Sehr geehrte Gemeindemitglieder!
Letztes Jahr haben wir alle so optimistisch in die Zukunft geschaut. Im
Nahen Osten schien ein Frieden unmittelbar bevorzustehen, in Österreich
begannen ernsthafte Restitutionsverhandlungen mit der Bun desregierung und
so hofften wir, dass dieses abgelaufene Jahr in Vielem eine Wende zum Guten
bringen würde. Rückblickend war es ein Jahr der Enttäuschungen:
Arafat hat den Weg zum Frieden verlassen und glaubt mit
menschenverachtenden Terroranschlägen irgend etwas zu erreichen. Der Nahe
Osten versinkt im Chaos, die sogenannte Weltöffentlichkeit hat sehr schnell
vergessen, wie weit Ehud Barak den Palästinensern entgegengekommen ist.
Palästinensische Schulbücher predigen Hass, und nur blinde Politiker in
Europa übersehen Arafats Zusammenarbeit mit Hamas und Djihad, dessen Ziel es
ist, Israel zu immer massi"eren Gegenschlägen zu provozieren und den
Nahostkonflikt zu "balkanisieren". Selbst die friedliebendsten Israelis
haben die Hoffnung auf einen baldigen Frieden aufgegeben und die
Palästinenser "bleiben das Volk, das keine Gelegenheit auslässt, eine
Gelegenheit auszulassen".
Auch unsere Hoffnung, die
Restitutionsverhandlungen positiv abzuschließen, haben sich nicht erfüllt.
Wohl hat die Österreichische Bundesregierung im Vertrag von Washington und
den Gesprächen danach mehr getan als 14 Regierungen davor, aber wesentliche
Punkte sind offen geblieben. Wir sind mit dem Erreichten zufrieden, aber das
Prinzip für die Zukunft lautet: Wir wollen eine faire und gerechte Gesamt-
lösung, die mit Augenmaß und Verantwortungsbewusstsein erreicht werden soll.
Dabei kann nur immer wieder betont werden, dass es der Kultusgemeinde um ein
prinzipielles Ergebnis geht, und dass die Resti tution oder Entschädigung
nicht einmal 5 Prozent des bisher nicht restituierten Vermögens darstellen.
Was erwarten wir also für das kommende
Jahr: In Zeiten der Auseinandersetzungen im Nahen Osten und in Österreich
rufe ich alle jüdischen Brüder und Schwestern zu Einigkeit und zur
Zusammenarbeit auf. Wenn die Angriffe gegen die israelische Politik der
Selbstverteidigung vor allem in Europa lauter werden, dann liegt es an uns,
gemeinsam dagegen aufzutreten, gilt es auch in Österreich den Medien und den
politischen Kräften klar zu machen, dass die überwiegende Mehrheit des
jüdischen Volkes seit Jahrtau senden den Frieden im eigenen Land sucht und
bereit ist, vieles zu tun, um diesen Frieden zu erreichen. Wenn aber die
andere Seite den Terror gegen die Zivilbevölkerung sucht, muss Israel das
Recht zur Selbstverteidigung haben und wir werden, ganz gleich wo wir leben,
den Staat Israel und seine demo kratisch gewählte politische Führung
verteidigen und unterstützen. Die Israelitische Kultusgemeinde wird neben
ihren zahlreichen anderen Aufgaben im kommenden Jahr auch verstärkt zum
Nahostkonflikt Stel lung nehmen. In der Restitutionsfrage könnte es zu
heftigen Auseinandersetzungen kommen, aber wir werden weiter unbeirrt nach
einer gerechten Lösung streben.
Ansonsten hat sich vieles positiv in
unserer Gemeinde entwickelt: Unsere Schulden wurden geringer, unsere
Mitgliederzahl steigt (es gibt viele Neuanmeldungen), der Zuspruch und die
Anerkennung in der nichtjüdischen Öffentlichkeit nehmen zu. Unsere
Veranstaltungen (z.B. 175 Jahre Stadttempel, Restitu tionsdebatten, usw.)
nehmen zu und auch die internen Zwistigkeiten wurden bis auf wenige
beigelegt.
Wenn ich also meine Wünsche zum
Jahreswechsel ausspreche, Ihnen allen ein gesundes und gutes Jahr
5762 wünsche, dann hoffe ich, dass die
recht pessimistische Stimmung der letzten Monate allen
Annahmen zum Trotz eine positive Wendung
nehmen kann. Wir Juden haben immer an Wunder ge glaubt. Warum soll es nicht
im nächsten Jahr Frieden in Israel, einen positiven Abschluss der
Restitutionsverhandlungen geben und alle
Ihre persönlichen Wünsche in Erfüllung gehen?
Schana Towa umeworachat
Gemeinde / Wien 09-2001
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