Europa: Neue Wege gegen die Arbeitslosigkeit
Der Kampf gegen Arbeitslosigkeit ist nicht aussichtslos. Mit
unkonventionellen Methoden und phantasievoller Politik gehen europäische
Länder gegen Arbeitslosigkeit vor.
Die Nachbarstaaten liefern den Beweis: Ein Jobwunder ist möglich, ohne den
Sozialstaat zu zerschlagen.
Ein Wirtschaftswunder im Norden:
Dänemark
»Es läuft unfaßbar gut«, faßt der dänische Premierminister
Poul Nyrup Rasmussen sein Erstaunen über das dänische »Wirtschaftswunder« in
Worte. Die Arbeitslosigkeit sank von 12,3 Prozent im Jahre 1993 auf 7,5
Prozent Ende 1996 - für 1998 erwartet man sechs Prozent. Während andere
Länder verzweifelt versuchen, ihre Staatsschulden zu begrenzen, schloß der
dänische Haushalt im Jahre 1997 mit einem Überschuß ab.
Das Wirtschaftswunder ist die Frucht einer Wirtschafts-
und Sozialpolitik, die an verschiedenen Punkten gleichzeitig ansetzt: Die
sozialdemokratische Minderheitsregierung - faktisch regiert eine große
Koalition - senkte zunächst die Steuern für Einkommen.
Gleichzeitig führte sie gegen den Widerstand der Wirtschaft
Ökoabgaben auf Strom und Wasser ein, die seit 1994 schrittweise
angehoben werden. Das Ergebnis dieser Steuerreform ist äußerst positiv:
Die erhöhte Kaufkraft von Arbeitnehmern und Unternehmern belebt die
Wirtschaft, die Ökoabgaben bieten Anreize für Spartechnologien - ein neuer
Markt ist entstanden. Gleichzeitig wachsen die Steuereinnahmen.
Unternehmen können neu eingestellte Arbeitnehmer in kurzer
Frist wieder entlassen. Als Gegenleistung für die Arbeitnehmer erhöhte die
Regierung jedoch das Arbeitslosengeld auf 90 Prozent des letzten Nettolohnes
- und dies bis zu fünf Jahre lang. Auf diese Weise ist eine Entlassung
leichter zu verschmerzen. Die Betriebe können flexibel agieren, die
Arbeitsämter sind sehr motiviert, für ihre Arbeitslosen neue Stellen zu
finden, weil die Erwerbslosen viel kosten.
Daß Entlassene schneller wieder eine Stelle bekommen,
dafür sorgt eine sehr aktive Arbeitsmarktpolitik des Staates. Nach
spätestens zwei Jahren muß jedem Arbeitslosen eine öffentlich finanzierte
»Aktivierungsstelle« angeboten werden. Es kann sich dabei um eine
Regelarbeit oder um ein Angebot zur Fortbildung handeln. Arbeitsunwilligen
Bürgern kann das Arbeitslosengeld gesperrt werden. Besonders erfolgreich
waren diese Umschulungs- und Aktivierungsprogramme in wirtschaftlichen
Problemregionen. Dort wurde die Ansiedlung von Betrieben gezielt gefördert
und die Arbeitslosen nach den Bedürfnissen der neuen Betriebe umgeschult.
Bei jugendlichen Arbeitslosen praktiziert Dänemark eine
Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche. Jugendlichen unter 25 Jahren wird nach
einem halben Jahr das Arbeitslosengeld gekürzt, wenn sie keinen Job des
Arbeitsamtes akzeptieren oder sich nicht weiterqualifizieren lassen. Nach
ersten Erfahrungen entscheidet sich ein Drittel der Betroffenen für eine
Fortbildung, ein Drittel für eine Schule oder Hochschule und ein Drittel für
eine Arbeitsstelle.
Im Sinne einer aktiven Arbeitsmarktpolitik subventioniert
die dänische Regierung die Hausarbeit. Familien können Zuschüsse erhalten,
wenn sie - auch nur stundenweise - eine Haushaltshilfe beschäftigen, die
sozial abgesichert tätig ist. Ergebnis: Rund 3000 neue,
sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze in den Haushalten.
Die Gewerkschaften haben in den letzten Jahren auf hohe
Lohnerhöhungen verzichtet - im Tausch gegen verbesserte
Sozialleistungen und eine bessere Altersversorgung. Das
Erfolgsgeheimnis der dänischen Wirtschafts- und Sozialpolitik liegt in der
Erkenntnis, daß viele kleine Schritte auch zu einem großen Ziel führen: eine
neue Steuerpolitik, eine aktive Arbeitsmarktpolitik und Elemente einer
Neuverteilung von Arbeit, kombiniert mit einer Mischung von Anreiz und
Druck. Bei der Präsentation seiner Erfolgsbilanz räumt Rasmussen allerdings
gleich mit dem gegenwärtig weitverbreiteten (Vor-) Urteil auf, der Staat
müsse sich stärker aus der Wirtschaft zurückziehen. Nicht ob
der Staat die Wirtschaft mitgestaltet, ist für ihn die Frage, sondern
wie.
hagalil.com 1998 |