Mit welchen Anliegen sind Sie nach Wien gekommen?
Es geht mir vor allem um die Thematisierung der
ungeklärten Problematik des von Nationalsozialisten enteigneten
Vermögens, das unmittelbar nach Kriegsende nur unzureichend aufgedeckt
und bis heute nicht annähernd zurückgegeben wurde. Die Einrichtung des
Nationalfonds 1995, der an Überlebende mit ehemals österreichischer
Staatsbürgerschaft eine symbolhafte Summe von einmalig S 70.000 (ca.
9.000 Franken) auszahlt, hat weltweit Sympathien gefunden und die
Hoffnung geweckt, dass Österreich eine tiefergehende Auseinandersetzung
mit seiner Verstrickung in die Vernichtung der Juden unternimmt. Nun
geht es konkret darum, Vermögensarisierungen in Milliardenhöhe
aufzudecken. Etwa 70.000 Fälle sind dokumentiert. Wer kann sich damit
abfinden, dass diese Werte verschwunden bleiben? Das ist nicht eine
Frage der Geldgier - selbst wenn Antisemiten das so sehen wollen. Es
geht um die Frage, wie unsere Nachkommen über uns richten werden, wenn
wir nicht jetzt, regelrecht in letzter Minute, nach Gerechtigkeit rufen.
Es geht um das Streben nach Gerechtigkeit.
Sie haben darüber unter anderem mit dem
österreichischen Bundeskanzler Viktor Klima gesprochen ...
Ja, nachdem ein Treffen mit Ex-Österreichern im
Rahmen der Freundschaftsligen beim sehr erfolgreichen Besuch des
Bundeskanzlers in Israel im März dieses Jahres aus kurzfristigen
Terminverschiebungen nicht möglich war, hat mir der Kanzler ein Treffen
in Wien angeboten. Ich bin froh, dass dieses Treffen so kurzfristig
zustandegekommen ist, trotz der baldigen Übernahme der
EU-Ratspräsidentschaft durch Österreich am 1. Juli und der Balkankrise.
Es war ein sehr freundliches und offenes Gespräch.
Was erwarten Sie sich als unmittelbare Konsequenz
dieses Gesprächs?
Ich erwartete mir den Beginn eines Umdenkprozesses,
der dann zu politischen Willenserklärungen führen sollte. Mittelfristig
erwarte ich mir die vollständige Aufdeckung der Vermögensenteignungen
durch Historiker. Diese Erkenntnisse sollen in das Bewusstsein der
österreichischen Bevölkerung eindringen. Dann sollten von Österreich
selbst Überlegungen angestellt werden, wie eine Rückgabe erfolgen kann.
Darüber hinaus möchte ich, dass sich Österreich zum Erhalt aller
jüdischen Grabstätten und Denkmäler verpflichtet.
In welchem Zeitraum erwarten Sie sich
Konseqenzen?
Wir stehen jetzt vor dem Sommer, im September sind
die jüdischen Feiertage, sodass ich mir erste Reaktionen im Herbst
dieses Jahres erwarte. Wichtig ist dabei, dass Österreich seinen eigenen
Zugang zur Aufarbeitung dieser Raubgeschichten findet, der nicht
wiederum den Juden die Schuld dafür zuschiebt. Wir wollen weder
antisemitische Reaktionen innerhalb Österreichs noch eine Trübung des
israelisch-österreichischen Verhältnisses.
Sie sind nicht die einzige Organisation, die
Österreich zum Handeln auffordert ...
Als einzige Organisation, die ausschliesslich die
Belange der überlebenden Juden aus Österreich vertritt sind wir, das
Zentralkomittee der Juden aus Österreich in Israel, die unmittelbaren
Vertreter der Juden aus Österreich. Alle Beschlüsse, die bisher ohne uns
gemacht wurden, sind schiefgelaufen. Als Partner auf unserer Seite sehen
wir die Claims Conference in New York und die IKG in Wien, und es ist
wichtig, dass jeweils mit allen drei Organisationen zugleich verhandelt
wird. Das ist auch für Österreich wichtig, weil separate Verhandlungen
nur zu halben Sachen führen.
Wie hoch schätzen Sie die Zahl der Überlebenden?
Unter Berücksichtigung der damals als Kinder
Deportierten sowie der "Staatenlosen", die beim Nationalfonds ja nicht
anspruchsberechtigt sind (beim Nationalfonds haben 22.000 Überlebende
eingereicht), schätze ich die Zahl der österreichischen Überlebenden auf
25.000. Diese Zahl verringert sich täglich um einige. Viele von ihnen
leben unter unsagbar schlechten Bedingungen, sind alt, krank und
pflegebedürftig, und allzuoft können sie sich entsprechende
Pflegeeinrichtungen nicht leisten. Wir stehen da schon seit jahren unter
einem sehr massiven Druck unserer Mitglieder, etwas zu unternehmen. Das
gilt auch für die jüdischen Weltorganisationen und auch bei der
israelischen Regierung wird fortwährend darüber nachgefragt und die
Forderung gestellt zu handeln.
Zumal in dieser Angelegenheit die Schweiz viel
härter angegriffen wird als Österreich ...
... diese Thematik betrifft nicht nur die Schweiz,
sondern auch Schweden, Norwegen, Frankreich und andere Länder.
Selbstverständlich muß man jedes Land nach seinen jeweiligen Handlungen
und Unterlassungen beurteilen, und jedes Land hat dabei ganz spezifische
Fragestellungen. Bei Österreich kann man heute, nach mehr als 50 Jahren,
von keiner leichten Lösung sprechen, aber die Schuld daran tragen nicht
wir. Diese Schuld liegt vor allem und zuerst auf der österreichischen
Seite.
Ich erinnere nur an den Satz im Ministeratsprotokoll zum Thema der
Entschädigungszahlungen "Ich bin dafür, die Sache in die Länge zu
ziehen". Diese Haltung galt bis zu Franz Vranitzkys tapferen
Auftritt 1991 im österreichischen Parlament und 1993 in Jerusalem, als
von der österreichischen Mitverantwortung sprach und damit einen Wechsel
in Österreichs Geschichtsauffassung einleitete. Dabei ist die
Auseinandersetzung mit der Geschichte der Judenverfolgung nicht nur für
die Opfer sondern auch für die Täter und deren Nachkommen, also für die
gesamte österreichische Bevölkerung, eine notwendige Aufarbeitung.