"Chuzpe
Das Junge Jüdische Magazin" aus Frankfurt am Main
von Paul Behrens
Filipp Goldscheider erinnert sich: "Dann hat jemand
gemeint, wir sollten uns Ghetto-Express nennen." "Nee, das geht nicht", habe
ein anderer eingewandt, "das ist zu Chuzpe!"
Und damit war der Name für "Das Junge Jüdische Magazin"
auch schon gefunden. Goldscheider, der an der Frankfurter Universität
Soziologie studiert, ist einer der beiden Redaktionsleiter der "Chuzpe". Das
jiddische Wort übersetzt er als "intelligente Frechheit"; aber "etwas
Sympathisches" sei auch dabei. "Chuzpe", ergänzt Kollege Oliver V., "heißt für
mich auch, locker vom Hocker zu schreiben."
V., Student der Betriebswirtschaft, hat das Schreiben
als Praktikant bei der Frankfurter Rundschau gelernt. Als Blattmacher ist er
ebenso wie Goldscheider Autodidakt. Dafür sieht das Magazin schon recht
professionell aus. Die jüngsten Ausgaben haben einen farbigen
Hochglanzumschlag. Auf dem Titelblatt der neuesten sieht man zwei klobig
geschnitzte Holzmännchen (oder sind sie aus Knetgummi?), die nichts als eine
Kopfbedeckung tragen: die jüdische Kippa. Das eine Männchen hat seinen Arm auf
die Schulter des anderen gelegt, die Szene ist rosa eingefärbt -
Schwerpunktthema ist diesmal Homosexualität von Juden: "ein Tabu-Thema", wie
es im Editorial heißt.
Seit dem Zweiten Weltkrieg sei zu dem Thema nichts
publiziert worden, betont die Redaktion. Offensichtlich haben es schwule Juden
und lesbische Jüdinnen in ihren Gemeinden noch schwerer, als es Schwule und
Lesben in der Gesellschaft ohnehin haben. "Nicht wenige Eltern", berichtet die
Chuzpe, "sagen gleich den Kaddisch, das Totengebet, für ihr Kind, wenn sie es
erfahren." Von talmudischer Zeit an sei Homosexualität als etwas Unjüdisches
betrachtet worden, erläutert ein englischer Rabbiner und fügt hinzu: "Das
Judentum ist in der Diaspora sehr auf die traditionelle Familie konzentriert."
Judentum im allgemeinen und Juden in Deutschland im
besonderen - dazu bietet die Chuzpe auf ihren knapp vierzig Seiten eine Menge
Informationen. Einige Themen der neueren Hefte: Ist das Schächten, die
koschere Art des Schlachtens, Tierquälerei? (Antwort: nein.) Warum ist die
"jiddische Mame" so schwer zu ertragen? (Weil sie ihre Kinder überfordert.)
Wie zionistisch ist die jüdische Jugend in Deutschland? (Nicht sehr.) Kann es
gutgehen, wenn sich eine amerikanische Jüdin und ein deutscher evangelischer
Pfarrer ineinander verlieben? (Ja.)
Orthodoxe Juden kommen in dem Magazin ebenso zu Wort wie
unorthodoxe, zum Beispiel Bea Wyler, Deutschlands einzige Rabbinerin.
Abgerundet wird das Angebot durch ebenso kurze wie kurzweilige Buch- und
Filmrezensionen, durch bunte Meldungen und Wirtschaftsnachrichten.
Noch kommt das Blatt durch Mundpropaganda zu seinen
Lesern. Und Filipp Goldscheider berichtet: "Wir haben immer mehr nichtjüdische
Leser." Zu kaufen ist die Chuzpe bisher allerdings nur in universitätsnahen
Buchhandlungen in Frankfurt, Berlin und München - und im Abonnement. Die
Gesamtauflage hat 3500 Stück erreicht.
Drei Mark kostet das Heft. Gewinn machen die Chuzpe-
Leute nicht, aber sie machen auch keinen Verlust. Zusammen mit dem Erlös aus
Anzeigen kommt genug herein, um von Ausgabe zu Ausgabe die Druckqualität zu
verbessern. Die Zeitschrift, inzwischen drei Jahre alt, erscheint alle vier
Monate. Gestaltet wird sie zu Hause am PC. Redaktionssitzungen finden in den
Räumen der Jüdischen Gemeinde statt. Ob sich das Blatt auf Dauer etablieren
kann, ist natürlich vor allem eine ökonomische Frage. Man sei im Gespräch mit
einem großen Frankfurter Verlag, sagt Oliver V.. Erst einmal aber wollen
Redakteure und Mitarbeiter ihr Universitätsstudium abschließen, die meisten
stehen kurz vor dem Examen.
Auch ein Junges Jüdisches Magazin muß sich in
Deutschland mit einer Altlast befassen, die noch längst nicht entsorgt ist:
mit dem Antisemitismus. In der Frühjahrsausgabe ging der Germanistikstudent
Sven Stillich der Frage nach, wie der Antisemitismus im Kaiserreich
gesellschaftsfähig hatte werden können. Stillich zählt zu den nichtjüdischen
Autoren. Ihn reizt vor allem, daß er sich die Themen selbst aussuchen kann.
Doch das ist es nicht allein: "Es gibt noch einen weiteren Aspekt, warum es
mich fasziniert, für eine jüdische Zeitung zu schreiben, aber ich bin noch
nicht ganz dahinter gekommen, warum."
Neben den schwerergewichtigen Themen offeriert das
Magazin auch leichte Kost. In "Mamele's Kochecke" findet der Leser Rezepte für
typisch jüdische Gerichte wie Gefilte Fisch, Falafel oder Latkes. Immer gut
bekömmlich ist der jüdische Witz, der seinen Ruf nicht zuletzt der
Selbstironie verdankt:
Ein jüdischer Versicherungsagent will sich taufen
lassen. Eine volle Stunde bleibt er beim Priester. Dann tritt er
schweißbedeckt aus der Türe. "Nun, hat er dich getauft?" wollen die Freunde
wissen. "Nein", entgegnet der Agent, "aber ich habe ihn versichert."
Die Gojim, die Nichtjuden, sollten solche Witze aber
bitte nicht erzählen, rät ein "koscher Knigge" zum "Umgang mit ,jüdischen
Mitbürgern'"; und zwar aus zwei Gründen: "Erstens besteht immer die Gefahr,
daß Sie, einmal in Schwung, statt jüdischer Witze ,Judenwitze' erzählen. Das
trübt die Stimmung. Zweitens laufen Sie Gefahr, Ihren Gesprächspartner zu
langweilen: Der kennt die Witze nämlich schon - besser erzählt." Auch gibt uns
der "koscher Knigge" zu bedenken, daß nicht alle Juden Israelis, nicht alle
reich oder auch nicht alle Genies seien. Der Autor Michael Wuliger hält die
gojischen Leser offenbar für meschugge. Sei's drum, sein Knigge hat eben
Chuzpe.
Die meisten anderen Beiträge aber werden der Erwartung,
die der Magazintitel weckt, noch nicht gerecht. Das Blatt zeigt sich mehr von
der sympathischen Seite als von der frechen. Gewiß, man polemisiert gegen
Antisemitismus, gegen Altnazis und Neonazis. Aber damit geht ein jüdisches
Magazin kein Risiko ein.
Anders wäre das möglicherweise mit kritischen Berichten
etwa über die jüdischen Gemeinden. Hier halten sich die Schreiber ziemlich
bedeckt. Ab und an mal ein Seitenhieb, eine Stichelei. Ansonsten formulieren
sie vorsichtig, fast diplomatisch. Oder auch undeutlich: "Mit Vorbehalten",
heißt es über die Schwierigkeiten einer lesbischen Jüdin, werde sie "auch im
jüdischen Bereich konfrontiert".
Nein, ein Ghetto-Express ist die Chuzpe nicht geworden.
"Ich muß zugeben", räumt Oliver V. unumwunden ein, "wir sind im Grunde noch
nicht besonders frech . . ." Und ganz locker vom Hocker sagt er auch gleich,
warum: "Man hat schnell den Ruf weg, daß man linksanarchisch sei oder so, und
dann hat man natürlich verspielt, sowohl bei den Werbepartnern als auch bei
den konservativeren Lesern." Soviel Offenheit ist fast schon Chuzpe.
(C) DIE ZEIT Nr.
02 vom 3. Januar 1997 All rights reserved