Nach den Ausschreitungen in Rostock vor fünf Jahren fand
sich die Gruppe spontan nach dem Yom-Kippur-Gottesdienst in der Synagoge
Fränkelufer. Seitdem haben sie sich in unterschiedlicher Form in die
öffentliche Diskussion eingemischt. Ob es um die Abschiebung von Sinti und
Roma oder um den Streit über die Gleichsetzung aller Opfergruppen bei der
Einrichtung der Gedenkstätte in der Neuen Wache ging, fanden sie stets
eindrückliche und orginelle Formen, ihren Positionen Ausdruck zu verleihen.
Als bei der Diskussion um die Steglitzer Spiegelwand gestritten wurde,
welche Größe denn angemessen sei, startete Meshulash eine öffentliche
Verteilungsaktion: Passanten bekamen eine Spiegelwandvariante im
Streichholzschachtel-Format überreicht mit einem Zettel darin, der die
Aufschrift trug "ein Licht geht aus".
Derzeit besteht die Gruppe aus fünfzehn Mitgliedern im Alter von
zwanzig bis achtunddreißig Jahren aus sechs Nationalitäten. Sie
repräsentieren ein Spektrum von traditionell bis reformjüdisch, sind in
Deutschland aufgewachsen oder haben sich bewußt entschieden hier
längerfristig zu leben . Sie sind keine Displaced Persons mehr, nicht
allein Kinder Überlebender, nicht nur Mitbürger. "Wir haben und nehmen
Anteil an dieser Stadt. Wir sind alle von Berlin begeistert, nicht an
Politik interessiert und wollen ein gesundes Verhältnis zur Umwelt"
meint Gabriel Heimler, einer der Initiatoren. Das öffentliche Bild von
jüdischem Leben heute sei geprägt von Gedenktafeln, Polizeischutz und
immer wieder Klezmermusik. "Wir mischen uns ein, wenn unserer ermordeten
Großeltern gedacht wird oder eine lebendige Tradition zum Museumsstück
gemacht wird, und finden eigene Wege: im alltäglichen Umgang
miteinander, religiös und kulturell" - so ein Faltblatt der Gruppe.
Nahezu alle Ausstellungen zum Thema Judentum ob "Jüdische Lebenswelten"
1992 oder zur Zeit "Erbe und Auftrag" seien rückwärts gerichtet,
beschränkten sich zumeist auf Bestandsaufnahmen, Dokumentationen der
Verluste und Pflege dessen, was die Shoah überdauert habe sowie
nostalgische Verklärung der Vergangenheit.
Im Gegensatz dazu ist das Projekt von Meshulash auf die Zukunft
gerichtet und will der Tatsache Rechnung tragen, daß Berlin aufs neue
das Zentrum jüdischen Lebens in Deutschland ist. Es versteht sich auch
als Forum, das eine Fortführung jüdischen Denkens und seiner Umsetzung
im tagtäglichen Leben in Berlin ermöglicht.
Die Grundstruktur der Ausstellung wird labyrinthisch angelegt sein -
facettenreich und mit ungeahnten Wendungen - um die Vielfalt und
Vielschichtigkeit jüdischen Lebens zu verdeutlichen. "Diese Vielfalt
soll anfangen, ihren Platz in dem breiten kulturellen Spektrum, das
Berlin seit jeher ausmacht, zu beanspruchen und wahrzunehmen."
Bei den unterschiedlichen geplanten Stationen wie z.B. Essen, Humor und
Witze, Computer und Internet, Stadtplan-Vision, Wettbewerb für
religiöse Gegenstände, Vermarktung des Judentums im Tourismusbereich
oder auch Kunstwerkstationen, werden unterschiedliche Darstellungsformen
zum Zug kommen: ob in Öl oder Acryl, als Keramik, Foto, Collage,
Videoclip, Montage, Installation, figurativ oder abstrakt. Die Werke
sollen dann auch gerne zum Verkauf kommen.
Um den Besuchern innerjüdische Debatten und jüdische Denkweise(n) zu
vermitteln, werden die einzelnen Stationen sich an die Struktur von
Talmudseiten anlehnen - also eine Diskussion über Zeiten und Räume
hinweg wiederspiegeln - und untereinander vernetzt sein. Somit ist auch
die (selbst-)kritische Auseinandersetzung mit Gegensätzen die
gleichermaßen Geltung haben integraler Bestandteil des Vorhabens. Dabei
ist eine sinnliche Verwirrung durchaus beabsichtigt, um gewohnte und
liebgewordene Wahrnehmungs- und Deutungsmuster sowie Stereotypen zu
durchbrechen, Bezüge zu anderen in Berlin vertretenen Kulturen
aufzuzeigen und so in neue Formen des Dialogs einzutreten. Auch ein
Interview-Projekt ist fester Bestandteil der Ausstellung: Dreißig Juden
und Jüdinnen im Alter von zwölf bis achzig Jahren, aus unterschiedlichen
Berufen und Lebenszusammenhängen wurden zu ihrem Alltag, Tagträumen,
sowie Ansichten und Visionen über ein jüdisches Berlin befragt.
Um das Gespräch auch in der Ausstellung und darüberhinaus anzuregen und
zu fördern, ist ein reichhaltiges Begleitprogramm geplant z.B.
Performances, Internet-Werkstatt.
Dem Anliegen der Gruppe, daß Juden ihre eigene Kultur heutzutage
autonom leben und fortentwickeln, ohne dabei die Haltung ihrer
nicht-jüdischen Umgebung zum Maßstab zu machen und "die von uns
präsentierten Visionen somit der Anfang einer gemeinsam gestalteten
Zukunft sein" mögen, bleibt nur noch der Wunsch auf gutes Gelingen
hinzuzufügen.