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Judentum und Israel
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[Unterwegs zum 14. Mai 1948]

In unserer Reihe mit Berichten deutschsprachiger Zeitzeugen zur Entstehung des Staates Israel, bringen wir heute einen Bericht des damals in Tel Aviv lebenden Eli Erich Lasch, der, 1929 in Hamburg geboren, schon 1936 mit seinen Eltern nach "Eretz Israel / Palästina" kam. Bekannt wurde er vor allem als israelischer Leiter beim Aufbau einer modernen medizinischen Versorgung in Gaza. Hierüber erfahren Sie mehr in seinem Buch "Das Wunder von Gaza".

Vor sechzig Jahren:
Für mich begann der Krieg am 28.März 1948

Eli Lasch

... Erst am 28.März 1948 wurde der Krieg für mich wirklich ernst. Das war der Tag, an dem ich meine beiden nächsten und wahrscheinlich einzigen wahren Schulfreunde verlor. Beide fielen am selben Tag, einer im Norden und der andere in der Nähe von Jerusalem. Beide fielen bei der Verteidigung von Autokarawanen, die Proviant in abgeschnittene jüdische Siedlungen bringen wollten und in arabische Hinterhalte gerieten.

Wie sich später herausstellen sollte, war dieser Tag nicht nur mein persönlicher Wendepunkt, sondern derjenige des ganzen Krieges. Das war der Tag, an dem das Oberkommando der Haganah zu der Einsicht kam, dass wir den Kampf um die Verkehrsadern, welche die jüdischen Siedlungen miteinander verbanden, verloren hatten - in dieser Art zu kämpfen waren uns die Araber überlegen. Sie beherrschten die Überlandstraßen und es wurde immer schwerer, die Siedlungen zu versorgen.

Am gefährdetsten war der Weg nach Jerusalem und genau wie 1900 Jahre vorher war die größte und wichtigste jüdische Stadt, das Symbol und Herz des jüdischen Volkes, wieder belagert und in Hungernot. Auch in den Vereinten Nationen hatten sich die Stimmung und die positive Einstellung uns gegenüber verändert. Insbesondere die Vereinigten Staaten versuchten jetzt den Beschluss vom 29. November rückgängig zu machen. Alles war wieder in der Schwebe. Nur die Russen standen noch auf unserer Seite -was man heute kaum nachvollziehen kann.

Das war der Augenblick, in dem sich die obersten Befehlshaber der Haganah an das erinnerten, was sie von Wingate, dessen Schüler sie alle gewesen waren, gelernt hatten, und zur Offensive übergingen. Statt mit viel Aufwand und Opfern Karawanen durch arabische Gebiete zu schleusen, wurden von dem Tag an die arabischen Dörfer erobert, die die Straßenverbindungen und dadurch das Überleben des Jischuws (die jüdische Bevölkerung in Palästina) bedrohten.

Die erste große Operation war die Entlastung Jerusalems, das sich in einer verzweifelten Lage befand. Zu der Zeit war Jerusalem nur durch eine Straße mit dem Rest des Jischuws verbunden. Diese Straße verlief durch ein enges Tal, dessen Eingang die Araber mit schweren Steinblöcken verrammelt hatten. Den Engländern, die noch in Jerusalem waren, erlaubte man, um die Barriere herumzufahren. Dieser Engpass wurde "Bab El-Wad" genannt und ist unter diesem Namen in den Mythos dieses Krieges eingegangen und lange Jahre besungen worden.

Der erste Schritt dieser Operation war dieses Hindernis zu beseitigen und die Berge auf beiden Seiten zu erobern. Dabei fielen viele meiner Kameraden. Der nächste Schritt war die Eroberung der anrainenden Dörfer. Auch dabei kam es zu schweren Kämpfen. In einem von ihnen, dem Kampf um die alte Kreuzritterfestung El-Kastel, kam der Oberkommandierende der arabischen Kämpfer, Abdel Khader al Husseini, der Neffe des Mufti von Jerusalem, ums Leben. Danach brach der Widerstand zusammen. Trotz gemischter Gefühle von Seiten der Haganah blieb ihr keine andere Wahl, als die besetzten Dörfer zu sprengen und zu zerstören. Die Einwohner waren so und so schon während der Kämpfe in die umliegenden Berge geflohen. Diese Vorgehensweise war notwendig, denn sonst hätte wahrscheinlich das englische Militär, das nichts tat um die Verkehrswege offen zu halten oder das jüdische Jerusalem zu verproviantieren, die mit viel Blut eroberten Gebiete den Arabern zurückgegeben. Da etwas Ähnliches schon einmal in Jerusalem selbst geschehen war, wurde alles getan um eine Wiederholung zu verhindern. Das war der Anfang des Flüchtlingsproblems, das noch bis heute anhält. Man darf aber andererseits nicht vergessen, dass die Bewohner dieser Dörfer aktiv beteiligt waren, als es darum ging, jüdische Autokarawanen anzugreifen; die Wracks der vielen ausgebrannten LKWs, die bis heute den Rand der Hauptstraße nach Jerusalem säumen, sprechen für sich.

Wie schon erwähnt, war auch für mich persönlich dieses Datum ein Wendepunkt. Erst in diesem Augenblick wurden die Araber für mich wirklich zum Feind. Alles, was ich wollte, war Rache.



Abb.: In der Schule 1947 (Eli Lasch 3. von rechts; die beiden ersten von rechts sind die hier erwähnten Freunde, die 1948 als Beschützer von Karawanen am gleichen Tag gefallen sind).

Ich wollte mich an denen rächen, die mir die wichtigsten Menschen meines Lebens genommen hatten, sodass ich wieder alleine war. Ich beschuldigte dafür nicht den Krieg, das war mir zu abstrakt, sondern die Araber. Ich wollte unter allen Umständen an die Front gelangen, desertierte deshalb nach kurzer Zeit von der Polizei und ging dahin, wo ich eigentlich hingehörte: zum Palmach. Da ich einen Haganah-Befehlshaberkurs absolviert hatte und noch dazu fließend Deutsch und Englisch sprach, wurde ich sofort nach meiner Ankunft zum Kommandanten einer Truppe von Auslandsfreiwilligen ernannt. Ich sollte sie in kürzester Zeit militärisch ausbilden, sie etwas Hebräisch lehren und sie dann an die Front bringen.

Dieses, mein erstes Kriegszeitkommando, war eine richtig zusammengewürfelte Truppe: sie bestand aus 30 Männern, die aus sieben Ländern stammten und weitaus älter und erfahrener waren als ich. Im Gegensatz zu mir hatten fast alle schon jahrelang als Frontsoldaten gedient, und es stellte sich heraus, dass einer von ihnen sogar ein Offizier der Roten Armee gewesen war. Diese Männer, die sieben verschiedene Sprachen sprachen, sollte ich nun "ausbilden" und in eine kämpfende Einheit verwandeln. Um das zu erreichen stand mir genau eine Woche zur Verfugung. Dann sollten wir nämlich an der Front gegen die irakischen Truppen eingesetzt werden. Der Mangel an erfahrenen Kämpfern war damals so akut, dass ich auf keinerlei Hilfe hoffen konnte. Zum Glück bekamen wir damals gerade neue Waffen aus der Tschechoslowakei, die den Männern meiner Truppe nicht unbekannt waren. Hier möchte ich noch kurz einflechten, dass die Tschechoslowakei damals das einzige Land der Welt war, das bereit war, uns Waffen zu liefern. Und diese Waffen haben uns gerettet. Ich glaube, es ist kaum nötig zu erwähnen, dass das nur mit russischer Genehmigung möglich war.

Ich stand also alleine vor dreißig Menschen, die sieben Sprachen sprachen und mich, den jungen Israeli, sehr neugierig beäugten -schließlich war ich doch ihr Befehlshaber. Ich war auch neugierig, aber als Israeli fühlte ich mich diesen Neueinwanderern gegenüber sehr selbstsicher. Glücklicherweise stellte sich heraus, dass einige von ihnen Deutsch sprechen konnten, andere wiederum Englisch. So gab ich einen Befehl auf Hebräisch, wiederholte ihn auf Deutsch und wartete dann bis er ins Russische, Polnische und Rumänische übersetzt wurde. Das Gleiche tat ich dann mit Englisch, worauf mein Befehl dann ins Französische und Ungarische übersetzt wurde. Dann gab ich wieder den Befehl auf Hebräisch und konnte nur hoffen, dass er auch verstanden und sogar ausgeführt würde. Zu meiner größten Überraschung funktionierte das System weitaus besser, als ich gehofft hatte.

Meine Soldaten, ihrerseits weihten mich in die Geheimnisse der neuen Waffen ein. Es entwickelte sich zwischen uns eine wunderbare Beziehung und ich glaube, dass sie in mir eher einen Talisman als einen Offizier sahen. Nicht dass ich ihnen viel Glück gebracht hätte, denn später brachte ich sie nach Jerusalem, als Verstärkung für die sehr geschwächten Palmach-Truppen. Das war die schwerste und gefährlichste Front, die es damals gab: Dort stand uns die Elite des arabischen Militärs gegenüber, die regulären, transjordanischen Truppen, die Arabische Legion, die über viele Jahre von englischen Berufsoffizieren ausgebildet worden waren und auch von ihnen kommandiert wurden. Das waren weder Freischärler noch ungebildete ägyptische Bauern, sondern hoch trainierte und motivierte Beduinen, die im Krieg ihre Berufung sahen. Gegen diese Truppen kam selbst der Palmach nicht an, und ihretwegen blieben die Altstadt Jerusalems und der direkte Weg zwischen Jerusalem und Tel Aviv bis 1967 in arabischen Händen.

Nur nebenbei möchte ich hier erwähnen, dass der englische Befehlshaber der Altstadt von Jerusalem ein Colonel Lasch war.

Das war die Front, die ich erreichen wollte, als ich die Polizei verließ. Das war der Ort, wo auch meine Kameraden kämpften und wo ihr Regiment aufgerieben wurde, sodass ich bis zum Ende des Krieges auch den Rest der Kameraden meiner Jugend verloren hatte. Nachdem die Zukunft des jüdischen Teils von Jerusalem gesichert war, wurden wir in ein Panzerregiment umgewandelt und in den Süden geschickt, um gegen die Ägypter zu kämpfen. Einmal sind wir sogar tief in den Sinai eingedrungen und haben dort ein ganzes Regiment ägyptischer Soldaten gefangen genommen, ohne dass wir auch nur einen Schuss abgeben mussten. Unser Anblick genügte, die Offiziere in die Flucht zu schlagen, und als wir in die Offiziermesse eindrangen, fanden wir noch Teller mit heißem Essen vor. Die einfachen Soldaten ergaben sich sofort. Während dieser Zeit wurde ich zweimal verwundet und am Ende des Krieges als Kriegsinvalide entlassen. Ich möchte hier noch einen Punkt erwähnen: Obwohl mein Regiment oft auf zerstörte und verlassene Dörfer traf, hatte ich das "Glück", nicht ein einziges Mal an der Räumung eines Dorfes oder einer Stadt teilnehmen zu müssen. Als mein Regiment einmal an so einer Operation beteiligt war, lag ich "zufällig" mit einem schweren Infekt im Krankenhaus. Mein Krieg richtete sich immer gegen die regulären Armeen der arabischen Staaten, die in mein Land eingefallen waren, um uns zu zerstören. Deswegen hatte ich auch nie moralische Bedenken. Das erleichterte mir später meine Arbeit im Gazastreifen. Auf die Hintergründe des Flüchtlingsproblems, wie es entstanden ist, werde ich später noch einmal genauer eingehen.

 

 

 

Endlich war auch dieser Krieg vorbei, wir hatten überlebt und waren noch dazu frei und unabhängig.

Abbildung 5: "Die Siegesparade in Tel Aviv"

Der alte Traum war endlich Realität geworden, und erfüllt mit Optimismus wandten wir uns der Zukunft zu! Es gab aber auch einen Tropfen Wehmut: Wir hatten zwar den Krieg gewonnen, denn sonst gäbe es keinen israelischen Staat, hatten aber dafür mit 6000 Leben, mit 1% der Bevölkerung, bezahlt. Wie schon erwähnt, bin ich in den Krieg gezogen, um den Tod meiner Freunde zu rächen - aber meine Freunde hat das nicht zurückgebracht. Stattdessen entdeckte ich die Falschheit des Diktums, das behauptet, dass Rache süß sei.

Später, viel später, entdeckte ich auch, was es wirklich war, das meine Freunde getötet hatte. Nicht wer es war, sondern was es war, und diese Entdeckung hat meinem Leben wieder eine neue Wende gegeben. Das geschah aber erst, als ich mit der anderen Seite dieses Krieges in Berührung kam. Als ich die weiteren Opfer dieses Krieges kennen lernte: Die hatten zwar nicht ihr Leben verloren, aber alles andere, alles, wofür es sich lohnt zu leben, so dass auch sie sich seitdem zwischen zwei Welten befinden. Das war das Schicksal der arabischen Bevölkerung des mandatorischen Palästina. Aufgehetzt von ihren religiösen Führern, war sie nicht bereit gewesen, den Beschluss der Vereinten Nationen anzunehmen. Trotz der Unterstützung durch die regulären Armeen fünf arabischer Länder konnte sie aber die Gründung des jüdischen Staates nicht verhindern. Die Bewohner der arabischen Dörfer waren zwar imstande Banden zu bilden, um den Verkehr auf den Landstraßen zu stören, aber von Kriegsführung hatten sie keine Ahnung. Nach den Unruhen und Pogromen der Jahre 1920-21 und 1929 und besonders nach dem Aufstand in den Jahren 1936-39 hatte der Jischuw hingegen eine hoch organisierte nationale Untergrundmiliz aufgebaut. Da Ben Gurion die Auseinandersetzung mit den Arabern voraussah, hatte die Miliz alles getan, was sie nur konnte, um sich zu bewaffnen. Außerdem haben die Engländer während der Kämpfe in Nordafrika im Jischuw eine fortgeschrittene Waffenindustrie aufgebaut, die von der Haganah übernommen wurde. 1947 hatte die Haganah 35.000 Mitglieder und, was vielleicht wichtiger war, einen zentralisierten Generalsstab, organisiert von früheren Offizieren, die in der britischen und in der Roten Armee ausgebildet worden waren. Bei der Ausrufung des Staates 1948 hatte die Haganah 63.000 Menschen unter Waffen. All dieses fehlte auf der arabischen Seite. Wie gesagt, konnten sie Banden auf die Beine stellen und die Straßen unsicher machen, aber mehr konnten sie auch nicht.

Der arabischen Führung war klar, dass sie ohne Hilfe der Nachbarstaaten keinerlei Chancen hatten, sich gegen die Juden zu behaupten. Einer der wichtigsten arabischen politischen Führer, Musa el-Alami, erzählt in seiner Biographie17, wie er nacheinander Damaskus, Bagdad, Kairo und Amman besuchte und um Hilfe bat. Der syrische Präsident sagte ihm Folgendes: "Ich freue mich, Ihnen sagen zu können, dass unsere Armee und ihre Ausrüstung in bestem Zustand sind, und wir werden keine Probleme haben, mit ein paar Juden fertig zu werden. Vertraulich kann ich Ihnen sagen, dass wir sogar im Besitz einer Atombombe sind." Als er sah, dass Musa ihm nicht glaubte, sagte er: "Ja, wir haben sie hier selbst produziert; glücklicherweise haben wir einen sehr geschickten Klempner gefunden." In anderen arabischen Städten war es auch nicht viel besser. Der irakische Premierminister sagte ihm, alles was sie brauchten, seien ein paar Besen, um die Juden ins Meer zu fegen. In Ägypten war man nur daran interessiert, dass der Emir Abdullah von Transjordanien sich nicht zu viel von dem zerstückelten Palästina einverleiben würde, während es dem Emir wichtig war, nicht zu viele Soldaten zu verlieren. Als er nach Jerusalem zurückkehrte, hatte er alle Hoffnung für die Zukunft verloren. Er sah ein, dass die Einwohner Palästinas ohne das Eingreifen der arabischen Staaten weder jüdische Stadtteile oder Siedlungen erobern, noch die Eroberung der eigenen Städte oder Dörfer verhindern konnten und dass die regulären Armeen der arabischen Staaten auch nicht viel besser waren. Nachdem die arabische Propaganda die Nachricht von dem Massaker an 250 Zivilisten bei der Eroberung des Dorfes Dir Jassin durch den Etzel verbreitet hatte, um die Sympathie der Welt zu erwecken, erfasste die arabische Bevölkerung eine panische Angst. Diese wurde noch dadurch verstärkt, dass viele Mitglieder der palästinensischen Führungsschicht "zeitweilig" das Land verließen. So flohen zum Beispiel die arabischen Einwohner von Haifa und Tiberias trotz der Versicherungen der jüdischen Führung, dass ihnen nichts geschehen würde, nur weil die ganze Oberschicht die Flucht ergriffen hatte. Bei der Oberschicht war das eigentlich nichts Besonderes. Sie besaßen Häuser in verschiedenen Hauptstädten des Nahen Ostens und waren sich sicher, dass das alles nur vorübergehend war. Einige Familien hatten sogar ihre Möbel mit Laken bedeckt. Um Musa el-Alami nochmals zu zitieren: "Die Palästinenser haben ihr Land nicht wegen Feigheit verloren, sondern weil sie den Glauben an ihre Zukunft und ihre Sicherheit verloren hatten. Und weil man ihnen eingeredet hatte, dass die arabischen Armeen in kürzester Zeit (die Juden verjagen, d.V.) und die alte Ordnung wieder herstellen würden." Sie haben daran geglaubt und viele glauben noch heute daran. Sie vergleichen die Juden mit den Kreuzrittern, obwohl ihnen viele wohl gesonnene westliche Sachverständige immer wieder gesagt haben, dass es diesmal anders sei, dass die Juden endgültig zurückgekehrt seien.

Wie wir wissen, haben die arabischen Armeen ihre Versprechungen nicht erfüllt und das neu entstandene Israel war natürlich nicht daran interessiert, die Flucht der Palästinenser zu verhindern; es hatte sogar hier und da noch durch gezielte Propaganda nachgeholfen. Die Palästinenser waren diejenigen, und man kann fast sagen die Einzigen, die den Krieg wirklich verloren haben, denn sie hatten keine richtige Führung. Sie fühlten sich als integraler Teil der arabischen Welt und hatten sich auf diese verlassen. Und diese Welt hat sie betrogen. Statt die Niederlage zu akzeptieren und den Palästinensern zu helfen, einen eigenen Staat in den Teilen Palästinas zu gründen18, die ihnen geblieben waren, annektierte Trans-Jordanien den Teil Palästinas, den es erobert hatte, und nannte sich fortan "The Hashemite Kingdom of Jordan" (Das Haschemitische Königreich Jordaniens), während Ägypten im Gazastreifen ein Militärregime errichtete. Die 700.000 palästinensischen Flüchtlinge waren unbequem und unerwünscht: Sie erinnerten immer wieder aufs Neue an die Niederlage, welche die arabischen Herrscher durch knapp 600.000 verachtete Juden (so steht es doch im Koran) erlitten hatten. Sie waren unbequem. Deswegen wurden sie in Lager eingesperrt und von der arabischen Welt mit Hass und hohlen Versprechungen gefüttert. Dort sitzen sie bis heute. Für ihren Unterhalt und für ihr physisches Überleben haben die arabischen Staaten aber so gut wie gar nicht gesorgt. Dieses übernahm die UNRWA, eine Organisation der Vereinten Nationen, die bis /um heutigen Tag von Amerika und West-Europa finanziert wird. Waren nicht diese Länder die wahren Schuldigen? Die Möglichkeit, die Flüchtlinge in die arabischen Länder aufzunehmen und zu integrieren, wird bis heute nicht einmal in Erwägung gezogen, das hätte als Anerkennung der Niederlage gedeutet werden können. Außerdem waren viele Palästinenser vom Virus der Demokratie infiziert und noch dazu verbittert: Solche Menschen sperrt man lieber ein.

Aber von alledem wusste ich damals nichts, und ich glaube auch nicht, dass es mich interessiert hätte. Für uns war das Wichtigste, dass wir endlich unseren Staat hatten, und glaubten nicht mehr kämpfen zu müssen. Leider wurde die erste Phase, oder besser gesagt Runde, des jüdischarabischen Konflikts nur mit einem Waffenstillstandsabkommen beendet. Beendet aber nicht abgeschlossen, denn alles, was man erreicht hatte, war, dass die Situation halbwegs "eingefroren" wurde - und noch nicht einmal liefgekühlt. Für uns wie für den Großteil der Welt war Israel jetzt eine Tatsache und wurde als solche im Mai 1949 in die Vereinten Nationen aufgenommen. Die Aufgabe, die seit 1945 mein Leben erfüllt hatte, war vollendet. Ich wurde zwar als Kriegsinvalide entlassen und darum auch vom Dienst bei der Reserve befreit, aber meine Verwundungen störten mich nicht zu sehr im normalen Leben. Ich hatte die Nase voll vom Soldatenleben und wollte auch keine Karriere beim Militär machen. Endlich konnte ich anfangen mein persönliches Leben aufzubauen und mit gutem Gewissen mein medizinisches Studium in der Schweiz beginnen.

Nach drei sorglosen Jahren, musste ich leider zurück nach Israel, um dort mein Studium zu beenden. Israel hatte inzwischen eine eigene medizinische Fakultät und konnte sich den Luxus, teure Devisen für ein Studium im Ausland auszugeben, nicht mehr leisten. Ich ging also zurück und befand mich plötzlich wieder in einem neuen Land, einem Land, das ich kaum wiedererkannte. Drei Jahre war ich im Ausland gewesen, und während dieser Jahre war das Land von einer Riesenwelle neuer Einwanderer regelrecht überschwemmt worden, die aus 60 verschiedenen Ländern kamen und 60 verschiedene Kulturen mitbrachten: Die erste Gruppe waren die Überlebenden der Vernichtungslager in Europa, die ich schon in einem früheren Kapitel erwähnt habe. Es handelte sich um 358.000 Menschen, alles Flüchtlinge, die ihre ganze Habe verloren hatten. Eine zweite Gruppe waren Flüchtlinge aus den muslimischen Ländern von Algier in Nordafrika bis zum Jemen und dem Irak - 850.000 Menschen, die von einem Tag zum anderen die Länder, in denen sie zum Teil fast 2000 Jahre lang gelebt hatten, verlassen mussten. Ihren ganzen Besitz mussten sie zurücklassen. Im Grunde könnte man von einem Bevölkerungsaustausch sprechen, wie er im selben Jahr auf dem indischen Subkontinent stattfand. Aber im Gegensatz zu den palästinensischen Flüchtlingen, die von ihren "Brüdern" in Lager eingesperrt wurden, wurden die jüdischen Flüchtlinge vom Staat Israel mit offenen Armen aufgenommen und integriert. Im Laufe von drei Jahren hat sich die Zahl der Einwohner des jungen Staates verdreifacht: von 600.000 auf 1.8000.000. Wie schon oben erwähnt, kamen sie aus vielen verschiedenen Gegenden. Von hoch gebildeten Europäern bis hin zu Einwohnern der Atlasberge in Marokko, die noch nie mit westlicher Zivilisation in Berührung gekommen waren. Amerikanische Juden und Jemeniten, Russen und Inder. Das Einzige, was sie verband, war die Tatsache, dass sie Juden waren, und für viele von ihnen erfüllte die Gründung des Staates Israel einen uralten Traum, so dass sie bei ihrer Ankunft oft den Boden küssten.

Aber das war auch alles, was sie gemeinsam hatten. Um zu überleben, mussten viele von ihnen erst einmal umlernen und die alten jüdischen Berufe, die in Israel nicht mehr gebraucht wurden, aufgeben. So wurden Krämer aus Algerien zu Bauern und Schriftgelehrte zu Förstern, die ihre Wälder erst einmal pflanzen mussten.

Außerdem mussten sie nach 2000 Jahren wieder lernen, was Unabhängigkeit eigentlich bedeutet, und das war für viele wahrscheinlich das Allerschwerste. Für die meisten Juden waren "der Staat" und "die Regierung" immer der Feind gewesen, und jetzt plötzlich gehörten sie ihnen. Trotz der langen Jahre der Vorbereitung forderte das eine unglaubliche Umstellung. Man musste sich erst einmal daran gewöhnen, dass Juden von Juden regiert werden können.

Ich habe oft gehört, dass das Überleben von Israel bis zum heutigen Tag einem Wunder gleichkommt.

Die arabische Welt ihrerseits beharrte auf ihrem Standpunkt, den Staat Israel nicht anzuerkennen und keinen Frieden mit ihm zu schließen. Die "offiziellen" Gewalttätigkeiten von Seiten der arabischen Staaten wurden durch Angriffe palästinensischer Freischärler ersetzt, die über die Waffenstillstandslinie, auch "grüne Linie" genannt, kamen. Selbst in Jerusalem konnte man sich nicht frei bewegen, und es bestand immer die Gefahr, von jordanischen Soldaten, die sich hinter der Mauer der Altstadt versteckten, beschossen zu werden. So musste man eben in Jerusalem neue Mauern bauen und den alten, von denen man nun wieder abgeschnitten war, aufs Neue nachtrauern. In Jerusalem hatte man wirklich immer das Gefühl, dass etwas sehr Wichtiges fehlte: Jerusalem ohne die Altstadt war eben wie ein Diamantring ohne Diamanten.

In den Jahren, die folgten, war mein Leben nicht grundsätzlich anders als das vieler junger Ärzte anderswo. Ich bildete mich weiter zum Facharzt für Kinderheilkunde, heiratete und dachte daran, mir eine Karriere aufzubauen. Endlich war ich weder ein Flüchtling noch ein neuer Immigrant. Jetzt war ich einer der "Alteingesessenen", jemand, der in Israel zur Schule gegangen war und perfekt Hebräisch sprach. Einer der "Helden" der Untergrundbewegung und des Befreiungskrieges. Ich fühlte mich gänzlich als Israeli, war meiner Identität sicher und stolz auf das, was wir waren und erreicht hatten. Aber irgendwie verlief mein Leben doch anders als das Leben junger Ärzte in Europa und Amerika. Es unterschied sich auch von dem der meisten meiner israelischen Kollegen. Neben der Hauptströmung: Familie, Kinder und Karriere gab es in mir noch eine zweite Strömung, die wahrscheinlich von meinen Jugenderlebnissen geprägt war, und mich immer wieder aufs Neue genau dorthin brachte, wo ich glaubte nicht sein zu wollen. Wie alle jungen Ärzte, die damals die Fakultät in Jerusalem absolviert hatten, sah auch ich meine Zukunft in der akademischen Laufbahn, als Arzt in einer Universitätsklinik, und fühlte mich besonders von der Forschung angezogen. Die Realität aber zwang mich genau in die entgegengesetzte Richtung. Man kann schon fast von einem Lebensmuster sprechen.

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Aus Eli Lasch: Das Wunder von Gaza
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hagalil.com 19-03-2008


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