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Süddeutsche Zeitung

"Mir gehört Auschwitz"

Die bedrückende Last einer Erbschaft:
Die Israelin Zypora Frank hat ein Grundstück in Polen geerbt

VON ANNABEL WAHBA

An ihre Kinheit in Polen kann sich Zypora Frank kaum erinnern. Das einzige, was sie in ihrem Gedächtnis aufbewahrt hat, ist dieser Geruch. Der Geruch von heißem Teer. Die 63 Jahre alte Israelin liebt ihn heute noch, bleibt stehen, wenn Arbeiter klebrigen Asphalt auf der Straße plattwalzen. Sie saugt sie ein, die ungesunden Dünste, und erinnert sich an das Gefühl großer Geborgenheit. Sie konnte sich lange nicht erklären, warum sie den beißenden Geruch so liebt, weshalb sie ihn mit ihrer Kindheit verbindet. An einem sonnigen Augusttag im Jahr 1987 sollte sie es erfahren. Und heute, elf Jahre später, versucht sie immer noch, es wieder zu vergessen.

Ein heißer, träger Tag in Hadera. Die Abgase der Autos hängen wie ein bräunlicher Nebel über der Stadt zwischen Tel Aviv und Haifa. An den Palmen schaukeln müde die Blätter. Zypora Frank wohnt in einer ruhigen Gegend. Ihre beiden Söhne haben das Haus längst verlassen. Ihr Mann starb vor drei Jahren.

Zypora Frank trägt ein fließendes Seidenkleid. Ihr rosiges Gesicht ist umrahmt von goldblondem Haar. Es sieht weich aus, fast wie Flaum. Aus der Küche duftet es süßlich, nach frisch gebackenem Mandelkuchen. Der Tisch im Wohnzimmer ist gedeckt: Kühles Mineralwasser in einer Glaskaraffe, dazu passende Gläser . Sie führt ein aufgeräumtes Leben. "Ich bin eine praktisch denkende Frau. Und bei allem, was ich durchgemacht habe, war ich immer stark", sagt sie. "Deshalb verstehe ich nicht, warum mich das alles so mitnimmt. Es ist doch nur ein Erbe, ein Stück Land. Aber dieser Ort macht mich . . ." Sie redet nicht weiter.

Viele europäische Juden reden nicht über die Zeit vor 1947

Ein sonniger Augusttag im Jahr 1987. Zypora Franks Eltern sind zu Besuch. Rifka und Schmuel Jacoby sitzen am Wohnzimmertisch, trinken Wasser und unterhalten sich. Zypora erzählt ihren Eltern, sie habe eine Reise nach Polen gebucht, weil sie die Konzentrationslager dort sehen möchte. Seit 1947 war keiner aus der Familie mehr in Polen. Für einen Augenblick, erinnert sich Zypora Frank, ist es still im Wohnzimmer. Dann sagt Rifka Jacoby zu ihrer Tochter: "Du darfst da nicht hinfahren. Wir verbieten es dir." Zypora ist überrascht. Immerhin ist sie über fünfzig. "Was habt ihr denn dagegen?" Ihr Vater antwortet nur: "Wir wollen darüber nicht reden. Aber glaub’ uns, es ist nicht gut für dich, dort hinzufahren." Als sie darauf besteht, dennoch fahren zu wollen, stehen Rifka und Schmuel Jacoby auf und gehen.

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Sie war es gewohnt, daß ihre Eltern vieles verschwiegen. Über die Zeit vor 1947, dem Jahr, in dem sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder Schaul in Palästina ankam, wurde bei den Jacobys nicht gesprochen. Wie bei den meisten Einwanderern aus Europa. "Die europäischen Juden verschwiegen, was sie erlebt hatten, weil die Sabres hier lange Zeit nicht verstehen konnten, warum sie den Nazis keinen Widerstand geleistet hatten", sagt Zypora Frank. Sabres, abgeleitet vom hebräischen Wort für "Feigenkaktus", heißen die im Land geborenen Juden. Erst 1961, als der Eichmann-Prozeß in Israel begann, sprach man auch über den mutigen Widerstand vieler Juden: den im Warschauer Ghetto etwa, oder in Auschwitz.

"Es war nicht das übliche ’Ich-will-nicht-darüber-sprechen‘", sagt sie. Schon lange hatte sie das Gefühl, daß ihre Mutter etwas verbirgt. Seitdem die Familie vor der Übersiedlung nach Israel noch einmal kurz nach Polen zurückgekehrt war, hatte sich ihre Mutter verändert. Vorher hatte Rifka Jacoby viel gelacht, mit den Kindern Lieder gesungen. Danach war sie oft stundenlang still. Freunde sagten, sie trage eine tiefe Traurigkeit in ihren Augen.

Einen Tag nach dem Streit im Wohnzimmer kommen die Eltern wieder. Diesmal haben sie einen großen braunen Umschlag dabei. Der Vater öffnet ihn und nimmt ein transparentes Papier mit schwarzen Linien und roten Zahlen heraus – die Karte eines Grundstücks. Auf der Karte steht "Brzezinka" – polnisch für Birkenau. "Birkenau gehört uns, Zypora. Ein Teil des Konzentrationslagers wurde auf dem Grundstück meines Vaters gebaut", sagt die Mutter. "Er hatte dort eine Teerfabrik." Da taucht es wieder auf, dieses Bild in ihrem Kopf: wie sie als kleines Mädchen auf dem Schoß ihres Großvaters Josef Meltzer sitzt, wie er sie im Arm hält. Manchmal spielte die kleine Zypora auch im Hof der Fabrik, umgeben vom Dunst dampfenden Teers. Diese Bilder kommen in ihr hoch. Sonst nichts. Der Tumult, der in ihrem Innern losbricht, läßt keine andere Regung zu. Das ist es also: Wo einst die Teeröfen ihres Großvaters standen, haben die Deutschen das größte aller nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager gebaut: Auschwitz-Birkenau.

"Als mir meine Eltern von dem Besitz erzählten", sagt Zypora Frank, "verstand ich zwar, was sie sagten, aber irgendwie glaubte ich ihnen nicht. Ich hörte, aber mein Gehirn war zu." Von der Reise nach Auschwitz läßt sie sich nicht abhalten. Sie glaubt, stark genug zu sein.

Auschwitz also. Ursprünglich hatten die Deutschen das Konzentrationslager 1940 für die polnischen Gegner der deutschen Besatzung gebaut. Bald wurde Auschwitz als das brutalste Lager bekannt. Block 11, das Lagergefängnis mit seinen Stehzellen, nannten die Häftlinge "Todesblock". Wer dort nicht starb, den erschossen die Lageraufseher zumeist später an der "Todeswand" gleich daneben. Drei Kilometer vom Stammlager entfernt liegt Birkenau, "Auschwitz II". Hier kamen im März 1942 die ersten Güterwaggons mit europäischen Juden an. Im Sommer begann die SS mit der Selektion, der Trennung in Schwache und Arbeitstaugliche. Die einen mußten sich für deutsche Firmen zu Tode schuften, die anderen gingen ins Gas.

Unter den vergilbten Dokumenten aus Polen, die Zypora Frank von ihrer Mutter geerbt hat, ist auch eines, das den Tod der gesamten Familie Meltzer bestätigt. Anna Meltzer und Zyporas Tanten, Minda Nattel und Feiga Meltzer, auch Zyporas Cousine Ruth Nattel kamen am 18. Februar 1943 nach Auschwitz. Sie wurden am selben Tag ermordet. Ihr Großvater Joseph Meltzer starb am 15. Mai 1944 im Konzentrationslager Blechhammer an Typhus. Wie ihr Großvater in dieses Arbeitslager kam, das etwa 30 Kilometer westlich der heute polnischen Stadt Gleiwitz liegt, sagen die Dokumente nicht. Wahrscheinlich wurde die Familie gemeinsam nach Auschwitz deportiert, und nur ihren Großvater stufte man bei der Selektion als arbeitsfähig ein. Josef Meltzer muß an der Rampe unweit seiner Teerfabrik nach rechts gegangen sein, während seine Frau, seine Töchter und seine Enkelin nach links geschickt wurden. Links bedeutete den Tod innerhalb der nächsten Stunden.

Zypora Frank glaubte immer, alles über Auschwitz zu wissen: Wie die Menschen ermordet wurden, wo man die Leichen verbrannte. Als sie aber an dem Ort steht, wo sie als Kind gespielt hat, wo 1,5 Millionen Juden ermordet wurden, darunter ihre Familie, überwältigt sie die Trauer. Sie schreibt in ihr Tagebuch: "Du merkst, daß du das nicht alles in dich aufnehmen kannst. Du kannst nicht rational denken, und du willst eigentlich nur weinen und schreien. Aber du kannst nicht darüber sprechen."

Als sie die Krematorien sieht, erinnert sie sich an die Öfen aus der Fabrik ihres Großvaters. Darin kochten sie Teer, um Dachschindeln und Isoliermaterial damit zu beschichten. In Zypora Franks Kopf taucht plötzlich dieser Gedanke auf, die Nazis hätten die Öfen ihres Großvaters übernommen, um darin Leichen zu verbrennen. Als hätten seine Öfen den Massenmord erst möglich gemacht. Sie weiß, daß das nicht stimmen kann. Denn die Öfen für Auschwitz baute eine deutsche Firma, Topf & Söhne. Aber Wissen hilft nicht an diesem Ort.

Auschwitz verfolgt Zypora Frank. Seitdem sie 1987 zum ersten Mal dort war, hat sie immer wieder den gleichen Albtraum: Sie ist ein kleines Mädchen in einer Menschenmasse. Um sich herum sieht sie nur Beine, Schuhe, Stiefel. Sie schiebt die Beine zur Seite, sucht nach etwas, das ihr Sicherheit gibt. Sie hat das Gefühl zu fallen, ohne sich festhalten zu können. Dann wacht sie von ihren eigenen Schreien auf. Niemals hätte Zypora Frank gedacht, daß die Eindrücke in Auschwitz ihr Leben so verändern würden. Als sie nach Israel zurückkehrte, verstand ihr Mann Zaki nicht, was mit ihr geschehen war. "Ich konnte nachts nicht schlafen, tagsüber war ich nervös und begann grundlos zu weinen", sagt sie. Immer wieder weckte ihr Mann sie nachts auf, weil sie in ihren Träumen weinte.

Zypora Frank begann zu verstehen, warum ihre Mutter nie über Auschwitz und den Familienbesitz dort sprechen konnte. Während die Nazis ihre gesamte Familie ermordeten, hatte Rifka Jacoby im sicheren Tadschikistan gelebt, nur sich selbst, ihren Mann und ihre Kinder gerettet. Sie hatte die Verwandten nicht zur Flucht überredet. Sie hatte den Mord an Eltern und Geschwistern auf dem eigenen Grund und Boden nicht verhindert. Kurz nachdem die Deutschen im September 1939 Polen überfielen, floh Rifka Jacoby in einem Pferdekarren mit ihren beiden Kindern über die Grenze nach Rußland. Ihr Mann kam wenig später nach. Verwandte und Bekannte in Polen hielten diese Flucht für übertrieben. Sie ahnten nicht, daß die deutschen Besatzer fast alle Juden Polens ermorden würden.

In der UdSSR wurden die Jacobys zunächst in ein Arbeitslager nach Sibirien geschickt. Zu dieser Zeit waren die Feinde Deutschlands auch die Feinde der Sowjetmacht. Wieder sind es vor allem Gerüche, die Zypora aus Sibirien in Erinnerung geblieben sind: der süße Duft frischer Beeren zum Beispiel, die ihre Mutter im Sommer aus dem Wald mitbrachte. Nach 18 Monaten ließen die Russen sie frei und schickten sie nach Tadschikistan. Die nächsten vier Jahre verbrachten die Jacobys in Leninabad, heute Duschanbe. Für Zypora roch ganz Leninabad nach einem Gewürzladen: nach Kumin, Nelken und Kardamon.

Nach dem Ende des Krieges fahren Zypora Frank, ihr Bruder und ihre Eltern mit dem Zug nach Polen. Endlich wieder nach Hause, denkt sie. Der Tag, an dem die Familie die Grenze zu Polen überquert, ist der 23. Mai 1946, Zyporas elfter Geburtstag. Als der Zug in den polnischen Grenzbahnhof einrollt, schreit eine aufgebrachte Menge: "Die Russen rauben unser Land, aber die Juden bringen sie wieder zurück." Jemand wirft eine Handgranate in den Zug. Zwei Menschen sterben, viele werden verletzt. Zyporas Geburtstagskleid ist von oben bis unten mit Blut bespritzt. Die Eltern begreifen, daß Juden in Polen unerwünscht sind. Wieder müssen sie fliehen. Die Familie fährt nach Marseille, besorgt sich falsche Papiere für eine Einreise ins britisch besetzte Palästina. Am 2. Juli 1947 läuft das Schiff im Hafen von Haifa ein. Familie Jacoby beginnt ein neues Leben in Eretz Israel, dem gelobten Land.

Rifka Jacoby läßt das Erlebte nicht mehr los. Mit welchen Schuldgefühlen ihre Mutter noch Jahrzehnte später in Israel kämpft, wird Zypora Frank erst kurz vor deren Tod bewußt. Rifka Jacoby leidet an Alzheimer und erkennt am Ende die eigene Tochter nicht mehr. Sie nennt sie Minda – so hieß ihre in Auschwitz ermordete Schwester. Sie ruft nach Minda, weint und bittet um Vergebung.

Nach dem Tod der Eltern – die Mutter stirbt im Dezember 1991, der Vater drei Monate später – erfährt Zypora, daß es noch etwas gibt, das ihre Eltern bis zu ihrem Tod verschwiegen haben. Jahrzehntelang hatte die Mutter versucht, Auschwitz, diese verfluchte Erde, aus ihrem Gedächtnis zu streichen. Der Gedanke an das Erbe schien sie zu zerfressen. Da ging die Mutter zum Gericht in Hadera und überschrieb heimlich das Erbe auf den Namen ihrer Kinder. Sie glaubte, dem Ganzen durch einen notariellen Akt ein Ende bereiten zu können. Zypora Frank erfährt davon in einem Brief des Vaters, den er seinem Testament beigelegt hat. Irgendwie, sagt sie heute, könne sie ihre Mutter verstehen.

Als auch Zyporas Mann 1995 stirbt, weiß sie mit ihrem Leben nichts mehr anzufangen. Immer noch quälen sie Albträume. Irgendwann beschließt sie deshalb, die Wahrheit über das Familien-Erbe selbst herauszufinden. Im Winter 1997 fliegt sie ein zweites Mal nach Polen. Sie hofft, daß alles gar nicht wahr ist. Vielleicht, denkt sie, haben sich die Eltern geirrt, und das Grundstück des Großvaters liegt nicht in Auschwitz.

Zuerst fährt sie nach Krakau, um mit einem Anwalt die Rechtslage im nun demokratischen Polen zu besprechen. Dann in das Rathaus von Oswiecim. In großen Aktenschränken liegen dort die alten Karten. Zypora Frank vergleicht das Transparentpapier aus ihrem Erbe mit den Karten der Gemeindeverwaltung. Eine Angestellte findet das Grundstück des Großvaters. Es liegt nicht, wie Zypora und ihre Eltern angenommen hatten, in Birkenau. Auf der Karte ihrer Eltern steht zwar Brzezinka. Aber nur, weil das Grundstück nach dem Krieg von dort verwaltet wurde. Zuvor gehörte es zur Gemeinde Oswiecim, Auschwitz. Das Land des Großvaters, sagt die Angestellte, sei Teil des Stammlagers gewesen. Ob ihr Erbe in Auschwitz oder Birkenau liegt, ändert für Zypora Frank nichts. Immer noch hofft sie, daß alles nur ein Irrtum ist, eine Verwechslung. Die Hoffnung wird im Museum der Gedenkstätte Auschwitz zerstört. Auf einer Karte im Archiv entdeckt sie den Besitz ihres Großvaters Josef Meltzer, gekennzeichnet mit den Flurnummern 10 und 11. Eine Historikerin des Museums berichtet, wie die Deutschen die Fabrik ihres Großvaters konfiszierten. Sie rissen Teile davon ab und bauten eine Zünderfabrik, die zeitweise von den Weichsel-Union-Werken betrieben wurde. Hier mußten die Häftlinge arbeiten, zum großen Teil Frauen.

Das polnische Verkehrsministerium baute die Fabrik in den sechziger Jahren um. Heute steht auf dem Gelände eine Autowerkstatt. Auf eine Suchanzeige in einer Zeitung hatte sich kein Eigentümer gemeldet. Wie auch – Rifka Jacoby lebte in Israel. Bedenken gegen eine wirtschaftliche Nutzung des ehemaligen Konzentrationslagers gab es keine. Das Grundstück liegt zwar innerhalb des früheren KZ-Areals, ist aber nicht Teil der heutigen Gedenkstätte.

"Als habe Gott uns einen grausamen Streich gespielt"

"Als ich im Archiv die Karte mit dem Namen meines Großvaters sah, war es, als springe ein Schalter in mir an. Ich fing an zu weinen und konnte nicht mehr aufhören", sagt Zypora Frank. "Ich weinte, wie ich nicht mal beim Tod meines Mannes geweint habe." Und dann, sagt sie, habe sie plötzlich Nasenbluten bekommen. Sie erschrak darüber; so etwas war ihr nie zuvor passiert. "Ich wußte erst gar nicht, was los war", sagt Zypora Frank. "Mir lief das Blut in den Mund, es tropfte auf meine Bluse." In den Tagen danach bekam sie noch einige Male Nasenbluten. Auch an jenem, an dem sie sich das ehemalige Fabrikgelände ihres Großvaters ansah.

Zypora Frank kann nicht erklären, warum sie ihr Erbe so bedrückt. "Ich bin ja für nichts verantwortlich, was dort geschah", sagt sie, "und doch habe ich diese Schuldgefühle." Sie denkt lange nach, wie sie beschreiben soll, was da in ihr vorgeht. Dann erzählt sie, wie sie beim Besuch in Oswiecim mit einem jüdischen Taxifahrer mitfuhr. Er sagte, seine Mutter und seine Großmutter seien in Auschwitz gewesen. Auch sie hätten in der Zünderfabrik arbeiten müssen. Es war das erste Mal, daß Zypora Frank mit einem Fremden sprach, der eine persönliche Verbindung zu dem Gelände hatte. "Ich dachte nur: Oh Gott! Laß sie nicht dort gestorben sein!" Als der Taxifahrer berichtete, seine Mutter und Großmutter hätten überlebt, war sie erleichtert.

Heute denkt Zypora Frank oft, es wäre besser gewesen, sie hätte nie von ihrem Eigentum erfahren. Kürzlich ließ sie jedoch den Besitz auf ihren Namen überschreiben. "Ich trete dieses Erbe an, weil ich offiziell festhalten will, daß Auschwitz auf jüdischem Land gebaut wurde", sagt sie. Sie hat beschlossen, das Grundstück so zu belassen, wie es ist. Ihr Anwalt in Krakau sagte, sie könne es verkaufen oder Pacht von der Autowerkstatt verlangen. Doch sie will kein Geld aus Auschwitz.

Zypora Frank sitzt in ihrem Wohnzimmer in Hadera, inmitten ihrer Sammlung von Puppen, Ölbildern und Porzellantassen. Aus der Küche duftet es wieder nach frisch gebackenem Kuchen. "Eigentlich macht es doch keinen Unterschied, ob Auschwitz den Juden gehört", sagt Zypora leise zu sich selbst, als wolle sie sich trösten. "Es ändert nichts daran, was dort geschah." Aber irgendwie, sagt sie, sei das, "als habe Gott uns einen grausamen Streich gespielt".

Sie kommt nicht damit zurecht, versucht sich abzulenken, nicht alleine mit ihren Gedanken zu sein. Sie arbeitet unentgeltlich auf der Röntgenstation des Krankenhauses. In jeder freien Minute schreibt sie an ihrer Autobiographie. Immer noch sucht sie nach Menschen, die ihren Großvater gekannt haben.

Seitdem sie in Auschwitz mit der Recherche begann, hinkt sie. Weil sie ständig von einem Ort zum anderen hetzt, überlastet sie ihre Beinmuskeln und Gelenke. "Ich habe Angst vor ruhigen Momenten", sagt sie. "Dann fühle ich mich wie ein Ballon, aus dem die Luft entweicht." Und wenn es nichts mehr zu tun gibt, wenn die Gedanken sie quälen, dann geht Zypora Frank in die Küche und backt Mandelkuchen. "Es beruhigt mich." Seither gibt es bei Zypora Frank immer frischen Kuchen.

SZ vom 14.08.1998

haGalil onLine - Samstag, 14. Dezember 2013

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