Nr.12: Dezember'97 / Jänner'98 -
Kislev / Teweth 5758
Konferenz in München:
Weltunion für progressives Judentum
Die diesjährige Konferenz der Europaregion der Weltunion für
progressives Judentum fand heuer zwischen 30.10. und 2.1 1.1997
erstmals nach 69 Jahren wieder in Deutschland, genauer in München,
statt, in einem Land, von dem die Reformbewegung im l9.Jahrhunderf
ausgegangen war.
Bei der von der jungen, aufstrebenden liberalen Gemeinde
von München "Beth Schalom" hervorragend organisierten Konferenz war Or
Chadasch Wien durch Dr.Evelyn Adunka, Dr.Rose Proszowski, Rica und Leslie
Bergmann und Dr.Theodor Much stark vertreten.
Manchen der Delegierten ist es nicht leicht gefallen
nach Deutschland zu kommen. Für viele von ihnen war es die erste Reise
nach Deutschland überhaupt bzw. ein erstes Wiedersehen mit der alten
Heimat nach bald 60 Jahren.
Die erste Zusammenkunft der Delegierten fand im
ehemaligen Konzentrationslager Dachau statt. Das Treffen begann mit einem
kurzen Besuch des Museums und endete mit einem beeindruckenden und
emotionalen Gottesdienst in der jüdischen Gedenkstätte für die Opfer der
Shoah.
Die Konferenz selbst fand in dem schönen Literaturhaus
statt und zum Teil auch in der Musikhochschule, die pikanterweise viele
Jahre als "Führerbau" mit Hitlers Münchner Büro diente.
Unter der Leitung von Rabbiner Tovia Ben Chorin ließen
es sich die Teilnehmer auch nicht nehmen, nach dem Essen am Freitag Abend
jüdische Lieder, darunter "Am Israel Chaj" zu singen und zu tanzen. So
hatte sich die Verbrecherbande um Hitler die Zukunft wohl kaum
vorgestellt!.
Die rund 150 Teilnehmer aus ganz Europa wurden u.a. von
Persönlichkeiten wie Avi Primor (Israels Botschafter in
Deutschland), Andreas Nachama; dem Vorsitzenden der jüdischen
Gemeinde Berlin und hochrangigen politischen und geistlichen
Repräsentanten der Stadt München herzlich begrüßt. Dr.Primor bezeichnete
die Wahl des Tagungsortes als "historisches Ereignis" und Andreas Nachama
betonte, daß von einer Einheitsgemeinde nur gesprochen werden könne, "wenn
unter dem gemeinsamen Dach unterschiedliche Strömungen leben können."
Nachama sprach auch im Namen des Zentralvorsitzenden Ignaz Bubis.
Während der Konferenz hatten wir Gelegenheit über die
neuesten Entwicklungen in Wien (besonders über die erfreulich positive
Beziehung zur IKG) zu berichten, alte Freundschaften zu erneuern, neue
Bekanntschaften zu knüpfen und wertvolle Gespräche mit führenden
Repräsentanten der Weltunion zu führen. Von den vielen Berichten diverser
europäischer Gemeinden möchte ich nur einige wenige besonders hervorheben.
- Barcelona hat nun einen FulltimeRabbiner,
seither wächst die Gemeinde deutlich.
- Bei Beth Schalom München erhielt nun sowohl
ein neues Gemeindezentrum und einen eigenen 3000 Quadratmeter großen
Friedhof. Die Gemeinde eniwickelt sich, vor allem dank Rabbiner Homolka
(dem designierten Landesrabbiner von Niedersachsen) und einiger
tüchtiger Aktivisten ganz hervorragend.
- Stockholm, zum ersten Mal bei einer Konferenz
vertreten, ist ein Orf der friedlichen Zusammenarbeit der diversen
jüdischen Strömungen, die alle unter einem Dach vertreten sind. Im
Rahmen dieser Einheitsgemeinde existieren in Stockholm unter einem
konservativen Oberrabbiner zwei kleinere orthodoxe Synagogen und eine
große konservative Synagoge.
- Die liberale Gemeinde in Budapest wird in
Kürze eine Rabbinerin, die gebürtige Ungarin Kathi Keleman, erhalten, da
sie bald ihr Studium am Leo Baeck College abschließen wird.
- Besonders spannend war der Bericht aus Israel. Dorf
wurden in diesem Jahre einige neue Gemeinden etabliert (so in Sichron
Jaakov, Modiin, Efal
und Aschdod). Leider stehen aber in Israel die weniger
positiven Nachrichten im Vordergrund: Der Brandanschlag in Mevasseret
Zion gegen einen religiös-liberalen Kindergarten und
Hakenkreuzschmierereien im Gebäude der Har-EI Synagoge in Jerusalem
(wahrscheinlich im Zusammenhang mit der absurden Aussage eines
ultraorthodoxen Rabbiners, "daß die Reformjuden Schuld am Holocaust
seien"). Auch der Versuch der Ultraorthodoxie die Zeiger der Zeit
zurückzudrehen und nichtorthodoxe Übertritte (durch Reform- und
konservative Rabbiner) nicht mehr - wie bisher üblich - vom
Innenministerium anzuerkennen zu lassen, ist noch nicht überstanden. Die
Neeman-Kommission hat nun drei Monate Zeit einen "Kompromiß" zu suchen,
ein Unterfangen , das schwer erreichbar scheint, da im aufkommenden
Klima der Intoleranz, Polarisierung und Erpreßbarkeit der Regierung
durch die Ultraorthodoxie in Israel eine Einigkeit kaum möglich
erscheint. Halbwegs beruhigend ist nur die Nachricht, daß die große
Mehrheit der Bevölkerung und eine Majorität der Abgeordneten der Knesset
gegen diesen geplanten Bruch der Menschenrechte sind.
Besonders interessant waren auch die verschiedenen
Workshops zu Themen wie: Die Beziehungen von Juden zu Deutschland;
European Beit Din; Halacha / Heirat und Scheidung (geleitet von Rabbiner
Walter Jacob, einem Experten auf dem Gebiet der progressiven Halacha);
Communications and Marketing, und Involvement and Participation of
Members.
Wir alle haben die Gastfreundschaft der Beit Schalom
Gemeinde sehr genoßen und waren von den gemeinsamen Gottesdiensten am
Freitag und Schabbat und den vielen sozialen Aktivitäten rund um die
Konferenz sehr angetan.
THEODOR MUCH
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