Rechtsstaat: Zwangsarbeit
lohnt sich - bis heute
Es ist zum
Verzweifeln, wenn nicht zum Weinen!Nachtrag
zu einem zwiespältigen Urteil, das noch Geschichte machen kann - v. René
Heilig
Bonn, November 1997.
Fast sechs Jahre zog sich der juristische Streit. 22 ehemalige
Zwangsarbeiterinnen hatten versucht, von der Bundesrepublik
nachträglichen Lohn zu erhalten. Nur in einem Fall war die Klage
erfolgreich. Das Ansinnen der anderen Frauen (eine Klägerin starb
unterdessen) wurde abgewiesen. Sie haben "in der Vergangenheit
Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz erhalten". Das Gericht
betonte den "abschließenden Charakter".
Fröndenberg, Mai 1985
Zur Erinnerung an die frühere jüdische Gemeinde wird im
sauerländischen Fröndenberg eine Gedenktafel für Regina Saphirstein,
Ester Weissblum, Alla Gärtner und Rosa Robota aufgestellt. Die Frauen,
jüdische Zwangsarbeiterinnen, wurden am 6. Januar 1945 auf dem
Appellplatz des Lagers Auschwitz I vor angetretenen Häftlingen erhängt.
Weil sie den im Krematorium Nummer drei eingesetzten Häftlingen bei
deren Aufstand im Oktober 1944 geholfen hatten. Sie schmuggelten das
Pulver, mit dem die Verbrennungsstätte in die Luft gesprengt wurde.
Gramm für Gramm hatten sie den Explosivstoff aus ihrer Fabrik, der
Weichsel Metallunion/Thorn, geschleust.
Die Mutterfirma der Metallunion hieß (nach ihren
Besitzern) Sils/Van de Lo. Sie hatte ihren Sitz in Fröndenberg. 1943
gründeten die Besitzer in Hamburg, Werl, Münster in der Ukraine sowie in
Auschwitz Munitionsfabriken. Die Arbeitskräfte waren billig. 1,23 Mark
zahlte man an die Sklavenhändler von der SS.
Wien, 1984
Der Ex- Häftling Ernst Kohn aus Wien erinnerte sich an die Verbindung
zwischen der Fröndenberger Union und dem Auschwitzer Werk. Darüber
berichtete der Informationsdienst der Arbeitsgemeinschaft verfolgter
Sozialdemokraten im Jahre 1985. Und merkte an, daß die Union Fröndenberg
1951 einen Lastenausgleich für den Verlust ihrer Firma in
Auschwitz
bekommen hat. Damals Zwei Millionen D-Mark. Das ist von der Firma
niemals bestritten worden. Auch in der 1992 übergebenen Klageschrift der
22 Frauen stand dieser Fakt. Die Gegenseite- die Bundesrepublik
Deutschland, vertreten durch das Finanzministerium hat ihn nie in
Zweifel gezogen.
Sowohl die Firma, die längst in Konkurs gegangen ist, als auch der
Rechtsnachfolger des deutschen Reiches verweigern den ehemaligen
Zwangsarbeitern jede individuelle Wiedergutmachung.
Bonn, 18. Dezember 1996
Beisammen saßen- "seitens der BuReg"- der Vortragende Legationsrat
Dahlhoff (Auswärtiges Amt), Ministerialrat Löffler (Finanzministerium),
der Vortragende Legationsrat Brecht (Auswärtiges Amt),
Regierungsdirektor Behrens (Justizministerium) und Regierungsdirektor
Geis (Finanzministerium) sowie Vertreter namhafter, alt-deutscher
Unternehmen. Es war das dritte Treffen dieser Art. Man erörterte, wie
man Wiedergutmachungsforderungen ehemaliger Zwangsarbeiter abwimmeln
kann. Im Mittelpunkt stand die Klage eines Henry Fishel vor einem US-
Gericht. Zugleich verständigte man sich über den Fortgang der Bonner
Landgerichtssache.
Protokollzitat: "Das Gericht wolle den Klagen
stattgeben und die Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage eines
öffentlich-rechtlichen Entschädigungsanspruchs zur Zahlung verurteilen."
Und weiter:" MR Löffler ist der Auffassung, daß BMF den Prozeß
erforderlichenfalls bis zum BGH führen werde." Nun ist die Frage, ob das
eine Urteil zugunsten einer Frau (Riwkah Merin bekommt für 55 Wochen
Zwangsarbeit 15.000 Mark.) "erforderlichenfalls" genug ist, damit das
Bundesministerium der Finanzen den Bundesgerichtshof bemüht.
Bremen, November 1997
Das hält Klaus von Münchhausen, der sich all die Jahre neben seiner
Arbeit an der Bremer Uni "um die Damen bemüht hat", ihnen Beistand und
Unterstützung besorgte und "noch immer nicht weiß, ob er über das
Mittwochsurteil lachen oder verzweifeln soll", für möglich. "Schließlich
ist es nun denkbar, daß sich ehemalige Zwangsarbeiter vor dem Bonner
Gericht einfinden." Dazu sollte man ohne Scheu Prozeßkostenbeihilfe in
Anspruch nehmen, meint von Münchhausen.
Doch ein (moralisch unzweifelhaftes) Recht
einzuklagen, ist eine Sache. Eine zweite, es zu bekommen. Die
Frauen, deren Klagen vom Bonner Landgericht abgewiesen wurden, haben nun
neben den Anwalts- die Prozeßkosten am Hals. Der Sprecher des Gerichts
verwies gegenüber ND darauf, daß sein Haus nunmehr beginne, "die von den
Klägerinnen gezahlten Vorschüssen mit den tatsächlichen Kosten zu
vergleichen". Er sei aber schon der Meinung, "daß die Damen eine jeweils
anteilige Schuld zwischen 30.000 und 60.000 Mark zu tragen haben".
Maßgebend , so erklärte von Münchhausen, sei der Streitwert. Der
orientiert sich am geforderten Lohn. Zugrunde legte man 63 Pfennige pro
Stunde. Die Summe gründet sich auf ein Rundschreiben des
Reichsinnenministers zum Thema "Staatspflichtarbeit" aus den Jahren 1993
und 1941. Die Vertreter der Klägerinnen berücksichtigten eine
durchschnittliche Arbeitszeit ihrer Klienten von 12 Stunden. Ohne An-
und Abmarsch. Nach etwas komplizierten Umrechnungsfaktoren, die den
damaligen Lohn auf einen aktuell-akzeptierbaren Wert bringen sollten,
errechnete man rund 4.000 M pro Monat. Die bekommen nun nicht die Opfer,
die streicht der deutsche Staat ein. Zwangsarbeit lohnt sich noch immer.
Quellen: ND/OT-Berlin
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