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Die Auswanderer

B. Wechsler, Landrabbiner, Oldenburg, 20. December 1846, ein Vortrag, gehalten im Verein für Volksbildung zu Oldenburg

Gefunden in den Beständen der "Forschungsstelle Deutsche Auswanderer in den USA" (DAUSA) der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.

Welches sind die wirkenden Kräfte, welches ist der Hebel, der die Menschen, trotz aller im ersten Teil des Vortrags angesprochenen Erschwernisse, dazu bringt Haus und Hof zu verlassen und auszuwandern?

Man kann sich die Antwort auf diese Frage leicht und schwer machen. Leicht, wenn man sich mit einer allgemeinen begnügt und das Nähere und Einzelne der gegenwärtigen Zustände außer Acht läßt; schwer, wenn man auf diese Einzelheiten eingehen, wenn man das ganze gegenwärtige Leben, namentlich in Deutschland, mit allen seinen Ein- und Ausflüssen vor dem Geiste aufrollen und so an die verschiedenen, mannigfachen Quellen des Auswanderns gelangen, die materiellen und geistigen Schäden aufdecken will, die mit dieser Erscheinung in Verbindung stehen.
Wir wollen den zweiten Weg einschlagen, wenn wir ihn auch nicht ganz zurücklegen können, weil der erste uns zu nichts führt, uns nicht den erwünschten Aufschluss bringt. Jedoch kann ich mir's mit Ihrer Erlaubniß nicht versagen, Ihnen einige Beispiele vorzuführen, wie die allgemeine, kurze Antwort oft lautet.

Es sei, sagen die Einen, sie nennen sich häufig die Frommen, die Gläubigen, es sei die Zerrissenheit der Zeit, der Weltschmerz eines aus den Angeln der Ruhe und Gottergebenheit gehobenen Geschlechts, es sei das Kainszeichen der vor Gott flüchtigen, sündigen Gegenwart, das die Menschenkinder unruhig, unstät, unzufrieden mache, das sie gegen die alte, wohlgegründete Ordnung aufwiegele und hinaustreibe aus den Schranken eines zufriedenen, bescheidenen Lebens, bescheidener Ansprüche. Es sei der Sünde Sold, daß so Viele die heiligen Bande der Heimat und des Vaterlandes gering schätzen und leichtfertig abschütteln. Man habe das himmlische Joch des Glaubens und Vertrauens abgeworfen, habe an den alten Grundpfeilern der menschlichen und göttlichen Ordnung gerüttelt, und darum fehle die Festigkeit, weil die Demuth fehle, und darum schwanke der Boden unter den Füßen. Kehre man zu jener Ordnung, zu jenem Glauben zurück, so werde auch Jeder wieder gerne bleiben, wer und was er ist, bleiben, wohin ihn die Vorsehung gestellt hat, so werde man sich wieder fügen und beugen unter den obwaltenden Verhältnissen. Die Bewegung, und somit auch die Auswanderung, werde dann von selbst sich mindern und aufhören!

Aber jene frommen Herren haben dabei vergessen, daß es mit dem Zurückkehren ein eignes Ding, daß die Menschheit nie den Krebsgang gehet, daß die Menschheit nie zurückkehret zu dem, was sie überschritten und überwunden hat, was als Vergangenheit hinter ihr liegt. Haben Jene nun auch in so fern das Wahre getroffen, daß eine gewisse Unruhe, ein gewisses Unbefriedigtsein mit der Gegenwart als eine Uebergangszeit die Gemüther gewaltig erfaßt hat, und daß dies auch eine und gewiß eine wichtige Ursache der Auswanderungslust ist, so haben sie doch der Erscheinung nicht fest und scharf ins Antlitz geschaut. Jener Weltschmerz, er ist kein Phantom, kein gemachter, ersonnener und erheuchelter mehr - wie er weiland in der Romantik figurierte - er ist der Schmerz einer an Geburtswehen leidenden und sich ihrer bewussten Zeit, er ist der Schmerz des Sichlosreißenwollens und oft nicht Könnens von der Scholle. Und da nützt wahrlich das Jammern und Wimmern über die Gottlosigkeit der Zeit nichts, da kann nur Eines helfen und gründlich helfen. Befördert die Geburt, sehet nach, wo es der Kreisenden fehlet, reichet ihr die Hilfe, die zu reichen ist, auf dass sie nicht vergehe in ihrem Schmerz, traget Sorge dafür, dass die Geburt eine gesunde, kräftige werde, dass sie nicht verkrüppele und verkümmere unter der Zange eiserner Theorien, verstümmelnder Eingriffe! Jene so genannte fromme Erklärung ist daher im Grunde eine unfromme, unheilvolle, weil nicht eingehend auf die wahren Gebrechen und Heilmittel, weil blind für das, was wahrhaft noth thut.

Wie hier eine theologische, so ist von einer andern Seite her und zwar von einer entgegengesetzten eine philosophische und geschichtliche versucht worden, die wir ebenfalls nicht unberührt lassen wollen, obleich auch sie unserm Zwecke nicht genügt, uns aber dem Gegenstande schon näher führt.

Der Zug der Menschheit - so etwa lautet die Erklärung - der Zug der Gesittung und Verjüngerung des Menschengeschlechts ist von je von Osten nach Westen gegangen, das Gesetz der Bewegung hat sich von je auch in der Völkerwanderung und zwar in dieser Richtung verwirklicht. Aus den Hochgefilden Asiens stiegen die Geschlechter einst herab und ließen sich vornehmlich an den Küsten Kleinasiens und Europa's nieder. Da fand zuerst die Kultur, die Bildung, die Wissenschaft, die Freiheit ihre Wiege und ihre Stätte (Siehe Schlosser's Weltgeschichte für das deutsche Volk. S. 3).

In Griechenland, in Italien feierte sie ihre erste Jugendfeier, da wurden zuerst die Ketten der Barbarei, des Despotismus gebrochen, da lernte zuerst der Mensch seine Kraft, seine physische und geistige kennen und gebrauchen. Weiter ging sodann der Zug der Kultur in das Herz Europa's, in das große germanische Reich, hin bis an die weitesten westlichen Spitzen des kleinen Welttheils. So wurde namentlich Deutschland nacheinander zuerst der Mittelpunkt der Macht, der Weltherrschaft, und dann, als ihm der Purpurmantel abgerissen, als es zerstückelt und zerbröckelt wurde, als seiner Nationalität die Spitze, die Einheit abgebrochen wurde, der Mittelpunkt geistiger, innerer Entwickelung. So wurde in seinem Schoße die Reformation geboren und durch sie die Fesseln der Hierarchie gebrochen. So entbrannte in seiner Mitte der große Kampf geistiger Selbstständigkeit gegen unwürdige Bevormundung, des Fortschritts in Kirche, Staat und Wissenschaft gegen den Stillstand, gegen die Reaktion.

Aber auch Deutschland ist alt geworden, wird alt und müde, kann den Kampf der Menschheit nicht auskämpfen, kann die große Wanderung nicht beendigen, steht noch mit einem Fuße im Alterthume und im Mittelalter und vermag nicht, ihn aus dieser Klemme herauszubringen. Weiter geht daher die Wanderung, dorthin in die neue Welt, die auf die Resultate der alten ihr Fundament aufgebaut hat, die nicht erst der Vergangenheit ein und das andere kleine Zugeständnis abzuringen hat, weil sie selbst keine Vergangenheit hat, die frisch und munter fortgewebt an dem Webstuhle der freien Entwicklung, der Verjüngung der Menschheit. Kein Wunder daher, wenn die Auswanderung dahin zunimmt, wenn namentlich Deutschland sein Kontingent zur Bevölkerung dieser neuen Welt stellt. Das allgemeine Gesetz treibt dahin; gibt sich auch in dieser Bewegung wieder kund.

Gegen Verzagtheit und Muthlosigkeit:
Überall ist Amerika!


So die Erklärung. Und wir wollen nicht leugnen, dass in ihr bittere Wahrheiten liegen, nicht leugnen, daß im großen Ganzen und Allgemeinen das hier aufgestellte Gesetz eine gewisse Gültigkeit hat, dass zu Zeiten die Menschen mit einer gewissen Notwendigkeit von der Kraft der Bewegung erfasst und getrieben werden. Aber nimmermehr dürfen wir's zugeben, daß diese Nothwendigkeit eine blinde, unabwendbare sei, daß wir nicht im Stande seien, ihr mit klarem Bewußtsein entgegen zu treten und sie zum Theile abzuwenden. Nimmermehr dürfen wir uns selbst für alt und mündig erklären, und das Gute, was unstreitig uns die jüngste Zeit gebracht hat, nicht würdigen, weil es noch nicht das Beste ist. Nimmermehr dürfen wir den Glauben aufgeben, daß noch Kraft und Saft genug in uns ist, der Mittelpunkt eines national-kräftigen, fortschreitenden, frohen und freien Daseins zu bleiben. Nein, wir halten's für keine vergebliche Mühe, für Wahrheit und Bildung, für Recht und Freiheit und Gemeinwohl mit Energie in die Schranken zu treten und diese Grundfesten des Wohles und Glückes im Vaterlande zu befestigen und zu erweitern. Wir bedürfen dazu nicht erst einer neuen Welt und neuer Grundlagen. Sie sind schon da, hier, dort, überall ist Amerika, wo nur die Hand nicht müssig in den Schoß gelegt wird und Verzagtheit und Muthlosigkeit die Gemüther benebelt und erstarret.

Aber wahr immerhin bleibt die Behauptung, daß eine solche Erstarrung bei Vielen eingetreten ist, daß die meisten Auswanderer das Gesicht nach dem Westen kehren, weil ihnen die Zustände bei uns nicht mehr behagen, weil sie dort ein Asyl suchen für viele Güter, die ihnen hier versagt sind. Bedenkt man nun, daß ja die Zeiten im Ganzen nicht schlimmer, vielmehr besser geworden sind, daß eine mehr billige Austheilung der Lasten und Abgaben angestrebt wird in den meisten Staaten Deutschlands, daß im öffentlichen Leben des Volkes eine Frische und Regsamkeit sich zeigt, die eine Bürgschaft dafür ist, daß die materiellen und geistigen Interessen desselben nicht unberücksichtigt bleiben können, so ist es wohl der Mühe werth, in das Gewebe von Ursachen, welche die Auswanderung dennoch veranlassen, einzugreifen und so des Räthsels Deutung zu suchen.

Ich kann natürlich nur die stärksten, auffallendsten Fäden aus diesem Gewebe herausgreifen und Ihrer Aufmerksamkeit empfehlen, und es kann auch geschehen, daß ich mich in der Wahl irre und einen und den andern wichtigen Punkt, der hierher gehört, übergehe, in welchem Falle Sie Nachsicht mit meiner Darstellung haben wollen. Ein Jeder sieht die Welt und die Verhältnisse durch den Spiegel seiner persönlichen Neigungen und Studien. Leicht möglich, daß der meinige täuscht.

>> demnächst...

hagalil.com / 25-08-2006


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