Ein blaues Wunder erleben?
M
Menschen Machen Medien
Nr. 6
Juni 2002 / Jahrgang 51
Der Ballhausplatz ist virtuell besetzt
Protest gegen die österreichische
Bundesregierung im Internet
Die Wiener Donnerstagsdemonstrationen gegen die
österreichische Regierung - nach dem Motto "Wir gehen, bis ihr geht" - sind
mittlerweile auf ein paar kleine Grüppchen zusammengeschrumpft. Doch im
Internet ist der Protest gegen "Schwarz-Blau" nach wie vor lebhaft, ganz
unterschiedliche Gruppierungen bringen ihre Ablehnung der Koalition und des
rechten Gedankenguts zum Ausdruck.
Die Homepage der Demokratischen Offensive (DA) ist die
erste Adresse zu den Anfängen der Bewegung. Der lose Dachverband aus
verschiedenen Gruppen und Einzelpersonen entstand nach den Wahlen im Herbst
1999, er organisierte bereits zu Beginn der Koalitionsverhandlungen zwischen
ÖVP und FPÖ kurzfristig Demonstrationen. Auf dem Höhepunkt des Protests
waren 300.000 Menschen auf dem Wiener Heldenplatz versammelt; im Internet
sind viele Reden von damals archiviert, zum Beispiel vom DA-Sprecher Doron
Rabinovici (Historiker und Schriftsteller). Von der Seite der DA geht es
auch weiter zum Republikanischen Klub, der im "Bulletin" ähnlichen Lesestoff
bietet.
Die Seite Ballhausplatz.at fällt durch ihr eigenwilliges Design auf, das an
bunte Zeitungsausschnitte erinnert. Wer mit dem unübersichtlichen Aufbau
zurecht kommt, findet hier neben Hinweisen auf politische Aktionen auch
vielfältige
Artikel. Einiges führt über das Kernthema hinaus, wie etwa
globalisierungskritische Berichte aus dem Ausland; Leserinnen und Leser
können ebenfalls Beiträge einreichen. Es gibt auch bekannte Gastautoren, z.
B. den Journalisten Karl Pfeifer (siehe M-Ausgabe 03/02) und Marlene
Streeruwitz. Die Schriftstellerin, die selbst schon oft an den
Donnerstagsdemos teilgenommen hat, bekam kürzlich von Demonstranten die
Domain Marlenestreeruwitz.at geschenkt; einen ersten Text hat sie bereits
ins Netz gestellt, weitere sollen folgen.
Ceiberweiber und anderes
Typisch für das linke Spektrum sind die Seiten von "Get
to Attack": Sie wenden sich "gegen die Institutionalisierung von Rassismus,
Sexismus und Nationalismus" und stellen entsprechende Forderungen, wie die
Abschaffung der Schubhaft (Abschiebehaft), die Einführung eines Wahlrechts
für alle in Österreich ansässigen Menschen und scheinbar
Selbstverständliches wie ein Verbot von "Keine Ausländer" - Klauseln bei
Stellen- und Wohnungsangeboten. Hier gibt es auch eine fiktive "Gesellschaft
der Freunde des österreichischen Tourismus", die "im Sinne einer
Normalisierung der Lage" pointierte Benimmregeln der anderen Art an
zahlungswillige Gäste ausgibt: "Sprechen Sie die Einheimischen bitte nicht
über die Zeit des Nationalsozialismus an. Solche Fragen werden in der
hiesigen Kultur als unschicklich angesehen. Respektieren Sie das Recht jedes
Landes, seine Vergangenheit in einem demokratischen Prozeß selber zu
schaffen", lautet die erste Empfehlung.
Auch so manche Website, die von Haus aus einen anderen Schwerpunkt als die
Kritik an "Schwarz-Blau" hatte, ist Teil der Protestbewegung geworden: Die
Gruppe "Rosa Antifa" entstand, wie der Name bereits andeutet, aus dem linken
Flügel der Schwulenbewegung. Sie versendet etwa einmal im Monat einen
mehrsprachigen Newsletter mit dem Namen "Böses Österreich", der Einblicke in
die österreichische Politik bietet; frühere Ausgaben können online
nachgelesen werden. Fast tagesaktuelle Texte gibt es beim Onlinemagazin
"Ceiberweiber": Die Redaktion kommentiert in meist lockerem Stil die Sozial-
und Frauenpolitik der Regierung und berichtet von feministischen
Veranstaltungen. Informationen über die rechtsradikale Szene bietet das
Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW), das auch
Ausstellungen und wissenschaftliche Symposien ankündigt. Die
Österreich-Seiten des jüdischen Online-Magazins Hagalil enthalten Artikel
aus verschiedenen Zeitungen, meist zu gesellschaftlichen Themen, wobei der
Medienkritik und dem Umgang mit Jörg Haider besondere Aufmerksamkeit gilt.
Auch ein künstlerischer Wettbewerb wurde via Internet ausgerufen: Ein
"Aluminiumblech, armiert, lackbeschichtet, 182 x 122 cm, leicht deformiert"
soll nach einer Ausschreibung der "Klara Moser Gesellschaft" bis zum 30.
Juli 2002 verarbeitet, verformt, inszeniert, vervielfältigt oder vernichtet
werden. Bei dem Stück Blech handelt es sich um ein geklautes Ortsschild von
Krumpendorf am Wörthersee. Hier hatte Jörg Haider 1995 bei der jährlich
stattfindenden Versammlung vor ehemaligen Mitgliedern der Waffen-SS gesagt:
"Es ist gut, dass es in dieser Welt noch anständige Menschen gibt, die einen
Charakter haben, die auch bei größtem Gegenwind zu ihrer Überzeugung stehen
und ihrer Überzeugung bis heute treu geblieben sind." Das Motto der
Kunstaktion: "Krumpendorf ist ein Symbol."
Irene Gronegger
Lebhafte Debatte gegen "Schwarz-Blau"
Gegen Blau-Schwarz -
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