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Die Geschichte der
Juden
in Deutschland V
1500
aZ:
Der christliche Bekehrungseifer überlebt das
Ende des Mittelalters |
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1510-1520: Die Kontroverse zwischen Reuchlin und Pfefferkorn geht auf die
Bestrebungen des Dominikaner-Ordens zurück, alle religiösen jüdischen Bücher
verbieten zu lassen; die Vernichtung ihrer Bücher soll die Juden zur Bekehrung
zum Christentum bringen. Johannes Reuchlin, ein Christ und Humanist, hatte viele
Jahre mit dem Studium hebräischer religiöser Texte verbracht. Von Kaiser
Maximilian mit einem Gutachten betraut, wendet sich Reuchlin nicht nur gegen die
Vernichtung dieser Literatur, sondern schlägt vor, an jeder deutschen
Universität zwei Lehrstühle zu ihrem Studium zu gründen. Pfefferkorn, ein mit
den Dominikanern verbündeter bekehrter Jude, bezichtigt Reuchlin, er habe sich
von den Juden bestechen lassen. Es folgt ein langer und kostspieliger
Rechtsstreit. Obwohl Reuchlin letztendlich den Prozess verliert, werden die
Bücher doch gerettet. Die anonymen Pamphlete, die Reuchlin in seinem Kampf
unterstützen, darunter vor allem die satirischen "Dunkelmännerbriefe",
untergraben den Einfluss der Dominikaner und schwächen die Autorität der
Katholischen Kirche.
1519: Vertreibung der Juden aus Regensburg wenige Wochen nach dem Tod
ihres Beschützers Maximilian 1.
1523: Martin Luther (1483-1546) veröffentlicht ein vielgelesenes Buch
"Dass Jesus ein geborener Jude sei", in dem er die Juden verteidigt und lobt.
Als sie sich aber auch zu seiner neuen christlichen Lehre nicht bekehren lassen,
wendet er sich gegen sie; 1543 erscheint seine Schrift "Von den Juden und ihren
Lügen". Sie gibt jahrhundertealte antijüdische Mythen wieder, preist die
Judenverfolgungen, setzt die Juden dem Teufel gleich und empfiehlt Massnahmen
gegen die Juden, wie sie vierhundert Jahre später in Deutschland Wirklichkeit
werden sollten.
Luthers Bestreben, die allgewaltige katholische Kirche zu reformieren, führt zur
Spaltung der Kirche zwischen Katholiken und Protestanten und schliesslich, 72
Jahre nach Luthers Tod, zum Dreissigjährigen Krieg.
etwa 1520-1554: Josel von Rosheim, ein Jude aus dem Elsass, wirkt
unermüdlich für die immer wieder bedrohten jüdischen Gemeinden des Reiches.
Durch Vorsprachen bei Kaisern und Reichsfürsten gelingt es ihm immer wieder, die
Vertreibung oder Verfolgung von Juden zu verhindern. Auf einer solchen
Interventions-Reise in die Pfalz stirbt er. Für sein nie definiertes Amt gibt es
keinen Nachfolger.
1551: Vertreibung der Juden aus Bayern.
Für die Juden bringt der Anbruch der Neuzeit weitere religiöse Verfolgungen. Nun
gibt es zwei christliche Religionen, von denen jede ihren Einflussbereich gegen
Andersgläubige, gleichgültig ob Christen der anderen Konfession oder Juden,
erbittert verteidigt.
1555: Papst Paul IV. befiehlt die Befolgung des 1179 vom dritten
Laterankonzil beschlossenen Gebots, das "wahren Gläubigen" auch das Wohnen
inmitten von Ungläubigen untersagte. Die systematische Verbannung der Juden in
Ghettos, wie sie in vielen Städten schon in Erscheinung getreten ist, wird nun
zur Regel. Die Ghettos werden mit Mauern umgeben und ihre Tore nachts und an
Sonntagen und christlichen Feiertagen versperrt.
Ende des 16. Jahrhunderts: Einer Gruppe begüterter portugiesischer
"Marranen" (Nachfahren zwangsgetaufter Juden) wird gestattet, sich in
Hamburg niederzulassen. Selbst nachdem es sich herausstellt, dass sie
heimlich immer noch der jüdischen Religion anhängen, dürfen sie ihrer
bedeutenden Handelsbeziehungen wegen bleiben. Während des folgenden Jahrhunderts
siedeln sich immer mehr Marranen, die vor der lnquisition aus Spanien und
Portugal fliehen, im nördlichen Europa an, vor allem in den Niederlanden, auf
dänischem Gebiet und in den norddeutschen Hansestädten, wo sie zu ihrem
jüdischen Glauben zurückkehren können. Sie führen dem internationalen
Warenverkehr Kapital und Sachkenntnis zu und entwickeln neue Industrien.
1618-1648: Der Dreissigjährige Krieg zwischen Katholiken und Protestanten
verwüstet Deutschland, zerstört Städte und Dörfer, die Bürgerhäuser und die
Gehöfte der Bauern ebenso wie die Judengassen. Als er zu Ende geht, scheint der
christliche religiöse Eifer in Europa ermattet zu sein. Toleranz für andere
Glaubensrichtungen und Lebenshaltungen werden in der sich nun allmählich
gestaltenden modernen Welt zur Möglichkeit.
Ein wesentliches Ergebnis dieses Religionskrieges, der Mitteleuropa verheert hat
und ohne einen Sieger zu Ende gegangen ist, ist ein politischer Machtwechsel von
der früher fast allmächtigen Kirche zu den weltlichen Herrschern in Europa.
Handel und Geldverkehr sind von immer grösserer Bedeutung. Die Juden, durch
Jahrhunderte auf diese Wirtschaftszweige abgedrängt, haben darin ein hohes Mass
von Sachwissen gewonnen, und das macht sie für die neuen weltlichen Machthaber
zu wertvollen Gehilfen. Die Veranlagung und Verwaltung von Kapital bringen jetzt
wesentlich grössere Gewinne als das Risiko, in teuren Kriegen um ungewisse Beute
zu kämpfen.
Von der Mitte des 17. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts erscheinen Juden als
wichtige Figuren an den Höfen vieler deutscher Fürsten, als deren finanzielle
Berater, Kredit- und Geldgeber, Steuereinheber und Lieferanten von Proviant und
Waffen für die Armeen. Es gelingt diesen Hofjuden aber auch, jüdischen Gemeinden
Schutz zu sichern, die Gründung von neuen Gemeinden zu ermöglichen, andere Juden
zu Positionen an den Höfen zu bringen, die Aufhebung einiger der drückendsten
Beschränkungen herbeizuführen und neue Synagogen errichten zu lassen. Obwohl die
Stellung eines Hofjuden kaum jemals gesichert ist, zeigt ihr häufiges Erscheinen
nicht nur von ihrer Nützlichkeit für die weltlichen Herrscher, sondern auch von
zunehmender Toleranz, und bahnt den Weg zur schließlichen Emanzipation der
Juden. Israel Aaron in Berlin, Leffmann Behrends in Hannover, Alexander David in
Braunschweig,
Joseph Suess
Oppenheimer
(der es zu einer sehr machtvollen Position brachte, dann aber nach dem Tod
seines Fürsten gehängt wurde) in Württemberg sind nur einige von vielen, die dem
Fortschritt ihrer Gemeinden grosse Dienste erwiesen.
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