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Eine Zusammenfassung zur Thematik Zwangsarbeit und Entschädigung:
Die Realität moralischer Verantwortung

Von Christine Raedler und Gabriel Levy-Hass

Das systematische Wegsehen und Weghören, das die Auseinandersetzung mit den Verbrechen Deutschlands im Zweiten Weltkrieg kennzeichnet, findet auch im Umgang mit der sogenannten "Wiedergutmachung" bzw. der Entschädigung von Opfern des NS-Regimes seinen beschämenden Ausdruck. Dies zeigt sich erneut in der aktuellen Debatte um die Entschädigung von für den deutschen Staat und die deutschen Konzerne geleisteten Zwangsarbeit im "Dritten Reich". Ob Deutsche und Dresdner Bank, Volkswagen AG, Allianz oder jüngst IG Farben i.A. - die Entschädigungsdebatte sorgt für Unruhe in den Führungsetagen. Das Ausgreifen deutscher Konzerne auf den US-Markt auf der einen und die neu formierten Sammelklagen Betroffener auf der anderen Seite bringen Staat und Wirtschaft erheblich unter Druck. Die unter diesem Druck avisierte Notlösung der Gründung von Entschädigungsfonds hilft den Konzernen auf die Sprünge. Da und dort stellt man sich sogar der angeblich frisch entdeckten eigenen Geschichte. Soeben geschehen bei der Deutschen Bank, deren aus gegebenem Anlaß emsig arbeitendes "Historisches Institut" die Leichen im Keller der Bank - in Form von Aktenbergen zur Mitfinanzierung von Auschwitz in Polen über Kredite von Tochterunternehmen an die lokale SS - ausgrub.

Überhaupt nichts Neues im übrigen: Seit den leider wenig beachteten "Ermittlungen gegen die Deutsche Bank", dem sog. OMGUS-Bericht (Office of Military Government for Germany, United States, Finance Division / Financial Investigation Section) von 1947 und der vor ein paar Jahren erstellten Studie "Das Gold der Juden" des britischen Juristen Tom Bower ist der Zusammenhang zwischen Deutscher Bank und dem Chemiewerk der IG Farben in Auschwitz klar herausgestellt, was die Bank damals jedoch wohlweislich ignorierte. Diesmal aber tut man so, als stelle man sich aufgrund soeben entdeckter Sachverhalte seiner "geschichtlichen Verantwortung" und gibt seinem Institut das Okay zur Enthüllung dessen, was man zuvor wissentlich verschleierte: die Inhalte von sage und schreibe 15 Kilometer Aktenmaterial (FAZ) aus der Zeit des "Dritten Reiches" - eine Menge, der man schon rein räumlich nur schwer aus dem Weg gehen kann.

Gegen diese Übermacht von Beweismaterial verbinden sich Staat und Wirtschaft zu einer Solidargemeinschaft von deren Spitze aus der rotgrüne Kanzler Schröder - sich selbst als Schutzschild deutscher Interessen verstehend - verkündet: "Es wird in Deutschland keine neue Wiedergutmachungsdebatte geben." Auf diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach der Moral des deutschen Staats kaum noch. Vielmehr scheint sich zu bestätigen, was bereits im Septemper 1964 ein ehemaliger Auschwitz-Häftling bitter notierte: "Die großen Rüstungskonzerne, die Milliarden am Massenmord des zweiten Weltkrieges verdienten, beherrschen heute wieder Staat und Wirtschaft in Westdeutschland."

Im folgenden wird der Umgang mit Zwangsarbeit und Entschädigung zunächst am Beispiel des IG Farben Konzerns dargestellt. Im Anschluß daran ist die Rechtslage zum Thema diskutiert und von Fallbeispielen unterlegt. Hier zeigt sich: Es ist ein schweres Unterfangen für die Betroffenen mit häufig schlechtem Ausgang.

IG Farben i.A.
Das lange Warten auf das Recht
  

Gelinde gesagt zäh gehen die Mühlen bei dem deutschen Unternehmen, deren Aktionäre sich am 25.3.99 in Frankfurt/M. versammelten. Die "IG Farben in Abwicklung" ist die Nachfolge-Gesellschaft des Chemiekonzerns IG Farben, der während des Zweiten Weltkriegs etwa 350 000 Zwangsarbeiter beschäftigte - unter anderem im firmeneigenen Auschwitz-Lager Monowitz -, deren Tochterfirma DEGESCH (Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung mbH, Frankfurt/M.) Zyklon B für den Massenmord lieferte und der so enorme Kriegsprofite anhäufen konnte.

Während der Konzern 1939 ein Eigenkapital von 1038,9 Millionen Mark auswies, betrug das Eigenkapital seiner drei Hauptgesellschaften Bayer, Hoechst und BASF 1952 nach Abschreibung sämtlicher Verluste 1660,3 Millionen Mark. Eigenkapital, das durch den Kriegsgewinnler Nummer 1 mit Zwangsarbeit, Patentierung von in Konzentrationslagern erprobten medizinischen Präparaten und Massenmord erwirtschaftet wurde. Nach dem Krieg erzwangen die Alliierten die Auflösung des Konzerns und die Wieder-Aufspaltung in die früheren Unternehmen BASF, Hoechst und Bayer, deren Eigenkapital 1963 bereits die 6-Miliarden-Grenze erreichte. Das Restvermögen des Ex-Konzerns wurde nach dem Krieg auf die "IG Farben in Abwicklung" übertragen. Die IG Farben i.A. wird nunmehr seit mehr als 50 Jahren liquidiert. Wegen zahlreicher Einsprüche und Prozesse ehemaliger Aktionäre der IG Farben, die um den Gewinn aus ihren Anteilen bangten, wurde die schon vor 50 Jahren beschlossene Auflösung der Gesellschaft bis heute nicht vollzogen; ihr Firmenvermögen wird zur Zeit mit 27,8 Millionen Mark angegeben. Obwohl die Firma als das Symbol für die Zusammenarbeit der Industrie mit dem Nazi-Regime gilt und immer wieder mit Entschädigungs-Forderungen und seit kurzem auch mit Klagen konfrontiert wurde, erfolgten bislang keinerlei Entschädigungszahlungen an die Opfer. So haben drei ehemalige IG Farben-Zwangsarbeiter die Nachfolge-Gesellschaft jüngst auf Schmerzensgeld und Lohn-Nachzahlung verklagt. Die heute zwischen 73 und 76 Jahre alten Männer leben in Israel. Sie waren aus Polen nach Deutschland verschleppt worden. Die Entscheidung über ihre Klage ist noch offen. Sie könnte wegweisend sein, aber die biologische Uhr tickt.

Da sich BASF, Hoechst und Bayer nicht als Rechtsnachfolger der IG Farben betrachten, sehen sie für sich auch keine gesetzliche Verpflichtung zur Entschädigung ehemaligen Zwangsarbeiter. Gleich einem Tropfen auf dem heißen Stein erklärten sich die Konzerne im Februar bei ihrem Treffen mit Schröder zur Beteiligung an einem geplanten Staatsfonds zur Entschädigung der Nazi-Opfer bereit.

Als sich nun im März die Aktionäre der IG Farben i.A. im vierten Anlauf - im letzten Jahr war es dem Konzern wegen anhaltender öffentlicher Proteste nicht gelungen, geeignete Räumlichkeiten zu finden - in Frankfurt/M. zu ihrer Hauptversammlung trafen, war der Aufruhr groß: Etwa 180 Demonstranten, darunter ehemalige Zwangsarbeiter und andere Holocaust-Opfer der IG Farben, hinderten zunächst die Aktionäre am Betreten des Gebäudes, indem sie sich mit der Polizei ein Handgemenge lieferten. Im weiteren versuchten sie immer wieder, die Versammlung zu stören und wurden teilweise von Sicherheitskräften aus dem Saal gebracht. Demonstranten und kritische Aktionäre fordern die sofortige Auflösung des Unternehmens und die Verwendung des gesamten Firmenvermögens zur schnellstmöglichen Entschädigung von Opfern. Denn alles andere wäre "doch nur Verzögerung, um die Sache biologisch vom Tisch zu kriegen", wie der Auschwitz-Häftling Hans Frankenberg hervorhob, der wie andere seit einen halben Jahrhundert auf sein Recht wartet. Im Verlauf der Versammlung boten sich schamvoll häßlichste Zwischenfälle; so wurde eine kritische Aktionärin als "Judenhure" beschimpft und im Folgenden auch noch belehrt: "Die Juden sind von Deutschland seit 50 Jahren unterstützt worden – einmal muß ja Schluß sein." Symtomatisch dafür, wie die Entschädigungsdebatte in der BRD geführt wird!

Die Liquidatoren, der Rechtsanwalt Volker Pollehn und der CDU-Bundestagsabgeordnete Otto Bernhardt verwässerten dann auch gleich den harten, berechtigten Kurs Kritischer Aktionäre. Unter der Berufung, "ihrer historischen Verantwortung" gerecht zu werden, räumten sie hinsichtlich der Firmenbeurteilung ein: "Ob es uns gefällt oder nicht: Die IG Farben sind ein Negativ-Symbol für die Zusammenarbeit der Industrie mit den Nationalsozialisten." Aus dieser Tatsache zogen sie dann freilich nicht die gleichen Schlüsse wie Demonstranten und Kritische Aktionäre. Sie baten die Aktionäre lediglich darum, sie mit der Vorbereitung einer Stiftung zur Entschädigung zu beauftragen, für die - unklar formuliert - nunmehr ein Großteil des Firmenvermögens in einem nicht genannten Zeitraum verwendet werden soll. Diesem Antrag schloß sich die Hauptversammlung mehrheitlich an.

Die Liquidatoren bekräftigten vor allem in Richtung der Kritischen Aktionären ihren Willen, das Unternehmen beschleunigt zu liquidieren, jedoch schneide man sich bei einer sofortigen Auflösung ins eigene Fleisch, da nicht alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft seien, um an das ehemalige Ost- und Auslandsvermögen der IG Farben heranzukommen. So wollen sie - trotz einer rechtskräftigen Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus den 80er Jahren - Zugriff auf das frühere Auslandsvermögen der IG Farben verlangen, das die IG Farben kurz vor Kriegsende durch Gründung der Holding IG Chemie in der Schweiz in Sicherheit gebracht hatte. Diese firmierte 1945 in "Interhandel" um, die bald darauf mit der schweizerischen Bankgesellschaft (UBS) fusionierte - eine alles in allem perfekte Verschleierung. Nach Bernhardt handele es sich bei dem ehemaligen Auslandsvermögen der IG Farben mit Zinsen um etwa 4,4 Milliarden Mark, die man von dem zweitgrößten schweizer Bankhaus zurückfordert. So vergeht wiederum wertvolle Zeit mit dem fadenscheinigem Ausblick, eine größere Summe in den Entschädigungstopf werfen zu können.

Nach Henry Mathews (Vorstand des Verbands kritischer Aktionäre) durchaus "typische Lippen-Bekenntnisse der Liquidatoren". Mathews bezeichnete die IG Farben als die einzige kriminelle Vereinigung, die von der Polizei geschützt werde.

In einem Brief an die Liquidatoren des Chemiekonzerns verlangt auch der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, vertreten durch Romani Rose, Entschädigungszahlungen an die überlebenden Sklavenarbeiter noch in diesem Jahr.

"IG Farben und Degussa müssen sich wegen ihrer Mitverantwortung an den Massenmorden mit Zyklon B auch an weiteren Entschädigungsfonds beteiligen." Jeder ehemalige Zwangsarbeiter müsse für die erbrachte Leistung und die erlittenen Gesundheitsschäden mindestens 10.000 Mark erhalten, schrieb Rose. Nach dem 1991 gefällten Beschluß der Aktionärsversammlung der IG i.A. zur "Vorbereitung der Gründung einer Stiftung" sei es zynisch, jetzt diesen Beschluß lediglich zu wiederholen. In Wirklichkeit würden die Zahlungen auf diese Weise bis zum Tode der letzten Überlebenden hinausgezögert. Auch der Sprecher der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes, Peter Gingold, erinnert sich an "das Gerede" von der Stiftung zu Beginn der 90er Jahre, aus der dann nichts wurde.

Der Zentralrat vertritt nach eigenen Angaben die aus der Nazizeit resultierenden Entschädigungsansprüche von insgesamt 2850 Personen an Deutsche und Schweizer Firmen. Von den Sinti und Roma, die während der Nazizeit Zwangsarbeit für die IG Farben leisteten, leben den Angaben zufolge heute noch zehn bis 15 Personen. Im April wollen sich Vertreter des Zentralrates der Sinti und Roma in den USA mit Anwälten treffen, um Sammelklagen gegen Firmen in Deutschland und der Schweiz vorzubereiten.

Ein Sprecher des deutschen Bündnisses gegen IG Farben sagte, so lange es keine definitiven Zusagen seitens des Unternehmens gebe, würden die Proteste weitergehen.

Der Koordinator der Klägerseite gegen IG Farben, Andrzeij Bodek, begrüßte im Namen seiner Mandanten die Einrichtung einer Stiftung. Doch müsse eine sofortige und direkte Zahlung erfolgen. Dabei dürfe es keine Pauschal-Entschädigungen geben, sondern nur individuelle Regelungen. Er warf der IG Farben eine "Strategie der biologischen Lösung" vor. Die jüngsten Opfer seien schließlich schon 70 Jahre alt.

Unterdessen richtete die Organisation "claims for jewish slave-labour compensation" einen offenen Brief an den deutschen Regierungschef Schröder. Darin fordern überlebende Zwangsarbeiter finanzielle Entschädigung als überfälliges Recht ein.

Entschädigung und Recht

Am 11. November 1986 legte die Bundesregierung ihren Bericht zur Wiedergut-machung und Entschädigung vor: Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die BRD Leistungen in Höhe von 77,07 Milliarden DM erbracht und wird künftig, von 1986 hochgerechnet bis ins Jahr 2000, etwa weitere 25,59 Milliarden hierfür aufbringen. Man brüstet sich damit, daß die "Wiedergutmachung insgesamt gesehen als eine historisch einzigartige Leistung angesehen werden" könne. Einmalig allerdings ist auch die Ermordung von 6 Millionen Juden und der Diebstahl deren Vermögen, einmalig auch die planvolle Vernichtung von Millionen durch Arbeit für deutsche Konzerne und den deutschen Staat. Vom kalten Zahlenspiel abgesehen stellt sich die Frage, was es tatsächlich mit der Wiedergutmachung auf sich hat. Wie die gesetzlichen Grundlagen hierfür aussehen, soll im folgenden dargestellt werden.

Zweigeteilt: Wiedergutmachung

"Wiedergutmachung" ist ein zweiteiliges Verfahren: der eine Teil beinhaltet die Rückerstattung geraubten Vermögens und ist Gegenstand vor allem des Gesetzes Nr. 59 des Alliierten Kontrollrats (AKR) vom 10. November 1947 gewesen. Der andere Teil umfaßt überwiegend andere (immaterielle) "Schadenstatbestände" wie den Schaden an Leben, Gesundheitsschäden, Berufsschäden.

Das Gesetz Nr. 59 über die Rückerstattung "arisierten" Vermögens des AKR wurde zwar von deutschen Juristen (Otto Küster, Adolf Arndt) erarbeitet, aber als von den Alliierten auferlegt erlassen. So brauchten sich deutsche Länderregierungen nicht nachsagen zu lassen, eine gesetzliche Verpflichtung zur Rückerstattung veranlaßt zu haben. Es regelte die Rückgabe von im Verlauf der "Arisierung der Wirtschaft" geraubten Vermögens wie Grundstücke, Fabriken, Wertpapiere durch private deutsche "Ariseure". Hierbei handelte es sich um eine individuelle Rückerstattung, die gegen Ende der 50er Jahre als weitgehend abgeschlossen betrachtet werden konnte. Das Bundesrückerstattungsgesetz von 1957 klärte abschließend die Rückerstattung von in öffentlicher Hand des Rechtsnachfolgers des "Dritten Reichs" befindlichen "arisierten" Vermögensgegenständen.

Der Nachweis durch Einträge in Handelsregistern, Grundbüchern, öffentliche Bekanntmachungen und Zeitungsannoncen verhalfen den ursprünglichen Besitzern zur Rückerstattung. Die zahlreichen weniger wohlhabenden Verfolgten und Beraubten mußten sich in die Schiene der Entschädigung nach Bundesergänzungs- und Bundesentschädigungsgesetz einspulen und begutachten lassen. Bis heute sind auf dieser Grundlage etwa 4 Milliarden DM an Leistungen geflossen. Zwar nahmen die privaten Ariseure an der Rückerstattung Schaden. Allerdings konnten sie diesen "Schaden" ab 1969 als "Opfer der Wiedergutmachung" auf der Basis des Reparations-schädengesetzes wieder gut machen – sofern sie sich nicht bereits für ihre verlorenen Ostgebiets-Firmen nach dem Lastenaus-gleichsgesetz von 1952 hatten entschädigen lassen.

Rückerstattung im Fall Joseph Blumenbach

Soweit der deutsche Staat willens war, die Eigentums- bzw., Vermögensnachweise, die die während der Zeit des "Dritten Reichs" beraubten Antragsteller vorlegten, anzuerkennen, wurde diesen Ansprüchen in der Regel nachgegeben. Allerdings sah dies konkreten Fall beispielsweise so aus: Ein ehemaliger Regierungsrat in Nordbaden hatte einen Rückerstattungsantrag vorgelegt mit einem Anspruch auf 2.000 DM für den Verlust seiner Bibliothek. Das zuständige Gericht verlangte ein Verzeichnis aller 900 Titel mit Anschaffungsjahr und -preis sowie Quittungen der Buchhandlungen, was der Antragsteller natürlich nicht erbringen konnte, also keine Rückerstattung.

Diese zynische Entschädigungspraxis verschärft sich im Fall sog. "Wilde Arisierung", bei denen ohne jede institutionelle Rückbindung Personen willkürlich Person um ihr Hab und Gut gebracht wurden. Im Fall des Gelnhäuser Autohändlers, Tankstellen- und Kfz-Werkstattbesitzers Joseph Blumenbach erfolgte 1933 eine solche "Wilde Arisierung". Der Tatort, die Barabarossastadt Gelnhausen sollte noch für ihren "Radau-Antisemitismus" berüchtigt werden und sich schließlich am 1. November 1938 stolz für "judenfrei" erklären. Am 23. März 1933 suchten örtliche SA-Männer in per Armbinde ausgewiesener Eigenschaft als Hilfspolizisten Haus und Geschäft heim und durchsuchten beides. Anschließend sind das Benzingeld (400 DM), eine antike Waffensammlung und Blumenbachs Armeerevolver ohne Hinterlassen einer Quittung verschwunden. Er selbst wird ohne Haftbefehl abgeführt und erst am 17. Juni 1933 wieder aus der Haftanstalt Preungesheim entlassen. Da er seine Heimatstadt Gelnhausen nicht mehr betreten darf - nur unter dieser Zusicherung wird er überhaupt freigelassen - , geht er nach Mannheim, von wo im August 1938 ihm und seiner Familie die Flucht in die USA gelingt.

Nach dem Krieg erhielt Blumenbach für die beiden "arisierten" Häuser, Werkstatt und Tankstelle Hailerer Straße 1 und Geschäftssitz und Wohnhaus Roether Gasse 10 - heute beliebtes - eine Nachzahlung wegen Schaden aus Arisierung. Die Ariseure selbst - wir erinnern uns - konnten sich diese Nachzahlung ab 1969 nach dem "Reparationsschädengesetz wiedergutmachen lassen. Die Zahlung stand jedoch "in gar keinem Verhältnis zu dem wirklichen Wert der Geschäftsanwesen", so Blumenbach: "Wir klagten auf die Rückgabe der sehr wertvollen antiken Waffensammlung, wofür wir am Ende 1.000 DM bekamen, weil wir keine Quittung für die einzelnen Artikel vorlegen konnten. Als wir nach dem Krieg den Versuch machten, Geschäftsentschädigung zu bekommen, erhielten wir die Mitteilung, daß das Finanzamt während des Kriegs zerstört wurde und alle Steuererklärungen verbrannt seien." Als Blumenbachs aus Gelnhausen vertrieben wurden, hatten sie 58.000 RM Außenstände bei Geschäftspartnern. Von Mannheim aus mußten sie ein Inkasso-Büro zur Eintreibung der Forderungen beauftragen. Das Ergebnis nach fünf Jahren: 6.000 RM Eingänge rechnete das Büro ab, davon 50% für Blumenbach - blieben also schlappe 3.000 RM. Der zur Ausreise notwendige Heimatschein, ausgestellt im Juli 1938, galt bis Juli 1943. Danach verloren sie, da sie ja nun keine Gelegenheit mehr hatten, den Heimatschein verlängern zu lassen, ihre Staatsbürgerschaft.

In der amerikanischen Zone verabschiedete der Länderrat am 26. April 1949 das erste einheitliche Entschädigungsgesetz für diese Länder. Wieder waren Küster und Arndt am Werk und es wurde erlassen als "Gesetz Nr. 951 zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts vom 16.8.1949". Hier wurden erstmals grundlegende Begriffe definiert: Was ist "Verfolgung", wer gilt als "Verfolgter", welche Schäden sind erlitten worden. Zum ersten Mal bezog ein Gesetz die Displaced Persons mit ein - 1949!. Diese hatten nicht vor 1937 im Reichsgebiet gelebt, sondern waren aus den Konzentrationslagern befreit worden und warteten nun in DP-Lagern auf Rückkehr in die alte oder Einreisemöglichkeiten in die neue Heimat. Nach diesem und anderen Ländergesetzen, die bis 1953 erlassen wurden, sind bis 1986 1,835 Milliarden DM geleistet worden. Bis zum Jahr 2000 werden es 1,935 Milliarden sein.

Warten auf Godot

Im September 1949 gibt Konrad Adenauer im ersten deutschen Bundestag seine Regierungserklärung ab. Er spricht davon, daß durch die "Denazifizierung viel Unglück und Unheil angerichtet worden" sei, die "wirklich Schuldigen an den Verbrechen, die in der nationalsozialistischen Zeit und im Kriege begangen worden sind, mit aller Strenge bestraft werden" sollen. Der Krieg und die Wirren der Nachkriegszeit hätten "eine so harte Prüfung für viele gebracht und solche Versuchungen, daß man für manche Verfehlungen und Vergehen Verständnis aufbringen" müsse, weswegen über eine Amnestie nachgedacht werden müsse. Das "wichtigste Kapitel" ist für Adenauer aber "die Frage der deutschen Kriegsgefangenen und Verschleppten" und es fällt ihm schwer "mit der notwendigen leidenschaftslosen Zurückhaltung zu sprechen (wenn er) an das Schicksal der Vertriebenen, die zu Millionen umgekommen sind", denkt. Mit keinem Wort wird vier Jahre nach der Befreiung der Überlebenden aus den KZ deren Entschädigung auch nur erwähnt.

Im März 1951 wandte Israel sich mit einem Reparationsanspruch gegenüber Deutschland in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar an die Besatzungsmächte. Die Höhe der Forderung begründete der israelische Staat damit, daß er für die Eingliederung der etwa 500.000 aus ehemaligem deutschen Machtbereich nach Palästina geflohenen Juden ca. 3.000 Dollar Eingliederungshilfe pro Person geleistet habe. Daneben stehe das in den besetzten Ländern geraubte und an Ermordete nicht mehr rückerstattbare Vermögen. Im Dezember des gleichen Jahres veröffentlicht ein Meinungsforschungs-institut das Ergebnis der vom US-Hochkommissar in Auftrag gegebenen Umfrage zu den Forderungen Israels: Auf die Frage, ob Juden und anderen verfolgten Gruppen geholfen werden sollte, antworteten 68% der Befragten mit Ja. Davon billigten 17% den Juden das geringste Anrecht auf Entschädigung zu. 49% der Befragten stellten das Schicksal der Juden dem aller anderen Gruppen gleich, 21% lehnten jede Wiedergutmachung an Juden ab. Bei den Antworten auf die zweite Frage, welche Gruppen das größte Anrecht besäßen, standen die Juden an letzter Stelle. Kriegswitwen und -waisen, Bombengeschädigte und Vertriebene rangierten vor ihnen. 

So gab es sechs Jahre nach Kriegsende und zwei Jahre nach Gründung der BRD noch immer kein Bundesgesetz zur Entschädigung nationalsozialistisch Verfolgter. Aber das gesunde deutsche Volksempfinden wollte schon Unrecht wieder gut machen. Deshalb verabschiedete der Bundestag am 11. Mai 1951 die Regelung zur Wiedereinstellung ehemaliger Angehöriger der NSDAP in den Staatsdienst nach Artikel 131 GG (daher auch 131er-Gesetz genannt). Diese waren teilweise 1945 von der Ausübung öffentlicher Ämter und von Ruhestandsbezügen ausgeschlossen worden. Am selben Tag erging dann noch ein "Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung für Angehörige des öffentlichen Dienstes" (BWGöD). Danach erhielten die ab April 1933 von dem "Gesetz zur Wiederherstellung des Beamtentums" und Folgegesetzen Betroffenen eine bundeseinheitliche Entschädigung. Nach dem BWGöD sind bis 1986 etwa 1,9 Milliarden DM geleistet worden.

Daß das 131er-Gesetz vor allen Entschädigungsgesetzen verabschiedet wurde, fanden nur wenige peinlich. Schließlich sanktionierte es nur bestehende Zustände. Nebenbei bemerkt waren von den 402 Mitgliedern des Bundestags mindestens 53 ehemals Mitglied der NSDAP, die sich bis auf zehn auf die Regierungsparteien CDU/CSU, FDP und DP verteilten.

Inwieweit die Wiedergutmachungsgesetze wirklich aus der Einsicht, etwas wieder gut machen zu müssen, erwachsen sind, ist fraglich. Das Bundessozialgericht sieht die Sache folgendermaßen: "Alle Wiedergutmachungsgesetze der BRD sind in Ausführung des am 26. Mai 1952 zwischen der BRD und den alliierten Mächten geschlossenen Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen (sog. Überleitungsvertrag), der das Besatzungsstatut ablöste, ergangen ... . In dessen viertem Teil wurde der BRD die Verpflichtung zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung auferlegt." Obwohl der deutsche Finanzminister Schäffer alles tat, um eine Einigung zu torpedieren, legte das "Luxemburger Abkommen" vom 10. September 1952 die Zahlung eines Betrag von 3 Milliarden DM an den Staat Israel innerhalb von zwölf Jahren durch die BRD fest. Desweiteren sagte Deutschland die Verbesserung der innerdeutschen Wiedergutmachungs-gesetzgebung zu. Als der Vertrag dann endlich im Wahljahr am 18. März 1953 im Bundestag ratifiziert wurde, stimmten 238 der 360 Anwesenden dafür (125 SPD, 105 Regierungskoalition), 34 lehnten ab (15 Regierungskoalition) und 86 enthielten sich (68 Regierungskoalition). Die Leistungen aus diesem Abkommen betragen bis heute 3,450 Milliarden DM.

Bundesergänzungs- und Bundesentschädigungsgesetz

Mit dem Luxemburger Abkommen war nun ein bundeseinheitliches Entschädigungs-gesetz unumgänglich geworden. Beim Gesetzesentwurf führte ausgerechnet der Entschädigungsgegner Ernst Féaus de la Croix die Feder. Der Volkswirt und Jurist - zuständig im Bonner Finanzministerium für alle Wiedergutmachungsleistungen - hatte 1938 zu den Verfassern der Nazi-Denkschrift "Rasse, Volk, Staat und Raum in der Begriffs- und Wortbildung" gehört.

Die Bundesregierung setzte ihren Entwurf am 29. Juli 1953 im Bundestag durch. Im Wahljahr wollte sie ihn dezidiert nicht als eigenständiges Gesetzeswerk des bundesdeutschen Gesetzgebers verstanden wissen. Der Öffentlichkeit verkauft wurde es daher als Ergänzung zu US-Zonen-Gesetzen, als "Bundesergänzungsgesetz". Das erste bundeseinheitliche Entschädigungsgesetz durfte künftiger Wählerstimmen wegen keines sein. Was war neu am BErgG?

Zu den Regelungen bisher genannter Gesetze wurden nun die aus den osteuropäischen Vertreibungsgebieten ausgewanderten Verfolgten entschädigungsberechtigt. Auch die Verfolgten in der ehemaligen britischen Zone (Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hamburg) konnten einen Entschädigungsanspruch für Schäden im wirtschaftlichen und beruflichen Fortkommen geltend machen. Der Bundesgerichtshof wurde als oberste Instanz in Wiedergutmachungssachen bestimmt. Das klingt theoretisch ganz gut, war aber nur schwer in die Praxis umzusetzen: Der Beanspruchende mußte nachweisen, daß seine Verfolgung eine gegen ihn persönlich gerichtete "amtliche Maßnahme" gewesen war. Nicht einfach, legte doch bereits der §1 BErgG eindeutig die Verfolgungsbestände fest: Rasse, politische Gegnerschaft, Glaube, Weltanschauung. Konkret: Wer also nicht im Reichsgesetzblatt als ausgebürgert veröffentlicht wurde, ging nach der Rückkehr aus dem überlebensnotwendigen Exil leer aus. Wer ohne die schriftliche Vorlage "amtlicher Billigung" sich der Deportation durch Selbstmord entzog, machte es seinen Hinterbliebenen unmöglich, Entschädigung zu beanspruchen. Er hätte damit warten müssen, bis der Zug fuhr!

Nichtbeamtete Verfolgte - wir erinnern uns, Beamte fielen unter das BWGöD - konnten einen einmaligen Betrag von 25.000 DM für Existenzschäden beantragen. Bei Berechnungen der Renten- und Kapitalentschädigungen wurden die Entschädigungsberechtigten nach einer der vier Stufen der Beamtenhierarchie - einfacher, mittlerer, gehobener Dienst - eingestuft. Klar, daß die meisten an den ersten beiden Stufen hängen blieben. Gesundheitsschäden, die die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigten, waren erst ab 30% entschädigungsberechtigt. Hierbei mußte oft in harten Gutachter-Verfahren die Verfolgungsbedingtheit der Gesundheitsschäden nachgewiesen werden.

Bei der Novellierung des BErgG konnte Schäffer seinen harten Kurs nicht mehr gänzlich durchsetzen, so daß eine Verbesserung durch die Verabschiedung des BEG entstand: Anspruch konnte jetzt auch geltend machen, wer bis zum 31.12.1952 (bisher: 1.1.1947) in die BRD zugezogen war und wer als amtlich gebilligter Emigrant zuvor im Deutschland der Grenzen von 1937 (statt BRD 1953) gewohnt hatte. Gesundheitsschäden konnten ab 25% geltend gemacht werden, die Höchstgrenze für Eigentumsschäden wurde von 25.000 auf 75.000 DM heraufgesetzt. Der Tarif für KZ-Haft-Entschädigung lag jedoch bei lächerlichen 150 DM pro Monat. Die Anträge hatten bis zum 1. Oktober 1957 bei den Entschädigungsämtern gestellt zu sein – ein Jahr nach Veröffentlichung! Zur weiteren Begründung der Anträge wurde nochmals eine Frist bis zum 1. April 1958 gewährt (Ausschlußfristen). Ähnlich wie das BErgG legte das BEG folgende acht Schadenstatbestände fest: Schaden an Leben, an Körper und Gesundheit, an Freiheit, an Eigentum, an Vermögen (durch Zahlungen von Sonderabgaben, Geldstrafen, Bußen und Kosten), im beruflichen und im wirtschaftlichen Fortkommen.

Schadenstatbestände im Fall des Alfred Jachmann

Der Mann im Stützkorsett war früher Leiter des Jüdischen Altersheims in Frankfurt/M. Er trägt die Nummer 105 105 auf dem linken Unterarm. Die Nummer erhielt er in Monowitz, wo er von März 1943 bis Januar 1945 für die IG Farben im Buna-Werk Stahlrohre schleppte - zwölf Stunden täglich. Das Stützkorsett trägt er, weil er sich auf dem Todesmarsch im Januar 45 von Auschwitz nach Gleiwitz durch meterhohen Schnee kämpfte. Er war einer der 12.000, die ankamen in Gleiwitz. Am nächsten Morgen brachte ein Güterzug sie nach Kieferstädtel, wo sie in den Wald getrieben wurden. Am Abend lagen Tausende von Leichen im roten Schnee. Alfred Jachmann hatte sich verkriechen können und überlebte. Die Folgen der Erfrierungen versucht er mit dem Stützkorsett zu lindern. Entschädigung? Ja, fünf DM Haftentschädigung pro Tag. Gesundheitsschadenrente: zuerst 635 DM, 1991 erhält er – nach allen Erhöhungen – 1.003 DM. Ausbildungsschaden: einmalig 5.600 DM. Die Leistungen nach BErgG und BEG betrugen bis 1986 etwa 64 Milliarden DM und werden auf etwa 87 Milliarden DM im Jahr 2000 prognostiziert. Die "Schadenstatbetände" wurden genannt und am traurigen Beispiel des Alfred Jachmann auf den Punkt gebracht. Wer aber konnte der Schäden wegen Entschädigung beantragen? Oder andersherum gefragt: Wer blieb davon ausgeschlossen?

Eingeschlossene und Ausgeschlossene

Der §1 des BErgG gilt als Generalklausel: Alle, die "aus Gründen der politischen Gegnerschaft, der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung" verfolgt waren, sind in die Regelungen eingeschlossen. Daraus ergeben sich zwangsläufig die "Ausschlußgründe": Alle, die nicht unter diese Generalklausel fallen, sind ausgeschlossen, also:

- Sinti und Roma wurden zunächst als Kriminelle abgestempelt. Erst mit einem Urteil vom 8. Dezember revidierte der BGH seine eigene Auffassung und erkannte an, daß für die Deportation von Sinti und Roma ab Mai 1940 "Gründe der Rasse" mit ursächlich seien.
- Zwangssterilisierte und die im Zuge der T4-Aktion (Euthanasie-Programm) Ermordeten. Ihre Anträge wurden zurückgewiesen, "weil die Sterilisation nicht etwa eine Verfolgungsmaßnahme war, sondern allein aus erbbiologischen Gründen vorgenommen worden" sei und "das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses als solches nicht rechtswidrig ist". Nebenbei: Auch die Mengele-Zwillinge dürfen erst seit Juli 1987 eine Entschädigung erwarten. Noch der Bericht der Bundesregierung von 1986 hatte von "sogenannten ‘Mengele-Zwillinge’" besprochen und festgestellt: "Zwillingsuntersuchungen dieser Art stellten ... keine pseudomedizinischen Versuche dar." Was findet sich hierzu in der Region? Das Kreisruheheim Gelnhausen hatte 1940 aufgrund der Fragebogenaktion der "Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten" unter seinen 40 Patienten drei Kandidaten für die T4-Aktion gemeldet.
- Asoziale. Auf sie seien die Gründe des BEG nicht anwendbar.
- Homosexuelle. Sie konnten, wenn sie nicht gleich wieder strafverfolgt werden wollten, erst nach der Strafrechtsreform von 1969 Ansprüche geltend machen.
- Kommunisten. Hier war der Staat fein raus, denn nach §6 BEG waren notorische Feinde der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (fdGo) der Entschädigung nicht würdig. Falls sie zuvor schon Leistungen bezogen hatten, konnten ihnen diese nach Offenbarwerden ihrer fdGo-Feindlichkeit entzogen werden. Nach dem KPD-Verbot wurde deshalb die Entschädigung nicht selten als "Schweigegeld" bezeichnet. Noch in den Anhörungen vor den Innenausschüssen im Jahr 1987 versuchte man die VVN als Interessen-vertreterin politisch Verfolgter auszuschließen. Allein die Mitgliedschaft der VVN genügte ab 1956, der Entschädigung "unwürdig" zu sein bzw. Leistungen wieder entzogen zu bekommen.

Ausgeschlossen, weil eingeschlossen - der Fall Alfred Kantorowicz

Auch Kommunisten, die nicht mehr als Kommunisten galten, wurden nach diesem Schema abgewiesen. Der Jude, Kommunist, Spanienkämpfer und Schriftsteller Alfred Kantorowicz war im Pétain'schen Frankreich interniert. 1941 konnte er in die USA fliehen. 1947 kehrte er nach Berlin (Ost) zurück, wo er zweieinhalb Jahre die Zeitschrift "Ost und West" heraus gab. Nach dem Ungarn-Desaster 1956 überwarf sich der Literaturprofessor mit der offiziellen Lehrmeinung, was ihm Job und Pensionsanspruch kostete. Er floh in den Westen, wo ihm der westdeutsche Staat in Gestalt des Bayrischen Landesentschädigungsamtes (BLEA) die Entschädigung als unter den Nazis politisch Verfolgtem verweigerte. Er habe der "Unmenschlichkeit Vorschub geleistet", weshalb ihn das BLEA auch nicht als in der DDR Verfolgten anerkannte - was das Amt bei Nicht-Kommunisten, Nicht-Spanienkämpfern und Nicht-Juden recht gern tat. Erst die Stadt Hamburg zahlte ihm ab 1961 eine Gnadenrente von monatlich 500 DM. Er starb 1979 als bettelarmer Mann.

- Alle jene, die in besetzten Ländern von den Mordkommandos überfallen wurden und bis zum 31.12.1952 nicht in die BRD gezogen waren. Sie erfüllten die Wohnsitzvoraussetzungen nicht. In den 50er und 60er Jahren wurden dann globale Abkommen mit westlichen Staaten geschlossen – hier genügt ein Blick auf die Summe von 1 Milliarde DM (1988), um zu wissen, daß die meist einmaligen Beträge, die die Verfolgten aus diesen Globalabkommen erhalten haben um einiges niedriger waren, als sie nach dem BEG-Verfahren hätten ausfallen können. Zumal Globalabkommen mit den Ländern Osteuropas erst ab 1990 geschlossen wurden, gilt hier im umgekehrten Sinn: Zeit ist Geld; jedes Jahr Verzögerung ist bar Erspartes.
- Zwangsarbeiter. Soweit sie unter die Generalklausel des BEG fielen, also politisch, rassisch, religiös oder weltanschaulich verfolgt waren, wurden sie nach dem BEG entschädigt. Der größte Teil des Millionenheeres an Zwangsarbeitern erfüllte diese Voraussetzungen jedoch nicht. Lediglich individuelle Ansprüche hätte man geltend machen können; diese waren aber für den Großteil der Betroffenen, die ja überwiegend aus Osteuropa deportiert worden waren - bis 1990, dem Abschluß des Friedensvertrages unzulässig. Zusätzlich gibt es bislang in der BRD keine gesetzliche Grundlage, welche die Rechtsnachfolger der ehemaligen Arbeitnehmer "Drittes Reich", Kommunen, Land- und Forstwirtschaft, Berg- und Straßenbau, Reichsbahn und unzählige private Unternehmen zur Entschädigung verpflichtet (siehe nhz-Bericht der letzten Ausgabe). Die BRD als Rechtsnachfolgerin des "Dritten Reichs" fühlt sich hierfür moralisch nicht zuständig.

Sämtliche anhängigen Verfahren zur Entschädigung von Zwangsarbeit wurden abschlägig beschieden, außer, wenn der Antragsteller BEG-Voraussetzungen erfüllte und bislang noch keine Leistungen nach BEG erhalten hatte. Dies blieb so, bis man 1965 einen Schlußstrich unter die deutsche Vergangenheit ziehen wollte.

Das Schlußgesetz

Am 26. Mai diesen Jahres erging das sog. "Schlußgesetz", das nun eine "KZ-Vermutung" – also die Annahme von KZ-Haft - bei einem Gesundheitsschaden von 25% Minderung der Erwerbstätigkeit nach einem "KZ-Aufenthalt" (so der zynische Gesetzesbegriff) vorlegte. Gesundheitsschäden durch Ghetto- und Haftaufenthalt sowie ein Leben in der Illegalität fielen nicht darunter. War ein Verfolgter vor dem 1.10.1953 gestorben (Datum der Inkrafttretung des BErgG), ging seine Witwe bislang leer aus. Erst nach dem Schlußgesetz konnte auch sie eine Hinterbliebenenrente beantragen. Darüber hinaus wurde ein Härtefonds für diejenigen eingerichtet, die nach dem 1.10.1953 aus dem Osten in die BRD eingewandert waren - ergo: die Gesetzgebung gewährte gnadenreich, statt einem Rechtsanspruch zu genügen. Die Antragsfristen waren eng gesetzt: Anträge konnten bis zum 30. September 1966 gestellt werden, zur Substantiierung wurde eine Nachfrist bis zum 31. März 1967 gewährt. Zum Kontrast: Das Lastenausgleichsgesetz von 1952, nach dem - nichtjüdische - deutsche Vertriebene ihre in den "Vertreibungsgebieten" erlittenen Schäden entschädigen lassen konnten, kennt derartige Fristen nicht! Das Schlußgesetz ließ zudem nur Erstanträge zu. In Erwartung der erneuten Einreichung vormals abgelehnter Anträge nahm man in den §150 BEG-Schlußgesetz eilends des Absatz zwei auf. Dieser besagte, daß alle, die nach 1953 ausgewandert waren und vor Inkrafttreten des Schlußgesetzes einen Antrag gestellt hatten, abschlägig zu beschieden seien. Damit wurde rückwirkend ein Stichtag eingeführt, eben der 1.10.1953. Im vorauseilendem Gehorsam wiesen Behörden und Gerichte denn auch seit Ende 1963 - in Erwartung des neuen Schlußgesetzes - alle Ansprüche nach §150 BEG prophylaktisch ab. Tausende verloren damit ihre Berechtigung. Erst als 1971 das Bundesverfassungsgericht diese rückwirkende Festsetzung eines Stichtages für verfassungswidrig erklärte, waren die Anträge wieder durchsetzbar. Rechtsanwälte, die ihren Mandanten sechs Jahre lang abraten mußten, einen Anspruch zu stellen, konnten diesen nun mitteilen, daß es sich doch lohnen könnte, einen Antrag zu stellen. Hierzu ein konkreter Fall.

Bei der Nachfolgediskussion um den Vorsitzenden des Zentralrates der Juden scheint sich immer mehr die Position von Andreas Nachama, Vorsitzender der Gemeinde zu Berlin, durchzusetzen, wonach ein Überlebender der Shoah die Nachfolge von Bubis antreten sollte. Dies würde auf Charlotte Knobloch und Paul Spiegel hindeuten. Überraschungen sind jedoch nicht auszuschliessen.

Nach dem Stichtag und dann noch ungenau

Eine in Kanada lebende Jüdin, die vor den Nazis nach Osten geflohen und dort von den Russen ans Eismeer verschleppt worden war, entschuldigte ihre verspätete Antragstellung damit, daß sie erst jetzt in einer jüdischen Zeitung gelesen habe, daß ein in Rußland erlittener Gesundheitsschaden entschädigt werde. Der BGH entschied, daß ihr eine solche Ungenauigkeit bei ihrer Antragstellung nicht nachgesehen werden könne, da sie weder den Titel, noch das Erscheinungsdatum der jüdischen Zeitung in ihrem Antrag genannt habe.

Es wurde eine Menge gewährt, noch mehr wurde abschlägig beschieden und die Ausgeschlossenen blieben größtenteils ausgeschlossen – so auch die ehemals 10 Millionen Zwangsarbeiter der deutschen Wirtschaft und des deutschen Staates. Für die Entschädigungsberechtigten war es überwiegend schwer, Entschädigung zu bekommen. Nun droht nach 50 Jahren, im Mai 1999, die endgültige Verjährung. Die hier skizzierte deutsche Gesetzgebung zum Thema zeigte sich kompliziert und war daher für die Betroffenen ohne sachgemäßen Rechtsbeistand kaum zu meistern. Besonders die nicht selten gerade wegen ihrer Verfolgung verarmten und körperlich versehrten Menschen gingen und gehen leer aus. Und auf ein neues, gerechteres bundesdeutsches Entschädigungsgesetz ist nicht zu hoffen, wie Christian Kolbe in der nhz 105 darlegte: Die rotgrüne Bundesregierung wünscht keine neue Entschädigungsdebatte. Erst durch die US-amerikanische Praxis der preisgünstigeren Sammelklagen formieren sich Interessengruppen von Betroffenen, bei denen endlich auch Zwangsarbeiter zu ihrem Recht kommen können. Darüber hinaus läßt die gutachterliche Lehrmeinung in der BRD nahezu alle Erkenntnisse ausländischer Fakultäten zur Thematik "Folgen der Verfolgung" außer Betracht.

"Insgesamt gesehen, hat das Entschädigungsprogramm das Leben einer ganzen Generation Überlebender sowie auch das ihrer Kinder beeinflußt, gleichgültig, ob sie Entschädigung erhielten, ob ihre Ansprüche von den westdeutschen Behörden abgewiesen wurden oder ob sie sich aufgrund moralischer Prinzipien weigerten, das so dringend benötigte Geld anzunehmen."

Gegen die so dringend gebotene Gerechtigkeit beginnt sich das Kapitel zu schließen. Alles spricht dafür, daß die, die in der Nachfolge des "Dritten Reichs" lange wegsahen und weghörten, über die obsiegten, die diesen Weg nicht gehen wollten und konnten. Mit dem bleiernen Langmut derer, die sich ihrer Schuld nicht stellen wollen, sucht sich das deutsche Volk letztlich aus seiner Verantwortung zu stehlen; ein vergeblicher, ein schändlicher Versuch.

hagalil 9-99

 

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