Emil Lehmann
(Hiram Emil Lehmann) (1829-1898)
Von Jobst Paul,
DISS Duisburg
Emil Lehmann wurde als Sohn des Kaufmanns Bonnier
Lehmann am 2. Februar 1829 in Dresden geboren. Zu seinen Vorfahren gehörte
der Stammvater der israelitischen Religionsgemeinde zu Dresden, der auch um
seine Vaterstadt Halberstadt verdiente und dort begrabene "Resident"
Berend Lehmann, welcher bei August dem Starken, dem Kurfürsten von
Sachsen und König von Polen, eine einflussreiche Stellung einnahm.
Zu den Ahnen Lehmanns zählen ferner der von August dem
Starken nach Dresden berufene Hoffaktor Lehmann Berend und Elias
Berend Lehmann, welcher als "Gevollmächtigter" der Dresdner Judenschaft
im Jahre 1733 die Befreiung der jüdischen Kinder vom Leibzoll durchsetzte,
wobei die Gemeinschaft der Dresdner Juden zum ersten Male behördlich
anerkannt wurde. Eleasar Lehmann wirkte als langjähriger Vorsteher
der Dresdner "Beerdigungs-Brüderschaft".
Emil Lehmann besuchte zunächst die damalige israelitische
Gemeindeschule, dann 1842 bis 1848 die Dresdner Kreuzschule, 1848 bis 1851
die Leipziger Universität und legte dort seine juristischen Examina ab. In
einem 1848 publizierten Gedicht (Leipzig. Verlag von E.D. Weller. 1848) über
die Hinrichtung von Hermann Jellinek, des Bruder des Wiener Rabbiners Adolph
Jellinek, im Zusammenhang der Wiener Revolution heißt es:
Deutsche! Juden,Christen! Könnt Ihr gegenseitig jetzt
noch hassen?
Nein! Ihr müßt von Vorurtheilen, müßt von Ammenmährchen lassen.
Acht Jahre arbeitete er für die von dem Stadtrat Walther
in Dresden redigierte "Sächsische Dorfzeitung" und erregte durch seine
Artikel, unter vielen andern z. B. über die Wuchergesetzgebung, Aufsehen.
Seit 1863 praktizierte er in Dresden als Rechtsanwalt und später auch als
königlicher Notar. Er heiratete seine Cousine Hermine, geborene
Salomon.
Lehmann beteiligte sich an den Bestrebungen der jüdischen
Gelehrten Dr. Bernhard Beer, Dr. Zacharias Frankel und Dr. Wolf Landau, um
die nach 1848 in Sachsen zwar aufrecht erhaltene, aber ständig bedrohte
Emanzipation der Juden verfassungsmäßig sicherzustellen. Dies wurde erst
durch den Erlass des sächsischen Gesetzes am 3. Dezember 1868 erreicht,
bevor auf Antrag des Abg. Wiggers die staatliche Gleichstellung der Juden
durch das Bundesgesetz vom 3. Juli 1869 in den meisten anderen deutschen
Bundesstaaten erfolgte.
Der "Judeneid" war durch das sächsische Gesetz vom Jahre
1840 zwar entschärft worden, aber erst Dr. Zacharias Frankel - durch seine
Schrift "Die Eidesleistung der Juden" und die an die sächsische
Ständeversammlung gerichteten Petitionen Emil Lehmanns - erreichten, dass
der "konfessionelle Eid" in Sachsen abgeschafft wurde, bevor dies in anderen
deutschen Ländern durch die Reichsprozessordnung geschah.
Lehmann, der mit der Bewegung der Freimaurer
sympathisierte und in ihr auch institutionelle Verantwortung übernahm, wurde
zum bedeutendsten Mitarbeiter von Dr. Beer, Dr. Frankel und Dr. Landau, auch
wenn seine programmatischen Vorstellungen, was das deutsche Judentum betraf,
von diesen nicht geteilt wurden.
Lehmanns recht weitgehende Vorstellungen über
neuzeitliches Judentum trafen aber auch auf erheblichen orthodoxen
Widerstand. Lehmann wollte einen "Kern" des Judentums bestimmen, um
Abschottungen aufzubrechen und eine Öffnung hin zur nicht-jüdischen
deutschen Gesellschaft zu erleichtern. Einer der Schwerpunkte im Denken
Lehmanns war daher die Verteidigung der Vereinbarkeit von Deutschsein und
Judentum, die von deutschnationaler Seite zunehmend bestritten wurde. Daran
war Lehmann's langjähriger Freund Berthold Auerbach, dessen Werk die
harmonische Verbindung deutscher und jüdischer Kultur zeigen wollte,
zerbrochen.
Lehmann verfolgte überdies den Gedanken der Vereinigung
der jüdischen Gemeinden in Deutschland. Er regte 1869, anlässlich der Ersten
Israelitischen Synode in Leipzig, die Gründung des
"Deutsch-israelitischen Gemeindebund" an und arbeitete mit seinen
Freunden Nachod, Kohner, S. Kristeller, Ephraim Rothschild u. a. m. bis an
sein Lebensende in ihm mit. Der am 5. Februar 1893 in Berlin begründete
Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens wurde von Lehmann
lebhaft begrüßt.
Seiner eigenen jüdischen Gemeinde in Dresden hat er 1890
in einer zeitgeschichtlichen Dokumentation zum 50jährigen Bestehen ein
Denkmal gesetzt. Bereits am 27. März 1862 wurde er zum Gemeindedeputierten
und am 9. Februar 1869 zum Gemeindevorsteher gewählt, ein Amt, das er bis zu
seinem Lebensende ausfüllte. Seine Tätigkeit erstreckte sich aber über deren
Kreis hinaus, so im "Gemeinnützigen Verein", im "Verein für Volkswohl" oder
für die "Ferienkolonien". Er diente der jüdischen Gemeinde und vielen
christlichen Klienten über Jahrzehnte als Jurist, u.a. auch im Magistrat.
In einer Würdigung im Dresdner Anzeiger, dem
Amtsblatt des Magistrats, heißt es aus Anlass seines Todes: "Sein
gewissenhafter Sinn und seine Offenheit wurden die Veranlassung, dass ihn
seine Mitbürger bereits 1865 in das Stadtverordnetenkollegium
beriefen, wo er, die letzten Jahre II. Vizevorsteher, bis 1872 seine
Thätigkeit im öffentlichen Dienste zu bewähren Gelegenheit fand. Kurze Zeit
später wurde er abermals in dieses Kollegium der Bürgerschaftsvertretung
gewählt und nunmehr gehörte er den Stadtverordneten von 1874 bis 1883 als
II. beziehentlich I. Vizevorsteher an. Auch dem sächsischen Landtage
gehörte er als Mitglied der sächsischen Fortschrittspartei, 1875 vom 5.
Wahlkreise der Stadt Dresden gewählt, bis zum Jahre 1880 an und hat
auch hier zum Wohle Sachsens nach besten Kräften mitgewirkt. Auch als
gemüthreicher Dichter und Schriftsteller hat sich der Verschiedene bewährt,
unter anderem schrieb er eine Geschichte der hiesigen israelitischen
Gemeinde." Aus der politischen Arena durch die konservativ-antisemitische
Strömung verdrängt, widmete er sich der humanitären Arbeit, der von ihm
geleiteten Verwaltung der Dresdner Religionsgemeinde und seiner Familie.
Sein Vorbild für die politische Arbeit war zweifellos der
Hamburger Jurist Gabriel Riesser, das "verkörperte Ideal eines Deutschen
jüdischen Bekenntnisses", über den Lehmann eine ausführliche biographische
Würdigung schrieb. Auch Lehmann publizierte eine Vielzahl von
aufklärerischen Artikeln, darunter in der "Allgemeinen Zeitung des
Judenthums", in Brülls "Monatsblättern" und in "Im deutschen Reich". Der
nach der Reichsgründung entstehenden antisemitischen Propaganda und deren
Verschärfung durch Stoecker und Treitschke im Jahr 1879 trat er in
zahlreichen Schriften zunächst mit argumentativer Brillanz, dann aber
schließlich mit tiefer Verbitterung entgegen.
Emil Lehmann starb am 25. Februar 1898. Am 9. Juni 1898
begründete der Vorstand der Dresdner jüdischen Gemeinde eine "Emil
Lehmann-Stiftung", die zum Ziel hatte, Stipendien für "schriftstellerische
oder Lehrtätigkeit" zu vergeben, die der "Aufklärung über Judenthum"
gewidmet war. Die Konfession der Bewerber sollte für die "Zubilligung der
Ehrengaben" keine Rolle spielen.
Als am 5. Oktober 1898 der neu gewählte Dresdner Rabbiner
Dr. Winter die Nachfolge Lehmanns in der Leitung des Dresdner
Brüdervereins antrat, berichtete die Presse gerade – etwa aus Bamberg -
über nächtliche Kampagnen antisemitischer Akteure, die jüdische
Geschäftshäuser mit dem Aufkleber "Kauft nicht beim Juden" versahen.
Familienstammbaum von Emil Lehmann, aus: Emil Lehmann, Der
polnische Resident Berend Lehmann, der Stammvater der israelitischen
Religionsgemeinde zu Dresden. Von seinem Ur- Ur- Urenkel. (E. Pierson)
Dresden 1885. Zur Vergrößerung bitte anklicken!
Werke (Auswahl):
Emil Lehmann, Frankels Erklärung seine Schrift "Hodegetik
in der Mischna" betreffend, in: Der Israelit, 1861, 177 ff.; Die
Rechtsverhältnisse der Juden in Sachsen (1869) In: Ders. Gesammelte
Schriften, S.154-169; Lessing, Mendelssohn, Nathan. In:
Lessing-Mendelssohn-Gedenkbuch. Zur hundertfünfzigjährigen Geburtsfeier von
Gotthold Ephraim Lessing und Moses Mendelssohn, sowie zur Säcularfeier von
Lessing's 'Nathan', hrg. vom Deutsch-Israelitischen Gemeindebunde (Leipzig)
1869, S. 3-26; Zu Chanuka: Ein jüdisches Haus- und Volksbuch; Im Verein mit
befreundeten Gelehrten (J. F. Hartknoch) Leipzig 1874; Ueber die
judenfeindliche Bewegung in Deutschland. (Referat erstattet auf dem dritten
ordentlichen Gemeindetag zu Leipzig am 11. April 1880 (Offenhauer & Co)
Leipzig 1880; Gabriel Riesser, ein Rechtsanwalt. (1880) In: Ders.,
Gesammelte Schriften, S. 258-287; Zur Geschichte des Judenhasses. In: Ders.
Gesammelte Schriften, S.100-116; Der polnische Resident Berend Lehmann, der
Stammvater der israelitischen Religionsgemeinde zu Dresden. Von seinem Ur-
Ur- Urenkel. (E. Pierson) Dresden 1885; Die Juden einst und jetzt. Ein
Beitrag zur Lösung der "Judenfrage". Zweite durchgesehene Auflage. (E.
Pierson's Verlag) Dresden 1887; Ein Halbjahrhundert in der israelitischen
Religionsgemeinschaft zu Dresden. Erlebtes und Erlesenes. (Gustav Salomon)
Dresden 1890; Familie Körner in Dresden: Zum Gedächtnis an Theodor Körners
hundertsten Geburtstag (23. September 1891) (Verl. v. Alexander Kösler)
Dresden [1891]; Zacharias Frankels Berufung nach Berlin, in: Allgemeine
Zeitung des Judenthums. Ausgabe vom 2. Dezember 1892, 581-582; Der Deutsche
jüdischen Bekenntnisses. (Vortrag, gehalten im Centralverein deutscher
Staatsbürger jüdischen Glaubens zu Berlin am 27. September 1893.); Aus alten
Acten. Bilder aus der Entstehungsgeschichte der israelitischen
Religionsgemeinde zu Dresden (Verlag Tittmann) Dresden 1896; Offener Brief
an den Herrn Professor Friedrich Paulsen (December 1897) In: Ders.
Gesammelte Schriften, S.395-405; Ders., Gesammelte Schriften. Hrsg. im
Verein mit seinen Kindern von einem Kreis seiner Freunde (Hermann) Berlin
(2. Auflage) 1899
Literatur:
Biographie. In: Emil Lehmann, Gesammelte Schriften, 1899,
S. 1-8; Im deutschen Reich, Heft 10 (Oktober 1898), S. 523-524; Heft 6 - 7
(Juni 1899) S. 371.
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Volltext-Fassungen (pdf) auf dem DISS-Server:
Emil Lehmann, Der polnische Resident Berend Lehmann, der Stammvater der
israelitischen Religionsgemeinde zu Dresden. Von seinem Ur- Ur- Urenkel. (E.
Pierson) Dresden 1885
Emil Lehmann, Ein Halbjahrhundert in der israelitischen
Religionsgemeinschaft zu Dresden. Erlebtes und Erlesenes. (Gustav Salomon)
Dresden 1890
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/ 09-11-2005 |