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Feldpost von Bertelsmann:
Die Editionspraxis des Gütersloher Verlags im Dritten Reich

Von Siegfried Lokatis
Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON Montag, 08.03.1999

Die Pflicht, der Reichsschrifttumskammer beizutreten, zwang 1933 Autoren, Verleger, Drucker und Buchhändler im Deutschen Reich unter nationalsozialistische Aufsicht. Anpassung schien lebensnotwendig, aber wo wird sie zu geschmeidigem Mittun? Die Bertelsmann AG hat sich lange eines sauberen Images erfreut. Besonders wichtig ist das für den amerikanischen Markt, wo der Gütersloher Konzern durch den Erwerb von Random House zum grössten Publikumsverlag aufgestiegen ist. Mittlerweile steht Bertelsmanns Vergangenheit im Zwielicht - mit Grund, wie der nachstehende Beitrag ausführt.

Die Bücher, mit denen Bertelsmann in die Kritik geraten ist, tragen Titel wie «Panzer am Feind», «Volk im Schmiedefeuer», «Feuer Marsch!» oder «45 000 Tonnen versenkt». Es handelt sich nicht um «Ausrutscher» oder Bücher, die man «machen musste», sondern um eine gut ausgebaute Produktlinie. «Mit Bomben und MGs über Polen» lag 1940 bei 110 000 Exemplaren, «Wir funken für Franco» ging 1941 in die 8. Auflage. Besonders beliebt war das U-Boot-Segment. Der Verlag war um Aktualität bemüht. 1940 erschienen etwa «Ein     Sturzkampfflieger erlebt den Polenkrieg», «Jagdgeschwader Schumacher räumt auf» und «Deutsche Flieger gegen England».

Was die Hausautoren Paul Cölestin Ettighoffer und Werner von Langsdorff (Künstlername: Thor Goote) - Bertelsmanns Antwort auf Ernst Jünger und Werner Beumelburg - seit Anfang der dreissiger Jahre betrieben, unterschied sich in nichts von dem, was die alliierten Siegermächte später als «Kriegshetze» und «Vorbereitung des Angriffskriegs» kennzeichnen sollten. Sie fabrizierten über ein Dutzend dickleibiger Romane mit Titeln im Stuka-Staccato: «Flieger am Feind», «Flucht zur Front», «Glühender Tag». Es wäre müssig, näher auf den Inhalt einzugehen. Die Briten zählten solche heute im Vergleich zu manchen Computerspielen und RTL-2-Thrillern behäbig wirkenden Kriegsbücher meist ohne viel Federlesens zur Gruppe I der Verbotsliteratur, gemeinsam mit antisemitischen Hetzschriften und den Pamphleten berüchtigter Naziführer und Kriegsverbrecher. Die von Bertelsmann eingesetzte «unabhängige Untersuchungskommission» kann sich auf die Frage konzentrieren, wie ein Verlag nach 1945 die Lizenz erhielt, dessen Programm sich, überspitzt formuliert, zu gewichtigen Teilen aus den «Listen der auszusondernden Literatur» rekonstruieren lässt.

Für deutsche Verlage ging es nach dem Krieg nicht um den Ruf in Übersee, sondern um die nackte Existenz. Entsprechend häufig wurden die Fragebogen der Alliierten mit Lügen quittiert. Glücklich, wer aus einem geringen Nonkonformismus eine Widerstandslegende zaubern konnte. Paul Desch, vorher beim Gauverlag Bayerische Ostmark und einer der erfolgreichsten Verleger der frühen Bundesrepublik, überzeugte amerikanische Offiziere mit Hilfe eines Segelbootes und mit Porzellangeschenken von seiner demokratischen Eignung. Bertelsmann konnte auf seriöse Trümpfe verweisen. Im Land der Bischöfe Bodelschwingh und Lilje war ein protestantisches Traditionsunternehmen mit Bindungen zur «Bekennenden Kirche» an sich eine «grosse Nummer». Wer die Verhältnisse kennt, wird dem Verlag wegen einzelner Entgleisungen im Stil von «Deutscher Christus» oder «Dr. Martin Luthers kleiner Katechismus für den braunen Mann» keinen Vorwurf machen. Der Titel «Dennoch Altes Testament!» stand kurioserweise sowohl bei den Nazis als auch bei den Engländern auf dem Index. Zahlreiche Titel wurden im Dritten Reich verboten, der auf christliche Literatur spezialisierte hauseigene Rufer-Verlag wurde 1943 komplett geschlossen.

Genau genommen war Bertelsmann seit 1939 kein konfessioneller Verlag mehr. Von der Reichsschrifttumskammer vor die Wahl gestellt, entweder konfessionelle Literatur oder Belletristik zu verbreiten (wie dies auch anderen Verlagen mit weltlich-religiös «gemischter» Produktion geschah), entschied sich Bertelsmann für die Preisgabe seiner über 100 Jahre alten christlichen Traditionslinie zugunsten des Wehrmachtsgeschäftes. Die christliche Buchproduktion wurde in der Nachkriegsphase für die Engländer noch einmal belebt, um nach Erlangung der Lizenz alsbald auf ein Seitengleis geschoben zu werden.

Der zweite grosse Trumpf im Kampf um die Relizenzierung war das Verbot des Verlages durch die Nationalsozialisten. Noch im Juni 1998 betonte der designierte Verlagschef Thomas Middelhoff gelegentlich einer Preisverleihung in New York, dass Bertelsmann eine der wenigen nichtjüdischen Medienfirmen gewesen sei, die während des Weltkriegs von den Nazis geschlossen wurden. Dem widersprach im Oktober der Düsseldorfer Soziologe Hersch Fischler in der «Weltwoche». Das durch diesen Beitrag sowie zwei Sendungen des 3-sat-Fernsehmagazins «Kulturzeit» erregte Aufsehen nötigte die Geschäftsführung in Gütersloh, dem Vorwurf, die nationalsozialistische Vergangenheit werde vertuscht, durch Einsetzung einer Untersuchungskommission um den angesehenen Historiker Saul Friedländer zu begegnen. Das Problem, mit dem sich die Kommission befassen wird, besteht nur auf den ersten Blick darin, dass sich eine Verlagsschliessung bis jetzt nur für den Rufer-Verlag, nicht jedoch für Bertelsmann nachweisen lässt. Die Dinge liegen hier komplizierter, zumal auch geschlossene Verlage mit Einzelgenehmigungen weiterproduzieren konnten.

Marktführer im Frontbuchhandel

Zunächst einmal: die Schliessungsaktion von 1943 betraf nicht wenige, sondern wenigstens 1600 «nichtjüdische» Verlage, die für den «totalen Krieg» überflüssig waren. Viel spricht dafür, dass auch Bertelsmann zunächst «dichtgemacht» werden sollte. Angesichts der unbestreitbaren Kriegswichtigkeit des Unternehmens handelte es sich hierbei fraglos um eine politische Diskriminierung. Führende Verlagsmitarbeiter wurden wegen illegaler Papiergeschäfte verhaftet, auch hatte Bertelsmann den unverzeihlichen Fehler begangen, Eher, dem Zentralverlag der NSDAP, Autoren abspenstig zu machen. Der Firmenname wurde jedenfalls erst nachträglich handschriftlich auf die Liste der kriegswichtigen Betriebe gesetzt.

Veranschlagt man die Langwierigkeit des Schliessungsverfahrens und die Tatsache, dass seit Mitte 1944 im Prinzip ohnehin keine Belletristik mehr verlegt werden durfte, geht es allenfalls um einen Produktionsausfall von wenigen Monaten. Prinzipiell betrachtet taugt das (reale oder geplante) Verbot schon deshalb nicht zum Heiligenschein, weil die Gründe, die die Nazis dafür hatten, Bertelsmann eher peinlich sein müssen. Firmenchef Heinrich Mohn war in den ideologischen NS-Geschäften finanziell stark engagiert. Das ging so weit, dass ihn die Nazis 1944 misstrauisch bezichtigten, «sich am totalen Krieg bereichert zu haben». Doch DDR-Quellen, die dies nach dem Krieg überlieferten, wurden in der westlichen Welt zu keiner Zeit ernst genommen.

Soeben ist im Verlag des Börsenvereins eine Studie über «Die Wehrmachtsausgaben deutscher Verlage» erschienen, die die Marktführerschaft Bertelsmanns im Frontbuchhandel mit Feldpostbändchen belegt. Bertelsmanns Firmenhistoriker haben das Feldpostgeschäft als Jugendsünde behandelt. 1942 aber waren 10 Millionen Reichsmark Umsatz keine Kleinigkeit. Zu Recht bezeichnen die Verfasser der Studie die Gesamtauflage von 19,5 Millionen Exemplaren (es waren eher mehr) als «überraschend hoch und fast unglaubhaft». Die wichtigsten «bürgerlichen» Konkurrenten, Insel und Reclam, brachten es auf Auflagen von kaum über zwei Millionen. Bertelsmanns dominierende Position im Feldpostgeschäft wurde nur vom NSDAP-Verlag Eher angefochten.

Die Gütersloher profitierten von der Okkupation. Sie nutzten die «Möglichkeit der Auftragsverlagerung ins Ausland», nach Belgien, Lettland, Litauen, Österreich, Rumänien und in die Tschechoslowakei. Hans-Eugen Bühler und Klaus Kirbach, die Verfasser der Studie, führen allein dreizehn Druckereien in den Niederlanden auf und deuten an, dass man ihre Liste unschwer erweitern könnte. Mit Blick auf mögliche Rückerstattungsansprüche hat Bertelsmann bereits klargestellt, keine Zwangsarbeiter beschäftigt zu haben. Die - soweit es nicht gerade die NS-Zeit betrifft - für einen Jubiläumsband erfreulich informative Bertelsmann-Festschrift von 1985 hebt an den Feldpostheften «Programmentscheidungen» mit einem «Haltungs-Akzent» hervor, welchem der «braune Ungeist jener schweren Zeit nichts anhaben konnte». Dies sei ein «Beleg für den Geschmack des Verlegers». Der «bewusst unpolitische Charakter» der Hefte habe «dem nationalsozialistischen Regime schliesslich einen Vorwand» geliefert, «die Verlagsarbeit des Hauses Bertelsmann zu unterbinden». Unerwähnt bleibt leider, dass es sich bei dem belobigten Programmsegment um die Umsetzung einer Anweisung des Propagandaministeriums handelt: danach durften sich nämlich ohnehin nur fünf Prozent der Feldpostbändchen mit weltanschaulichen Problemen befassen. Was es mit dem «Haltungs-Akzent» auf sich hatte, wird deutlich, wenn man Bertelsmanns Programmpolitik bis Anfang der fünfziger Jahre, nach der erfolgreich absolvierten Lizenzierung, unter die Lupe nimmt.

In der Sprache Daniel Goldhagens, mit dem sie heute auf der Backlist des gleichen Verlagskonzerns stehen könnten, würden manche der damaligen Bertelsmann-Autoren wohl als «willige Vorbereiter» gehandelt. In den Fragebögen der Nachkriegszeit stellte man ihre christliche und bürgerliche Gesinnung heraus. Hans-Friedrich Blunck, der Altpräsident der Reichsschrifttumskammer, präsentierte sich 1946 den Engländern gar als Repräsentant einer «niederdeutschen Demokratie». Den völkischen Literaturpapst Will Vesper rechnet Bertelsmanns Festschrift der «inneren Emigration» zu. In Vespers blutrünstiger Saga mit dem zweideutigen Titel «Das harte Geschlecht» war zu lesen: «Vor Gott sind tausend Jahre wie ein Tag.» Das Bibelzitat deutete man nachträglich als versteckte Kritik am «Tausendjährigen Reich». Derlei ist zwar für die Vergangenheitspolitik deutscher Verlage bezeichnend, aber abwegig, weil das Buch bereits 1931 erschien.

Wie sich die Massstäbe verändert haben! Will Vesper, dessen sich der Verlag heute schämt, schrieb vor seinem Wechsel zu Bertelsmann dem Direktor von Langen-Müller: «Gewiss ist Bertelsmann ein gänzlich unliterarischer Verlag, der in künstlerischen Dingen überhaupt kein Gesicht hat. Aber dieses Gesicht kann er ja schliesslich bekommen. Wenigstens muss ich mich so trösten, wenn Sie meine Bücher nicht übernehmen können . . .» Bertelsmann stand im Ruf, anderen Verlagen die Autoren «wegzufischen». Damit hängte sich der Verlag nolens volens an die gültigen literarischen Trends. Das finanzielle Risiko dieser Methode ist gering, nur darf man sich nicht wundern, wenn jetzt die Ertragsbringer von einst wie Zeitbomben explodieren.

Ende der vierziger Jahre bereisten Bertelsmanns Aufkäufer stillgelegte Konkurrenzverlage, um billig an die Kandidaten der Arbeitsfrontbuchgemeinschaften für deren Hauptvorschlagsband zu gelangen. Schon 1946 verhandelte Bertelsmann mit August Winnig, dem Erfinder des Ausdrucks «Blut und Boden». Mit Hans-Friedrich Blunck, Will Vesper und Hans Grimm, bodenständigen Dichtern, die sich um ihre Erbhöfe sorgten, sowie mit den Werken des verstorbenen Paul Ernst war die nationalsozialistische Preussische Akademie der Dichtung würdig vertreten. Ihr ehemaliger Sekretär Paul Fechter hatte eine bereits 1932 skandalträchtige «volkhafte» deutsche Literaturgeschichte geschrieben, deren Tendenz er in der berüchtigten Ausgabe von 1941 den Zeitumständen gemäss zuspitzte. Die 1952 erschienene Fassung kann man in der Bertelsmann-Festschrift auf Seite 330 betrachten.

Der Literaturspezialist der Reichsjugendführung, Friedrich August Velmede, der als Repräsentant des «Kampfbunds für deutsche Kultur» die ersten nationalsozialistischen Verbotslisten mit ausgearbeitet hatte, gab in den frühen fünfziger Jahren im Bertelsmann-Lesering die dreibändige Anthologie «Unvergängliches Abendland» heraus. Hier war die alte Garde von Alverdes und Augustiny bis Ziesel und Zillich fast komplett vertreten. Stefan Andres, Wolfgang Borchardt und Ricarda Huch wirkten neben einstigen Nazigrössen wie Hans Baumann, Rolf Italiaander, Wilhelm Pleyer und Heinz Steguweit wie blosse Feigenblätter. Offenbar hat das Leben die literarische Einkaufspraxis Bertelsmanns nicht bestraft. Das Programm einer Buchgemeinschaft steht nicht im Scheinwerferlicht der literarischen Öffentlichkeit.

Cheflektor Wolfgang Strauss (vormals Reichsschule für den deutschen Buchhandel) pflegte gern auf die Rolle seines Leserings bei der Gewinnung neuer Leserschichten hinzuweisen. Dabei ging es zunächst um die alten. Nicht leicht von der Hand zu weisen ist der Verdacht, die «Königsidee Buchgemeinschaft» verdanke ihr Dasein weniger amerikanischen Marketingkonzeptionen und der Büchergilde Gutenberg als den Erfahrungen aus dem Frontbuchhandel und der «Deutschnationalen Hausbücherei» von 1916, der ersten Buchgemeinschaft der Welt.

Es kann hier nicht um Schuldzuweisungen gehen. Bertelsmann hat sich inzwischen voll zu seiner historischen Verantwortung bekannt. Notwendig ist die historische Rekonstruktion der produzierenden und distributiven Strukturen literarischer Öffentlichkeit und politischer Indoktrination im Dritten Reich, also eine Geschichte des gesamten deutschen Verlagswesens und des Buchhandels. Antisemitismus und nationalistischer Grössenwahn waren den Deutschen nicht angeboren, sondern ideologische Phänomene, auf die die NS-Politik nicht ohne die Hilfe von cleveren und «modernen» Marketingspezialisten in konjunkturbewussten Verlagen hätte zurückgreifen können. Dort wurden diese Ideologeme aufgenommen oder eigens gemacht, verstärkt und in lukratives Schrifttum umgemünzt. Barbians Standardwerk beschreibt die nationalsozialistische Literaturpolitik «von oben» her, jetzt geht es um die ergänzenden Perspektiven von unten, um die Nachzeichnung eines von Existenzangst, Anpassungselastizität, Orientierungslosigkeit und Profitstreben gekennzeichneten Kräftespiels, das in seinen Auswirkungen den öffentlichen Wertekonsens auf bedrückende Weise verschob.

Verlagsgeschichte bleibt Desiderat

Wir sprechen von weitgehend unerforschten Vertriebsstrukturen, abseits der Höhenkamm-Literaturgeschichte. So fand sich 1987 in der Gazette einer vergessenen Arbeitsfrontbuchgemeinschaft das nationalsozialistische Frühwerk Luise Rinsers. Ein amerikanischer Journalist recherchierte, dass Georg von Holtzbrinck (was meint eigentlich «Die Zeit» dazu?) Startkapital und Know-how in den Grauzonen des Vertriebs nationalsozialistischer Zeitschriften erworben hat. Auch hat sich herausgestellt, dass der den Zwischenbuchhandel beherrschende Kommissionär für Heydrich, den Leiter des gefürchteten Sicherheitsdienstes (SD) der Nazis, die Verlagsproduktion seiner Auftraggeber überwachte und, als Gegenleistung zum Importmonopol für sowjetische Literatur, die Einrichtung eines SD-Lektorates anbot. Mit Grund halten Verlage der Bundesrepublik noch immer ihre Archive verschlossen.

Vor dem Hintergrund einer allgemeinen Verstrickung greift die Einsetzung eines Bertelsmann- Untersuchungsausschusses zu kurz. Gewiss, die amerikanische Öffentlichkeit ist nur mit grossen Namen zu beeindrucken, und Unruhestifter Hersch Fischler hat auf diese Weise eine Einrahmung erfahren. Der historischen Aufklärung indessen wäre nachhaltiger mit der Einrichtung einer von den Grossen der Branche gemeinsam getragenen Stiftung gedient, die die Förderung eines Instituts für moderne Verlagsgeschichte zu ihrer Sache machte. Die Stiftung müsste auch kleinere Verlage bei der so kostspieligen wie riskanten Pflege und Öffnung ihrer Archive unterstützen. Wobei freilich die Forschung zu beachten hätte, dass sie sich nicht auf Verlagsarchive fixieren darf. Im Fall Bertelsmann beispielsweise harren Dutzende von Autorenkorrespondenzen der Aufarbeitung, und dazu müssen die für private Nachlässe einschlägigen Archive in Berlin, Hannover, London und Marbach durchforstet werden. Ohne Sichtung der «Gegenüberlieferung», allein gestützt auf die Bestände der Verlage, ergibt sich stets ein nur bedingt aussagefähiges Bild.

Im Dritten Reich war Bertelsmann noch nicht Bertelsmann. Die Führungsstellung in einem wichtigen Angebotssegment des Wehrmachtsbuchhandels machte aus dem Haus noch keinen Giganten. Hans Grimm verliess 1943 Langen- Müller, als der Verlag von der Arbeitsfront an Eher verkauft wurde, weil er die anonym gesteuerten Verlagskonzerne satt hatte. Deshalb ging er nach Gütersloh, wo Bertelsmann damals nicht viel mehr als ein mittelgrosser, aufstrebender Provinzverlag war, der sich am literaturpolitischen Konsens orientierte. Diese Orientierung wirkt heute monströs, und dies um so mehr, betrachtet man die Vergangenheit Bertelsmanns im Kontrast zu seinem jetzigen liberal-demokratischen Auftreten, abgelöst vom Verlagsalltag unter den historischen Bedingungen Nazideutschlands. Im Kontext einer bisher nur in Ansätzen vorliegenden Geschichte des gesamten Verlagssystems wird sich diese Monstrosität jedoch relativieren, ohne dass es beschönigender Festschriften bedarf. Historische Gerechtigkeit kann es nur ohne Verzerrungen geben. Bis zum nächsten Verlagsjubiläum bleiben elf Jahre Zeit.

Siegfried Lokatis ist Verlagshistoriker am Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam.

haGalil onLine - Dienstag 23-03-99

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