3. Verhalten:
Tschechische Häftlinge und der KZ-Alltag
3.1 Tschechen als Häftlingsgruppe3.1.2
Beziehungen zu anderen Häftlingen und Häftlingsgruppen
Die Beziehungen unter den Häftlingen im Lager wurden
nicht nur von gegenseitiger Sympathie, sondern auch vom Kategoriensystem, von
der Sprache, der Nationalität sowie von der "Funktionsmacht" gelenkt.
W. Sofsky betont mehrmals, dass das Kategoriensystem "als
Mechanismus der Differen-zierung"
wirkte. Die von der SS aufoktroyierten Häftlingskategorien wurden von den
meisten Gefangenen weitgehend kritiklos übernommen. Das lag in erster Linie
daran, dass sich die SS bei der Bildung der verschiedenen Kategorien gängiger
"Stereotype der gesell-schaftlichen Umwelt" bediente, die "das Lagerregime nur
zu radikalisieren brauchte."
Die Etiketten kriminell, asozial, homosexuell, aber auch "Jude", "Pole" oder
"Tscheche" waren bereits seit vielen Jahren mit Vorurteilen besetzt, welche
"auch die soziale Wahrnehmung in der zivilen Gesellschaft prägten."
Es lag in der Absicht der SS, die Häftlinge gegeneinander auszuspielen,
potentielle Gemeinschaften zu spalten, unter den Gefangenen wechselseitiges
Misstrauen zu erwecken und auf diese Weise einen größeren und für ihre Macht
bedrohlichen Zusammenhalt zu verhindern. Daher war es ein Teil dieser Strategie,
wenn etwa die meisten Häftlinge mit einem schwarzen Winkel tatsächlich als
"asozial, arbeitsscheu, feige und verdreckt"
galten und dadurch im Lager von den Mithäftlingen verächtlich betrachtet und
behandelt wurden. Ähnlich war es auch bei den "kriminellen" und homosexuellen
Häftlingen, welche sogar noch viele Jahre nach der Befreiung als sogenannte
vergessene Opfer um ihre Anerkennung kämpfen mussten.
Bis heute finden sich in den Erinnerungsberichten zahlreiche Hinweise auf die
reservierte Haltung gegenüber diesen "gemeinschaftsfremden" Häftlingsgruppen.
Die Quellen zu den tschechischen Häftlingen schweigen zu diesem Thema
weitgehend, was wiederum vermuten lässt, dass zwischen den "Politischen" und den
sonstigen Kategorien, ausgenommen der hoch politischen "Spanienkämpfer" und
Geistlichen, keine Kontakte bestanden. Dabei belegt etwa das Blockbuch, dass im
"tschechischen” Block Nr. 20 auch ein "Asozialer" und zwei "kriminelle"
Tschechen untergebracht waren, so dass unter ihnen zumindest ein räumlicher
Kontakt bestanden haben muss. In diesem Zusammenhang erinnert sich Kašák,
"mit welcher Freude" er, nachdem er in Dachau seit mehreren Monaten der
einzige Tscheche gewesen war, in einem der ersten Transporte nach der
Evakuierung des Lagers im Winter 1939/40, den ersten Landsmann "gesucht und
gefunden hatte, obwohl er auf der Brust einen schwarzen Winkel trug
(Asozialer)."
Dieser kleine Zusatz "obwohl" deutet ebenfalls auf eine reservierte
Haltung gegenüber den anderen Häftlingsgruppen hin. Es scheint, dass lediglich
die "Notsituation", bzw. der Mangel an Alternativen diese zwei Personen im Lager
zusammenkommen ließ. Einen weiteren Hinweis auf solche Distanz liefert
schließlich auch das Verzeichnis der Überlebenden Tschechen und Slowaken,
welches sich als Anhang im "Almanach Dachau" befindet. Von den insgesamt
siebzehn in und um Dachau befreiten "Sicherungsverwahrten", "Asozialen",
"Zigeunern" und "Homosexuellen" tauchen hier lediglich sechs auf und das im
Gegensatz zu den meisten "Politischen" fast immer ohne nähere Angaben, wie etwa
Adresse oder Beruf.
Dagegen sind in dieser Liste alle Geistlichen und "Spanienkämpfer" nahezu
vollständig aufgeführt, was wiederum darauf schließen lässt, dass diese
Häftlingsgruppen als politische Gefangene in die tschechische Gemeinschaft
überwiegend integriert waren.
Doch schlechte Beziehungen konnten auch unter einzelnen
politischen Häftlingen innerhalb der Nationalitätengruppe bestehen. Welche
Konsequenzen es haben konnte, bekamen zwei Mitglieder der tschechischen
faschistischen Organisation "Vlajka" zu spüren, die im Jahr 1943 nach Dachau
eingeliefert wurden. Die Mitglieder der Organisation "Vlajka" versprachen sich
durch die Besetzung Böhmens und Mährens einen enormen Machtzuwachs und bemühten
sich daher mit den Besatzern zu kollaborieren. Dazu gehörten auch die Verfolgung
und Denunziationen von Regimegegnern und Widerstandsgruppen. Auch einige
Dachauer Häftlinge sind auf ihre Agitation hin ins KZ verschleppt worden. Die
Ankunft von Jan Rys-Rozsévač und Josef Burda im
KZ Dachau rief unter den Tschechen eine Welle der Empörung hervor. "Wir
bereiteten ihnen einen Empfang vor, den sie nicht vergessen werden",
erinnert sich Heřman Tausik. Vladimír Šacha berichtet zudem, dass den beiden
Neuan-kömmlingen sogar "mit dem Kamin"
gedroht wurde. Auch planten viele Tschechen sie in "Mordkommandos"
einzuteilen, "damit sie dort das erleben, was die anderen durch deren Politik
über Jahre erleiden mussten."
Viele Überlebende, darunter auch Stanislav Zámečník erinnern sich, dass es im
Lager zu einer Schlägerei kam, in der die rechten Politiker von vielen
wutentbrannten Tschechen "schrecklich verprügelt wurden."
Vermutlich war dies der Grund, dass die SS-Führung Rys und Burda nach drei Tagen
zu "Ehrenhäftlingen" erklärte, die im Lager im Kommandanturarrest bei viel
besseren Lebensbedingungen existieren durften. Sie trugen lange Haare, bekamen
besseres Essen und durften sogar Spaziergänge im "Wildpark" machen. "Sie
bekamen Schutz."
Zu anderen Nationalitätengruppen bestanden wiederum
unterschiedliche Beziehungen. Eine wichtige Basis, um überhaupt Kontakte knüpfen
zu können, war eine gemeinsame Sprache. In dieser Hinsicht standen die
tschechischen Häftlinge anderen Slawen, wie etwa Russen, Polen oder Jugoslawen
sehr nahe. Da alle slawischen Sprachen sehr ähnlich klingen und viele
Gemeinsamkeiten besitzen, war eine gegenseitige Verständigung wesentlich
erleichtert. Zu Häftlingen, deren Sprache die Tschechen nicht verstehen konnten,
herrschte ein weitgehend indifferentes Verhältnis. Ein weiteres wichtiges
Kriterium für gute oder schlechte Beziehungen war die politische Orientierung
der jeweiligen Landesregierung. Denn gerade an der Politik entfachten sich im
Lager zahlreiche Konflikte. Deutsche Häftlinge gehörten für die meisten
Ausländer in Dachau zur "Feindnation",
auch wenn viele von ihnen politische Gegner des NS-Regimes waren. Begünstigt
wurde diese Einordnung besonders dadurch, dass die Deutschen im Lager die
meisten Häftlingsfunktionen und damit die größte Macht besaßen. Einige von ihnen
beteiligten sich außerdem an den Verbrechen der SS, schlugen und töteten ihre
Mitgefangenen und lebten im Lager ihren Sadismus aus. Nach Heřman Tausik
entstand unter den tschechischen Häftlingen "eine sehr gespannte Atmosphäre
gegenüber den deutschen Funktionshäftlingen, welche in ihrer Brutalität dem
SS-Wachpersonal oft in nichts nachstanden."
Vladimír Šacha betont indes die "scharfen Charakterunterschiede"
unter den deutschen politischen Häftlingen und stellt dabei etwa die deutschen
Kommunisten als ein positives Beispiel heraus.
Ähnlich scheint auch das Verhältnis zu den Österreichern gewesen zu sein, welche
im Lager ebenfalls als reichsdeutsche Häftlinge geführt wurden. Auch hier kann
man zwischen bestimmten Personen dieser beiden Nationalitäten eine enge
Beziehung feststellen. Im "Almanach Dachau" haben auch vier Österreicher,
darunter der damalige Bundeskanzler und Überlebende des KZ Dachau Leopold Figl,
ihre Erinnerungen veröffentlicht. Der damalige Ministerrat des Bundeskanzlers,
Franz Sobek, beschreibt insbesondere die ausgeprägte Solidarität, die zwischen
den Österreichern und den Tschechen vor allem in den Arbeitskommandos bestand.
Sie tauschten dort Nahrung, Kleidung aber auch Nachrichten aus. Sehr
problematisch waren dagegen Beziehungen zu denjenigen Nationalitäten, die sich
an dem Zustandekommen des Münchner Abkommens beteiligt hatten oder die davon
profitierten. So verhielten sich die Tschechen gegenüber den Engländern, den
Italienern sowie den Franzosen weitgehend reserviert. Der ehemalige französische
Häftling Josef Rovan, charakterisiert die tschechisch-französischen Beziehungen
in folgender Weise: Die Tschechen "ließen zwiespältige Gefühle gegenüber den
Franzosen erkennen. Sie konnten uns kaum verzeihen, daß wir sie mit dem Münchner
Abkommen hatten fallenlassen [...]. Ihr Volkscharakter, der nicht so hochgemut,
nicht so extrovertiert und nicht so romantisch ist, wie der der Polen, äußerte
sich in einer gewissen Zurückhaltung."
Zu den Polen bestand ebenfalls eine sehr schwierige und
auf der kollektiven Ebene der Nationalitäten sogar eine ausgesprochen schlechte
Beziehung. Die tschechischen Über-lebenden äußern in ihren Erinnerungen eine
tiefe Bestürzung darüber, dass die Polen nach dem Münchner Abkommen das
sogenannte Olsa-Gebiet und damit einen Teil ihrer "Brudernation" okkupierten.
Offensichtlich waren sich die polnischen Häftlinge dabei keiner Schuld bewusst.
"Mit gemischten Gefühlen traten wir den polnischen Häftlingen gegenüber und das
deshalb, weil sie so stolz waren, dass sie nirgends einen Fehler zugestehen
wollten und weil sie nahezu alle Russland hassten. Ihr Patriotismus war nicht
human, war nicht objektiv und es krönte sie grenzenloser Stolz."
Ladislav Kopřiva äußert wiederum, dass die polnischen "Ansichten [...]
reaktionär, antisowjetisch und antisemitisch (waren). Es kam zu
Reibereien. Es gab nicht wenig gute Polen, aber sie reichten nicht aus, um die
Mehrheit, die schlechte Eigenschaften besaß, zu überstimmen."
František Kadlec führt die Problematik zwischen diesen beiden Nationalitäten
außerdem auch auf religiöse Unterschiede zurück. Die Tschechen hielten nämlich
sehr stark an der hussitischen, protestantischen Tradition ihres Landes fest für
die die Polen kein Verständnis geäußert hätten. Insgesamt ist bei nahezu allen
Verfassern des "Almanach Dachau" ein Abstand, wenn nicht sogar Antipathie
gegenüber dieser Nationalität spürbar. Nichtsdestotrotz betonen aber auch einige
Autoren, dass auf individueller Ebene sehr innige Beziehungen und selbst
Freundschaften entstehen konnten.
Zu den sudetendeutschen Häftlingen bestand trotz
gemeinsamer Heimat nach Angaben von Stanislav Zámečník kein besonderes
Verhältnis.
Auch wenn zu einigen Wenigen sehr gute Kontakte vorhanden waren, hätten sich die
meisten Sudetendeutschen nicht zu den Tschechen bekannt. Dagegen müssen die
Beziehungen zwischen Tschechen, Russen und Jugoslawen vielen
Erinnerungsberichten zufolge sehr gut gewesen sein. Anscheinend schweißte sie
sowohl die gemeinsame Sprache, als auch die gleiche politische Orientierung
zusammen. Heřman Tausik spricht in diesem Fall sogar von der "slawischen
Internationale".
Schließlich kam es im Lager zu nicht wenigen reinen
Zweckbeziehungen, welche nicht auf Sympathien oder Gemeinsamkeiten basierten,
sondern ein Teil des strategischen Handelns im Lager waren. Sie signalisieren
eine beträchtliche Anpassung der Häftlinge an die Lager-verhältnisse. Das
ausschlaggebende Kriterium war hierbei die "Funktionsmacht" der beiden Partner,
die an Stellen, wo sie hilfreich war, genutzt und wo sie störte, bekämpft wurde.
Eine solche Beziehung bestand scheinbar zu deutschen Kommunisten, die in Dachau
"die einflussreichste Solidargemeinschaft"
bildeten. Mit deren Hilfe gelang es, einigen Tschechen aus völlig auswegslosen
Situationen herauszuhelfen. Die schrecklichen Lebens-bedingungen des
tschechischen Juden Erich Kulka, der oben bereits erwähnt wurde, nahmen durch
die Verbindung zu den deutschen Kommunisten eine entscheidende Wende. Als der
gefürchtete Kapo Knoll nämlich erfuhr, dass Kulka, der früher selbst Mitglied
einer kommunistischen Widerstandsorganisation gewesen war, Verbindungen zu den
tschechischen Kommunisten besaß, wurde er sogar von ihm persönlich geschützt.
"Seit der Zeit habe ich gesehen, der Knoll hat mir Essen gegeben und leichte
Arbeit und ich war ,der Junge ist in Ordnung’." Damals habe er zu Ladislav
Kopřiva, seinem Freund und ehemaligen kommunistischen Abgeordneten gesagt:
"Ich kann das nicht begreifen, du bist im Untergrund, wie könnt ihr so einen
Mann unterstützen, das ist ein Verbrecher. Hat er gesagt: Ja, wir haben keine
andere Wahl, der Mann ist ein Reichsdeutscher und hat Beziehungen zu der
Lagerführung und über ihn können wir verschiedene Sachen durchsetzen. [...] Wir
wissen das, wir haben keinen anderen Ausweg."
Kopřiva wurde selbst nach seiner Ankunft in Dachau im Jahre 1941 von
deutschen Kommunisten im sogenannten Prominentenblock Nr. 2 untergebracht und
erhielt schon nach kurzer Zeit die sehr einflussreiche Position des
"Revier-schreibers",
die er während seiner KZ-Haft zu zahlreichen Hilfsaktionen für seine Landsleute
ausnutzte.
5. ANHANG
5.1.1 Quellenverzeichnis
5.1.2 Literaturverzeichnis
5.2.0 Abkürzungen
Zur Diskussion im Forum:
[Nationalsozialistische
Konzentrationslager]
hagalil.com 09-2004 |