Das Kreuz ist außer Kontrolle
geraten
In Auschwitz hungert ein polnischer Ex-Abgeordneter für den
Verbleib des "Papstkreuzes"
Es hagelt Proteste, die Kirche schweigt.
Von Gabriele Lesser
Daß in Auschwitz, dem größten Konzentrationslager der
Nationalsozialisten in Polen, jemals wieder gehungert würde, hätte niemand
je für möglich gehalten. Doch der frühere Parlamentsabgeordnete Kazimierz
Switon, der schon mehrfach für seine rassistischen Äußerungen vor Gericht
stand, verteidigte seit Ende Juni nicht nur 42 Tage lang das "Papstkreuzes
von Auschwitz" im Hungerstreik, er war sogar bereit, an dieser Stelle "für
die Ehre Polens" zu sterben. Auf Bitten des Stettiner Erzbischofs Kazimierz
Majdanski nimmt er seit einer Woche wieder Nahrung zu sich. Doch noch immer
harrt er vor dem ehemaligen Konzentrationslager in einem Zelt aus und
beobachtet, wie der Wald von Kreuzen rings um das acht Meter hohe
"Papstkreuz" immer größer wird.
Inzwischen hagelt es Proteste aus aller Welt. Miles Lerman, der
dem Rat des Holocaust Museums in Washington vorsteht, spricht von einer
"Provokation, mit der die polnisch-jüdischen Verhandlungen über die
Zukunft des ehemaligen KZ Auschwitz beeinträchitgt werden sollen." Die
Kreuze vor dem Stacheldraht von Auschwitz seien nicht als "Zeichen des
Glaubens" aufgestellt worden, sondern zu rein politischen Zwecken. "Sie
stehen in der von der UNESCO festgesetzten Schutzzone rund um das
ehemalige KZ Auschwitz. Damit verletzen sie den 1978 zwischen Polen und
der UNESCO geschlossenen Vertrag." Lerman ist sich sicher, daß die
Regierung wie auch die katholische Kirche in Polen die "einzig richtige
Entscheidung treffen und die Kreuze so schnell wie möglich entfernen
werden". Dieser Argumentation schlossen sich inzwischen die Holocaust
Gedenkstätte Yad Vashem in Israel wie auch andere jüdische
Organisationen an. Auch die Juden Polens haben bereits mehrfach gegen
das "Riesenkreuz" protestiert. "Das Symbol von Auschwitz ist der
Schornstein des Krematorium", erklärte der Oberrabbiner Polens Menachem
Pinchas Joskowicz, bereits im März diesen Jahres. "In Auschwitz sollte
weder ein Kreuz noch ein anderes religiöses Symbol stehen." Damit hatte
der Rabbiner, der selbst ein Überlebender von Auschwitz ist, auf eine
Predigt des Primas Jozef Glemp reagiert, in der dieser versichert hatte:
"Das Kreuz stand, steht und wird stehen."
Inzwischen aber, das geben auch etliche Geistliche zu, ist das
Kreuz "außer Kontrolle geraten". Noch aber zögert die Kirche mit einer
eindeutigen Stellungnahme. Switon hatte mit seinem Hungerstreik sowohl
vom Primas der katholischen Kirche Polens als auch von
Ministerpräsidenten Jerzy Buzek eine schriftliche Zusage erzwingen
wollen, die den Verbleib des vor zehn Jahren illegal aufgestellten
Kreuzes neben dem damaligen Karmeliteriinen-Kloster sichern sollte. Die
Ursache für die Eskalation des Streits ist in einer vorschnellen
Information der Öffentlichkeit durch den Bevollmächtigten des Regierung
für den Kontakt mit der jüdischen Diaspora zu suchen. Krzysztof
Sliwinski hatte im Frühjahr diesen Jahres die Vereinbarung zwischen über
20 jüdischen Organisationen, der Regierung und der katholischen Kirche
Polens über die Zukunft der Gedenkstätte Auschwitz bekanntgegeben - vor
der Unterzeichnung des Vertrages. Das acht Meter hohe "Papstkreuz", so
Sliwinski in einem Interview mit der französischen Zeitung "La croix",
solle ersetzt werden durch ein Denkmal für die auf dem Kiesplatz
erschossenen Polen. Zwar würde es auf dem Hinrichtungsplatz weiterhin
ein Kreuz geben, doch das "Papstkeuz" selbst würde an anderer Stelle
aufgestellt.
Die Folge waren mehrere Aufrufe des ultrakatholischen Senders "Radio
Maryja", zu dessen "Familie" sich heute über sechs
Millionen Hörer bekennen, das "Papstkreuz in Auschwitz zu verteidigen".
Die Verhandlungen sind seither nicht weiter gekommen, der fast fertige
Vertrag wurde nie unterschrieben. Und die Kirche schweigt.
Bericht der taz, 5.8.1998
Kommentar: taz, 5.8.1998
Die Christianisierung
der Shoah
von Gabriele Lesser
Der Streit um das acht Meter hohe Holzkreuz vor dem ehemaligen
Konzentrationslager Auschwitz hat die katholische Kirche Polens in eine
prekäre Lage gebracht. Für Gegner wie Befürworter von christlichen
Symbolen auf dem größten jüdischen Friedhof der Welt wirkt die früher so
unerschrockene Kirche Polens plötzlich feige. Sein Monaten drückt sie
sich um jede Entscheidung. Genau diese Angst, Verantwortung vor den
Gläubigen zu übernehmen, hat nun den Streit um das "Papstkreuz"
eskalieren lassen. Nicht einmal den Hungerstreik des Antisemiten
Kazimierz Switons zur Verteidigung des Kreuzes in Auschwitz hat die
Kirche verdammt. Seit knapp zwei Wochen pilgern nun Ultrakatholiken nach
Auschwitz und stellen rund um das "Papstkreuz" weitere "Zeichen des
Glaubens" auf.
Bischof Tadeusz Rakoszy, in dessen Diözese die Gemeinde
Oswiecim/Auschwitz liegt, steckt den Kopf in den Sand: "Ich reagiere
nicht", sagt er, "da die Situation außer Kontrolle geraten ist." Er
könne nicht einschätzen, wer hinter der Aktion stehe und wozu sie gut
sein solle. Verbieten könne er das Kreuzaufstellen auch nicht, da
ohnehin niemand auf ein solches Verbot hören würde. Der Bischof sieht im
Moment nur eine Lösung: "Ich bete, auf daß sich der Wille Gottes
erfülle."
Schon einmal hat die katholische Kirche Polens in einem Streit
um Auschwitz kläglich versagt. Im Mai 1989 hatten Karmelitterinnen das
"alte Theater" auf dem ehemaligen Lagergelände gekauft. In dem Gebäude,
das heute außerhalb der Gedenkstätte steht, hatten die
Nationalsozialisten Zyklon B gelagert, das Gas, mit dem sie über eine
Million Juden in Auschwitz-Birkenau umbrachten. Die polnischen Nonnen
errichteten hier ein Kloster und beteten für die Opfer des Holocaust.
Juden in aller Welt protestierten gegen die "Christianisierung der
Shoah".
Die katholische Kirche Polens verteidigte zunächst das Kloster,
da in Auschwitz schließlich auch über 100.000 christliche Polen
umgebracht worden seien. Nach jahrelangem Streit war es ein Machtwort
des Papstes, das dafür sorgte, daß die Nonnen 1993 in ein anderes
Kloster umzogen. Allerdings - das mittlerweile von Verteidigern des
Klosters illegal dort aufgestellte Kreuz nahmen sie nicht mit. Und
wieder läßt es die katholische Kirche Polens zu einer Eskalation kommen.
Statt den Gläubigen zu erklären, daß das Kreuz nach christlichem
Verständnis ein Zeichen der Liebe ist und niemanden verletzen sollte,
überläßt sie feige das Feld den Radikalen. Jetzt wird wieder der Papst
ein Machtwort sprechen müssen.
Kommentar: taz, 5.8.1998
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