Westjiddisch?
Jüdisch-Deutsches Wörterbuch
Josef Stern,
Hebräisches im
Deutschen
Juden und Nicht
Juden widmen sich liebevoll dem
Jüdischdeutschen, das zuvor die
Sprache aller deutschen Juden war
und nun als Gebrauchssprache - im
Unterschied zum Jiddischen -
ausgestorben ist.
Das begann schon
viel früher. Als sich Moses
Mendelssohn für die Emanzipation der
Juden einsetzte, schärfte er ihnen
als erstes ein: redet hochdeutsch!
Seitdem hat diese Sprache der Juden,
ganz besonders in den großen
Städten, einen Schwund erlebt, denn
man betrachtete sie fortan als
Schmach. In den Landjudengemeinden
und -familien jedoch ist
Jüdischdeutsch in fast seinem ganzen
Umfang weitergesprochen worden, bis
zum bitteren Ende.
Den Beginn unseres Mischidioms zu
erkunden, müssen wir weit
zurückgreifen. Eine eindeutige These
hierzu kann es nicht geben, wie denn
auch der zuvor kurz dargestellten
Entstehungsgeschichte des deutschen
Judentums andere Theorien
entgegenstehen. Die frühe
Ansässigkeit der Juden innerhalb des
römischen Limes mag so verlaufen
sein, wie die der vielen
herumwandernden Stämme. Einen ersten
schriftlichen Beweis einer jüdischen
Gemeinde finden wir in einem Erlaß
des Kaisers Konstantin aus dem Jahre
321, und da war sie in Köln bereits
wohletabliert, vielleicht also
einige Generationen alt.
Traditionell der Landwirtschaft
verbunden, werden sich die
israelitischen Familien so ernährt
haben wie die anderen Landesbewohner
auch - bis eine gehässige Zäsur
eintrat: die christliche Kirche
stellte sich gegen sie, verfolgte,
beschuldigte, peinigte sie. Die der
Kirche hörigen Landesherren
verhängten Sondergesetze und
Sondersteuern, verwehrten ihnen
Landbesitz und wiesen sie aus. Zu
all dem verboten die Zünfte ihnen
die Ausübung der Handwerke. Oft
endete es mit Plünderung und Mord -
und nie vermochten sich Juden
physisch zu wehren. Doch eine Waffe
hatten sie, hinter der sie sich
verschanzen konnten: die stets
gehegte eigene Sprache. Mit ihrer
Hilfe war es möglich, sich
untereinander zu verständigen, ohne
daß ihre Peiniger es verstanden, und
ihre Pläne und Absichten konnten vor
den Christen geheimgehalten werden.
Die Landessprache in all ihren
Dialekten war längst zu ihrer
Umgangssprache geworden, und in sie
flochten sie hebräische Wörter ein.
Das Jüdischdeutsch der
israelitischen Bevölkerung wurde aus
der Not geboren, es war eine
Kryptologie, eine verdeckende
Sprache.
Noch ein wichtiger Faktor spielt
hier mit. Irgendwann in der Frühzeit
des deutschen Judentums entwickelte
sich die aschkenasische Aussprache
des Hebräischen. Ansatzpunkte dazu
waren sicherlich von Anfang an
vorhanden, denn im Vergleich mit
anderen jüdischen Exilgruppen, vor
allem den Jemeniten, werden
erstaunliche Gleichheiten hörbar.
Das Kamaz des mit hebräischen
Buchstaben Geschriebenen wird zu o,
das Cholam zu au, und das
unpunktierte Thav zu s. Hinzu kommt,
unter dem Einfluß des Deutschen und
seiner Dialekte, die Verlegung der
Betonung von der letzten auf die
vorletzte Silbe (die meisten Wörter
des üblichen Iwrith sind letztsilbig
betont), und die Abflachung des
auslautenden Vokals in ein lässiges
e. Zur Veranschaulichung diene der
schöne 29. Vers aus dem
Abschlußkapitel (XXXI) der Proverbia,
zunächst im heute so bezeichneten
Sefardisch, darunter in der
aschkenasischen Wiedergabe:
Rabóth
Banóth asu
Chajil veat
'aljth
al kulanah. |
Rábaus
bónaus ósu
chajil w'at ólis
al kulóno. |
Von den
zahlreichen Vokabeln seien noch
einige erwähnt:
|
Iwrith |
übersetzt |
Bedeutung im
Jüdischdeutschen |
schofel |
schafel |
niedrig |
von niedriger
Gesinnung |
betucht |
betach,
batuach |
sicher |
sichergestellt, reich |
pleite |
liphleta |
entronnen,
der Schuldhaft |
bankrott |
meschugge |
meschugah |
irrsinnig |
verrückt |
schmusen |
sch'mua |
Gerücht |
liebkosend
reden, schwatzen |
mies |
miuss |
Abscheu |
häßlich,
schlecht |
Zores |
Zaroth |
Nöte |
Unannehmlichkeiten |
Mackes |
Makkoth |
Schläge |
Fehler, auch
Hiebe |
schkoremen |
schaker |
lügen |
lügen |
Kozen |
Kazin |
bibl.
Oberster, heute: Offizier |
wohlhabender
Mann |
Klafte |
Kalba,
Kalbata |
Hündin |
streitsüchtige Frau |
mejuschefdig |
m'juschaw |
beigelegt |
behaglich |
Schachermajen
|
schachor +
majim |
schwarz +
Wasser |
Kaffee |
Chuzpeponem |
Chuzpa +
Panjm |
Frechheit +
Gesicht |
Frechdachs |
oser |
assur |
verboten |
beileibe
nicht! |
Rachmones |
Rachmanut |
Erbarmen
|
Erbarmen |
schkauch |
jischar koach |
Gott möge
stärken deine Kraft |
danke |
Eljenowe |
Eliahu Hanawi |
der Prophet
Elijahu |
der Prophet
Elijahu |
Balleboste |
B'alat
haBajith |
Herrin des
Hauses |
Hausfrau |
wajiwwerach |
wajiwrach (bibl.) |
"und er floh" |
aus dem Staub
gemacht |
tachless |
tachljt |
Zweck (einer
Sache) |
mit Hand und
Fuß, praktisch |
Dalles |
Dalut |
Armut |
Armut |
haulechen |
halach |
er geht |
gehen |
chalausches |
chalasch |
schwach |
ohne viel
Wert |
Mejwen |
mewin |
er versteht |
Experte |
Risches |
Risch'ut |
Böshaftigkeit |
Antisemitismus |
Zu all dem
gesellen sich Haushaltsworte, die
noch aus der italienischen Epoche
stammen:
oren beten
von orare |
leinen lesen
(der Thora) von legere |
benschen
segnen von benedicere |
porschen das
Fleisch endgültig koscher
machen von purgare |
Das Prinzip der
"verdeckenden Sprache" machten sich
alsbald negative und kriminelle
Elemente zunutze, und sie flochten
in die von ihnen geschaffene
Verständigungsweise auch
aufgegriffene hebräische Ausdrücke
ein. Es ist die "Gaunersprache",
auch das "Rotwelsch", die leider
allzu oft und unberechtigt mit dem
Jüdischdeutschen gleichgesetzt
werden. Einige Male haben
Polizeioffiziere solche Wörter und
Redensarten systematisch
zusammengestellt und drucken lassen,
damit Polizisten nicht hintergangen
werden konnten und in diese
Sprechweisen eingeweiht waren.
Avé-Lallemant brachte 1862 in
Leipzig das mehrbändige Werk "Das
deutsche Gaunertum" heraus.8
Im 4. Band führt er das
"Jüdischdeutsche Wörterbuch" und das
"Wörterbuch der Gaunersprache"
getrennt auf. Dieser aus Lübeck
stammende hohe Polizeifunktionär
legte in seinem Kolossalwerk ein
tiefes Verständnis für den oft
bedauerlichen Wirtschafts- und
Gesellschaftszustand der Juden an
den Tag, und er lobte diese sogar
dafür, im Jüdischdeutschen
altdeutsches Wortgut - etwa Leilach
und Eidam - bewahrt zu haben, das
ohne sie verlorengegangen wäre.
(Zitiert nach Hermann Reisner.)9
Ein Polizeikommissar in Hamm, Ernst
Rabben, verfaßte 1905 (erschienen
1906) das ausführliche Buch "Die
Gaunersprache", mit dem Untertitel "chochum
loschen", was hier "Der (Neunmal-)
Klugen Sprache" bedeutet. Die
weitaus meisten seiner aufgeführten
Begriffe entstammen allerdings nicht
dem Hebräischen. Im Schlusswort
seines 167 Seiten umfassenden Buches
trifft der Verfasser eine
bedenkenswerte Feststellung: Die
deutsche Obrigkeit, die die
jüdischen Bürger generationenlang
benachteiligte, erniedrigte,
drangsalierte und mannigfach
verfolgte, trägt einzig und allein
die Schuld daran, daß Personen
dieser Bevölkerungsschicht mit den
weitverbreiteten negativen und
asozialen Elementen der
nichtjüdischen Deutschen in
Berührung gekommen sind.10
- 8
Avé-Lallemant, Friedrich
Christian Benedikt, 1809-1892,
Das deutsche Gaunertum. Leipzig,
1862. In Bd. IV:
Jüdischdeutsches Wörterbuch und
Wörterbuch der Gaunersprache,
pp. 319-625.
- 9 Reisner,
Hermann, Hebräische Etymologie
für den Hausgebrauch. Ramat Gan
(Israel), Selbstverlag, 1947.
Darin Kapitel 13: Gaunerdeutsch
und Judendeutsch, bes. pp.
153-154.
- 10 Rahben,
Ernst, Die Gaunersprache (chochum
loschen). Hamm, Breer &
Thiemann, 1906.
Im großen und
ganzen sind die hebräischen
Ausdrücke, die in verschiedenen
Gegenden ganz Deutschlands
aufgezeichnet wurden und deren
Kompilatoren nichts voneinander
wußten, bedeutungsidentisch. Daraus
kann auf die Kenntnis der Heiligen
Sprache in weiten Kreisen der
deutschen Judenheit geschlossen
werden - zumindest bis zur
abweisenden Haltung Mendelssohns.
Sollte seit diesem Zeitpunkt der
Schwund unseres Jüdischdeutsch auch
Dorfgemeinden ergriffen haben, wird
sicherlich ein Teil des Wortschatzes
und der Redewendungen
verlorengegangen sein. Der große
Philosoph, der die längst fällige
Judenemanzipation energisch in die
Wege leitete, war sich nicht bewußt,
daß mit der beabsichtigten
Auslöschung der jahrhundertelang
gepflegten Sondersprache all seiner
deutschen Glaubensbrüder ein
Kulturgut par excellence zerstört
werden würde.
In den letzten Generationen bis zur
Schoah trat an die Stelle einer
profunden Hebräischkenntnis die
Tradition. Der Wortschatz ging von
den Großeltern auf Kinder und Enkel
über, ohne daß man sich noch lange
darüber aufhielt, was z. B. Zrajen =
Geizhals, nämlich Zar-Ajin, beengten
Auges bedeute, oder daß Bizemmli ein
verkannter Plural von Beze (Bezah)
ist, das Ei. Auch in der
Schreibweise, die örtlich
phonetischen Schwankungen ausgesetzt
war, drückt es sich aus. Leben
wechselt von Chajim zu Chajes und
Kajes, Rausch, sich betrinken
erscheint als Schicker, Schigger,
Schikures, schickern.
Selbstverständlich gab es auch
Abweichungen vom Standard. In
Hottenbach im Hunsrück, dessen Juden
mit dem Handwägelchen über Land
zogen und Kaninchenfelle,
Altmaterial, Kurzwaren und sogar
Kleinvieh anboten, wurde folgendes
verzeichnet:11
|
Iwrith-Form |
übliche
Bedeutung |
hier |
Großkootzen |
groß + Kozin |
sehr reiche
Person |
Verwandter |
Kafrim |
Chawerim |
Kameraden,
Mitglieder |
Teilhaber |
Kodem |
katan, koton |
klein |
Kind |
Jontoff |
Jom-tow |
Feiertag |
Aufhebens,
Ärger |
varooft |
ver + Ra'aw
(Hunger) |
|
verschlampt
angezogen, wie ein Hungriger |
Maucke |
Pusmak |
Strumpf |
Sparstrumpf |
behämmat |
B'hema |
von Vieh |
dumm wie ein
Vieh |
Kochem |
Chacham |
Kluger Mann |
einer, der im
Handelsgeschäft Glück hat |
Schumbe |
Schemen,
schamen |
Fett,
fetthaltig |
Ackerland,
Erdschollen |
Massik |
masik |
verursacht
Schaden (Pferd) |
kräftiger
Draufschläger |
11 Faust, A. P.,
Jiddisch in der Mundart von
Hottenbach und Umgebung. Der
Hunsrück, 2. Jg. 3. Ausgabe.
Idar-Oberstein, Sudau, 1980. pp.
23-26.
Aus
Österreich belehrt uns
Siegfried Kreuzer über
einige Besonderheiten:12 |
|
Iwrith-Form |
übliche
Bedeutung |
hier |
Schalottenzwiebel |
Aschkelon |
|
|
Haberer |
Chawer |
Kamerad |
Freund |
bahel machen |
B'hala |
Panik |
lärmen |
|
|
|
|
Vorerwähnter
Dr. Alois Mertes bereichert
ebenfalls die Liste aus
Neroth:13 |
nassauern |
natan,
naussen(en) |
gibt, schenkt |
benimmt sich
ausbeuterisch wie ein
Nassauer |
Massematten |
Massa uMatan |
geschäftliche
Verhandlung |
unangenehme
Sache, Prozeß |
Und nochmals
Neroth, wo die Juden mit
Mäuse- und Rattenfallen
handelten, wie es Gad Sella
erfahren hat:14 |
odem |
adom |
rot |
braun |
Rezeiach |
Rozeach |
Mörder |
störriges,
bissiges Pferd |
Nicht nur Worte
sind es, die uns eine untergegangene
Welt heraufbeschwören. Die
Atmosphäre im Dorf wird uns mittels
Unterhaltungen, authentisch bezeugt
oder rekonstruiert, lebendig vor
Augen geführt:
Eine Begegnung
Lange vor
Sonnenaufgang stand, ganz allein,
ein Mann am Bahnhof eines kleinen
Dorfes und wartete auf den Zug. Nach
geraumer Zeit kam ein anderer hinzu,
der mit ihm gerne ins Gespräch
kommen wollte. Lässig
vorbeischlendernd, flüsterte er: "Besrölche?"
Und der Angesprochene erwiderte: "Tauras
Mausche Emmes."
Dieser kurze Wortwechsel birgt
tiefgründige Jüdischkeit. Wird vom
erfragten Wort das Diminutiv
weggelassen, bleibt Besröl, eine
umgangssprachliche, volkstümliche
Abwandlung von Bes-Jisroel = Haus
Israels. Was der Mann also gefragt
hatte, ist "Bist du ein Jude?" Und
anstatt mit einem einfachen Ja zu
antworten, brachte der Gefragte die
altjüdische Maxime an: "So wahr wie
Moses' Thora."
- 12 Kreuzer,
Siegfried, s. Anm. 1.
- 13 Mertes,
Dr. Alois, s. Anm. 3.
- 14 Sella, Gad
Hugo, s. Anm. 2.
Aus der Familie
Frau: Haste
net die letzte Schmue aus
der kille gehört? Dem Katzef
Naftoli sei Bocher is nach
Großmokem gefahre zum
Behemesschuck, un ooser is
er zurückgekomme. E
Rachmones für so en bekowede
Barjisroel, wo dem schofle
Dallesmann nor hat wolle e
Parnose gewe, un so e
Chasserkopp geht wajiwwerach
mit all dem Mesumen - e
Charbenebusche für die ganz
Mischpoche.
Herr: Redd doch kei Schtuß
wie e unbedamte Nekewe! Ich
kenn das Schlaumele scho
lang, so e bechenter Bocher
dud kei Neweres. Dem sei
Owaus Awausenu warn all
Chasonim in die Kaffs um
Zelemokem. Der hat eschwer e
Chaljes krieht un is bei
unserm Korew Meier Falk
Borech, un Sore Riwke, die
gut Neschomme, gibt em
Refues. Du werscht sehn - am
Schabbes geht er in die groß
Schul in der Friddberjer
Anlag ore, nach Hawdole
nemmt er de Nachtzug, un am
Joum olf is er widder zum
Minjen for Schachriß. Wart
liewer un du net schkoreme.
Frau: Dei Zidkes und dei
Chalaumes! E Chajes macht er
sich mit de Nafkes, chaumele
dud er mit de miese
Chaffruse dort! Ins
Schefflebajis gehört er für
sei Schiffles. Nor solls Kol
Aulem net erfahre, sonst
gibt's Risches, un mir habbe
grad dajenu Bilbulem,
laulone.
Herr: Meschugge biste mit
dei Gedibber. Geh liewer in
Schul un sag Sliches für all
die Hackel-Hewel-Maases. Ich
geh jetzt zu meim Schochen,
wo genuch Daajes hat, un
gebb ihm ebbes Nechome. Un
du mach Soff mit all deine
Schmues, die doch kei Emmes
net sin, nor Kinnesinne, du
schautische Chochemte! |
Frau: Hast du
denn nicht das letzte
Gerücht aus der Gemeinde
gehört? Des Metzgers Naftali
Gesell ist nach Frankfurt
zum Viehmarkt gefahren, und
- beileibe! - er ist nicht
zurückgekommen. Mitleid mit
so einem ehrenhaften Juden,
der dem niederträchtigen
Habenichts doch nur eine
Verdienstmöglichkeit hat
geben wollen, und so ein
Schweinekerl macht sich aus
dem Staub mit all dem
Bargeld - Scham und Schande
ist's für die ganze Familie!
Herr: Rede doch keinen
Unsinn wie ein
geschmackloses Weib! Ich
kenne das Salomonchen schon
lange, so ein charmanter
Jüngling versündigt sich
nicht. All seine Vorfahren
waren Kantoren in den
Dörfern bei Kreuznach.
Vielleicht ist er erkrankt
und ist bei unserem
Verwandten Meier Falk
Baruch, und Sarah-Rebekka,
die treue Seele, gibt ihm
Arzneien. Du wirst sehen -
am Schabbat geht er in die
große Synagoge in der
Friedberger Anlage beten,
nach dem
Unterscheidungssegen (am
Schabbatausgang) nimmt er
den Nachtzug, und am Sonntag
ist er wieder da zur
(erforderlichen) Zehnzahl
für das Morgengebet. Warte
lieber ab und lüge nicht.
Frau: Dein (naives)
Rechtsgefühl und deine
Träumereien! Ein schönes
Leben macht er sich mit den
leichten Mädchen, ins Bett
geht er mit der üblen
Gesellschaft dort! Ins
Gefängnis gehört er für die
Niederträchtigkeit.
Daß es nur die
Öffentlichkeit nicht
erfährt, sonst erweckt das
Antisemitismus, und wir
haben doch grade genug
Kopfverdrehungen, - mögen
wir verschont bleiben!
Herr: Du bist ja verrückt
mit deinem Geplapper. Geh
lieber in die Synagoge und
sage Bußgebete für all die
eitlen Geschichtchen. Ich
geh jetzt zu meinem
Nachbarn, der genug Sorgen
hat, und gebe ihm ein wenig
Trost. Du aber mach Schluß
mit all deinem Gerede, an
dem doch keine Wahrheit
haftet, nur Neid, du
närrische Überkluge! |
Vom Handel
A. War das e
schlechter Massematten! Bes
mes nun Schuck hat der
Saucher für die chaloesdigge
Pore genausent, obwohl die
Kafronem ihm gesagt hatten,
in der trefene Medine bei
Toches Meloches Ziaun net zu
kanjenen. Jetzt hat er e
Nabbels'chore im Stall, un
is sowieso e schlechter
Maucher. Chauser will er nit
werden, der Schlemiel,
mechulle wird er mache.
B. Das soll keinem Amche
passiern, chass wescholem!
Ich werd ihm die Eze geben,
e Mekach mit Isses zu mache,
da gibts kei Bues. Mit e
paar Ratt kommt er wirrer zu
Gewure. Die malwen ich dem
Dalfen. En Auscher bin ich
auch nit, abber das bin ich
seim Dachschetche chajew.
A. Gebenscht sollst du sein
für so ne Mitzwe, dem Schem
Jisborech zu le-chowed. |
A. War das
ein schlechtes Geschäft!
Zweihundertfünfzig Mark hat
der Händler für die kranke
Kuh gegeben, obwohl die
Dorfleute ihm gesagt hatten,
in der widerlichen Umgebung
um Aschaffenburg nichts
anzukaufen. Jetzt hat er
eine nur als Schlachtvieh
taugliche Ware im Stall, und
ein schlechter Verkäufer ist
er sowieso. Er will's nicht
rückgängig machen, der
Tölpel, sein Geschäft wird
zugrunde gehen.
B. Das möge niemandem aus
unserm Volk widerfahren,
behüte Gott! Ich werde ihm
den Rat geben, einen Handel
mit Ziegen zu machen, da
gibt's keine Lungenbläschen
(Tuberkulose). Mit ein paar
Reichstalern kommt er wieder
auf die Beine. Die leih ich
dem armen Teufel. Ein
Reicher bin ich auch nicht,
aber das bin ich seinem
Schätzchen schuldig.
A. Sei gesegnet für so eine
gute Tat, dem Herrn,
gepriesen sei er, zur Ehre. |
Es ist klar
ersichtlich, daß die hebräischen
Worte ebenso wie die deutschen
Veränderungen erfahren haben. Verben
erhalten deutsche Vor- und
Nachsilben (vermasseln = vereiteln,
verderben, von Masal = Glück;
sarfenen = brennen, von sarof =
brennen, sogar abgesarfent =
abgebrannt).
Komposita, auch wenn beide Wortteile
hebräisch sind, stellen das
Grundwort dem Bestimmungswort nach,
während es im Iwrith umgekehrt ist (Chasserboser
= Schweinefleisch).
Selbstredend sind sehr viele Worte,
wie beschrieben, Allgemeingut der
deutschen Sprache geworden, andere
haben sich nur regional behaupten
können und sind in mehreren Fällen
Gegenstand der Landschafts- und
Folkloreforschung. Was aber in ganz
Süd- und Westdeutschland, sogar in
Friesland, ein fester Bestandteil
des bäuerlichen Lebens war, ist die
Ausdrucksweise der Viehhändler. Als
Ergebnis der vorerwähnten besonderen
Auflagen ist der Viehhandel quasi
ein Monopol der Landjuden geworden,
und ihr Jüdischdeutsch wurde zur
Fachsprache des Gewerbes, das auch
von den christlichen Bauern
verstanden und gesprochen wurde. So
ist denn die Sprache aus dem engen
Rahmen der anfänglichen Kryptologie
herausgetreten. Dem deutschen
Heimatforscher wird sich sicherlich
in jedem Dorf ein Vokabularium aus
diesem wichtigen Handelsbereich
auftun, wenn er ältere und sehr alte
Bauersleute befragt. Deren gibt es
aber immer weniger.
Der Sprachwissenschaftler Werner
Weinberg15
hat nach jahrelanger, mühevoller
Sammeltätigkeit ein für jeden
Forscher unverzichtbares Buch
geschrieben, das er als eine
"ergreifende Rückreise in eine erst
in unserer Zeit verschwundene Welt"
bezeichnet. Dem Buch gab er den
schmerzlichen Titel "Die Reste des
Jüdischdeutschen". Er selbst, eine
Kapazität auf diesem Gebiet, ist
sich bewusst, dass seine und all
seiner zahlreichen Mithelfer
Vorfahren sich einer viel reicheren
Fülle von Einzelworten,
Wortzusammenstellungen und
Redewendungen bedienen konnten. Das
für uns Überlebende der Shoah
Verlorengegangene aus dem Kulturgut
Jüdischdeutsch ist mit vielen seiner
Sprecher im Rauch von Auschwitz zum
Himmel geweht worden.
Die Sprachbezeichnung
"Jüdischdeutsch", die Werner
Weinberg bewußt beibehält, wird von
jüngeren Linguisten angefochten. Sie
verstehen unser Idiom als eine
Sparte der Weltsprache Jiddisch,
lassen bestenfalls "Westjiddisch"
gelten. Diese Einstellung, wenn auch
rein wissenschaftlich vertretbar,
widerstrebt dem Empfinden vieler
Überlebender. Mag auch Emotion, wie
hier, kein Faktor bei der Wahl von
Fachausdrücken sein, so soll doch im
Auge behalten werden, daß die von
uns benützte Bezeichnung sicherlich
jahrhundertealt ist und außer dem
Sprachlichen auch wirtschaftliche
und vor allem soziologische Aspekte
aufweist. Das Adjektiv jiddisch ist
erst seit dem 19. Jahrhundert in
Gebrauch, das englische bzw.
amerikanische Yiddish kommt seit
1886 vor. Es sind Entlehnungen aus
dem Deutschen.16
Vorstellbar ist: jüdischdeutsch -
jüdd-dütsch (Kölner Dialekt, dann,
da die hebräische Schrift keinen
Umlaut wiedergeben kann)
jidd-di(t)sch - und schon sind wir
beim global anerkannten Begriff
angelangt, der unser altes
Jüdischdeutsch, seinen historischen
Ausgangspunkt, überflügelt.
"Westjiddisch" würde auch etwa die
eigenständige Sondersprache der
niederländischen Juden mit der
unsrigen unter einen Hut bringen.17
Die jüdische Ansässigkeit in
Deutschland hat sich auf ganz
verschiedenen Ebenen in
Wortschöpfungen dokumentiert. Ein
Beispiel gehässiger Art liefert der
Deutsche Wortatlas18
auf der Landkarte, die das Wort
"Pilz" vorstellt. Da werden wir
belehrt, daß man dieses Gewächs in
einem Landstrich nordwestlich von
Köln "Jüddefleesch" nannte bzw.
nennt. Was dahintersteckt, ist nicht
nur ländliche Folklore mit ihrem
Aberglauben, es ist auch die
christliche Kirche, die sich auf
hetzerische Theologen berufen kann.
Das Spannungsfeld der
Soziolinguistik tut sich hier in
großer Deutlichkeit auf.
Heiterer wird es, wenn der Schöpfer
der deutschen Romantik in der Musik,
Carl Maria von Weber, einen
jüdischdeutschen Ausdruck, und zudem
noch einen aus dem
Familienzeremoniell des
Versöhnungstags, aufgreift. Eine
Arie, die er zu einem Bühnenwerk des
früh verstorbenen Anton Fischer
beisteuerte, lautet "Mein Weib ist
Kapores".19
Heutzutage wird in Deutschland oft
Jüdisches geboten, im Radio, im
Fernsehen, auf Bühnen. Es ist
durchwegs Ostjüdisches, also
Jiddisch. Veranstalter wie
Ausführende wissen nicht, daß es
einmal ein urwüchsiges,
bodenständiges deutsches Judentum
mit dem ihm eigenen Jüdischdeutsch
gegeben hat. Das alles ist passé.
Der harte Kern der Juden, die heute
in Deutschland leben, sind ehemalige
"Displaced persons" aus Osteuropa,
die das deutsche Judentum nicht
fortzuführen vermögen, wenngleich
dies gelegentlich behauptet wird.20
Das hier eingehender besprochene,
aber beileibe nicht erschöpfte
Kapitel des Hebräischen im Deutschen
ist zweifelsohne sehr wichtig.
Ein anderes Phänomen steht ihm an
geschichtlicher Bedeutung jedoch
nicht nach: das Auftreten Martin
Luthers mit seiner deutschen
Übersetzung der Bibel aus dem
hebräischen Original. Was dazu das
"Philo-Lexikon", "Handbuch des
jüdischen Wissens" aussagt, kann
nicht genug hervorgehoben werden:
"Luther, Martin, 1483-1546, Schöpfer
der klassischen deutschen
Bibelübersetzung (zugleich erste
deutsche Übersetzung aus hebräischem
Original), durch deren Vermittlung
alt jüdischer Stil, Geist und
Vorstellungswelt Wesensbestandteile
der deutschen Volksund
Schriftsprache geworden sind."
Diese bedeutungsschweren Worte
bewirken Bewunderung und Staunen
zugleich, ist doch das Philo-Lexikon
in seinen vier Auflagen im Berliner
Philo Verlag zwischen 1935 und 1937
im "Dritten Reich" erschienen.21
Unter dem Stichwort "Wendungen,
biblische" zählt das Handbuch recht
vieles auf, das Luther aus dem
jüdischen Geist in den deutschen
Sprachgebrauch und somit in das
Wesen der Deutschen eingepflanzt
hat. So, zum Beispiel, allgemeine
Begriffe und Redewendungen: im
Schweiße des Angesichts (G 3,19),
himmelschreiend (G 4,10), ehrliches
Begräbnis (G 23,6), unser Fleisch
und Blut (G 37,27), durch die Finger
sehen (L 20,4), Menschensohn (NU
23,19 u. ö.), Dorn im Auge (NU
33,55), vom Scheitel bis zur Sohle
(D 28,35), Zetergeschrei (Jr 12,6),
Herz und Nieren prüfen (Jr 17,10),
Denkzettel (Maleachi 3,16),
Heidenlärm (Ps 2,1), Jammertal (Ps
84,7), auf keinen grünen Zweig
kommen (Hi 15,32), Gewissensbiß (Hi
27,6), bis hierher und nicht weiter
(Hi 38,11), den Hals kosten (I. Chr.
12,19).
An Eigennamen gebunden: Kainszeichen
(G 4,15), Methusalems Alter (G
5,27), babylonische Verwirrung (G
11,9), der keusche Josef (G
39,7ff.), ägyptische Finsternis (E
10,21 ff.), Uriasbrief (II. Sm.
11,14), Salomonisches Urteil (I. Kg.
3,16ff.), Hiobspost (Hi 1,14-19).
An Erzählungen und Vorstellungen
gebunden: Feigenblatt (G 3,7),
Linsengericht (G 25,34), fette und
magere Jahre (G 41), goldenes Kalb
(E 32,1 ff.), Allerheiligstes (E
26,33), Sündenbock (L 16), Koloß auf
tönernen Füßen (Da 2,31 ff.).
Zitate: Das Dichten des menschlichen
Herzens ist böse von Jugend auf (G
8,21); Der Mensch lebt nicht vom
Brot allein (D 8,3); Die Rache ist
mein (D 32,35); Mein Gott, mein
Gott, warum hast du mich verlassen?
(Ps 22,2); Der Herr ist mein Hirte (Ps
23,1); Unser Leben währet siebzig
Jahre (Ps 90,10); Den Seinen gibt's
der Herr im Schlaf (Ps 127,2).
Martin Buber und Franz Rosenzweig
haben auf ihre eigene Weise die
Heilige Schrift zu verdeutschen
unternommen22
und nannten es "eine Nachdichtung".
Sie fanden bei Luther eine
Wortbildung, die ihnen derart
zutreffend schien, daß sie sie
wörtlich übernahmen: Jes. 8,3 -
Eilebeute - Raubebald.
Was in biblischen Tagen begann, ist
noch nicht abgeschlossen. Der
Zionismus und der Staat Israel haben
ein Scherflein zur Bereicherung des
Deutschen beigetragen. Wohlvertraut
sind die Bundesbürger mit Schalom
und Kibbuz, mit Knesset und Aliya.
Während der Kämpfe vor der
Staatsgründung wußte man um die
Selbstwehr Hagana und die
Splittergruppen Etzel und Lechi, die
heutige Armee wird als Zahal oft
erwähnt. Man kommt auf die
Ursprungsformen der Vornamen zurück,
sagt Jitzchak anstatt Isaak, Schim'on
anstatt Simon, Rebekka weicht der
"richtigen" Riwka, auch Mirjam kommt
zu ihrem Recht. Gläubige Christen
wenden sich zu Jeschua.
Schoah und Yad Vashem sind aus dem
deutschen Wortschatz nicht mehr
wegzudenken. In ihrem Schatten mögen
drei eingangs erwähnte Ortsnamen aus
der deutschen Landkarte heraustreten
und in ihrer ursprünglichen
Bedeutung festen Eingang in die
Gemüter und die Gedankenwelt der
Menschen vom Rhein bis zum Jordan
finden:
Heskem - Gescher - Salem.
- 15 Weinberg,
Werner, Die Reste des
Jüdischdeutschen. 2., erweiterte
Aufl. Stuttgart, Kohlhammer,
1973. (Studia Delitzschiana,
Münster (Westfalen), Bd. 12.)
- 16 Kluge,
Friedrich, Etymologisches
Wörterbuch der deutschen
Sprache. 17. Aufl., bearbeitet
von Walther Mitzka. Berlin,
Walter de Gruyter, 1957.
- 17 Beera, H.,
Jerosche: Jiddische
Spreekwoorden en Zegswijzen uit
het Nederlandse Taalgebied.
Assen, 1959.
Sh'erit, Resten von een taal.
Assen, van Gorcum, 1967.
- 18 Deutscher
Wortatlas. Hg. Walther Mitzka.
Gießen, Schmitz, 1952f.
- 19 Gehrmann,
Hermann, Carl Maria von Weber.
Berlin, Harmonie, 1899.
(Berühmte Musiker, hrg. von
Heinrich Reirnann, Bd. V.)
- 20 Siehe
hierzu auch Schoeps, Julius H.,
Leiden an Deutschland. München,
Piper, 1990. Insbesondere darin
"Zur Struktur der jüdischen
Gemeinschaft", p. 97.
- 21
Unveränderter Nachdruck der
Erstausgabe von 1935 bei
Jüdischer Verlag im Athenäum
Verlag, 1985.
- 22 Buber,
Martin, Die Schrift. Zu
verdeutschen unternommen von
Martin Buber gemeinsam mit Franz
Rosenzweig. Berlin. Lambert
Schneider, o. J. Bd. X: Das Buch
Jesehajahu.
Quelle: "Festschrift aus Israel",
herausgegeben 1994 von Shmuel Bahagon, zum 70. Geburtstag von
Niels Hansen, ehemals deutscher Botschafter in Israel:
Recht und Wahrheit bringen Frieden. |