Hundertjährigen ein g'ttgefälliges Lebenswerk sieht. Der Raw ißt übrigens fast nur Obst und Gemüse, seitdem er in der Zeitung - einer Haredi-Zeitung selbstredend, andere kommen nicht ins Haus - von der radioaktiven Verseuchung des Meeres las.

Im übrigen beherrscht er die Heilige Sprache perfekt für heilige Zwecke, aber Profanes und Politisches erzählt oder übersetzt man ihm besser ins Arabische. Das ist schön und rührend, wenn man es als Folklore betrachtet. Es scheint aber gefährlich, wenn ein moderner Staat nach solchen Prinzipien gelenkt werden soll.

Die Ältesten von Safed erzählten nach dem Befreiungskrieg angeblich, ihre Stadt, von einer überwältigenden Überzahl blutdürstiger Araber belagert, sei durch zwei Umstände gerettet worden: einen natürlichen und ein Wunder. Der natürliche Umstand für die Rettung war das Gebet. Das Wunder war, daß die bewaffnete jüdische Widerstandstruppe Palmach rechtzeitig eintraf.

Unter solchen Gegebenheiten verläßt man sich lieber auf das "Wunder" als suf die "natürlichen Umstände". Finanzminister Ja'akov Ne eman, selber ein Orthodoxer, aber nicht Ultra, hat die Sachlage begriffen. Sein Vorschlag, die staatlich finanzierten Kultusräte abzuschaffen und vor allem die separate Abteilung fiir Haredi-Erziehung im Unterrichtsministerium aufzulösen, stieß denn auch auf empörten Haredi-Widerstand. Er will alle diesbezüglichen Vollmachten den geldknappen Ortsverwaltungen übertragen. Und er will die Geldzuweisungen für die Haredim auch neu regeln. Die Jeschiwa-Studenten sollen seinem Wunsch nach 30 Tage Militärdienst leisten, dafür aber nicht mehr zeitlebens die bisherige staatliche Unterstützung erhalten. Das wäre ein Schritt, die Haredim wenigstens vom Wohlfahrtstropf zu nehmen, der mit den Geldern der Säkularen gespeist wird. Sie müßten sich endlich in die allgemeine Ökonomie eingliedern. Damit wäre zumindestens vorläufig ein Rückzugsgefecht im Kampf um die Glaubensfreiheit gewonnen.

Von Alice Schwarz

Blick nach Israel (Entrance-Site)


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