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Vergangenheit - Gegenwart

Die Hochschule für die 
Wissenschaft des Judentums 
1872-1942

Shoshana Ronen

Um die Aufgabe und das Ziel der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums zu verstehen, muß man zur Epoche der Aufklärung Moses Mendelssohns zurückgehen. Seit dem Beginn der Emanzipation der Juden in Deutschland, versuchte man eine jüdische Fakultät an einer deutschen Universität einzurichten. Aber keine Universität war dazu bereit.

So beschloß man eine autonome jüdische akademische Institution aufzubauen, die sich nicht auf Theologie und eine akademische Rabbiner-Ausbildung beschränken sollte. Leopold Zunz definierte die Aufgabe folgendermaßen: "Wissenschaft des Judentums als Forschung in bezug auf Religion, Philosophie, Geschichte, Rechtswesen und Literatur in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft".

Im Jahre 1872 wurde die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin eröffnet. Zu ihren Gründern gehörten Abraham Geiger, David Cassel, Israel Lewy und Heyman Steinthal. Letzterer war auch Professor für allgemeine Sprachwissenschaft an der Berliner Universität, während er an der Hochschule Bibelwissenschaft und Religionsphilosophie lehrte. Die Hochschule war eine freie Stätte der Forschung, um das Judentum zu erhalten, fortzubilden und zu verbreiten. Die religiöse Richtung der Professoren war nicht ausschlaggebend, aber es muß hier festgestellt werden, daß alle Dozenten der Hochschule seit eh und je entsprechend der jüdischen Tradition lebten und alle die hebräische Sprache beherrschten. Niemals war die Hochschule abhängig von einer religiösen oder öffentlichen Organisation, Partei oder Berufsgruppe. Daher mußte das Kuratorium immer Gelder aufbringen und Mäzene und Spender für Lehrstühle und Stipendien finden.

Die Hochschule entwickelte sich sehr langsam. Am Anfang gab es zwölf Studenten, darunter vier Frauen. Im Jahre 1921 gab es dann 63 ordentliche und 45 außerordentliche Hörer/innen. Damals kamen viele Studenten aus den osteuropäischen Ländern. Sie waren zum größten Teil Absolventen der Jeschiwot oder Schüler der Tarbut-Schulen und dadurch den Studenten, die aus deutsch-assimilierten Familien kamen und zum jüdischen Erbe zurückkehren wollten, haushoch überlegen. Letztere waren leidenschaftlich am Judentum interessiert, hatten aber keinerlei Sach- oder Sprachkenntnisse. Sie mußten daher die Präparandie der Hochschule besuchen, um sich mit den umfangreichen Quellen des Judentums erst einmal vertraut zu machen. Sie mußten intensivst Hebräisch studieren, denn alles was sich mit jüdischer Vergangenheit beschäftigte, war in hebräisch verfaßt und sogar die in deutsch geschriebenen Abhandlungen, zitierten die Quellen auf hebräisch. Es war unmöglich, sich mit der Lektüre der Bibel, des Talmud oder der Midraschim zu beschäftigen, ohne Hebräisch zu beherrschen. Für viele war auch das Gebetbuch ein völlig neues Erlebnis.

Im Jahre 1932 konnte die Hochschule mit Stolz ihr 60jähriges Jubiläum feiern. 155 ordentliche Studenten, unter ihnen 27 Frauen, und viele Gasthörer/innen studierten mit großer Hingabe Judentum, sei es Talmud, Midrasch, Halacha, Hebräisch, jüdische Philosophie oder Geschichte. Diejenigen, die Rabbiner werden wollten, mußten sich auch an den homiletischen Vorlesungen von Leo Baeck beteiligen.

Keine von uns Frauen erstrebte ein Rabbinat. Wir wollten akademische Religionslehrerinnen oder, wie ich z.B., im jüdisch-akademischen Bereich arbeiten. Regina Jonas hatte schon lange ihr Studium beendet, arbeitete als Lehrerin und kämpfte darum, die "Smicha" als Rabbinerin zu erreichen. Zu diesem Schritt war die Hochschule aber nie bereit. Als eine jüdisch-akademische Forschungsstätte, verlangte die Hochschule von ihren Hörern auch ein allgemeines akademisches Studium an der Universität. Dies führte oft zu Schwierigkeiten, da nicht jeder Student der Hochschule ein Abitur hatte und viele auf Stipendien angewiesen waren, um die Studiengelder an der Universität bezahlen zu können. An der Hochschule mußte man nur Wissen beweisen, das Studium war unentgeltlich.

In den Jahren 1930-33 stand die Hochschule im Mittelpunkt des jüdisch-geistigen Lebens. Christliche Theologen trafen sich einmal im Monat mit den Wissenschaftlern der Hochschule und diskutierten biblische und geschichtliche Themen. Die beliebten Montagsvorlesungen am Abend beschäftigten sich mit allgemeinen kulturellen Fragen aus jüdischer Warte gesehen.

Ab Mitte 1933 verlor die Hochschule langsam an Substanz. Drei ihrer Dozenten und viele Studenten wanderten aus. Junge Rabbiner fanden Arbeit in fernen Kontinenten und brachten so das geistige Erbe der Hochschule in die ganze Welt. Obwohl die Hochschule von den Nazis im Jahre 1934 zur "Lehranstalt" degradiert wurde, versuchte man dennoch die Lehrstätte aufrecht zu erhalten. Im Jahre 1935 wurde sie als Arbeitskreis für allgemeine wissenschaftliche Vorlesungen erweitert. Dozenten und Studenten, die als "Nichtarier" keine Arbeit mehr hatten, trafen sich hier. 1938, im Jahr der "Kristallnacht", wurde alles mehr oder weniger durch Auswanderung, Inhaftierung in Konzentrationslagern oder Ausweisung zerstört. Dennoch versuchte Leo Baeck noch einmal nach 1938 eine Studiengruppe um sich zu versammeln, aber im Jahre 1942 ging alles endgültig in die Brüche.

Als ehemalige Studentin der Hochschule wurde ich freundlicherweise im Mai von Bet Debora zu einer Tagung jüdisch gelehrter und interessierter Jüdinnen und Juden aus vielen Teilen der Welt nach Berlin eingeladen. Die Konferenz fand in nächster Nähe des Hochschulgebäudes in der Tucholskystraße statt. Es war nicht nur Nostalgie, die mich hierher bewegte, sondern ich stellte mir die Frage, ob ich im Kreise von Bet Debora und ihren Bestrebungen eine Fortsetzung finde von dem, was die Hochschule erstrebte. Zu meiner großen Freude fand ich ein tiefes Wissen bei vielen Teilnehmer/innen, auch unter denen, die nicht hauptamtlich mit dem Judentum beschäftigt waren. Aber es fehlte mir und fehlt das täglich gelebte Judentum. Lernen und Wissen genügt nicht, um eine Gemeinschaft in einer nichtjüdischen Umgebung in täglicher Erneuerung am Leben zu erhalten. Egalitärer Minjan ist gut, solange er den Frauen den Weg zu aktiver Teilnahme ebnet, aber nicht wenn diese sich abkapseln, einen eigenen Ritus bauen und sich von Klal Jisrael, der Einheitsgemeinde von der Ukraine bis nach Toronto, absondern. Die Kraft des Judentums besteht im täglichen gemeinsamen Tun und im Dasein des Einen für den Anderen, sei es für eine Gemeinde oder ein Individuum. Ganz Israel ist aufeinander bezogen: "Kol Jisrael Arewim - Se La'Se".

[INHALTSVERZEICHNIS BET-DEBORA JOURNAL]

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