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Judentum und Israel
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Zwischen Okzident und Orient:
Israel als Integrations- und Einwanderungsgesellschaft

Altneustadt

Bis in den neunziger Jahren seine Sanierung begann, stand Neve Zedek,Tel Avivs erstes Viertel, lange Zeit im Schatten der geschichtslosen Neubauten der israelischen Metropole

"Mein Herz im Osten,
und ich selber am westlichsten Rand "
Judah haLevi (1083-1141)

Integration in Israel

Uffa Jensen

"In meinem eigenen Namen und im Namen der Arbeitspartei. Ich bitte um Vergebung!" Mit diesen Worten erkannte der gerade gewählte neue Vorsitzende der Israelischen Arbeitspartei, Ehud Barak, auf einem Parteitag Ende September 1997 die Mitverantwortung seiner Partei für die Benachteiligung der orientalischen Juden nach der Staatsgründung an.

Der Ort, an dem er dieses historische Eingeständnis machte, ist bezeichnend Zum ersten Mal in ihrer Geschichte veranstaltete die Arbeiterpartei ihren Parteitag außerhalb von Tel Aviv. Er fand in der Wüstenstadt Netivot statt, einer Hochburg der orientalischen Juden Auch der Zeitpunkt sollte ein Signal sein, denn die Tage vor dem Jüdischen Neujahrsfest Rosh HaShana sind eine Zeit der Reue und Einkehr. Dieser religiöse Aspekt macht den Zweck der emotionsgeladenen Inszenierung Baraks deutlich. Die säkulare Arbeiterpartei soll nicht länger als traditionsfeindlich und areligiös erscheinen Die öffentliche Entschuldigung Baraks im Namen der Arbeitspartei ('Awodah) zielte darauf ab, Stimmen orientalischer Juden zurückzugewinnen, die in den siebziger und achtziger Jahren an den Likud verloren wurden Sie zeigt, dass die Integration der verschiedenen jüdischen Gruppierungen und vor allem die Lage der orientalischen Juden in Israel heikle, in den vergangenen Jahren zunehmend kontrovers diskutierte Themen sind.*

*) Die Einwanderer aus den islamischen Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens, die nach Israel kamen, werden im folgenden in der Regel als "orientalische Juden" bezeichnet. Das entspricht zwar nicht ihrer geographischen Herkunft, aber dem in Israel verwendeten Begriff Yehudim misrachim. Seltener wird dort für diese Gruppe auch der weniger deskriptive Ausdruck "sephardische Juden" benutzt.

Baraks Entschuldigung steht im Widerspruch zur landläufigen Meinung, Israel sei ein einmaliger, besonders leistungsfähiger Schmelztiegel, der Gruppen völlig unterschiedlicher Herkunft gleichberechtigt und erfolgreich integriert habe. Eine solche Meinung läßt allerdings nicht nur die sozialen und kulturellen Kosten der Integration außer acht, es bleibt auch unverständlich, warum im heutigen Israel viele Diskussionen ihren Ausgangspunkt bei den Altlasten von Diskriminierungen und Benachteiligungen nehmen. Diese Altlasten gehen vor allem auf die Bewältigung der Masseneinwanderung in den vierziger und fünfziger Jahren zurück, als neben europäischen Juden, den Überlebenden der Shoah, verstärkt Juden aus nahöstlichen und nordafrikanischen Ländern einwanderten. Insgesamt haben seit der Staatsgründung fast drei Millionen Juden Israel erreicht. Das Land war in den fünfzig Jahren seiner Existenz auf die Einwanderung angewiesen, denn sein Fortbestehen als jüdischer Staat hing davon ab. Die besondere Bedeutung der Einwanderung wird bereits in der Bezeichnung "Aliya" deutlich. Im biblischen Hebräisch stand das Wort für die Pilgerfahrt, die jeder Jude dreimal im Jahr zum Jerusalemer Tempel unternehmen sollte. Aliya heißt wörtlich übersetzt "Aufstieg", für das Gegenteil, die Auswanderung, steht Yerida ("Abstieg").

Von einem "Aufstieg" zu sprechen, drückt eine grundsätzliche Aufgeschlossenheit gegenüber den Olim, den "Aufgestiegenen", aus. Dennoch standen der Integration der sehr unterschiedlichen Gruppen mehrere Hindernisse im Weg: Zunächst einmal mußten die immensen praktischen Anforderungen (Nahrungsmittel, Wohnraum, Arbeitsplätze) gelöst werden, auf die der noch im Aufbau befindliche Staat nicht vorbereitet war. Die erheblichen sprachlichen und kulturellen Unterschiede waren nicht von heute auf morgen zu überwinden, zumal der kulturellen Eigenheit der orientalischen Einwanderer angesichts der kontinuierlichen Bedrohung des Landes von außen, die eine geeinte Nation erforderte, wenig Gewicht beigemessen wurde. Vorurteile auf seiten der im Land lebenden aschkenasischen Juden gegenüber den Neuankömmlingen erschwerten den Integrationsprozeß zusätzlich.

Die Wurzeln vieler der Probleme, die sich bei der Integration der orientalischen Juden in Israel seit den vierziger Jahren stellten und bis heute andauern, reichen ins letzte Jahrhundert zurück. Die zionistischen Juden aus Osteuropa, die nach und nach in Palästina ankamen, brachten nicht nur eine Vision für ein neues Gemeinwesen, eine "jüdische Heimstätte" mit. Zu ihrem Gepäck gehörten auch fest verwurzelte europäische Wertvorstellungen. Im Widerspruch zu ihrem Selbstverständnis als Pioniere eines Neuanfangs bauten sie hier, am östlichen Mittelmeerrand, ein westliches Land auf. Aber die ansässigen Araber und die Einwanderungswellen orientalischer Juden erinnerten die europäisch geprägten Einwohner des neuen Staates in den folgenden Jahren daran, wo sie sich eigentlich befanden - im Orient.

Doch es waren die vor der Staatsgründung eingewanderten aschkenasischen Juden, die das Fundament der jüdischen Gemeinschaft in Palästina legten. Sie schufen die Voraussetzungen für den neuen Staat und zugleich die Leitvorstellungen, mit denen den Herausforderungen der folgenden Einwanderungswellen begegnet wurde. Der biblische Ausdruck aschkenas ("nördliches Volk") wurde schon im Laufe des Mittelalters für die Juden Mitteleuropas verwendet, aber erst in Israel auf fast alle europäischen und nordamerikanischen Juden ausgeweitet. Der Sammelbegriff verdeckt, wie uneinheitlich die aschkenasische Einwanderergruppe war: Sie setzte sich aus sozialistischen und bürgerlich-nationalistischen Osteuropäern sowie aus Juden westeuropäischer, zumeist bürgerlichdeutscher Herkunft zusammen. Ebenso umfassen die Bezeichnungen "orientalische Juden" oder "sephardische Juden" ethnische und kulturelle Gruppen, die erheblich voneinander abweichen. Die Unterschiede zwischen stärker europäisch geprägten Juden aus dem Irak und den ländlicheren Juden aus Marokko sind beträchtlich — ihre Anpassungsprobleme nach der Einwanderung daher völlig verschieden.

Den Vorstellungen der aschkenasischen Einwanderer gemäß verstand sich Israel zwar seit seiner Gründung als liberaler Rechtsstaat, sah sich aber in den ersten Jahrzehnten kaum als ein pluralistisches Gebilde. Die zionistische Ideologie des neuen Staates war von einem etatistischen Ordnungsverständnis (Mamlachtiut) bestimmt, mit dem widersprüchliche Strömungen des Yishuv, der vorstaatlichen jüdischen Gemeinschaft in Palästina, vereinheitlicht werden sollten. Zugunsten wirtschaftlichen Fortschritts, technologischer Entwicklung und eines funktionierenden Gemeinwesens sollten gesellschaftliche Sonderinteressen in einheitlichen zionistischen Zielvorstellungen aufgehen. Dieses Prinzip drückt der Begriff "Fusion der Exile" (Misug Galuyot) aus — die israelische Version des amerikanischen Melting-pot. Die einwandernden Gruppen hatten ihre sozialen und kulturellen Eigenheiten dem Ziel einer "Fusion der Exile" unterzuordnen. Das bedeutete für sie konkret, sich den von aschkenasischer Seite vorgegebenen Idealen und Vorbildern weitgehend angleichen zu müssen.

Die eurozentrisch geprägten Vorbehalte der Aschkenasim, die in der innerjüdischen Integrationspolitik zum Ausdruck kamen, hatten auch wesentlichen Anteil an ihrem Umgang mit den palästinensischen Arabern. Die nach dem Unabhängigkeitskrieg verbliebenen arabischen Einwohner stellten den neugegründeten Staat vor besondere Probleme. Dem demokratischen Selbstverständnis Israels entsprechend sind die Rechte von Minderheiten zu beachten. Die Ansprüche der Palästinenser, gleichberechtigte Staatsbürger in ihrem Heimatland zu sein und Rechte als nationale Minderheit zu genießen, blieben jedoch bis heute umstritten. Hier offenbart sich eine andere Grenze Israels als Integrationsland, das von seinem Selbstverständnis als jüdischer Staat bisher nicht abgerückt ist.

Das doppelte Integrationsproblem zeigt, dass die Geschichte des Staates Israel auch die Geschichte eines Weges zwischen den Bilderwelten des Orients und des Okzidents ist. Aus europäischer Sicht erschien der Orient als rückständig, ungebildet, despotisch, oft auch als geheimnisvoll und natürlich. Diese Vorurteile prägten den mühsamen Integrationsprozeß der orientalischen Juden, die um ihren Platz in der israelischen Gesellschaft und um ihre Identität kämpfen mußten. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Vorstellungswelten auf Seiten der aschkenasischen, sephardischen und arabischen Israelis immer wieder neu geordnet. Obwohl "israelische" Gemeinsamkeiten zwischen den Juden unterschiedlicher Herkunft entstanden sind, konnten nicht alle sozialen und kulturellen Spannungen überwunden werden. Wie die Diskussionen um die russischen Einwanderer, die Proteste äthiopischer Juden und die zunehmende Radikalisierung politischer Gruppierungen des orientalisch-religiösen Spektrums offenbaren, ist auch in den neunziger Jahren die Auseinandersetzung um "das Israelische" keineswegs abgeschlossen. Eine einheitliche Identität läßt sich nicht ausmachen, und vielleicht hat der Streit um sie gerade erst richtig begonnen.

Aus dem Kapitel "Zwischen Okzident und Orient - Israel als Integrations- und Einwanderungsgesellschaft" von Uffa Jensen
(in Davids Traum, Bleicher 2000)

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hagalil.com 21-10-2002


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