SZ vom 11.11.1997
Schwere Vorwürfe gegen neuen Nürnberger
Ehrenbürger Karl Diehl
Am Werktor begann der Weg nach Auschwitz
Meister der Waffenfabrik sollen
zwangsverpflichtete arbeitsunfähige Jüdinnen im Dritten Reich selektiert
haben
Von Peter Schmitt
Nürnberg – Jüdische Frauen, die
während des Dritten Reichs als KZ-Häftlinge Zwangsarbeit in Betrieben
des Nürnberger Rüstungsunternehmens Diehl verrichten mußten, haben den
früheren Unternehmensleiter und Nürnberger Ehrenbürger Karl Diehl schwer
belastet. Die Frauen, die dem Morden des NS-Regimes entkommen waren und
jetzt in Deutschland und Israel leben, berichteten vor Fernsehkameras
nicht nur von Schikanen durch die Angestellten der Waffenfabriken.
Einige sagten nun auch aus, daß Werkmeister von Diehl ständig
Selektionen vorgenommen hätten und daß dadurch weniger arbeitsfähige
Frauen in das Vernichtungslager Auschwitz geschickt worden seien.
Die Fraktion von Bündnis 90/Die
Grünen im Stadtrat stellte gestern den Antrag, Diehl die am 16. Juli
verliehene Ehrenbürgerwürde wegen „unwürdigen Verhaltens“ wieder
abzuerkennen. Die Auszeichnung für den 90jährigen Seniorchef des
Waffenimperiums war schon im Vorfeld der Entscheidung heftig
umstritten.
Diehl war als Ehrenbürger von der CSU
vorgeschlagen und von der SPD akzeptiert worden. Lediglich der
SPD-Stadtrat und Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde in
Nürnberg, Arno Hamburger, ging nicht zu der Festsitzung, nachdem er
von dem Häftlingseinsatz erfahren hatte. Die Grünen verließen
demonstrativ den Saal.
Unterdessen hatte die Gewerkschaft IG
Metall die Ehrung befürwortet. Dem langjährigen Chef des
Familienkonzerns mit Milliardenumsatz wurde angerechnet, daß die
Diehl-Gruppe die langsame Umstellung von überwiegend militärischer
Produktion auf zivile Erzeugnisse ohne größere Verluste an
Arbeitsplätzen bewältigte. Oberbürgermeister Ludwig Scholz würdigte
in seiner Laudatio außerdem Diehls Hilfe bei der Restaurierung von
Altstadtbauten und eine Stiftung des Unternehmers für in Not
geratene Menschen.
Protest der Grünen
Die Grünen wiederum protestierten,
„ein Waffenfabrikant für Hitler- Deutschland“ könne nicht
Ehrenbürger werden, wenn sich Nürnberg gleichzeitig als „Stadt der
Menschenrechte“ bezeichne. Stadtratsfraktion und Kreisverband der
Partei warfen Karl Diehl vor, schon vor dem Zweiten Weltkrieg „mit
der zivilen Ausrichtung des väterlichen Industriebetriebs“ gebrochen
zu haben und in die Rüstungsproduktion eingestiegen zu sein. Die
Nürnberger Landtagsabgeordnete Sophie Rieger wies auf die
Beschäftigung von Zwangsarbeitern aus von der Wehrmacht überfallenen
und besetzten Ländern in Diehl-Betrieben und von Häftlingen des
Konzentrationslagers Flossenbürg hin.
Daneben tauchten kurz vor dem Festakt
erste Hinweise auf, daß auch jüdische KZ-Häftlinge, vor allem junge
Frauen, für das ertragreiche Unternehmen schuften mußten. Die
Journalisten Bernd Siegler und Jim Tobias von der Nürnberger
„Medienwerkstatt“ machten inzwischen Überlebende des Holocaust
ausfindig, die als Häftlinge der Konzentrationslager Stuthof und
Groß- Rosen für Diehl arbeiten mußten. Helene M., die in
Peterswaldau bei Breslau, das heute Pieszyce heißt, Zeitzünder
zusammenschrauben mußte, erinnerte sich vor der Fernsehkamera an
ihre Zeit in der Waffenschmiede: „Dort haben die Meister die
Häftlinge rausgesucht. Wir waren so wie die Sklaven.“
Die heute in Israel lebende Hela
Wolfowicz berichtete, wie ihr ein Meister mit dem Hammer die
Fingerknöchel zertrümmerte, weil sie angeblich zu wenig geleistet
hatte. Noch schwerwiegender sind jedoch die Aussagen der Frauen über
die Aussonderung geschwächter Arbeiterinnen. „Kranke und Invalide
hat man direkt nach Auschwitz geschickt“, sagte Hela Wolfowicz aus.
Ihre damalige Leidensgenossin Frieda Poremba sagt: „Der Meister hat
die Anweisung gegeben, die und die ist nicht arbeitsfähig.“ Die
ausgesuchten Frauen und Mädchen seien dann verschwunden.
Als Helene M. 1989 von Diehl eine
Entschädigung für die Zwangsarbeit wollte, speiste sie die
Geschäftsleitung mit der Erklärung ab, dem Unternehmen sei „die
seinerzeitige Arbeitsverpflichtung“ zur Deckung des kriegsbedingten
Arbeitskräftebedarfs „von den damaligen Reichsbehörden“ auferlegt
worden. Bei dieser Darstellung bleibt der Konzern auch nach der
Ausstrahlung der Interviews im Lokalfernsehen. Ein Firmensprecher
nannte Vorwürfe, „für die Firma Diehl handelnde Personen“ seien
aktiv an den Verbrechen des NS-Regimes beteiligt gewesen,
„verleumderisch und unredlich“. Er wies die Behauptung der
Journalisten Siegler und Tobias, die Macht der SS habe am Werktor
geendet, als falsch zurück. „Bewachung und Aufsicht oblagen der SS –
und zwar auch innerhalb der Betriebsgebäude“, heißt es in der
Erklärung.
Karl Diehl selbst habe zu keiner Zeit
schikanöse Maßnahmen oder Mißhandlungen gedeckt oder angeordnet. Ihm
sei an einer guten Behandlung gelegen gewesen. Zur Bestätigung
verweist das Unternehmen auf die „juristisch verbindliche“
Entlastung des Waffenfabrikanten nach 1945. Auf die
„Entnazifizierung“ des im Dritten Reich für seine Verdienste um die
Rüstung mit einem hohen Orden ausgezeichneten Unternehmers stützt
sich auch Oberbürgermeister Scholz.
Diehl habe das Bundesverdienstkreuz
erhalten und sei dafür ebenfalls „geprüft“ worden. Für die Stadt
gebe es deshalb keine Veranlassung, die Vergangenheit ihres
Ehrenbürgers erneut zu untersuchen, ließ Scholz über seinen
Pressesprecher erklären. Von dem Fernsehbeitrag, den er noch nicht
gesehen hatte, erwarte er sich keine neuen Erkenntnisse, „die ein
Überdenken des Ehrenbürgerbeschlusses notwendig machten“.
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Süddeutsche Zeitung.
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