Max Fürst:
Mein JudentumIch kann
eigentlich über mein Judentum gar nicht schreiben, genausowenig wie über
mein Deutschtum: Beide habe ich nicht, sondern sie haben mich. Man ist
hineingeboren, hat eine Erziehung erlitten, und dann hat es einen, ohne daß
man viel dazu tun muß. Gerade das Judentum ist sehr anhänglich, es klebt wie
Pech, und es bedarf schon einer großen Anstrengung, um es loszuwerden; viele
haben es ganz vergeblich versucht.
Ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht berichtet von Abu Kasem, der
seine Pantoffeln so lange getragen hat, bis die Fetzen an allen Seiten
herunterhingen. Man sagt, aus Geiz, ich meine, aus Tradition. Als sich ihm
die Gelegenheit zu bieten schien, sie gegen neue einzutauschen, begann die
Tragödie. Die alten Pantoffeln rächten sich und stifteten Unfug, der Abu
Kasem immer wieder in Schwierigkeiten brachte. Im Märchen wird er sie erst
los, nachdem sie ihn ruiniert haben, in der Realität, die noch trotziger ist
als ein Märchen, wird er sie wohl wieder zu sich genommen und bis an sein
Lebensende getragen haben, auch wenn sie ihm die Füße noch so wund
scheuerten.
Jedem Menschen hängt solch ein Pantoffel um den Hals, wenn er ihn
schon nicht mehr an den Füßen trägt, und gibt ihm eine unbestimmte Farbe.
Man nennt das Tradition, ein sehr vager Begriff. Sie kann alles zum Inhalt
haben: Jugenderlebnisse, die Sippe, in die man hineingeboren ist, die
Landschaft, aus der man stammt, und, manchmal erst im Alter, Erinnerungen
und Verantwortlichkeit. Uber wie viele Generationen bleibt ein Deutscher,
der nach Amerika, Südafrika oder Australien ausgewandert ist, seinem
Vaterland verbunden? Wie lange bewahrt er den deutschen Lebensstil? Bei den
Juden ist die Verbundenheit mit dem Judentum immer wach. Einer mag ein
großer Gegner aller jüdischen Institutionen sein und die Juden bekritteln,
aber eben darum wird er immer aufmerksam, wenn von Juden die Rede ist. Man
ist in einer Art Sippenhaft mit ihnen verbunden, und es kann einem nicht
gleichgültig sein, was sie irgendwo auf der Welt tun... |