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[Tschechische Häftlinge im Konzentrationslager Dachau]
Von Zuzana Mosnáková

Zur Diskussion im Forum:
[
Nationalsozialistische Konzentrationslager]
3. Verhalten:
Tschechische Häftlinge und der KZ-Alltag

3.2 Solidarität

3.2.2 Beispiel: Das Krankenrevier

Der Häftlingskrankenbau in Dachau war ein grauenvoller und brutaler Ort. Wer hier aufgenommen wurde, war schwer krank oder verletzt und benötigte Ruhe und intensive Pflege. Doch statt dessen waren hier die Häftlinge den SS-Ärzten sowie einigen sadistischen Pflegern "im wahrsten Sinne des Wortes auf Gnade und Ungnade ausgeliefert."[23] Im "Revier" wurde gequält, gefoltert und getötet. Da die Patienten nicht als menschliche Wesen, sondern lediglich als "geeignete(s) Material"[24] betrachtet wurden, fanden an diesem Ort unter dem Deckmantel der Medizin unzählige Menschenexperimente statt.

Zámečník schildert aus eigener Erfahrung, dass hier die "Kranken [...] in überfüllten Räumen, von quälendem Hunger geplagt, ohne Medikamente und ohne ärztliche Pflege" lagen und starben.[25] Unter den Häftlingen gab es zwar auch einige Ärzte, doch ihre Arbeit war an diesem Ort bis zum Jahr 1942 nicht erwünscht. Erst als die Häftlinge massenhaft in der Rüstungsindustrie eingesetzt werden sollten, und die Sterblichkeitsrate im Zuge des "Totaleinsatzes" gesenkt werden musste, setzte die SS-Führung einige von ihnen im "Krankenrevier" zur Pflege der Patienten ein. Etwa zum gleichen Zeitpunkt gelangten einige Tschechen als Pfleger, Schreiber und sogar als Ärzte gerade hier an einflussreiche Stellen.

Eine sehr exponierte Persönlichkeit, welche in nahezu keinem einzigen Erinnerungsbericht, egal welcher nationalen Herkunft, unerwähnt und ungewürdigt bleibt, war der tschechische Arzt Dr. František Bláha. Nach Zámečník wurde Bláha durch seine Hilfsbereitschaft "zu einer der populärsten Persönlichkeiten des Lagers."[26] Auch er wurde im Jahr 1942 vom SS-Chefarzt als Arzt im Krankenrevier zugelassen und als Chirurg sogar dem Operationssaal zugeteilt. Doch nachdem er es bald darauf ablehnte, an mehreren gesunden Häftlingen Operationen durchzuführen, wurde er in die "Totenkammer" versetzt und mit der Funktion des Leichenträgers betraut. Doch Bláha erkannte seine neuen Möglichkeiten schnell und nutzte diese, gerade für viele SS-Männer verachtenswerte und ekelerregende Aufgabe, für solidarische Handlungen gegenüber zahlreichen Mithäftlingen aus.

Mit seiner Aufgabe erhielt Bláha Zugang zu allen, auch zu den verbotenen Bereichen des Lagers und gelangte so "in die isolierten Invalidenblöcke, in den Strafblock und auch in den Bunker"[27]. So konnte er auch Häftlinge der äußersten Randgruppen ärztlich versorgen, die das Lager wahrscheinlich sonst nicht überlebt hätten. In einem "fahrbarem Blechsarg, vor dem die SS-Männer mit Abscheu ausspuckten"[28], gelang es ihm, unbemerkt Medikamente und Lebensmittel ins Lager zu schmuggeln. "Wenn am Abend die SS-Leute das Lager verlassen hatten, ging er durch die einzelnen Abteilungen und untersuchte unabhängig davon, ob das den Herrn Pflegern passte oder nicht, die Kranken, nahm verschiedene Eingriffe vor und empfahl bestimmte Therapien."[29] Der deutsche Überlebende Joseph Joos erinnert sich: "[...] wie oft mußten wir seine diagnostische Kapazität in Anspruch nehmen, damit er einem kranken Kameraden, der nicht ins Revier aufgenommen war oder nicht aufgenommen werden wollte, einen sachdienlichen Rat erteilte. Er hat nie versagt."[30] Mit seinen subversiven  Hilfsaktionen rettete er das Leben zahlreicher Häftlinge und genoss unter ihnen daher ein sehr hohes Ansehen. Nach der Befreiung vertrat er die tschechoslowakischen Internierten im Internationalen Häftlingskomitee und wurde zudem mit Fragen der gesundheitlichen Probleme während der anschließenden Quarantänezeit betraut.

In der TBC-Abteilung des Krankenreviers arbeitete und half Dr. Josef Halaška, ein weiterer tschechischer Arzt. Der Überlebende Ladislav Kopřiva erinnert sich, dass Halaška Häftlinge aufnahm, welche durch Hunger und schwere Arbeit geschwächt waren und dringend einige Tage Ruhe brauchten.[31] Da diese Abteilung nach einer gewissen Zeit etwas bessere Nahrung erhielt, konnten sich die Erschöpften wenigstens für eine kurze Zeit erholen. Halaška hielt in seiner Abteilung sogar Häftlinge versteckt, denen die Gefahr eines "Invalidentransportes" drohte. Damit rettete er einigen Menschen das Leben. Eine große Hilfe war auch Rudolf Císař, welcher Pfleger auf dem 7. Infektionsblock war, den Zámečník als eine "Baracke des Grauens" bezeichnet. Hier wurden besonders viele schwache Patienten gequält und durch Phenolspritzen getötet. Císař gelang es während der Typhusepidemie im Jahre 1942/43, eine beträchtliche Menge an Medikamenten und Lebensmitteln ins Lager zu schmuggeln, mit deren Hilfe viele todkranke Häftlinge wieder aufgepäppelt und gerettet werden konnten.[32]

In der Revierschreibstube saß wiederum der tschechische Häftling Kopřiva, welcher durch seine einflussreiche Stellung viele Hilfsaktionen koordinierte. Er beschaffte Medikamente und Lebensmittel für bedürftige Gefangene, hielt mit Häftlingen in den Straf- und Isolierblöcken Kontakt und kümmerte sich darum, dass bestimmte Kranke überhaupt ins Revier aufgenommen und gepflegt wurden.[33] Abschließend war für kranke, alte und gefährdete Häftlinge die "Station für septische Chirurgie", die sich auf Block Nr. 1 befand, ein enorm wichtiger Zufluchtsort. Hier wirkte der "außerordentlich gewissenhafte"[34] deutsche Oberpfleger Heinrich Stöhr, dem mit Stanislav Zámečník sehr ein junger und unerfahrener Tscheche zur Seite stand.

In dieser Abteilung wurden Patienten beherbergt, die durch die Schwere ihrer Erkrankung längst in die Kategorie der Invaliden gefallen wären und so vermutlich nicht überlebt hätten. Eine Anordnung der SS besagte nämlich, dass sich kein Patient länger als drei Monate im Krankenrevier aufhalten dürfte. Da dies jedoch bei vielen Patienten wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes nicht eingehalten werden konnte, wurden sie vorübergehend für wenige Tage entlassen, um darauf gleich noch einmal auf der Station aufgenommen zu werden.[35] Bei einigen besonders schweren Fällen "veranlasste Stöhr eine fingierte Entlassung."[36] Auf diese Weise konnten manche extrem bedrohten Patienten sogar mehrere Jahre auf dem Revier verbringen. Begünstigt wurde die Tarnung zudem durch den extremen Gestank, der in den Räumen dieser Abteilung aufgrund der eitrigen Wunden herrschte.[37] Denn die SS-Männer ekelten sich davor und betraten die Räume nur sehr selten.

Während der Selektionen für einen "Invalidentransport" wurden die schwer Kranken wiederum auf andere Stuben verlegt, die Fieberkurven versteckt und die Betten so präpariert, "dass sie unbelegt aussahen"[38]. In der vierten Stube dieses Blocks, der sogenannten Prominentenstube, richteten die Pfleger zudem "ein Asyl für einige bekannte Persönlichkeiten und gefährdete Menschen ein."[39] Hier überlebten unter anderem der über 80-jährige Karel Feierabend, der Holländer Nico Rost, der deutsche Priester Hans Carls und der Belgier Arthur Haulot. Zámečník versteckte darüber hinaus in seiner eigenen Stube bis zum Kriegsende die bereits erwähnten Tschechen Josef Truhlář und Graf František Bořek-Dohalský sowie den tschechischen Arbeiter Alois Dudek.[40]

Schilderungen zur Solidarität nehmen in den Memoiren und Erzählungen tschechischer Überlebender oft den größten Raum ein. Gerade die schriftlichen Memoiren lassen klar erkennen, dass der Zeitzeuge nicht nur für sich selbst, sondern auch als Teil der ehemaligen tschechischen Häftlingsgruppe berichtet. Das individuelle und das kollektive Gedächtnis bilden dabei meistens eine Einheit und die persönliche Erfahrung des betreffenden Zeitzeugen wird damit nicht selten überlagert. Die elende und brutale Situation des Konzentrationslagers sowie die eigenen traumatischen Erlebnisse werden so in vielen Berichten regelrecht verdrängt. An ihre Stelle treten Geschichten über enges Gemeinschaftsgefühl und nationale oder sogar internationale Solidarität. Vladimír Feierabend vergleicht seine Erfahrungen im KZ sogar mit dem "Militärdienst". "Schlechte Erfahrungen vergisst man und erinnert sich vor allem nur an positive, solidarische Erfahrungen."[41] Sicherlich hatte die Solidarität im Lager für jeden Häftling einen enorm hohen Stellenwert und bewahrte viele in dem extrem vulgären Umfeld vor einem geistigen und moralischen Verfall. Doch der Forscher wird mangels Eigenerfahrung bei diesem Thema stets im Dunkeln tappen und daher außer Stande sein, einen Werturteil zu fällen.

  • [23] Zámečník, Dachau, S. 162.

  • [24] Zámečník, Stanislav: Erinnerungen an das "Revier" im Konzentrationslager Dachau, in: DH 4 (1988), S. 134.

  • [25] Zámečník, Dachau, S. 165.

  • [26] Zámečník, Erinnerungen, S. 137.

  • [27] Zámečník, Dachau, S. 330.

  • [28] Ebenda, S. 330.

  • [29] Ebenda, S. 331.

  • [30] Joos, a. a. O., S. 79.

  • [31] Kopřiva, S. 15, DaA 36.075.

  • [32] Ebenda, S. 15; Zámečník, Dachau, S. 322. Näheres dazu siehe Kap. 3.3.

  • [33] Kopřiva, S. 17, DaA 35.076.

  • [34] Zámečník, Dachau, S. 327.

  • [35] Ebenda, S. 330.

  • [36] Ebenda, S. 330.

  • [37] Ebenda, S. 164.

  • [38] Ebenda, S. 330.

  • [39] Ebenda, S. 330.

  • [40] Ebenda, S. 331.

  • [41] Videointerview mit Vladimír Feierabend, DaA R 386.

5. ANHANG
5.1.1 Quellenverzeichnis
5.1.2 Literaturverzeichnis
5.2.0
Abkürzungen

Zur Diskussion im Forum:
[
Nationalsozialistische Konzentrationslager]
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hagalil.com 10-2004


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