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Judentum und Israel
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Westjiddisch?
Jüdisch-Deutsches Wörterbuch

Josef Stern, Hebräisches im Deutschen

Juden und Nicht Juden widmen sich liebevoll dem Jüdischdeutschen, das zuvor die Sprache aller deutschen Juden war und nun als Gebrauchssprache - im Unterschied zum Jiddischen - ausgestorben ist.

Das begann schon viel früher. Als sich Moses Mendelssohn für die Emanzipation der Juden einsetzte, schärfte er ihnen als erstes ein: redet hochdeutsch! Seitdem hat diese Sprache der Juden, ganz besonders in den großen Städten, einen Schwund erlebt, denn man betrachtete sie fortan als Schmach. In den Landjudengemeinden und -familien jedoch ist Jüdischdeutsch in fast seinem ganzen Umfang weitergesprochen worden, bis zum bitteren Ende.

Den Beginn unseres Mischidioms zu erkunden, müssen wir weit zurückgreifen. Eine eindeutige These hierzu kann es nicht geben, wie denn auch der zuvor kurz dargestellten Entstehungsgeschichte des deutschen Judentums andere Theorien entgegenstehen. Die frühe Ansässigkeit der Juden innerhalb des römischen Limes mag so verlaufen sein, wie die der vielen herumwandernden Stämme. Einen ersten schriftlichen Beweis einer jüdischen Gemeinde finden wir in einem Erlaß des Kaisers Konstantin aus dem Jahre 321, und da war sie in Köln bereits wohletabliert, vielleicht also einige Generationen alt.

Traditionell der Landwirtschaft verbunden, werden sich die israelitischen Familien so ernährt haben wie die anderen Landesbewohner auch - bis eine gehässige Zäsur eintrat: die christliche Kirche stellte sich gegen sie, verfolgte, beschuldigte, peinigte sie. Die der Kirche hörigen Landesherren verhängten Sondergesetze und Sondersteuern, verwehrten ihnen Landbesitz und wiesen sie aus. Zu all dem verboten die Zünfte ihnen die Ausübung der Handwerke. Oft endete es mit Plünderung und Mord - und nie vermochten sich Juden physisch zu wehren. Doch eine Waffe hatten sie, hinter der sie sich verschanzen konnten: die stets gehegte eigene Sprache. Mit ihrer Hilfe war es möglich, sich untereinander zu verständigen, ohne daß ihre Peiniger es verstanden, und ihre Pläne und Absichten konnten vor den Christen geheimgehalten werden.

Die Landessprache in all ihren Dialekten war längst zu ihrer Umgangssprache geworden, und in sie flochten sie hebräische Wörter ein. Das Jüdischdeutsch der israelitischen Bevölkerung wurde aus der Not geboren, es war eine Kryptologie, eine verdeckende Sprache.

Noch ein wichtiger Faktor spielt hier mit. Irgendwann in der Frühzeit des deut­schen Judentums entwickelte sich die aschkenasische Aussprache des Hebräi­schen. Ansatzpunkte dazu waren sicherlich von Anfang an vorhanden, denn im Vergleich mit anderen jüdischen Exilgruppen, vor allem den Jemeniten, werden erstaunliche Gleichheiten hörbar. Das Kamaz des mit hebräischen Buchstaben Geschriebenen wird zu o, das Cholam zu au, und das unpunktierte Thav zu s. Hinzu kommt, unter dem Einfluß des Deutschen und seiner Dialekte, die Verlegung der Betonung von der letzten auf die vorletzte Silbe (die meisten Wörter des üblichen Iwrith sind letztsilbig betont), und die Abflachung des auslautenden Vokals in ein lässiges e. Zur Veranschaulichung diene der schöne 29. Vers aus dem Abschlußkapitel (XXXI) der Proverbia, zunächst im heute so bezeichneten Sefardisch, darunter in der aschkenasischen Wiedergabe:

Rabóth
Banóth asu
Chajil veat
'aljth
al kulanah.
Rábaus
bónaus ósu
chajil w'at ólis
al kulóno.

Von den zahlreichen Vokabeln seien noch einige erwähnt:

  Iwrith übersetzt Bedeutung im Jüdischdeutschen
schofel schafel niedrig von niedriger Gesinnung
betucht betach, batuach sicher sichergestellt, reich
pleite liphleta entronnen, der Schuldhaft bankrott
meschugge meschugah irrsinnig verrückt
schmusen sch'mua Gerücht liebkosend reden, schwatzen
mies miuss Abscheu häßlich, schlecht
Zores Zaroth Nöte Unannehmlichkeiten
Mackes Makkoth Schläge Fehler, auch Hiebe
schkoremen schaker lügen lügen
Kozen Kazin bibl. Oberster, heute: Offizier wohlhabender Mann
Klafte Kalba, Kalbata Hündin streitsüchtige Frau
mejuschefdig m'juschaw beigelegt behaglich
Schachermajen schachor + majim schwarz + Wasser Kaffee
Chuzpeponem Chuzpa + Panjm Frechheit + Gesicht Frechdachs
oser assur verboten beileibe nicht!
Rachmones Rachmanut Erbarmen
 
Erbarmen
schkauch jischar koach Gott möge stärken deine Kraft danke
Eljenowe Eliahu Hanawi der Prophet Elijahu der Prophet Elijahu
Balleboste B'alat haBajith Herrin des Hauses Hausfrau
wajiwwerach wajiwrach (bibl.) "und er floh" aus dem Staub gemacht
tachless tachljt Zweck (einer Sache) mit Hand und Fuß, praktisch
Dalles Dalut Armut Armut
haulechen halach er geht gehen
chalausches chalasch schwach ohne viel Wert
Mejwen mewin er versteht Experte
Risches Risch'ut Böshaftigkeit Antisemitismus

Zu all dem gesellen sich Haushaltsworte, die noch aus der italienischen Epoche stammen:

oren beten von orare leinen lesen (der Thora) von legere
benschen segnen von benedicere porschen das Fleisch endgültig koscher machen von purgare

Das Prinzip der "verdeckenden Sprache" machten sich alsbald negative und kriminelle Elemente zunutze, und sie flochten in die von ihnen geschaffene Verständigungsweise auch aufgegriffene hebräische Ausdrücke ein. Es ist die "Gaunersprache", auch das "Rotwelsch", die leider allzu oft und unberechtigt mit dem Jüdischdeutschen gleichgesetzt werden. Einige Male haben Polizeioffiziere solche Wörter und Redensarten systematisch zusammengestellt und drucken lassen, damit Polizisten nicht hintergangen werden konnten und in diese Sprechweisen eingeweiht waren. Avé-Lallemant brachte 1862 in Leipzig das mehrbändige Werk "Das deutsche Gaunertum" heraus.8
Im 4. Band führt er das "Jüdischdeutsche Wörterbuch" und das "Wörterbuch der Gaunersprache" getrennt auf. Dieser aus Lübeck stammende hohe Polizeifunktionär legte in seinem Kolossalwerk ein tiefes Verständnis für den oft bedauerlichen Wirtschafts- und Gesellschaftszustand der Juden an den Tag, und er lobte diese sogar dafür, im Jüdischdeutschen altdeutsches Wortgut - etwa Leilach und Eidam - bewahrt zu haben, das ohne sie verlorengegangen wäre. (Zitiert nach Hermann Reisner.)
9

Ein Polizeikommissar in Hamm, Ernst Rabben, verfaßte 1905 (erschienen 1906) das ausführliche Buch "Die Gaunersprache", mit dem Untertitel "chochum loschen", was hier "Der (Neunmal-) Klugen Sprache" bedeutet. Die weitaus meisten seiner aufgeführten Begriffe entstammen allerdings nicht dem Hebräischen. Im Schlusswort seines 167 Seiten umfassenden Buches trifft der Verfasser eine bedenkenswerte Feststellung: Die deutsche Obrigkeit, die die jüdischen Bürger generationenlang benachteiligte, erniedrigte, drangsalierte und mannigfach verfolgte, trägt einzig und allein die Schuld daran, daß Personen dieser Bevölkerungsschicht mit den weitverbreiteten negativen und asozialen Elementen der nichtjüdischen Deutschen in Berührung gekommen sind.
10

  • 8 Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt, 1809-1892, Das deutsche Gaunertum. Leipzig, 1862. In Bd. IV: Jüdischdeutsches Wörterbuch und Wörterbuch der Gaunersprache, pp. 319-625.
  • 9 Reisner, Hermann, Hebräische Etymologie für den Hausgebrauch. Ramat Gan (Israel), Selbstverlag, 1947. Darin Kapitel 13: Gaunerdeutsch und Judendeutsch, bes. pp. 153-154.
  • 10 Rahben, Ernst, Die Gaunersprache (chochum loschen). Hamm, Breer & Thiemann, 1906.

Im großen und ganzen sind die hebräischen Ausdrücke, die in verschiedenen Gegenden ganz Deutschlands aufgezeichnet wurden und deren Kompilatoren nichts voneinander wußten, bedeutungsidentisch. Daraus kann auf die Kenntnis der Heiligen Sprache in weiten Kreisen der deutschen Judenheit geschlossen werden - zumindest bis zur abweisenden Haltung Mendelssohns. Sollte seit diesem Zeitpunkt der Schwund unseres Jüdischdeutsch auch Dorfgemeinden ergriffen haben, wird sicherlich ein Teil des Wortschatzes und der Redewendungen verlorengegangen sein. Der große Philosoph, der die längst fällige Judenemanzipation energisch in die Wege leitete, war sich nicht bewußt, daß mit der beabsichtigten Auslöschung der jahrhundertelang gepflegten Sondersprache all seiner deutschen Glaubensbrüder ein Kulturgut par excellence zerstört werden würde.

In den letzten Generationen bis zur Schoah trat an die Stelle einer profunden Hebräischkenntnis die Tradition. Der Wortschatz ging von den Großeltern auf Kinder und Enkel über, ohne daß man sich noch lange darüber aufhielt, was z. B. Zrajen = Geizhals, nämlich Zar-Ajin, beengten Auges bedeute, oder daß Bizemmli ein verkannter Plural von Beze (Bezah) ist, das Ei. Auch in der Schreibweise, die örtlich phonetischen Schwankungen ausgesetzt war, drückt es sich aus. Leben wechselt von Chajim zu Chajes und Kajes, Rausch, sich betrinken erscheint als Schicker, Schigger, Schikures, schickern. Selbstverständlich gab es auch Abweichungen vom Standard. In Hottenbach im Hunsrück, dessen Juden mit dem Handwägelchen über Land zogen und Kaninchenfelle, Altmaterial, Kurzwaren und sogar Kleinvieh anboten, wurde folgendes verzeichnet:
11

  Iwrith-Form übliche Bedeutung hier
Großkootzen groß + Kozin sehr reiche Person Verwandter
Kafrim Chawerim Kameraden, Mitglieder Teilhaber
Kodem katan, koton klein Kind
Jontoff Jom-tow Feiertag Aufhebens, Ärger
varooft ver + Ra'aw
(Hunger)
  verschlampt angezogen, wie ein Hungriger
Maucke Pusmak Strumpf Sparstrumpf
behämmat B'hema von Vieh dumm wie ein Vieh
Kochem Chacham Kluger Mann einer, der im Handelsgeschäft Glück hat
Schumbe Schemen, schamen Fett, fetthaltig Ackerland, Erdschollen
Massik masik verursacht Schaden (Pferd) kräftiger Draufschläger

11 Faust, A. P., Jiddisch in der Mundart von Hottenbach und Umgebung. Der Hunsrück, 2. Jg. 3. Ausgabe. Idar-Oberstein, Sudau, 1980. pp. 23-26.

Aus Österreich belehrt uns Siegfried Kreuzer über einige Besonderheiten:12
  Iwrith-Form übliche Bedeutung hier
Schalottenzwiebel Aschkelon    
Haberer Chawer Kamerad Freund
bahel machen B'hala Panik lärmen
       
Vorerwähnter Dr. Alois Mertes bereichert ebenfalls die Liste aus Neroth:13
nassauern natan,
naussen(en)
gibt, schenkt benimmt sich ausbeuterisch wie ein Nassauer
Massematten Massa uMatan geschäftliche Verhandlung unangenehme Sache, Prozeß
Und nochmals Neroth, wo die Juden mit Mäuse- und Rattenfallen handelten, wie es Gad Sella erfahren hat:14
odem adom rot braun
Rezeiach Rozeach Mörder störriges, bissiges Pferd

Nicht nur Worte sind es, die uns eine untergegangene Welt heraufbeschwören. Die Atmosphäre im Dorf wird uns mittels Unterhaltungen, authentisch bezeugt oder rekonstruiert, lebendig vor Augen geführt:

Eine Begegnung

Lange vor Sonnenaufgang stand, ganz allein, ein Mann am Bahnhof eines kleinen Dorfes und wartete auf den Zug. Nach geraumer Zeit kam ein anderer hinzu, der mit ihm gerne ins Gespräch kommen wollte. Lässig vorbeischlendernd, flüsterte er: "Besrölche?" Und der Angesprochene erwiderte: "Tauras Mausche Emmes."

Dieser kurze Wortwechsel birgt tiefgründige Jüdischkeit. Wird vom erfragten Wort das Diminutiv weggelassen, bleibt Besröl, eine umgangssprachliche, volkstümliche Abwandlung von Bes-Jisroel = Haus Israels. Was der Mann also gefragt hatte, ist "Bist du ein Jude?" Und anstatt mit einem einfachen Ja zu antworten, brachte der Gefragte die altjüdische Maxime an: "So wahr wie Moses' Thora."

  • 12 Kreuzer, Siegfried, s. Anm. 1.
  • 13 Mertes, Dr. Alois, s. Anm. 3.
  • 14 Sella, Gad Hugo, s. Anm. 2.

Aus der Familie

Frau: Haste net die letzte Schmue aus der kille gehört? Dem Katzef Naftoli sei Bocher is nach Großmokem gefahre zum Behemesschuck, un ooser is er zurückgekomme. E Rachmones für so en bekowede Barjisroel, wo dem schofle Dallesmann nor hat wolle e Parnose gewe, un so e Chasserkopp geht wajiwwerach mit all dem Mesumen - e Charbenebusche für die ganz Mischpoche.

Herr: Redd doch kei Schtuß wie e unbedamte Nekewe! Ich kenn das Schlaumele scho lang, so e bechenter Bocher dud kei Neweres. Dem sei Owaus Awausenu warn all Chasonim in die Kaffs um Zelemokem. Der hat eschwer e Chaljes krieht un is bei unserm Korew Meier Falk Borech, un Sore Riwke, die gut Neschomme, gibt em Refues. Du werscht sehn - am Schabbes geht er in die groß Schul in der Friddberjer Anlag ore, nach Hawdole nemmt er de Nachtzug, un am Joum olf is er widder zum Minjen for Schachriß. Wart liewer un du net schkoreme.

Frau: Dei Zidkes und dei Chalaumes! E Chajes macht er sich mit de Nafkes, chaumele dud er mit de miese Chaffruse dort! Ins Schefflebajis gehört er für sei Schiffles. Nor solls Kol Aulem net erfahre, sonst gibt's Risches, un mir habbe grad dajenu Bilbulem, laulone.

Herr: Meschugge biste mit dei Gedibber. Geh liewer in Schul un sag Sliches für all die Hackel-Hewel-Maases. Ich geh jetzt zu meim Schochen, wo genuch Daajes hat, un gebb ihm ebbes Nechome. Un du mach Soff mit all deine Schmues, die doch kei Emmes net sin, nor Kinnesinne, du schautische Chochemte!
Frau: Hast du denn nicht das letzte Gerücht aus der Gemeinde gehört? Des Metzgers Naftali Gesell ist nach Frankfurt zum Viehmarkt gefahren, und - beileibe! - er ist nicht zurückgekommen. Mitleid mit so einem ehrenhaften Juden, der dem niederträchtigen Habenichts doch nur eine Verdienstmöglichkeit hat geben wollen, und so ein Schweinekerl macht sich aus dem Staub mit all dem Bargeld - Scham und Schande ist's für die ganze Familie!

Herr: Rede doch keinen Unsinn wie ein geschmackloses Weib! Ich kenne das Salomonchen schon lange, so ein charmanter Jüngling versündigt sich nicht. All seine Vorfahren waren Kantoren in den Dörfern bei Kreuznach. Vielleicht ist er erkrankt und ist bei unserem Verwandten Meier Falk Baruch, und Sarah-Rebekka, die treue Seele, gibt ihm Arzneien. Du wirst sehen - am Schabbat geht er in die große Synagoge in der Friedberger Anlage beten, nach dem Unterscheidungssegen (am Schabbatausgang) nimmt er den Nachtzug, und am Sonntag ist er wieder da zur (erforderlichen) Zehnzahl für das Morgengebet. Warte lieber ab und lüge nicht.

Frau: Dein (naives) Rechtsgefühl und deine Träumereien! Ein schönes Leben macht er sich mit den leichten Mädchen, ins Bett geht er mit der üblen Gesellschaft dort! Ins Gefängnis gehört er für die Niederträchtigkeit.

Daß es nur die Öffentlichkeit nicht erfährt, sonst erweckt das Antisemitis­mus, und wir haben doch grade genug Kopfverdrehungen, - mögen wir verschont bleiben!

Herr: Du bist ja verrückt mit deinem Geplapper. Geh lieber in die Synagoge und sage Bußgebete für all die eitlen Geschichtchen. Ich geh jetzt zu meinem Nachbarn, der genug Sorgen hat, und gebe ihm ein wenig Trost. Du aber mach Schluß mit all deinem Gerede, an dem doch keine Wahrheit haftet, nur Neid, du närrische Überkluge!

Vom Handel

A. War das e schlechter Massematten! Bes mes nun Schuck hat der Saucher für die chaloesdigge Pore genausent, obwohl die Kafronem ihm gesagt hatten, in der trefene Medine bei Toches Meloches Ziaun net zu kanjenen. Jetzt hat er e Nabbels'chore im Stall, un is sowieso e schlechter Maucher. Chauser will er nit werden, der Schlemiel, mechulle wird er mache.

B. Das soll keinem Amche passiern, chass wescholem! Ich werd ihm die Eze geben, e Mekach mit Isses zu mache, da gibts kei Bues. Mit e paar Ratt kommt er wirrer zu Gewure. Die malwen ich dem Dalfen. En Auscher bin ich auch nit, abber das bin ich seim Dachschetche chajew.

A. Gebenscht sollst du sein für so ne Mitzwe, dem Schem Jisborech zu le-chowed.
A. War das ein schlechtes Geschäft! Zweihundertfünfzig Mark hat der Händler für die kranke Kuh gegeben, obwohl die Dorfleute ihm gesagt hatten, in der widerlichen Umgebung um Aschaffenburg nichts anzukaufen. Jetzt hat er eine nur als Schlachtvieh taugliche Ware im Stall, und ein schlechter Verkäufer ist er sowieso. Er will's nicht rückgängig machen, der Tölpel, sein Geschäft wird zu­grunde gehen.

B. Das möge niemandem aus unserm Volk widerfahren, behüte Gott! Ich werde ihm den Rat geben, einen Handel mit Ziegen zu machen, da gibt's keine Lungenbläschen (Tuberkulose). Mit ein paar Reichstalern kommt er wieder auf die Beine. Die leih ich dem armen Teufel. Ein Reicher bin ich auch nicht, aber das bin ich seinem Schätzchen schuldig.

A. Sei gesegnet für so eine gute Tat, dem Herrn, gepriesen sei er, zur Ehre.

Es ist klar ersichtlich, daß die hebräischen Worte ebenso wie die deutschen Veränderungen erfahren haben. Verben erhalten deutsche Vor- und Nachsilben (vermasseln = vereiteln, verderben, von Masal = Glück; sarfenen = brennen, von sarof = brennen, sogar abgesarfent = abgebrannt).

Komposita, auch wenn beide Wortteile hebräisch sind, stellen das Grundwort dem Bestimmungswort nach, während es im Iwrith umgekehrt ist (Chasserboser = Schweinefleisch).

Selbstredend sind sehr viele Worte, wie beschrieben, Allgemeingut der deutschen Sprache geworden, andere haben sich nur regional behaupten können und sind in mehreren Fällen Gegenstand der Landschafts- und Folkloreforschung. Was aber in ganz Süd- und Westdeutschland, sogar in Friesland, ein fester Bestandteil des bäuerlichen Lebens war, ist die Ausdrucksweise der Viehhändler. Als Ergebnis der vorerwähnten besonderen Auflagen ist der Viehhandel quasi ein Monopol der Landjuden geworden, und ihr Jüdischdeutsch wurde zur Fachsprache des Gewerbes, das auch von den christlichen Bauern verstanden und gesprochen wurde. So ist denn die Sprache aus dem engen Rahmen der anfänglichen Kryptologie herausgetreten. Dem deutschen Heimatforscher wird sich sicherlich in jedem Dorf ein Vokabularium aus diesem wichtigen Handelsbereich auftun, wenn er ältere und sehr alte Bauersleute befragt. Deren gibt es aber immer weniger.

Der Sprachwissenschaftler Werner Weinberg
15 hat nach jahrelanger, mühevoller Sammeltätigkeit ein für jeden Forscher unverzichtbares Buch geschrieben, das er als eine "ergreifende Rückreise in eine erst in unserer Zeit verschwundene Welt" bezeichnet. Dem Buch gab er den schmerzlichen Titel "Die Reste des Jüdischdeutschen". Er selbst, eine Kapazität auf diesem Gebiet, ist sich bewusst, dass seine und all seiner zahlreichen Mithelfer Vorfahren sich einer viel reicheren Fülle von Einzelworten, Wortzusammenstellungen und Redewendungen bedienen konnten. Das für uns Überlebende der Shoah Verlorengegangene aus dem Kulturgut Jüdischdeutsch ist mit vielen seiner Sprecher im Rauch von Auschwitz zum Himmel geweht worden.

Die Sprachbezeichnung "Jüdischdeutsch", die Werner Weinberg bewußt beibehält, wird von jüngeren Linguisten angefochten. Sie verstehen unser Idiom als eine Sparte der Weltsprache Jiddisch, lassen bestenfalls "Westjiddisch" gelten. Diese Einstellung, wenn auch rein wissenschaftlich vertretbar, widerstrebt dem Empfinden vieler Überlebender. Mag auch Emotion, wie hier, kein Faktor bei der Wahl von Fachausdrücken sein, so soll doch im Auge behalten werden, daß die von uns benützte Bezeichnung sicherlich jahrhundertealt ist und außer dem Sprachlichen auch wirtschaftliche und vor allem soziologische Aspekte aufweist. Das Adjektiv jiddisch ist erst seit dem 19. Jahrhundert in Gebrauch, das englische bzw. amerikanische Yiddish kommt seit 1886 vor. Es sind Entlehnungen aus dem Deutschen.
16 Vorstellbar ist: jüdischdeutsch - jüdd-dütsch (Kölner Dialekt, dann, da die hebräische Schrift keinen Umlaut wiedergeben kann) jidd-di(t)sch - und schon sind wir beim global anerkannten Begriff angelangt, der unser altes Jüdischdeutsch, seinen historischen Ausgangspunkt, überflügelt.

"Westjiddisch" würde auch etwa die eigenständige Sondersprache der niederländischen Juden mit der unsrigen unter einen Hut bringen.17

Die jüdische Ansässigkeit in Deutschland hat sich auf ganz verschiedenen Ebenen in Wortschöpfungen dokumentiert. Ein Beispiel gehässiger Art liefert der Deutsche Wortatlas
18 auf der Landkarte, die das Wort "Pilz" vorstellt. Da werden wir belehrt, daß man dieses Gewächs in einem Landstrich nordwestlich von Köln "Jüddefleesch" nannte bzw. nennt. Was dahintersteckt, ist nicht nur ländliche Folklore mit ihrem Aberglauben, es ist auch die christliche Kirche, die sich auf hetzerische Theologen berufen kann. Das Spannungsfeld der Soziolinguistik tut sich hier in großer Deutlichkeit auf.

Heiterer wird es, wenn der Schöpfer der deutschen Romantik in der Musik, Carl Maria von Weber, einen jüdischdeutschen Ausdruck, und zudem noch einen aus dem Familienzeremoniell des Versöhnungstags, aufgreift. Eine Arie, die er zu einem Bühnenwerk des früh verstorbenen Anton Fischer beisteuerte, lautet "Mein Weib ist Kapores".
19

Heutzutage wird in Deutschland oft Jüdisches geboten, im Radio, im Fernsehen, auf Bühnen. Es ist durchwegs Ostjüdisches, also Jiddisch. Veranstalter wie Ausführende wissen nicht, daß es einmal ein urwüchsiges, bodenständiges deutsches Judentum mit dem ihm eigenen Jüdischdeutsch gegeben hat. Das alles ist passé.

Der harte Kern der Juden, die heute in Deutschland leben, sind ehemalige "Displaced persons" aus Osteuropa, die das deutsche Judentum nicht fortzuführen vermögen, wenngleich dies gelegentlich behauptet wird.
20 Das hier eingehender besprochene, aber beileibe nicht erschöpfte Kapitel des Hebräischen im Deutschen ist zweifelsohne sehr wichtig.

Ein anderes Phänomen steht ihm an geschichtlicher Bedeutung jedoch nicht nach: das Auftreten Martin Luthers mit seiner deutschen Übersetzung der Bibel aus dem hebräischen Original. Was dazu das "Philo-Lexikon", "Handbuch des jüdischen Wissens" aussagt, kann nicht genug hervorgehoben werden: "Luther, Martin, 1483-1546, Schöpfer der klassischen deutschen Bibelübersetzung (zugleich erste deutsche Übersetzung aus hebräischem Original), durch deren Vermittlung alt jüdischer Stil, Geist und Vorstellungswelt Wesensbestandteile der deutschen Volks­und Schriftsprache geworden sind."

Diese bedeutungsschweren Worte bewirken Bewunderung und Staunen zugleich, ist doch das Philo-Lexikon in seinen vier Auflagen im Berliner Philo Verlag zwischen 1935 und 1937 im "Dritten Reich" erschienen.
21 Unter dem Stichwort "Wendungen, biblische" zählt das Handbuch recht vieles auf, das Luther aus dem jüdischen Geist in den deutschen Sprachgebrauch und somit in das Wesen der Deutschen eingepflanzt hat. So, zum Beispiel, allgemeine Begriffe und Redewendungen: im Schweiße des Angesichts (G 3,19), himmel­schreiend (G 4,10), ehrliches Begräbnis (G 23,6), unser Fleisch und Blut (G 37,27), durch die Finger sehen (L 20,4), Menschensohn (NU 23,19 u. ö.), Dorn im Auge (NU 33,55), vom Scheitel bis zur Sohle (D 28,35), Zetergeschrei (Jr 12,6), Herz und Nieren prüfen (Jr 17,10), Denkzettel (Maleachi 3,16), Heidenlärm (Ps 2,1), Jammertal (Ps 84,7), auf keinen grünen Zweig kommen (Hi 15,32), Gewissensbiß (Hi 27,6), bis hierher und nicht weiter (Hi 38,11), den Hals kosten (I. Chr. 12,19).

An Eigennamen gebunden: Kainszeichen (G 4,15), Methusalems Alter (G 5,27), babylonische Verwirrung (G 11,9), der keusche Josef (G 39,7ff.), ägyptische Finsternis (E 10,21 ff.), Uriasbrief (II. Sm. 11,14), Salomonisches Urteil (I. Kg. 3,16ff.), Hiobspost (Hi 1,14-19).

An Erzählungen und Vorstellungen gebunden: Feigenblatt (G 3,7), Linsengericht (G 25,34), fette und magere Jahre (G 41), goldenes Kalb (E 32,1 ff.), Allerheiligstes (E 26,33), Sündenbock (L 16), Koloß auf tönernen Füßen (Da 2,31 ff.). Zitate: Das Dichten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf (G 8,21); Der Mensch lebt nicht vom Brot allein (D 8,3); Die Rache ist mein (D 32,35); Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? (Ps 22,2); Der Herr ist mein Hirte (Ps 23,1); Unser Leben währet siebzig Jahre (Ps 90,10); Den Seinen gibt's der Herr im Schlaf (Ps 127,2).

Martin Buber und Franz Rosenzweig haben auf ihre eigene Weise die Heilige Schrift zu verdeutschen unternommen
22 und nannten es "eine Nachdichtung". Sie fanden bei Luther eine Wortbildung, die ihnen derart zutreffend schien, daß sie sie wörtlich übernahmen: Jes. 8,3 - Eilebeute - Raubebald.

Was in biblischen Tagen begann, ist noch nicht abgeschlossen. Der Zionismus und der Staat Israel haben ein Scherflein zur Bereicherung des Deutschen beigetragen. Wohlvertraut sind die Bundesbürger mit Schalom und Kibbuz, mit Knesset und Aliya. Während der Kämpfe vor der Staatsgründung wußte man um die Selbstwehr Hagana und die Splittergruppen Etzel und Lechi, die heutige Armee wird als Zahal oft erwähnt. Man kommt auf die Ursprungsformen der Vornamen zurück, sagt Jitzchak anstatt Isaak, Schim
'on anstatt Simon, Rebekka weicht der "richtigen" Riwka, auch Mirjam kommt zu ihrem Recht. Gläubige Christen wenden sich zu Jeschua.

Schoah und Yad Vashem sind aus dem deutschen Wortschatz nicht mehr wegzudenken. In ihrem Schatten mögen drei eingangs erwähnte Ortsnamen aus der deutschen Landkarte heraustreten und in ihrer ursprünglichen Bedeutung festen Eingang in die Gemüter und die Gedankenwelt der Menschen vom Rhein bis zum Jordan finden:

Heskem - Gescher - Salem.

  • 15 Weinberg, Werner, Die Reste des Jüdischdeutschen. 2., erweiterte Aufl. Stuttgart, Kohlhammer, 1973. (Studia Delitzschiana, Münster (Westfalen), Bd. 12.)
  • 16 Kluge, Friedrich, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 17. Aufl., bearbeitet von Walther Mitzka. Berlin, Walter de Gruyter, 1957.
  • 17 Beera, H., Jerosche: Jiddische Spreekwoorden en Zegswijzen uit het Nederlandse Taalgebied. Assen, 1959.
    Sh'erit, Resten von een taal. Assen, van Gorcum, 1967.
  • 18 Deutscher Wortatlas. Hg. Walther Mitzka. Gießen, Schmitz, 1952f.
  • 19 Gehrmann, Hermann, Carl Maria von Weber. Berlin, Harmonie, 1899. (Berühmte Musiker, hrg. von Heinrich Reirnann, Bd. V.)
  • 20 Siehe hierzu auch Schoeps, Julius H., Leiden an Deutschland. München, Piper, 1990. Insbesondere darin "Zur Struktur der jüdischen Gemeinschaft", p. 97.
  • 21 Unveränderter Nachdruck der Erstausgabe von 1935 bei Jüdischer Verlag im Athenäum Verlag, 1985.
  • 22 Buber, Martin, Die Schrift. Zu verdeutschen unternommen von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig. Berlin. Lambert Schneider, o. J. Bd. X: Das Buch Jesehajahu.

Quelle: "Festschrift aus Israel", herausgegeben 1994 von Shmuel Bahagon, zum 70. Geburtstag von Niels Hansen, ehemals deutscher Botschafter in Israel: Recht und Wahrheit bringen Frieden.

hagalil.com 19-03-2008


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