Ein Ort mit lehrreicher
Geschichte:
haGibor
Neues Heim für
Sozialpflege in Prag:
Ein Seniorenheim für Überlebende der
Schoah
Ein Spaziergang
durch Prag, mit Martina
Schneibergova, erstmals gesendet im
Radio Prag am 10.05.2008
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Altersheim,
Sportareal, Konzentrationslager für
Juden, später für Tschechen und noch
später für Deutsche, ein Krankenhaus
und schließlich ein Seniorenheim. So
kann man die Geschichte des Ortes
kurz zusammenfassen, den die Prager
unter dem Namen "haGibor" kennen.
Vor einigen Tagen hat die Prager
Jüdische Gemeinde auf dem
Hagibor-Areal ein Seniorenheim
eröffnet, das vor allem für
Holocaust-Überlebende aus den
jüdischen Gemeinden aus ganz
Tschechien bestimmt ist.
"Heute
gehen wir auf den Hagibor" – das
habe ich in meiner Kindheit manchmal
am Sonntag von meinen Eltern gehört.
Dies bedeutete, dass wir zuerst
einen Spaziergang an dem
Olsany-Friedhof und dann an dem
jüdischen Friedhof vorbei
machten, um schließlich auf einen
Spielplatz unweit des Friedhofs zu
gelangen.
Der Spielplatz unterschied sich
nicht von anderen Spielplätzen, die
ich aus der Umgebung kannte. Aber
das Wort "haGibor" allein hat mich
schon fasziniert, denn es klang so
wunderbar. Ich erinnere mich, dass
ich einmal die Mutter nach dem Wort
gefragt habe, und sie hat damals
gesagt, das sei früher einmal ein
jüdischer Sportklub gewesen. Mehr
habe ich damals nicht erfahren. Viel
später habe ich festgestellt, dass
der kleine Spielplatz, den wir
haGibor nannten, mit dem wirklichen
Hagibor nicht viel gemeinsam hatte –
er befand sich nur in unmittelbarer
Nähe des früheren
Hagibor-Sportplatzes.
Den Namen Hagibor trägt seit dieser
Woche ein neues Heim für
Sozialpflege. Die Prager jüdische
Gemeinde hat es am vergangenen
Dienstag feierlich eröffnet und
darin die ersten Bewohner begrüßt.
Im Verwaltungsgebäude wurde bei
dieser Gelegenheit eine Ausstellung
über die Geschichte von Hagibor
installiert. Martin Šmok hat die
Dokumentarausstellung vorbereitet:
"Die
jüdische Geschichte dieses Ortes
begann Ende des 19. Jahrhunderts.
Damals entschied sich die jüdische
Gemeinde, eine neue
Sozialeinrichtung für ihre
Mitglieder zu gründen. Es wurden
Grundstücke in der Nähe des
damaligen Neuen jüdischen Friedhofs
gekauft. Ursprünglich sollten dort
ein so genanntes ´chorobinec´ - also
eine Anstalt für Kranke und
Behinderte – und ein jüdisches
Krankenhaus erbaut werden."
Im 20.
Jahrhundert wurde das Heim für
Kranke und Behinderte errichtet, das
sich später in ein Altersheim
verwandelte. Das geplante
Krankenhaus wurde nie erbaut. Auf
dem Grundstück, dass für das
Krankenhaus bestimmt war, wurde nach
der Entstehung der
Tschechoslowakischen Republik ein
für die damalige Zeit höchst
modernes Sportareal des jüdischen
Sportvereins Hagibor erbaut.
"haGibor" (Anm.: "der Held")
bedeutet im Hebräischen groß,
mächtig oder heldenhaft. Am Anfang
des zweiten Weltkriegs diente
Hagibor als eine Schule und letzte
Oase für jüdische Kinder. Es war
einer der wenigen Orte, wo sich die
jüdische Jugend treffen konnte. Der
Großteil der Veranstaltungen in
Hagibor endete jedoch im Herbst
1941. Damals begannen die
Massendeportationen von Juden.
Das Stadion einschließlich eines
Spielplatzes für Kinder gab es bis
1944, dann wurde auf dem Gelände des
Sportareals ein Konzentrationslager
eingerichtet, sagt Martin Šmok:
"In dieses Lager wurden vor allem
die so genannten Mischlinge oder
Leute aus Mischehen gebracht. Frauen
arbeiteten dort in einer
Glimmerfabrik. Später wurden sie
nach Theresienstadt transportiert.
Das Lager war danach bis zum
Kriegsende für Männer bestimmt, die
zwar keine Juden waren, die es aber
abgelehnt haben, sich von ihrer
jüdischen Frau scheiden zu lassen.
Die im Konzentrationslager
eingerichtete Glimmerfabrik war eine
interessante Art der
Kriegsproduktion: Es wurden dort
Glimmer verarbeitet. Glimmer wurde
für die Täuschung der damaligen
britischen Radaranlagen benutzt.
Deutsche Bombenflugzeuge schütteten
Glimmer in die Wolken, diese
spiegelten sich weder und machten
den Eindruck, dass sich die
Flugzeuge anderswo bewegten, als es
in der Wirklichkeit der Fall war. Es
kann sein, dass der Spaltglimmer
auch zu anderen Zwecken gebraucht
wurde. Glimmer kennen die Leute
beispielsweise von den
amerikanischen Öfen."
Die
Geschichte des Konzentrationslagers,
so der Kurator, sei sehr lehrreich:
zum einen darin, dass die Gefangenen
Menschen waren, die mit dem Judentum
nur das gemeinsam hatten, dass sie
eine Frau geheiratet hatten, die von
den Nürnberger Gesetzen als Jüdin
bezeichnet wurde. Noch
beachtenswerter sei aber, dass das
Lager auch nach Kriegsende weiterhin
benutzt wurde:
"Es wurde als Internierungslager
für Deutsche benutzt, wobei wieder
auf eine besondere Art und Weise
bestimmt wurde, wer ein Deutscher
war und wer nicht. Im Lager landeten
viele Leute, die gar keine Deutschen
waren. Für eine bestimmte Zeit lang
hat der russische NKWD das Lager
beschlagnahmt. Man weiß heute nicht,
was sich zu der Zeit dort abgespielt
hat. Man kann annehmen, dass der
NKWD hier Leute interniert hat, die
für ihn als Verräter galten. Der
NKWD hat damals in der
Tschechoslowakei Leute gejagt, die
sich erlaubt hatten, vor den
Bolschewiken zu flüchten. Wir wissen
aber nicht genau, was im Lager da
passiert ist. Plötzlich haben sie
das Lager beschlagnahmt, und genauso
plötzlich sind sie auch wieder
verschwunden. Das war noch im Jahre
1945."
Das renovierte
Verwaltungsgebäude ist jedoch nur
ein kleiner Teil des ursprünglichen
Areals von Hagibor. Dieses Gebäude
wurde erst nach der Wende von 1989
an die Prager jüdische Gemeinde
zurückgegeben. Zum Areal gehörten
jedoch einst auch die Grundstücke,
auf denen heute der neue Sitz des
Senders Radio Free Europe erbaut
wird und auf denen das Hotel Don
Giovanni steht, erzählt Martin Smok
und weist auf die Dokumente aus dem
historischen Sportstadion.
"Ich bin davon überzeugt, dass
die Geschichte des Ortes für die
Bewohner von Prag sehr belehrend
ist, denn sie zeigt, wohin
Vorurteile führen. Die Geschichte
zeigt zudem die sehr enge Verbindung
des tschechischen und des jüdischen
Elements in den Böhmischen Ländern.
Die Fotos, die hier zu sehen sind,
sind nur ein kleiner Teil dessen,
was ich für die Ausstellung
zusammengetragen habe. Sie stammen
sowohl von Privatpersonen als auch
von verschiedenen Organisationen,
die den Holocaust dokumentieren. Es
gibt hier viele Fotos aus dem Archiv
des Prager Jüdischen Museums und
auch einige Dokumente aus dem Archiv
von Yad Vashem in Jerusalem, wobei
nicht ganz klar ist, wie sie dort
gelandet sind, da sie aus dem Archiv
der Prager jüdischen Gemeinde
stammen. Dazu gehört beispielsweise
die Beschreibung des Aufbaus des
Konzentrationslagers in Hagibor. Es
war aber ziemlich mühsam, diese
Materialien zusammenzutragen."
In der Ausstellung
findet man auch einen Brief von dem
tschechischen Pädagogen Přemysl
Pitter, der zahlreiche jüdische
Kinder und nach dem Krieg auch viele
verlassene deutsche Kinder gerettet
hatte. Martin Šmok:
"Nach dem Kriegsende entstand
hier ein Internierungslager für
Deutsche, das vorübergehend umziehen
musste, als Hagibor vom NKWD
beschlagnahmt wurde. Es wurden hier
vor allem Frauen, Kinder und alte
kranke Menschen interniert. Es sieht
so aus, dass die Bedingungen, unter
denen die internierten Deutschen
hier gelebt haben, mit den
Bedingungen in jedem anderen
Konzentrationslager identisch waren.
Dabei stand dieses
Konzentrationslager nach dem Krieg
in der demokratischen
Tschechoslowakei! Premysl Pitter war
ein engagierter Mensch, der gegen
Vorurteile und Rassismus kämpfte. Er
hat sich bemüht, gegen den
unmenschlichen Umgang mit den
internierten Deutschen zu
protestieren. Pitter hat sich aber
nicht nur im Falle von Hagibor
eingemischt. Sein Engagement brachte
ihm große Probleme, er wurde unter
anderem als Kollaborateur
beschimpft. Auch darin ist die
Geschichte von Hagibor sehr
lehrreich."
Martin Šmok fügte
hinzu, er denke darüber nach, wie
man die Geschichte von Hagibor im
Bildungswesen benutzen könnte.
Derzeit trägt er sich mit dem
Gedanken, eine Sammlung von
Materialen herauszugeben, die
Lehrern zur Verfügung stehen könnte.
Bestandteil könnten auch
Videoaufnahmen sein, auf denen die
Zeitzeugen, die noch das alte
Hagibor kannten oder die Lager
durchleiden mussten, ihre Erlebnisse
schildern.
Hana Faixová-Krausová kannte Hagibor
aus ihrer Kindheit als einen Ort, wo
sie mit ihren Freundinnen
zusammenkommen konnte. In dieser
Woche kehrte Frau Faixová nach
Hagibor zurück, sie ist eine der
ersten Bewohnerin des neuen
Seniorenheims. Frau Faixová findet
für ihr neues Zuhause nur lobende
Worte:
"Ich danke allen, die mir
ermöglicht haben, hier zu wohnen –
nach all dem Schlimmen, was ich
durchmachen musste. Ich bin sehr
dankbar, ich habe ein eigenes Zimmer
bekommen, es ist hier herrlich.
Alle, die sich um uns kümmern, sind
so fabelhaft. Es ist hier wie im
Paradies. Zudem habe ich eine schöne
Aussicht direkt in den Garten."
Neben dem
historischen Gebäude wurde in
Hagibor eine neue Pension mit 46
Wohnungen für 60 Menschen erbaut. Im
Verwaltungsgebäude gibt es zudem
eine Tagesstätte sowie einen Saal,
in dem Konzerte veranstaltet werden.
Im Turm des Hauptgebäudes soll ein
Klubraum der Union der jüdischen
Jugend entstehen. Die neue
Geschichte von Hagibor hat soeben
begonnen.
Auch in
Tschechien:
Gesund und jung zu sein ist besser
als alt und krank
Würden sich alle in
Prag lebenden Senioren zum selben
Zeitpunkt entscheiden, den Antrag
auf einen Platz im Altersheim zu
stellen, hätte nur jeder 72.
Antragssteller die Chance. In dieser
Feststellung spiegelt sich die
durchaus unerfreuliche Situation im
Bereich der Alterspflege nicht nur
in Prag, sondern auch außerhalb der
Hauptstadt wider...
Zur
Erinnerung an Leo Steiner:
Zlata Hvezda
Der legendäre
Song "Holcicka" des in den dreißiger
Jahren gefeierten Prager
Gesangsquartetts "Goldener Stern",
wird im kommenden Sommer ein längst
fälliges Comeback erleben...
Quelle: Czech
Radio 7, Radio Prague, URL:
http://www.radio.cz
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