Israel - Ein Land trocknet aus:
Die Pfütze Genezareth
Obwohl die Israelis von einer Dürre heimgesucht
werden
und das Wasser mit den Palästinensern teilen müssen,
gehen sie verschwenderisch damit um
Von Thorsten Schmitz
Tel Aviv, im Oktober – Sharon Veksler hat den langweiligsten
Job bei Channel One, dem ersten israelischen Fernsehsender, das sagt sie mit
hoch dramatischem Jesus-am-Kreuz-Blick und schielt gen Himmel. Dorthin also,
wo die Ursache allen Übels liegt. Die schwangere TV-Sprecherin betritt
allabendlich um fünf vor halb zehn die Wohnzimmer der Nation – und hat so
gar nichts zu sagen. "Es ist grässlich", sagt Sharon Veksler an einem
Dienstag abend kurz nach neun im Schminkraum, "aber gerade weil sich niemand
für das interessiert, was ich sage, schreiben die Klatschzeitungen über
meinen Basketballbauch, oder dass ich auf der Love Parade in Tel Aviv
gesehen worden bin." In wenigen Tagen wird Sharon Veksler ihr zweites Kind
zur Welt bringen, "so Gott will", sagt sie auf dem Weg ins Aufnahmestudio,
dann bekommt ihr Dasein wieder den Kick, den sie im Beruf so schmerzlich
vermisst.
Sharon Veksler sagt das Wetter an, und weil sie sich angesichts
der Ereignislosigkeit am israelischen Himmel dafür sehr viel Mühe gibt, hat
man ihr letztens erst einen Wetteroskar verliehen. Die 29-Jährige ist zu
bedauern: Von April bis November strahlt der Himmel über Israel einfach nur
blau. Ab und zu verirren sich ein paar Westwolken über dem Festland, viel zu
schwach zum Wasserlassen, und geschwind lösen sie sich in der Hitze in
nichts auf. Sharon Veksler könnte acht Monate im Jahr genausogut ein Band
laufen lassen " . . . und morgen wird die Sonne
scheinen, Temperaturen zwischen 30 und 35 Grad. . ."
Staubtrockener Nachbar
Regen ist in Israel eine Rarität. Wer sich auf die Reise begibt
durch das Land, bemerkt sehr schnell, dass Israel außer Frieden noch etwas
ganz genauso Wichtiges fehlt – Wasser. Während Premierminister Ehud Barak am
Frieden mit den Palästinensern strickt, haben er und seine Entourage den
Wassermangel aus den Augen verloren. Dabei geht es in den sogenannten
Endstatus-Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern nicht nur um
Flüchtlinge, Grenzen und die Hauptstadt Jerusalem, sondern auch darum, wer
künftig wieviel Kontrolle über die Wasserquellen haben wird. Israel muss
teilen, mit den Palästinensern sowieso, aber auch mit dem staubtrockenen
Nachbarn Jordanien, in dessen Hauptstadt Amman, wo hunderttausende
palästinensische Flüchtlinge leben, Tankwagen Wasser verteilen. Dabei würde
Israel am liebsten die 50 Millionen Kubikmeter Wasser für sich behalten, die
es jährlich nach Jordanien pumpt. Nicht zum Sparen, sondern zum Protzen.
Israel schöpft aus dem Vollen, bis zum letzten Tropfen. Es tut so,
als hätte es Wasser im Überfluss oder schwämme in Petrodollars wie
Saudi-Arabien, wo selbst Tomatenstauden mit feinstem Trinkwasser gefüttert
werden. Das Bewusstsein in Israel über den Wassernotstand ist
unterentwickelt – nur so lässt sich erklären, dass am Montag dieser Woche
der amerikanische Glaskünstler Dale Chihuly seinen Arbeitshorizont
erweiterte und vor Jerusalems Altstadt eine Mauer aus tiefgefrorenem Eis
platzierte. Im Wettlauf mit der Zeit, also den tagsüber 33 Grad, fräste er
Quader aus dem Eis, das aus der Antarktis herbeigeschafft worden war. Halb
Israel schaute dem Tau-Spiel sehr belustigt zu. Das Wegschmelzen der 300 000
US-Dollar teuren und insgesamt 64 Tonnen schweren Eisbrocken sieht der
Künstler ganz symbolisch: "Das Schmelzen zeigt den Abbau der Spannungen
zwischen Israel und den Palästinensern."
Von wegen. Israelis und Palästinenser liefern sich eine
Wasserschlacht, und das ausgerechnet jetzt. 1999 ist das trockenste Jahr in
der Geschichte des jüdischen Staates, vor kurzem wurde die "schlimmste
Dürreperiode" seit 1938 ausgerufen. Nachweislich geregnet hat es in den
letzten zehn Monaten laut Wetteramt genau 14 Mal. Tag für Tag knallt die
Sonne gnadenlos auf Städte, Dörfer und Felder, das ganze Land liegt unter
einer Staubschicht begraben, die Orangenbäume und die Melonenblätter sind
beige, wenn man in ein Taschentuch schneuzt, sind die Popel dunkel, die
Ärzte vermelden einen rasanten Anstieg an Asthma- und Bronchialerkrankungen,
einst grüne Landschaften haben sich in den vergangenen Monaten in braune,
leblose Steppen verwandelt. Weder Wasser von oben noch von unten: Gebannten
Blickes starrt die Nation auf den See Genezareth, das
Lebenselixier Israels. Aus dem 21 Kilometer langen und bis zu 13 Kilometer
breiten Süßwassersee speist Israel drei Viertel seines Trinkwasserbedarfs
und pumpt jährlich 500 Millionen Kubikmeter ab – doch der 209 Meter unter
dem Meeresspiegel gelegene See trocknet aus. Nur noch zwei Zentimeter, und
der Seepegel hat die Alarmgrenze erreicht, die "Rote Linie".
Der See wird vom Jordanfluss gespeist, einem zur Zeit trübbraunen
Rinnsal. Wenn die Rote Linie erreicht wird, darf die staatliche
Wassergesellschaft Mekorot nur noch limitiert Wasser abpumpen, die Landwirte
werden mit harschen Rationierungen auskommen müssen. Umgehend haben die
Bauern im Norden des Landes eine Demonstration organisiert. Der Region
fehlen sowieso schon Touristen, da sie aus Angst vor Katjuscha-Raketen der
Hisbollah-Miliz den Zipfel meiden. "Wenn wir jetzt auch nicht mehr unsere
Felder bestellen können, warum sollen wir dann noch hier bleiben?" fragt
Benny Ben-Muvhar, der Sprecher aller Bauern hier. Andererseits kann Mekorot
Wasser auch nicht zaubern, oder endlos dem See Genezareth
entziehen. Da am Boden kleine Salzquellen liegen, würde er sonst zu
salzhaltig. Der Chef von Mekorot, Amos Epstein, der sich scherzhaft gern als
"King of Table Water" vorstellt, prophezeit: "Freitag oder Samstag haben wir
die rote Linie erreicht, wenn nicht doch noch ein Wunder geschieht." Das
wird es nicht, sagt Wetterfee Veksler, frühestens Ende November seien "ein
paar Tropfen in Sicht".
Ein See verschwindet
Schlimm genug, dass bei einem Schwimmwettbewerb vergangenen Monat
die Teilnehmer erst mal einen Kilometer kniehoch vom Ufer in den See
Genezareth
reinlaufen mussten, bis der Startschuss knallte, noch viel dramatischer aber
sind andere sichtbare Folgen – und die, die man riecht. An manchen Tagen
können die Touristen, die in die heilige Stadt Tiberias pilgern, vor lauter
toten Fischen nur mit Brechreiz am Ufer entlang spazieren. Auch wer sich in
einem der Restaurants niederlässt, hat diesen stechenden Geruch von
ungesäuberten Aquarien in der Nase. Die Hoteliers und die Köche sprechen von
einer "Katastrophe". Auch die Seekapitäne, die mit ihren Holzschiffen die
Touristen kreuz und quer über den See fahren, auf dem Jesus spaziert ist.
Der dunkelbraune Jossi Peled zeigt mit Herz zerreissendem Dackelblick auf
die Kaimauer, an die vor drei Jahren noch der See schwappte – jetzt fehlen
ganze dreieinhalb Meter. Seit 23 Jahren schippert er Touristen über den See,
er kannte jede Alge. Statt dessen sieht er nun die Autoreifen, an die die
Schiffsrümpfe früher dotzten, sie sind bloßgelegt, Badetreppen ebenso. Herr
Peled blickt auf den verdurstenden See, dem er den Kosenamen seiner kleinen
Tochter gegeben hat, sagt: "Ich liebe Ronnit, sie darf nicht verschwinden",
als könne er so das Absinken verhindern – und er ist sich da "ganz sicher:
Auch in diesem Winter wird es nicht regnen."
Aber Israel tut so, als wäre Wasser nicht knapp. Es exportiert
absurderweise feinste Wasserentsalzungs-Technologie in trockene Länder –
aber gönnt sich selbst nur eine derartige Anlage im Wüstenbadeort Eilat, die
dort 80 Prozent des Bedarfs deckt. Bislang jede israelische Regierung war zu
geizig und zu feige gewesen, rund 150 Millionen Mark in eine
Entsalzungs-Anlage zu investieren und den Israelis einen höheren Wasserpreis
zuzumuten. Eilat dagegen lebt nur von Touristen, die gar nicht merken, dass
durch die sündteuren Hotelpreise auch das Duschwasser gedeckt wird. "Israel
lebt auf Pump", sagt Wasserwissenschaftler Eliyahu Wakshal. Längst hätte der
Staat, der immerhin am Mittelmeer und am Roten Meer liegt,
Wasserentsalzungs-Anlagen errichten müssen, oder eine Importvereinbarung mit
der Türkei treffen sollen: "Die haben mehr Wasser, als sie brauchen." Statt
dessen verschwende man "wie die Saudi-Arabier". Die Brunnen in den Parks
plätschern, die Swimmingpools in den jüdischen Siedlungen und in den großen
Hotels sind gefüllt, jede noch so winzige Grünanlage ist durchfurcht mit
braunen dünnen Schläuchen, aus denen 24 Stunden am Tag Wasser sprüht,
mindestens einmal in der Woche fährt der Durchschnitts-Israeli laut einer
Umfrage in eine Autowaschanlage und duscht morgens und abends, weil man bei
der Hitze in Schweiß schwimmt, und wer, wie Tali Senior in Shoham bei Tel
Aviv, gerade ein neues Haus bezogen hat, lässt sich 200 Quadratmeter
Rasenstücke anliefern – und gießt diese dreimal am Tag eine halbe Stunde,
über Wochen hinweg. Ein Israeli verbraucht bis zu 400 Liter Trinkwasser am
Tag.
Derweil darben die Palästinenser im Westjordanland bei 50 bis 80
Litern so dahin. Israel hat prinzipiell die Versorgung der Palästinenser mit
Trinkwasser schon im Friedensvertrag von Oslo zugesichert – demnach müssten
jüdische Siedler und Palästinenser im Westjordanland sich das Grundwasser
aus gemeinsam betriebenen Brunnen teilen. Daran halten tut sich Israel
allerdings nach Angaben der israelischen Friedensaktivisten von Peace now
nur, wenn es Lust und Wasser hat. In Dürrezeiten wie diesen dreht Mekorot
lediglich den Palästinensern in Gaza und der Westbank den Wasserhahn ab –
Israelis dürfen nach wie vor unbeschwert duschen und sprenkeln. Der
Generaldirektor der palästinensischen Wasserbehörde, Ther Nasser A-Din,
fühlt sich von "den Israelis gelinkt". In manchen Flüchtlingslagern gebe es
seit Monaten gar kein fließendes Wasser mehr, und in Autonomiestädten wie
Hebron nur spärlich und zu überteuerten Preisen. "Die lassen uns
verdursten", klagt der Direktor.
So ähnlich sieht Mustafa Sharabati seine Lage. Er wohnt in Hebron,
der Westbank-Stadt, die Israel im Januar 1997 in palästinenensische
Autonomie entlassen hat. Er besitzt einen Schuhladen in der Altstadt, hat
fünf Kinder und elf Enkelkinder, einen Weinstock im Garten und eine Frau,
die von morgens bis abends in der Küche steht. Der runzelige 67 Jahre alte
Mann mit den stechend blauen Augen wohnt in einer Art Toskana-Villa, an der
der Putz abblättert. Das Haus, das ihm Heimat ist und in dem er Besucher
ungefragt mit einem sechsgängigen Menü abfüttert, schmerzt ihn jedesmal,
wenn er es verlässt. Dann sieht er einen riesigen Wassertank, auf dem Maim
steht, das hebräische Wort für Wasser. Es ist der Wassertank seiner
jüdischen Nachbarn. Sharabati wäscht sich nur noch einmal am Tag die Hände,
nachts vorm Schlafen.
Zwei Eimer am Tag
In Hebron leben rund 180 000 Palästinenser – und 400 jüdische
renitente Siedler, die von 2000 Soldaten geschützt werden. Zum Beispiel von
Niv, der sich in seiner dreilagigen Sicherheitsuniform bei 37 Grad im
Schatten mit Deep Purple im Walkman aus dem Glutofen beamt. "Wenn es nach
mir ginge, würde hier kein Israeli leben. Reinste Provokation", sagt Niv.
Dann verbietet sein Vorgesetzter ihm das Wort. Sowieso muss Niv Dienst tun:
Ein israelischer Tanklastwagen mit einem orthodoxen Fahrer am Steuer begehrt
um Schrankenöffnung in Tel Rumeida, wo acht jüdische Familien innerhalb von
Stacheldrahtzaun, Wehrtürmen und Videokameras leben, vis-à-vis von Mustafa
Sharabati. Aus dem Lkw tropft Wasser, das palästinensische Kinder mit
Blechbechern auffangen. Niv verscheucht sie, das muss er. Wollen tut er es
nicht. Der Lkw kommt jeden Tag und füllt den Wasserturm, den Mustafa
Sharabati so hasst. Er muss ihn hassen, denn ihm und der Frau und den
Kindern stehen am Tag nur zwei Eimer Wasser zur Verfügung, um die Toilette
zu spülen, und drei Eimer für die Küche.
Wenn Wasserwissenschaftler Wakshal davon erfährt, wird er wütend.
Der rundbäuchige Experte, der sein Auto nur einmal im Jahr wäscht
("Ehrenwort!"), würde als Premierminister alles anders machen. In dieser
Vorstellung unterscheidet er sich nicht von den sechs Millionen Israelis,
die alle kleine Premierminister sind und gerne die Lage der Nation
bejammern. Wakshal allerdings sagt außerdem, dass Frieden und Wasser
zusammengehörten. "Nur wenn die Palästinenser ausreichend Wasser haben wie
wir, können sie wirtschaftlich erfolgreich und zufrieden sein. Wenn sie das
sind, haben sie gar keine Zeit mehr, uns zu hassen."
Bis dahin ist es ein weiter Weg durch die Wüste sozusagen, denn
ausgereift sind Wakshals Ideen nicht – höchstens lustig. Zusammen mit einer
Werbe-Agentur hat er eine Kampagne erfunden, die den Israelis das
Wassersparen empfiehlt. Ein Radiospot fordert von den Israelis, die für ihr
Leben gern Andenken aus Hotels mitgehen lassen: "Wenn Sie das nächste Mal
Urlaub machen in der Türkei und Handtücher und Messer mitnehmen, zapfen Sie
doch auch noch etwas Wasser ab."