Schwarze Listen in Berlin:
Nazi-Terror soll einschüchtern
In Berlin ist eine
Neuauflage der "Schwarzen Liste" mit sogenannten "Volksfeinden" aufgetaucht:
Im NS-Blatt "Wehrwolf" blasen Rechtsextremisten zum Angriff auf
"Parlamentarier", "Democratische Propagandasender" und "Hebräer". Die
Verfasser drohen: "Wer gegen uns vorgeht, hat mit entsprechenden
Gegenmaßnahmen zu rechnen, wie immer auch diese aussehen werden!" Ab sofort
sei eine "neue Offensive nationalsozialistischer Gegenwehr" eingeleitet.
Die Liste der
"ermittelten Volksfeinde" ist lang: Unter den potenziellen Zielen
nazistischer Anschläge finden sich 40 Bundestagsabgeordnete aller Parteien,
so zB Außenminister Joschka Fischer (Grüne),
Cem Özdemir
(Grüne), Günter Rexrodt (FDP), Dankward Buwitt (CDU) u.a. Die Berliner
Bundestagsabgeordnete Siegrun Klemmer (SPD), ebenfalls mit Foto samt
Privatadresse und Telefonnummer aufgeführt, äußerte sich gegenüber der
Frankfurter Rundschau kritisch zum Umgang der Sicherheitsbehörden mit
"schwarzen NS-Listen": "Ich wurde bisher von der Polizei nicht darüber
informiert, dass ich zu den Zielen der Neonazis gehöre", sagte Klemmer. "Es
sind Kapazitäten vorhanden, um zB das alternative Kulturprojekt Mehringhof
mit 1000 Beamten zu durchsuchen. Die Verhältnismäßigkeit sollte hier
einigermaßen gewahrt werden."
Auch die Anschriften des
Bundestags stehen auf der Liste - die Parlamente werden als "democratische
Quasselbuden" diffamiert. Die Dienststelle des Verfassungsschutzes, die
ebenfalls ins Visier der Rechten gerückt ist, haben die Verfasser mit dem
Vermerk "Achtung: Objekte sind bewacht" versehen.
Gleich seitenweise
werden jüdische Einrichtungen aufgezählt. Darunter zB der Zentralrat der
Juden in Deutschland, das Centrum Judaicum, die Redaktion der Allgemeinen
Jüdischen Wochenzeitung, das Jüdische Krankenhaus, Büros der EL-AL, der
Charterges. Arkia, des Onlinedienstes haGalil... Neben den Büroadressen
sämtlicher jüdischer Gemeinden in Deutschland werden auch Restaurants,
Ehevermittlungsinstitute und Buchhandlungen genannt.
In einer Grafik sind die
Gedenkstätten für Opfer des Nationalsozialismus aufgeführt (Haus der
Wannseekonferenz, Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Kapitulationsmuseum
Karlshorst...). Als mögliche Angriffsziele werden auch das Antifaschistische
Pressearchiv in Kreuzberg und das Büro der Antifaschistischen Aktion Mitte
genannt. Die Niederlassung des Fernsehsenders Sat.1 schmähen die Autoren als
"democratischen Propagandasender".
Mörderische
Vorbilder
Was mit den so genannten
Volksfeinden passieren soll, zeigt die letzte Seite des Pamphlets mit der
Überschrift "Solidarität mit den Wehrwölfen der Tat". Auf ihr werden die
Taten von "Frontkämpfern" wie dem Polizistenmörder Kay Diesner oder dem in
den USA zum Tode verurteilten Attentäter von Oklahoma, Timothy McVeigh,
verherrlicht: "Kay Diesner nahm die Waffe auf, um uns, die
nationalsozialistische Bewegung, zu verteidigen. Dafür müssen wir ihm
dankbar sein."
Inge Meysel und
die Weltverschwörung
In einem skurrilen
Anhang werden dann noch die Namen von lebenden als auch toten
Persönlichkeiten aus Politik und Kultur zu einer "jüdischen
Weltverschwörung" zusammengewürfelt. Das Spektrum reicht von Lenin über Inge
Meysel zu Brigitte Mira bis hin zum ZDF-Sportmoderator Marcel Reiff und der
Clinton-Geliebten Monica Lewinsky.
Als Herausgeber des
"Wehrwolfs" fungiert eine "Anti-Antifa im Weißen Arischen Widerstand", als
Kontakt dient ein Postfach der "Anti-Antifa Saarpfalz" in Ludwigshafen. Die
Forderungen der Gruppe: "Alles, was wir wollen, ist nichts weiter, als
Hakenkreuzfahnen zu schwingen, in SA-Uniformen zu marschieren, den Arm zum
Deutschen Gruß zu heben und unsere Meinung über Juden äußern."
Eine erste schwarze
Liste der Gruppe war bereits im Sommer öffentlich geworden. Mit der
Konzentration ihrer Aktivitäten auf führende Politiker und Multiplikatoren
scheinen die deutschen Rechtsextremisten jetzt immer mehr ihren schwedischen
Gesinnungskameraden nachzueifern.
Im Stil ideologischer
Vorbilder aus der extremen Rechten in den USA und Skandinavien richten sich
die Kampfansagen nicht mehr vorrangig gegen Einwanderer und Flüchtlinge,
sondern gegen staatliche Behörden, Vertreter demokratischer Institutionen
und linke Gruppierungen. In Schweden hatte erst unlängst eine Mordserie
Entsetzen
hervorgerufen, die unter anderem einen Gewerkschafter und einen Polizisten
das Leben gekostet hatte.
taz / FR / haGalil
30-12-99