Postkarten an Otto Weidt aus
Theresienstadt. "Zwischen den Zeilen" steht die verzweifelte Bitte um
Brot. Eine Ausstellung in der ehemaligen Blindenwerkstatt
Friederike Gräff
Wie vom Hunger schreiben, wenn die Post zensiert wird? Wenn nichts von
Tod und Hunger in den 30 deutschen Worten stehen darf, die man schreiben
darf. Georg Licht schickt am 29. November eine Postkarte an Herrn Otto
Weidt, Kartoffelgroßhändler: "Liebster Freund, ich bestätige dankend den
Empfang Ihres Paketes vom 20. 1. 1943. Brief folgt." Tatsächlich war Otto
Weidt nicht Kartoffelgroßhändler, sondern Leiter der Berliner
Blindenwerkstatt. Und er verstand, was der Berufswechsel bedeutete: Die
dringliche Bitte, Kartoffeln in das Konzentrationslager Theresienstadt zu
schicken.
"Zwischen den Zeilen" heißt die Sonderausstellung mit Postkarten aus
Theresienstadt, die zur Zeit im Otto-Weidt-Museum in den ehemaligen Räumen
der Blindenwerkstatt gezeigt wird. Neunzig erhaltene Karten, in denen sich
verschleppte Angestellte der Blindenwerkstatt an Otto Weidt wenden. Eine
von ihnen ist Inge Deutschkron, bekannte Autorin und ehemalige
Mitarbeiterin der Blindenwerkstatt. Nach Weidts Tod hatte sie die Karten
von seiner Witwe erhalten und der nationalen Gedenkstätte Israels
übergeben. Für die Ausstellung am Hackeschen Markt hat das
Jad-Vaschem-Archiv Kopien der Postkarten nach Berlin geschickt. Auf
kleinen Holztischen liegen sie aus, versehen mit biografischen Angaben zu
den Absendern und Erläuterungen zu den verschlüsselten Nachrichten.
Vorgedruckte Dankpostkarten sowie einige der selten gestatteten, selbst
formulierten Postkarten. Zensiert wurden alles. Denn für die
Nationalsozialisten war die Schreiberlaubnis lediglich Teil ihrer
Täuschungsmanöver, die Theresienstadt der Außenwelt als "Musterghetto"
präsentieren sollen. Für die Häftlinge waren die Karten der einzige
Kontakt nach außen. Sei es als Bitte um Lebensmittel oder als Möglichkeit,
ein Lebenszeichen zu geben.
Viele der Schreiber wollten in ihrer lebensbedrohlichen Situation
schlicht mitteilen, dass sie noch leben - und sich zugleich vom
Wohlergehen der Adressaten überzeugen.
Im August 1943 schreibt Ilse Basch an den "lieben Onkel Otto": "Tue uns
doch bitte den Gefallen, wie versprochen weiter regelmäßig von Dir hören
zu lassen, denn auch wir denken viel an Dich und hoffen, dass Du uns auch
nicht vergißt. Grüße bitte Familie Wittler oftmals und nimm Du für heute
viele herzliche Grüße, auch von Werner, Deine Nichte Ilse Basch". Die
Zensur mag Familie Wittler für Verwandte von Ilse Basch gehalten haben,
tatsächlich war es die größte Berliner Brotfabrik. Ilse Basch bat um Brot
und sie machte Otto Weidt zu ihrem Onkel, weil sie glaubte, dass Pakete
von Familienangehörigkeiten eher durchgelassen würden als solche von
Bekannten. Etwa 150 Pakete hat Otto Weidt in dieser Zeit nach
Theresienstadt geschickt. Was das in Zeiten des Krieges und der
Lebensmittelrationierung bedeutet hat, ist heute kaum vorstellbar. Sicher
ist, dass Otto Weidt die unausgesprochenen Bitten nur wegen seiner
geschickten Geschäfte auf dem Schwarzmarkt erfüllen konnte.
Neben den Postkarten sind in der Ausstellung auch Skizzen aus
Theresienstadt zu sehen. "Auf der Post" heißt eine, die einen großen
Paketstapel zeigt, während im Hintergrund die Menschen am Ausgabeschalter
warten, die Männer mit Mützen auf dem Kopf, die Frauen mit Kopftuch. Ein
Postamt wie jedes andere auch - und das ist das Verstörende an diesem
Bild: dass es etwas ahnen lässt von der Alltäglichkeit des Grauens.
Daneben hängt eine Mitteilung der jüdischen Selbstverwaltung
Theresienstadts vom 6. September 1944. Die so genannte Selbstverwaltung,
die keine war, sondern lediglich Erfüllungsorgan für die Anordnungen der
SS, sucht hier nach Fachkräften aus dem Baumaterialienfach. "Lebensläufe
können in der Hauptstraße 2, Zimmer Nr. 152 A abgegeben werden." Wer sich
für Zulassungen für Pakete aus dem Protektorat anmelden will, kann das
zwischen 8 und 14 Uhr in Zimmer Nr. 147 tun. Der Schrecken in
Theresienstadt ist gut verwaltet. Die Ausstellung im Otto-Weidt-Museum
zeigt das am Kleinsten, den Postkarten. Und sie zeigt die Versuche, ihm zu
entkommen. Den wenigsten Schützlingen Otto Weidts ist das gelungen. Ihre
Spuren verlieren sich in Auschwitz.
Die Ausstellung "zwischen den Zeilen" - Postkarten aus Theresienstadt
ist bis zum 21. Januar 2002 im Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt in der
Rosenthaler Straße 39 zu sehen. Di. bis Fr. 13-16 Uhr, Sa. und So. 13-19
Uhr.
taz
06.10.2001 Friederike Gräff
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