Es ist ein kühler Frühlingsmorgen in Zagreb.
In der Nähe der US-Botschaft hat sich eine kleine Gruppe mit Transparenten
eingefunden. Polizisten nesteln nervös an ihren Funkgeräten. Die kleine
Gruppe geht zum Gerichtsgbäude. Auf den Transparenten steht etwas von
JUDEOKRAZIA ("Jud"-IKATUR?). Vor Gericht steht der inzwischen 77-jährige
Dinko Sakic. Zwei Polizisten führen den ehemaligen Leiter des Lagers
Jasenovac in den Saal. Der Angeklagte wirkt gefasst und ruhig. Sein Anwalt
Ivan Kern begrüsst ihn freundlich.
Sakic lebte seit 1947 unbehelligt in der Kleinstadt Santa Teresita
(Provinz Buenos Aires) an der Atlantikküste und wurde am 18.Juni 1998
nach Kroatien ausgeliefert. Entdeckt wurde Sakic im März 1998 von einem
argentinischen TV-Team, dem der eitle Lagerkommadant bereitwillig ein
Interview gab. Im Interview beteuerte er, das Lager wäre von den
Insassen in Selbstverwaltung geführt worden, Tote gab es nur durch
Krankheiten. Die Behörden in Kroatien befürchteten, eine Verhandlung
gegen Sakic in Belgrad würde zum Tribunal werden gegen Kroaten - als
kollektiv schuldige faschistische Mörder.
Als der Leiter des Wiesenthal Centers in Jerusalem Efraim Zuroff in den
Saal kommt, wird er von einer älteren Dame angebrüllt. Sie fordert
Zuroff auf, doch schleunigst nach Hause zurückzukehren, schreit etwas
von "Jüdischer Mafia". Die Spannung im Gerichtsaal steigt. Kurz nach 9
Uhr wird die Verhandlung eröffnet. Der Richter prüft die eventuelle
Befangenheit Geschworener mit der Frage nach Verwandschaft mit Opfern
der Ustascha.
"Es ist doch einseitig," wird danach Efraim Zuroff feststellen. "Warum
fragt der Richter nicht nach Verwandschaft mit den Tätern der Ustascha?
Danach wird die Frage der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten
behandelt. Zwei gerichtlich beeidete Ärzte werden befragt. Doktor
Zezevic und Doktor Stjepan Vöglein haben Sakic untersucht, der zwei Tage
vor der Verhandlung sein Bewusstsein verloren haben soll, und ins Spital
kam. Die Aussagen der Ärzte klingen ziemlich widersprüchlich. Einerseits
werden bei der Untersuchung am Tag der Verhandlung keine besonderen
Symtome außer erhöhten Blutdruck bei Sakic festgestellt. Zwei Sätze
später wird "Lebensgefahr" konstatiert.
Die Verhandlung wird um 10.32 abgeschlossen und bis zum 15.März
vertagt. JR gelang es, die 38 seitige Anklageschrift zu erhalten. Darin
wird Sakic wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt.
Zahlreiche Zeugen werden aufgeboten. Dem Gericht gelang es jedoch nicht,
Zeugen aus "Restjugoslawien" zur Reise nach Zagreb zu bewegen.
"Manche der Zeugen haben einfach Angst, ihren Verwandten in Kroatien
würden Repressalien drohen, falls sie aussagen," stellt ein Vertreter
der kroatischen Opposition fest, der seinen Namen eher ungern in der
Zeitung sehen würde. Die kroatischen Behörden haben sich redlich bemüht,
den angereisten Medienvertretern gute Arbeitsmöglichkeiten zu bieten. Im
Hotel Sheraton wurde ein Pressezentrum eingerichtet, im Gerichtsgebäude
kann die Verhandlung mittels TV-Übertragung mit Simultan-Übersetzung
verfolgt werden.
Der stellvertretende Vorsitzende des Gerichtes stellt sich den Fragen
der Medienvertreter. Er betont die Unhabhängigkeit des Gerichtes, das
nach besten Wissen und Gewissen seine Aufgabe erfüllen wird. "Wir sind
ein zivillisiertes Land, dessen Gesetze ihre Grundlage in der Tradition
der europäischen Rechtssprechung haben," überzeugt der Richter.
Auf Anfrage der JR, ob er sich eine Untersuchung des Angeklagten durch
nichtkroatische Mediziner vom rechtlichen Standpunkt her vorstellen
könnte, hiess es vom Richter, dies wäre möglich. Tommy Baer,
Alterspräsident der BNAI BRITH verwandelte die Frage in eine Forderung.
Der frühere US-Staatsanwalt Baer traf am Freitag morgens den kroatischen
Präsidenten Tudjman. Im Gespräch zeigte sich Tudjman bereit,
internationale Mediziner zuzulassen.
Der jüdische Funktionär Baer musste sich durch Aussagen zur Freilassung
der Dinko Sakics Frau Nada durch sein Verständniss für die juristische
Rechtfertigung heftige Kritik gefallen lassen. So wurde sein Verhalten
von Dr. Efraim Zuroff als "geistig inkompetent" bezeichnet.
Die Bnai Brith befasste sich nach Angaben Baers seit Januar 1995 mit
dem Fall Sakic. Führende Exponenten der Opposition in Zagreb meinen,
häufige Beteuerungen Baers, Tudjman zu vertrauen, die Aussagen der Bnai
Brith, "führend an der Verhaftung und Auslieferung" Sakics beteilgt
gewesen zu sein, zu widerlegen. Auf Anfrage der JR bezeichnete Tommy
Baer einige Zitate seiner Aussagen in der kroatischen Presse als nicht
korrekt. "Die größere Anzahl jüdischen Minister in der Regierung
Kroatiens als in den meisten anderen Regierungen läßt zumindest darauf
schliessen," meinte Baer.
Die Darstellung der NHD, des Ustasha Regimes zwischen 1941-1945, in
kroatischen Schulbüchern, läßt die jetzige Auseinandersetzung der
Behörden mit diesem Teil der Vergangenheit als eine hohle PR-Aktion
aussehen. Von der Rechtmäßigkeit des Regimes der Nazikollaborateure ist
die Rede, sogar Tötungen erfahren eine späte Legitimierung.
Die kleine jüdische Gemeinde in Zagreb berief zwei Tage vor
Prozessbeginn eine Pressekonferenz ein, in der über mehrere
antisemitische Vorfälle berichtet wurde. Das kroatische Fernsehen zeigte
einen 18-Sekunden-Bericht über die Pressekonfernz. Der Prozess gegen
Dinko Sakic könnte ein Versuch sein, Kroatien als reif für eine
Auseinandersetzung mit den dunklen Kapiteln der Vergengenheit
darzustellen. Ob hier Substanz besteht, wird sich zeigen.
Das Konzentrationslager Jasenovac in Kroatien: