Visionen für die Arbeitsgesellschaft von morgen
Das Bürgergeld ist die Grundlage für die Vision von einer humanen
Arbeitsgesellschaft der Zukunft: Das Teilen von Arbeit und Einkommen ist
jetzt möglich. Die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Frau und Mann
fällt. Erwerbsarbeit wird mit anderen Formen von Arbeit - Bürgerarbeit und
Familienarbeit - verzahnt.
1. Partnerschaftliche Arbeitsteilung
Das Bürgergeld ist eine Möglichkeit, um Tätigkeiten zu bezahlen, die
heute vor allem von Frauen ehrenamtlich geleistet werden: in erster Linie
Kindererziehung oder häusliche Pflege. Sie werden zwar nicht direkt bezahlt,
aber über den Anspruch auf Bürgergeld materiell entschädigt. Damit ist die
Diskriminierung von Personen, die ihre Erwerbsarbeit für eine gewisse Zeit
unterbrechen, um Kinder zu betreuen oder ältere Menschen, noch nicht
beseitigt. Sie sind nach wie vor schlechter gestellt als
Vollzeit-Erwerbstätige. Die Situation von Vollzeit-Familienarbeitern ist
jedoch mit Bürgergeld erheblich besser als heute: Sie erhalten mehr Geld und
sind auch im Alter abgesichert, weil sie auch dann auf das Bürgergeld zählen
können.
Noch viel wichtiger ist jedoch, daß das Bürgergeld die partnerschaftliche
Teilhabe von Frau und Mann an Erwerbs- und Familienarbeit erleichtert. Denn:
Es ist nun finanziell viel einfacher, weniger Erwerbsarbeit zu leisten, weil
die finanziellen Verluste viel geringer sind als heute. Das Bürgergeld
gleicht bei geringeren Einkommen die finanziellen Nachteile wenigstens zu
einem Teil aus. Familien, in denen beide Partner je 25 Stunden arbeiten,
können dann ihren Lebensunterhalt finanzieren - und das Zusammenleben mit
Kindern muß nicht wie heute unter der Abwesenheit der Eltern, vor allem der
Väter, leiden.
2. Arbeit teilen statt Gesellschaft spalten
Das Bürgergeld beseitigt das entscheidende Dilemma, das weitreichende
Arbeitszeit-verkürzungen bisher verhindert: Mit vollem Lohnausgleich sind
Arbeitszeitverkürzungen teuer. Wer seine Arbeitszeit jedoch ohne
Lohnausgleich auf 20, 25 oder 30 Wochenstunden reduziert, büßt viel
Nettoeinkommen ein. Mit Hilfe eines Bürgergeldes verlieren diese
Arbeitnehmer dann netto weniger an Einkommen als heute. Das Bürgergeld
leistet deshalb einen erheblichen Beitrag zur Verringerung der
Arbeitslosigkeit. Damit bietet das Bürgergeld die soziale Grundlage, um
Arbeit und Einkommen in der Gesellschaft zu teilen, statt - wie heute - die
Gesellschaft in Gewinner und Verlierer zu spalten.
3. Abschied von der Vollerwerbs-Biographie
Das gegenwärtige Sozialsystem geht im Prinzip von einer Biographie aus,
die 45 Jahre Vollerwerbstätigkeit vorsieht - sie ist auf das Prinzip des
männlichen Ernährers zugeschnitten. Doch die Menschen von heute leben
anders: Sie machen eine Ausbildung oder studieren, um dann in die
Erwerbsarbeit einzusteigen. Später kommt bei vielen eine Familienphase, um
danach wieder, vielleicht nach einer erneuten Aus- oder Weiterbildung, in
den Beruf einzusteigen. Immer mehr Menschen - Frauen und Männer - leben
nicht mehr nach der Vollerwerbsbiographie, auf die die gegenwärtige
Arbeitsgesellschaft in all ihren Facetten setzt - oder sie werden durch
Arbeitslosigkeit aus dieser Biographie herausgeworfen.
Das Bürgergeld bietet genau jene lebenslange soziale Absicherung, die
nach einer Auflösung des Vollerwerbsmodells notwendig wird. Dadurch wird die
Mauer zwischen Erwerbsarbeit, Familienarbeit und ehrenamtlicher Arbeit
durchlässiger - dies erleichtert es Frauen und vor allem Männern,
gleichberechtigte Anteile in all diesen Bereichen zu übernehmen. Die
Menschen können Erwerbsarbeit, Engagement und Familienarbeit in jeder
Lebensphase so miteinander verzahnen, wie sie dies für richtig halten.
4. Gesellschaft ohne Armut
Das Bürgergeld sichert alle Menschen - ohne Rechtfertigungszwang und
bürokratische Mühlen - gegen finanziell schwierige Phasen ab. Menschen, die
nur das Grundeinkommen beziehen, werden zwar nicht reich, doch sie können
auf diese Basis zählen - in jedem Lebensalter. Gleichzeitig können sie sich
ohne bürokratische Hindernisse zu ihrem Bürgergeld noch Erwerbseinkommen
hinzuzuverdienen. Dadurch werden auch schlecht bezahlte Jobs besetzt, weil
das Bürgergeld die Einkommen aus Billig-Jobs nach oben subventioniert. Wenn
Unternehmen allerdings zu geringe Löhne oder zu schlechte Arbeitsbedingungen
anbieten, dann kann es sehr gut sein, daß sie dafür keine Arbeitskräfte
finden, da Erwerbslose durch Bürgergeld abgesichert sind. Dann müssen die
Arbeitgeber die Löhne erhöhen oder die Arbeitsbedingungen verbessern. Es
entsteht eine flexible Arbeitsgesellschaft, die - im Gegensatz zum
hochgelobten Modell der USA - ohne das Damoklesschwert der Armut auskommt.
5. Gesellschaft ohne Existenz-Angst
Viele Menschen haben Angst um ihre Arbeitsplätze, um die
Umwelt, um ihre Rente, um ihre Kinder und Enkel. Die Erwerbstätigen stehen
unter erheblichem Konkurrenzdruck, werden täglich gegen Kolleginnen und
Kollegen ausgespielt und müssen jeden Tag Höchstleistungen aus sich
herausquetschen, um ihren Arbeitsplatz zu erhalten: Kinder, Alter,
Solidarität und Freundschaften sind nicht erwünscht. Hinzu kommt, daß sich
viele Erwerbstätige nicht mit den Produktionszielen ihrer Unternehmen
identifizieren. Ihr Motto lautet: Hauptsache Arbeit. Generell empfinden sich
viele Menschen als Rädchen in einem anonymen Großgetriebe, das sie
auszuspucken droht, wenn sie nicht mehr gebraucht werden. Dies ist eine der
Ursachen für die zunehmende soziale Kälte.
Das Bürgergeld wird vielen Menschen nicht zum
Lebensunterhalt reichen. Dennoch schafft es ein Gefühl von Sicherheit, von
Unabhängigkeit. Man ist dem Getriebe nicht mehr ganz so sehr ausgeliefert.
Dies ist ein Schritt zu einer humaneren Gesellschaft, in der
die Menschen mehr Kreativität und Phantasie ausleben können als heute.
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