Eine orthodoxe Jüdin strebt
das Rabbineramt an:
Jentls Tochter
Die Frauen pochen an die Türe der jüdischen
Orthodoxie. Erstmals in diesem Jahrhundert, wenn nicht überhaupt, hat eine
orthodoxe Jüdin von einem orthodoxen Rabbiner die "Smichut", die
Lehrbefugnis eines Rabbiners, erlangt. Woraus sich natürlich Probleme, was
ihre konkrete Bezeichnung betrifft, ergeben. Ist sie nun Rabbiner, ein
weiblicher Rabbiner oder eine Rabbinerin ? Nur die Bezeichnung "Rebbezin"
steht nicht zur Debatte. Sie ist in der jüdischen Tradition verankert: Diese
ist die Ehefrau eines Rabbiners.
Nun die Fakten, die die jüngste Entwicklung
hervorgerufen haben: Haviva Ner-David, gebürtige New Yorkerin, 27 Jahre
jung, aus einer angesehenen orthodoxen Familie stammend und jetzt in
Israel wohnhaft, hat von Rabbi Aryeh Strikovsky, einem "Illui"
(hervorragenden Gelehrten), Beamten des israelischen
Unterrichtsministeriums und Lehrer am Pardess Seminar, die "Smichut"
erhalten, und damit in religiösen Kreisen nicht nur Israels sondern auch
der Diaspora heftige Diskussionen ausgelöst.
Wie nicht anders zu erwarten, wird der Fall Havivas vom
israelischen Oberrabbinat und den Ultraorthodoxen als "nicht existent"
betrachtet. Andere orthodoxe Rabbiner machen es sich nicht so leicht.
Rabbi Shlomo Riskin (Jerusalem Post , Kolumne "Shabbat Shalom. Anm. p.k.),
der keine Scheu vor der Öffentlichkeit zeigt, meinte, er persönlich hätte
der Schülerin nicht die Smichut erteilt. Dagegen seien die traditionellen
Hindernisse nicht unüberwindlich. Wohl dürfe sie in der Synagoge nicht zur
Lesung der Tora aufgerufen werden oder öffentliche Gebete einleiten. "
Aber das tü ich auch nicht, weil ich eine schreckliche Stimme habe", meint
der weibliche Stein des Anstoßes. Rabbi Jeffrey Cohen, von der orthodoxen
Stanmor Synagoge in Nord London, ist noch generöser. Er sieht in der
Smichut keine "Priesterweihe", weil es bei uns keine Priester gibt.
Smichut sei eine Art des Handauflegens, also eine Abschlußprüfung.Sie
bedeutet, dass der Lehrer seine heilige Autorität mit dem Schüler teilt.
Sie gibt diesem das Recht zu lehren und Entscheidungen nach dem jüdischen
Recht zu fällen.
Tatsächlich hat es sich Haviva Ner-David nicht leicht
gemacht. Wie die "Jentl" aus dem gleichnamigen Film mit Barbara Streisand
war sie schon als Kind entschlossen, sich dem Studium der jüdischen
Religion zu widmen. Ihr Versuch, an der New Yorker Yeshiva Universität zu
inskribieren, wurde nicht einmal beantwortet. Worauf sie sich zum Studium
an einer New Yorker Yeshiva entschloß, die ausschließlich Frauen aufnimmt.
Beim Abschluss erhielt sie allerdings nur ein Zeugnis und keine Smichut.
Die neuzeitliche "Jentl" hätte natürlich zur
Reformrabbinerin promovieren können. Doch für sie existiert nur ein
Judentum. Sie emigrierte mit ihrem Mann nach Jerusalem und inskribierte am
Shalom Hartmann Institut. Danach machte sie sich auf die Suche nach einem
Rabbiner, der ihr die Smichut verleihen würde und fand ihn schließlich in
Rabbi Strikovsky.
Haviva ist sich durchaus bewusst, dass sie noch
Hindernisse überwinden muss, bevor ihre Autorität in Israel und anderswo
anerkannt wird. "Ich weiß, dass ich keine religiösen Zeremonien wie
Hochzeiten oder Konversionen durchführen kann. Und ich kann auch keinem
religiösen Gericht angehören. Aber ich wollte für die Frauen im orthodoxen
Judentum eine Bresche schlagen. Letztlich ist für mich der Titel eines
Rabbi eine Ehrung innerhalb der Gemeinschaft."
Inzwischen debattierten gelehrte Rabbiner, ob es in der
Vergangenheit weibliche Rabbiner gegeben hat. Die Bibel (2.Könige 22)
kennt die Prophetin Hulda, welche die Echtheit eines im Tempel gefundenen
heiligen Buches bestätigt. Rabbi Louis Jacobs, der Gründer der
konservativen Bewegung, erinnert an ein rabbinisches Buchaus dem
18.Jahrhundert "Shem ha-gedolim" (Die Namen der Grossen), in dem 20 Frauen
genannt werden, die das Rabbineramt ausübten. Und Rabbi Jackie Tabick, die
erste Reformrabbinerin Englands, zitiert das Beispiel der "Maid von
Lubonmir", Hannah Werbermacher, die im 19.Jahrhundert zu den Chassidim
predigte - allerdings hinter einem Paravent versteckt.
Leslie Sachs, die Führerin der israelischen
Frauenbewegung, hegt allerdings Zweifel: "In einer Zeit, in der orthodoxe
Knesset-Abgeordnete nicht neben einer Frau sitzen wollen- wann werden sie
eine Rabbinerin akzeptieren ?"
Zur Übersicht:
Austria
"Illustrierte
Neue Welt", Wien
Ausgabe
März '97, p.12, von Lucian O. Meisels
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