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[Tschechische Häftlinge im Konzentrationslager Dachau]
Von Zuzana Mosnáková

Zur Diskussion im Forum:
[
Nationalsozialistische Konzentrationslager]
3. Verhalten:
Tschechische Häftlinge und der KZ-Alltag

3.5 Befreiung und Repatriierung

Die letzte Phase des Konzentrationslagers Dachau war durch eine drastische Verschlechterung der Lebensbedingungen, durch Überfüllung, Krankheit und einen schrecklichen Hunger gekennzeichnet, der die entkräfteten Gefangenen oft bis zur Verzweiflung verfolgte. Das Kanonengedonner, welches täglich immer näher kam, signalisierte den Häftlingen jedoch, dass der Zusammenbruch der SS-Herrschaft nicht mehr fern war.

Die meisten tschechischen Häftlinge erlebten die Befreiung des KZ Dachau im Stamm-lager.[201] Den 29. April 1945 schildern alle Interviewpartner als einen wunderschönen, sonnigen Tag. "Am Morgen griff Erregung um sich. Die Menschen gingen neugierig auf den Appellplatz, von wo aus eine an einem Gebäude der SS heraushängende weiße Fahne sichtbar war. Unweit hinter der Plantage kreiste ein langsames amerikanisches Flugzeug."[202] Die meisten SS-Einheiten verließen das Lager bereits in der Nacht, doch die Wachtürme waren noch mit bewaffneten Resten der SS-Wachmannschaften besetzt und daher unverändert gefährlich. Der genaue Ablauf der Befreiungsaktion kann heute aufgrund der unterschiedlichen Versionen nicht mehr detailliert nachvollzogen werden.[203] Als sicher gilt, dass das Lager am späten Nachmittag des 29. April 1945 von zwei voneinander unabhängigen Einheiten der US-Armee befreit wurde. Welche Einheit jedoch zuerst das Lager betrat, kann aufgrund der verschiedenen Aussagen der Beteiligten nicht mehr eindeutig geklärt werden. Den genauen Verlauf konnte auch kaum einer der tschechischen Interviewpartner schildern, da sich die meisten von ihnen zu dem Zeitpunkt in den Baracken oder im Krankenrevier befanden oder von der neuen Situation sprichwörtlich überrumpelt wurden. Die Schilderungen bleiben auch bei ihnen widersprüchlich.

Dagegen stimmen viele Erinnerungsberichte darin überein, dass es am 29. April, nach dem Betreten des Schutzhaftlagers durch die amerikanischen Truppen, zu einem Schusswechsel zwischen ihnen und den SS-Wachen auf den Türmen gekommen sei.[204] František Kadlec schildert in seinem Tagebuch, welches er nur wenige Tage nach der Befreiung zu führen begann, detailliert diese "Liquidation" der Wachtürme: "Der neutralen Zone entlang stehen Menschenmengen der Häftlinge und regen den Soldaten mit den Aufrufen Hurrah, Bravo Amerikaner und durch das Pfeifen an. [...] An der Turmferse liegen jetzt 5 Leichen, der sechste Mann zappelt und ist während des Jubelns der häftlinge (sic!) mit 2 Schüsse totgeschlagen. Da die Besatzung von 15 Männer am Bachrand gestanden ist, sind einige Leichen in den Bach gefallen."[205] Die US-Einheiten haben in der Tat gleich zu Beginn etwa 200 SS-Männer festgenommen, wobei sie einige von ihnen sofort erschossen."[206]

Alle Beteiligten erinnern sich an die Befreiung als ein über alle Maßen ergreifendes Ereignis. Eine unbeschreibliche Euphorie beherrschte die Stimmung im Lager. Alle Häftlinge, die sich noch auf den Beinen halten konnten, strömten während der Entwaffnung der Wachtürme in Scharen auf den Appellplatz. Jiří Jemelka erinnert sich: "Jetzt wurde natürlich gejubelt, geweint, geschrieen, umarmt, geküsst ... ."[207] In den nächsten Tagen fanden in dieser Atmosphäre zahlreiche Feste statt, und das Lager wurde von unzählbaren bunten Nationalflaggen geradezu überflutet. Die Häftlinge stellten nationale aber auch internationale Kulturprogramme zusammen, an denen unter anderem auch der alte tschechische Häftlingschor nach dem fast zweijährigen Verbot mit einem Repertoire von tschechischen Volksliedern wieder teilnahm.[208] Den Höhepunkt der Feierlichkeiten bildete schließlich das Fest zum 1. Mai, "als auf dem Appellplatz des Lagers inmitten eines Waldes von Fahnen und Spruchbändern die Befreiung und das bevorstehende Kriegsende mit Festreden in fünfzehn Sprachen begangen wurden."[209] Sehr viele Nationalitätengruppen, die sich nun schnell in Nationalkomitees organisiert hatten, begannen zudem bereits in den ersten Tagen eine eigene Zeitung in ihrer jeweiligen Muttersprache zu drucken. Die tschechische Zeitung hieß "V nový život" ["Ins neue Leben"] und brachte es im Lager auf ganze neunzehn Ausgaben.[210] Darin publizierten die Tschechen neben den aktuellen Ankündigungen und Befehlen zahlreiche Gedichte und Erzählungen von nationalen Dichtern und auch Essays über ihre politische Zukunfts-vorstellungen in der Freiheit. Doch der Enthusiasmus der ersten Stunden währte angesichts des katastrophalen Zustands, in dem sich das Lager und die Häftlinge befanden, nicht sehr lange.

Die Gefangenen waren durch die unermesslichen Strapazen der KZ-Haft physisch und psychisch an ihren Grenzen angelangt. Statt eines engeren Zusammenhalts und Solidarität breitete sich im Lager zunehmend Missmut und Ungeduld aus. Viele tschechische Überlebende beklagen in ihren Erinnerungen, dass sie im Lager angeblich weiter gefangengehalten wurden, denn viele versprachen sich von der Befreiung eine schnelle Repatriierung. Doch die amerikanischen Truppen waren aus mehreren Gründen genötigt, die Rückkehr der Häftlinge in die Freiheit um einige Wochen aufzuschieben. Zunächst musste die unberechenbare Typhusepidemie eingedämmt werden, da sonst die Gefahr der Verbreitung außerhalb des Lagers bestanden hätte. Darum wurde über das ehemalige KZ Dachau erneut Quarantäne verhängt und den Häftlingen mit Erschießung gedroht, wenn sie das Lager verließen.[211] Nur wenige Gefangene erhielten die Genehmigung, außerhalb des Lagerbereichs nach Lebensmitteln für die unterernährten Häftlinge suchen zu dürfen. Einige Tschechen "organisierten" zu diesen Zwecken einen Traktor, mit dem sie Konserven mit Gemüse, Marmelade oder Fleisch aus den benachbarten Gemeinden ins ehemalige KZ Dachau lieferten. Des Weiteren war in den ersten Tagen kein Repatriierungstransport möglich, da die Überlebenden durch anhaltende Kämpfe in Südbayern extrem gefährdet gewesen wären.[212] Und schließlich befanden sich unter den ehemaligen Häftlingen noch einige SS-Männer oder sadistische Funktionshäftlinge, die, meist in gestreifter Kleidung als Gefangene getarnt, ihrer Strafe zu entkommen hofften. Diese mussten vor der Repatriierung ausfindig gemacht werden.[213]

Für die Tschechen begann nun eine Zeit der inneren Zerrissenheit. Denn da im Gegensatz zu anderen ehemals besetzten Gebieten in Böhmen und Mähren noch gekämpft wurde, fühlten sich viele von ihnen trotz der Entkräftung verpflichtet, nach Hause zu ihren Familien zu eilen, um diese zu beschützen. Zudem vernahmen sie seit Anfang Mai durch die zahlreichen Radioempfänger eindringliche Hilferufe aus Prag, wo gerade in den ersten Maitagen ein Aufstand der Bevölkerung gegen die Besatzer begann. Vor allem die tschechischen Offiziere waren aufgrund ihrer Ohnmacht "nervlich vollkommen angespannt"[214]. Zudem dauerte die akute Lebensgefahr aufgrund der gefährlichen Typhusepidemie weiter an, so dass viele Überlebende noch befürchten mussten, dass sie dieser schweren Krankheit aufgrund ihrer schlechten körperlichen Verfassung zum Opfer fallen würden.[215] Der innere Zusammenhalt begann zudem allmählich zu bröckeln. R. Dražan schildert, dass "sobald die Gefahr (die von der SS ausging, Z. M.) vorüber war, auch die starke tschechische Gruppe in viele einzelne politische Gruppen zerbrach, von denen jede ein eigenes Programm hatte."[216] Die Identifikation durch die gemeinsame Sprache, Nationalität sowie die gemeinsame Abneigung gegen das NS-Regime reichte demnach nach dem Ende der Gefangenschaft nicht mehr aus. Die Häftlinge differenzierten sich zunehmend nach verschiedenen politischen, sozialen oder privaten Interessen. Angesichts dieser Entwicklung kann man bei der tschechischen Gruppe möglicherweise doch von einer "Leidensgemeinschaft" sprechen. Denn der größte Teil von ihnen hielt nach Angaben der Überlebenden so lange zusammen, wie das Leiden in der KZ-Haft anhielt. Doch nachdem die unmittelbare Gefahr und das Elend durch die Befreiung gebannt waren, zerfiel auch die gemeinsame Basis der Leidensgenossen, und die Tschechen zerstreuten sich in viele kleinere und nicht selten gegensätzliche Interessensgemeinschaften.

Um im Lager das drohende Chaos zu verhindern, konstituierte sich bereits in der Nacht zum 29. April 1945 das Internationale Häftlings-Komitee, welches nach der Befreiung zugleich als "ausführendes und gesetzgebendes Organ der Selbstverwaltung"[217] fungierte. Seine Mitglieder erhielten in der ersten offiziellen Sitzung in Freiheit von den amerikanischen Truppen "sämtliche Vollmachten über das Lager"[218]. Die Organisation setzte sich aus Repräsentanten mehrerer Nationalitätengruppen zusammen, wobei die Tschechoslowakei von Dr. František Bláha vertreten wurde. Ihre Aufgaben waren außerordentlich vielfältig. Zunächst mussten die Vertreter für ausreichend Nahrung und Kleidung sowie für Medikamente für die Kranken und Schwachen sorgen. Des Weiteren musste bei den "nummerierten" Häftlingen die Identität festgestellt werden, damit sie in ihr altes Leben zurückkehren konnten.[219] Schließlich organisierte das Internationale Häftlings-Komitee die Repatriierungen.

Der ersehnte Tag kam für die Tschechen am 21. Mai. Nachdem Dr. Bláha eine weiterhin bestehende Gefahr durch Typhus ausschlossen, und die tschechische Regierung wohl für alle Formalitäten gesorgt hatte, stand ihrer Rückkehr nichts mehr im Wege. Da sich im Lager über 2.000 Überlebende aus der Tschechoslowakei befanden, wurde die Repatriierung auf zwei oder sogar drei[220] aufeinanderfolgende Tage verteilt. "Einige hatten schon so schwache Nerven, dass sie fürchterlich wütend wurden, dass sie erst mit dem II. Transport fahren werden und nicht schon mit dem ersten. Diese letzten 24 Stunden haben sie wütend gemacht."[221] Die Überlebenden wurden auf offenen Transportwagen zu je 25 Personen über München, Landshut, Deggendorf nach Pilsen gebracht. Dieser Rücktransport hatte wegen des Mangels an geeigneten Fahrzeugen von den amerikanischen Truppen, welche die Reise bis Pilsen begleitet hatten, einen stark improvisierten Charakter und war daher vor allem für die Schwächeren unter den Tschechen enorm anstrengend. In Pilsen wurden die Kranken und Geschwächten nach Aussagen der Überlebenden wohl gleich in Krankenhäuser aufge-nommen, und die übrigen traten, nunmehr auf sich allein gestellt, die oft noch tagelange Reise in ihre Heimatorte an. Sie war für sehr viele von ihnen mit zahlreichen Unannehmlichkeiten und unerwarteten Hindernissen verbunden, da zum einen die überwiegende Mehrheit kein Geld hatte, um eine weitere Reise oder die Verpflegung zu finanzieren, und zum anderen wohl auch vielen die notwendigen Repatriierungspapiere fehlten. Sowohl Herr Kadlec, als auch Herr Dražan und Herr Jemelka fanden aber schließlich in ihre alten Heimatorte und nach einiger Zeit auch in ihr früheres Leben zurück.

Auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau entstand im Jahr 1965, im Zuge des zwanzigsten Jahrestages der Befreiung, eine Gedenkstätte, die die Erinnerung an den nationalsozialistischen Terror wach hält. Jedes Jahr feiern hunderte ehemaliger Häftlinge an diesem Ort den Tag der Befreiung als einen Gedenktag für die Opfer des KZ Dachau. Die meisten tschechischen Überlebenden wurden durch das kommunistische Regime lange Zeit an der Teilnahme gehindert, so dass für die wenigen von ihnen, die noch am Leben sind, erst seit 1989 der Weg in die Gedenkstätte offen steht. Und wenn nach der traditionellen Kundgebung am Krematorium das Lied "Die Moorsoldaten" gespielt wird, spürt auch der unbeteiligte Beobachter, dass ein Teil von ihnen diesen Ort niemals verlassen hat.

  • [201] Das Blockbuch des Blocks Nr. 20 weist im Jahr 1945 nahezu 800 Tschechen als Bewohner dieses Blocks aus. Außerdem

  •      bewohnten zu dieser Zeit mehrere hundert Tschechen die Blöcke 8 und 14. Deswegen kann auch ohne nähere Angaben

  •      aus den Außenlagern davon ausgegangen werden, dass sich die meisten tschechischen Häftlinge im Stammlager

  •      befanden. Eine Evakuierung der Tschechen fand im Gegensatz zu vielen deutschen, russischen und jüdischen Häftlingen

  •      nicht statt. Distel, Barbara: Der 29. April 1945. Die Befreiung des Konzentrationslagers Dachau, in: DH 1 (1985), S. 7;

  •      Zámečník, Dachau, S. 385.

  • [202] Ebenda, S. 392.

  • [203] Vgl. dazu: Distel, Der 29. April 1945, S. 10.

  • [204] Ebenda, S. 10.

  • [205] František Kadlec: Tagebuch der Gruppe tschechischer Belegschaft des Blocks Nr. 8 und Nr. 14 des Konzentrationslagers

  •      Dachau, S. 5 – 6, DaA 20.629.

  • [206] Distel, Der 29. April 1945, S. 10.

  • [207] Interview mit Jiří Jemelka am 9.9.2002.

  • [208] Kuna, a. a. O., S. 135.

  • [209] Benz, Wolfgang: Zwischen Befreiung und Heimkehr. Das Dachauer Internationale Häftlings-Komitee und die Verwaltung

  •      des Lagers im Mai und Juni 1945, in: DH 1 (1985), S. 45.

  • [210] Viele Nummern befinden sich im Original im Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau, DaA 31.701 – 31.708 und DaA

  •       36.299.

  • [211] Benz, Zwischen Befreiung, S. 40, 45, 47.

  • [212] Ebenda, S. 45.

  • [213] Ebenda, S. 45.

  • [214] Květoň, Jan: Návrat z Dachau do vlasti – II. transport. [Rückkehr aus Dachau in die Heimat – II. Transport], in: Almanach

  •      Dachau. Kytice událostí a vzpomínek. [Almanach Dachau. Ein Strauß von Ereignissen und Erinnerungen], Dachau,

  •      S. 194.

  • [215] Nach Zámečník starben nach der Befreiung im Lager noch 2.221 Häftlinge. Zámečník, Dachau, S. 398. Die Häftlings-

  •      datenbank weist davon 88 als Tschechen aus.

  • [216] Interview mit Radovan Dražan am 11.9.2002.

  • [217] Benz, Zwischen Befreiung, S. 40 – 41.

  • [218] Ebenda, S. 41.

  • [219] Für einige von ihnen musste sogar eine neue Heimat gefunden werden, wie etwa für Juden, die aufgrund der vergangen Erfahrungen, oder für viele Polen, Jugoslawen und andere Nationalitäten, die wegen der neuen politischen Lage nicht mehr nach Hause zurückkehren wollten. Ebenda, S. 40.

  • [220] Wie viele Transporte es insgesamt waren, konnte bislang leider nicht festgestellt werden. Die Erinnerungsberichte sprechen meistens von zwei, einige wenige jedoch von drei Transporten.

  • [221] Kvetoň, a. a. O., S. 193.

5. ANHANG
5.1.1 Quellenverzeichnis
5.1.2 Literaturverzeichnis
5.2.0
Abkürzungen

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