Die wissenschaftliche Aufarbeitung beginnt:
Propaganda-Fotos aus der Nazi-Zeit in Linz entdeckt
Linz - Einen seltenen Fund hat Willibald Katzinger, Direktor des
Linzer Stadtmuseums Nordico gemacht: 1.700 Propagandafotos aus der
Nazi-Zeit. Die Bilder waren über Jahrzehnte ohne weitere Beachtung in einem
alten Schrank gelegen. Das Archiv der Stadt Linz hat nun mit der
wissenschaftlichen Aufarbeitung begonnen.
Der alte Schrank im Nordico, in dem die Fotos aufbewahrt wurden,
hat in den vergangenen Jahrzehnten mehrmals den Standort gwechselt. Eine
seiner Laden war verklemmt, sie blieb deshalb verschlossen - solange, bis
Direktor Katzinger sich jetzt selbst die Mühe machte, sie zu öffnen. Er fand
eine große Zahl von Kuverts mit Pressefotos, hauptsächlich aus dem Jahr
1938. Nach einer ersten Überprüfung wurden die rund 1.700 Aufnahmen an das
Archiv der Stadt Linz übergeben. Dort werden sie derzeit wissenschaftlich
bearbeitet. Denn seit einem Gemeinderatsbeschluss im Jahr 1996 läuft in Linz
ein Projekt zur Erforschung der Nazizeit in Linz, in dessen Rahmen bereits
1997 ein Bildband herausgegeben wurde.
Die jetzt entdeckten Fotos zeigen unter anderem Aufmärsche,
Festveranstaltungen, Kinderverschickungen und die rege Bautätigkeit im
Dritten Reich. "Man kann die Fotos nicht allein stehen lassen", warnt Walter
Schuster vom Stadtarchiv. Er will sie deshalb nicht einfach nur mit Angaben
beispielsweise über Aufnahmedatum und Motiv ablegen, sondern mit einem
historischen Hintergrund versehen und damit als Propaganda bloßstellen.
Als Beispiel zeigt Schuster eine Aufnahme vom ersten
"Winterhilfswerk" der NS-Volkswohlfahrt im Jahr 1938. Der Gauleiter von
"Oberdonau", sprich Öberösterreich, August Eigruber, (1947 im
Mauthausen-Prozess in Landsberg am Lech zum Tode verurteilt und
hingerichtet) sammelt höchstpersönlich Spenden für Bedürftige. Das
"Winterhilfswerk" werde oft als Beweis genannt, dass der Nationalsozialismus
auch seine "positive Seiten" gehabt habe.
In Wahrheit wurden die Hilfsleistungen auf "Volksgenossen"
beschränkt, alle von den Nazis verfolgten Volksgruppen, etwa Juden,
Minderheiten oder politisch Andersdenkende hätten nichts bekommen, gibt
Schuster zu bedenken. Außerdem sei niemals geklärt worden, ob das Geld
wirklich nur für soziale Zwecke und nicht auch für die Rüstung verwendet
wurde. Die Sammlungen seien mit einem bis dahin noch nie dagewesenen Einsatz
der Massenmedien durchgeführt worden - Prominente wie Eigruber beteiligten
sich persönlich - und mit großem Druck auf jeden Bürger, so dass Spenden nur
"pseudofreiwillig" gegeben wurden. Die gesammelten "Spenden" seien
veröffentlicht worden - als "Beweis" im Sinne der Propaganda, zu welchen
Leistungen und Mobilisierung die Nazimaschinerie fähig sei.
Die Aufarbeitung der Fotos mit der Einbettung in den historischen
Hintergrund erfolgt mit Daten aus bereits bekannten Quellen, etwa Zeitungen
und Akten. Die Wissenschaftler gehen von einer Dauer von voraussichtlich
einem Jahr aus. Eine Veröffentlichung der Ergebnisse wird überlegt.
SLW/haGalil
09-99