Rasches
Handeln gefordert
Die
Mitgliederversammlung der IKG Wien manifestiert klare
Forderungen. Österreichische Juden wollen nicht mehr länger
warten und fordern Aufklärung und Entschädigung für
nationalsozialistische Arisierungen.
In einer bewegten und zugleich
bewegenden Mitgliederversammlung versuchte der Vorstand der
IKG Wien die Stimmung und Haltung der IKG-Mitglieder zum
Thema Entschädigung und Historikerkommission auszuloten.
IKG-Präsident Ariel Muzicant hatte bei
Gesprächen mit insgesamt "25 massgeblichen österreichischen
Politikern" nach seinem Amtsantritt und einem entsprechenden
Beschluss des neugewählten Kultusvorstandes im Frühsommer
angeregt, das österreichische Parlament solle eine
Historikerkommission einsetzen, die sich mit den Fragen der
Arisierungen und Entschädigungen auseinandersetzt.
Während die IKG auf offizielle Antwort
auf ihre Anregung wartete und noch immer wartet, wurden die
Einigung mit den Schweizer Banken sowie die Einbeziehung
österreichischer Banken und Unternehmen in die von New York
ausgehenden Sammelklagen von Überlebendern der Schoa in der
Öffentlichkeit bekannt. Diese Informationen bewirkte
mehrerlei: die anfangs positiv zur Historikerkommission
eingestellten österreichischen Politiker erkannten die
potentielle finanzielle Dimension von
Entschädigungsansprüchen, die sich - soviel ist schon jetzt
abzusehen - aus den historischen Erkenntnissen über die
NS-Arisierungen sowie den unterbliebenen oder unzureichenden
Vermögensrückstellungen nach dem Krieg ableiten würden. In
einem kürzlich gegebenen Interview meinte Bundeskanzler
Viktor Klima denn auch zur Entschädigungsfrage, dass "bei
allem Bekenntnis zur Mitverantwortung unser Land zwischen
1938 und 1945 nicht existiert hat". Mit dieser Aussage
machte Klima einen Schritt in die Ära vor seinen Vorgänger
Franz Vranitzky zurück. Vor Vranitzkys Rede 1991 im Wiener
Parlament und 1993 in Jerusalem über die Mittäterschaft von
Österreichern und damit Mitverantwortung von Österreich
wurde dieses Argumen - Österreich habe von 1938 bis 1945
völkerrechtlich nicht existiert - dazu eingesetzt, sämtliche
Verantwortung abzulehnen und Entschädigungsforderungen
zurückzuweisen.
Auch in den Medien mehren sich die
ablehnenden Stimmen: während Boulevardzeitungen Leserbriefe
gegen die Entschädigungsforderungen abdrucken, lässt die
Wiener Tageszeitung "Die Presse" den rechten Publizisten
Andreas Mölzer ein Gedankenspiel veröffentlichen, in dem
österreichische Opfer amerikanischer Bombardements die
amerikanische Luftwaffe auf Entschädigung klagen würden. Im
gleichen Kommentar wird weiters die Bombardierung Dresdens
und die Vertreibung der Sudetendeutschen aufgerechnet.
Die sich zuspitzende öffentliche
Stimmung wurde vom IKG-Präsidium mit der Stimmung während
der Affäre um Kurt Waldheim verglichen. Trotz mehrmaliger
Aufforderung um Stellungnahme wollte sich dazu aber keines
der mehr als 150 anwesenden Mitglieder äussern. Im
Gegenteil: alle Rednern forderten, die Kultusgemeinde möge
das Recht der Überlebenden und deren Nachkommen vehementer
durchsetzen. Wenn nicht raschest gehandelt wird, so der
Grundtenor der Teilnehmer, würden sie die Aufarbeitung und
finanzielle Entschädigungen nicht mehr erleben. Das Spektrum
der Anliegen und Erwartungen in den Wortmeldungen war
vielschichtig und reicht von der Aufklärung persönlicher
Arisierungs- und Leidensschicksale, der Sorge um die heutige
Verwendung von ehemaligen Synagogen und ehemaligen
Sozialeinrichtungen der IKG bis hin zum Kampf des S.C.
Hakoah um den einst arisierten und trotz aufrechten
99jährigen Mietvertrages nicht wieder rückerstatteten
Sportplatz.
Das IKG-Präsidium versicherte, alles
Menschenmögliche zu tun, um den Erwartungen der Mitglieder
gerecht zu werden und beschwor einheitliches Auftreten nach
Aussen. Es handle sich ohnedies um eine "Gratwanderung", so
Präsident Muzicant, der betonte, einerseits das Wohl der
gesamten Gemeinde vor Augen zu haben - auch jener Mehrheit
in der Gemeinde, die erst nach dem Krieg zugewandert ist.
Andererseits gehe es darum, die volle Aufklärung der
Arisierungen sowie der teils erfolgten, teils unterbliebenen
Rückerstattung bis 1958, dem Auslaufen der
Restitutionsgesetze, anzustreben. Die Rechte der
Geschädigten auf Entschädigungen sollen zugleich gewahrt
werden. Eine weitere Forderung betraf die Bewußtmachung der
Erkenntnisse in der breiten österreichischen Öffentlichkeit.
Entschieden sprach Muzicant Vereinigungen und Organisationen
das Recht ab, im Namen von Überlebenden Abschlagszahlungen
zu vereinbaren und damit auf einzelne individuelle Ansprüche
zu verzichten.
Ein weiteres Zusammentreffen von
IKG-Präsident Muzicant mit Bundeskanzler Klima ist für 18.
September geplant. Muzicant erhofft sich bei diesem Gespräch
die konkrete Vorgangsweise für die Einsetzung der
Historiker-Kommission festlegen zu können.