50 Jahre langes Klagen findet Gehör:
Die Volkswagen AG will ihre
Zwangsarbeiter entlohnen
Sicher, es ist erfreulich zu sehen, dass inzwischen, d.h. über 50 Jahre nach
Kriegsende, doch noch eine Möglichkeit zur nachträglichen Entlohnung der
Zwangsarbeiter, welche seinerzeit die 'Aufrechterhaltung der
Betriebsführung' des VW-Konzerns erst ermöglich haben, geschaffen werden
soll.
Auf das himmelschreiende Unrecht von damals wollen wir hier gar nicht
eingehen. Eher auf die kalte Verachtung und rücksichtslose Profitgier,
die zur jahrzehntelangen Weigerung führten, sich ehrlich und
unbürokratisch mit dem Verbrechen und dem daraus gezogenen Nutzen
auseinanderzusetzen. Hätte in Wolfsburg eine Bereitschaft bestanden,
sich auch nur einmal nach den einfachsten und grundsätzlichsten Regeln
des menschlichen Anstands auszurichten, so hätten diese Zahlungen längst
erfolgen müssen.
Es ist mit Nachsicht gesprochen, wenn man sagt, dass es profitverliebte
Herzlosigkeit war, die dazu geführt hat, dass die absolut legitimen
Forderungen der Überlebenden sich bis an die Schwelle des Jahres 2000
schleppen mussten, um bei einigen wenigen der deutschen Wirtschaftselite
endlich Gehör zu finden.
Die Verlogenheit der angeblich ehrlich gemeinten "Versuche zur
WiederGutMachung" hätte kaum erschreckender und deutlicher zum Ausdruck
gebracht werden können.
Die meisten Überlebenden sind inzwischen gestorben. Der DAX hat die
6.000er Marke übersprungen. Ein halbes Jahrhundert ging in's Land.
Sollen wir uns bedanken?
Bubis sieht jetzt einige Firmen in Zugzwang
Die geplante Entschädigung des deutschen
Volkswagen-Konzerns für ehemalige Zwangsarbeiter in der Zeit der
Nazi-Diktatur bringt nach Ansicht des Präsidenten des Zentralrates der
Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, auch andere Unternehmen in Zugzwang.
«Es ist die Frage, ob sich andere Unternehmen nun noch raushalten
können», sagte Bubis am Mittwoch der dpa in Frankfurt am Main. Signale
von anderen Firmen gebe es bisher aber nicht.
Der VW-Konzern hatte am Dienstag angekündigt, einen privaten Hilfsfonds
für Zwangsarbeiter zu gründen. Noch vor wenigen Wochen hatte der Konzern
die Forderungen zurückgewiesen: Man sehe sich bei VW durch juristische
Gegebenheiten an einer Zahlung gehindert . Nach Angaben der Jewish
Claims Conference haben seit Kriegsende nur sieben deutsche Unternehmen
Hilfsleistungen für ehemalige Zwangsarbeiter geleistet.
Bubis sagte, es wäre wünschenswert, andere betroffene Firmen würden
sich nicht länger hinter dem Staat verstecken. Viele Unternehmen lehnten
Entschädigungen mit der Begründung ab, Ansprüche von Zwangsarbeitern
müßten nach der geltenden Rechtslage an die Bundesrepublik Deutschland
gestellt werden; sie sei Rechtsnachfolger des NS-Regimes. Die Arbeit
wurde aber nicht in Betrieben einer anonymen Terrorherrschaft GmbH
erzwungen, sondern in Betrieben mit ganz vertrauten Namen wie Siemens,
Daimler, Volkswagen, Diel etc. Die zweifellos mit kostenlosen
Arbeitskräften zu erwirtschaftende Gewinnoptimierung schlug sich
ebenfalls in Bücher und Aktienwerte ganz konkret bestehender Konzerne
nieder.
Eine Wiedergutmachung des erlittenen Unrechts während des
Nationalsozialismus könne heute nur mit Geld geschehen, erklärte Bubis.
Die moralische Schuld bei VW trage nicht die heutige Geschäftsleitung.
Diese könne sich nur fragen, ob es nicht anständiger gewesen wäre, den
Hilfsfonds früher bereitszustellen.
Jüdische Gemeinden in
Deutschland warfen der deutschen Wirtschaft vor, sie hätten «dieses
dunkle Kapitel ihrer Geschichte wahrlich ausgesessen». Nach mehr als 50
Jahren sei eine Entschädigungszahlung nur ein «schmaler Lohn für
tatsächlich geleistete Sklavenarbeit».
Polnische Zwangsarbeiter sehen im
VW-Hilfsfonds einen «ersten Schritt»
Die Entscheidung des VW-Konzerns ist in
Polen mit vorsichtigem Optimismus aufgenommen worden. Die Stiftung
«Deutsch-Polnische Versöhnung», die 700 000 polnische Nazi-Opfer
vertritt, bezeichnete den VW-Plan nach Angaben der polnischen
Nachrichtenagentur PAP als «ersten Schritt hin zu wirklichen
Entschädigungen». Nun bestehe die Hoffnung, daß andere Unternehmen dem
Beispiel von VW folgen. Bis zum Ende der Woche will die Stiftung
ermitteln, wieviele polnische Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg bei
Volkswagen eingesetzt waren.
Polnische Nazi-Opfer konnten bisher durch die Stiftung
«Deutsch-Polnische Versöhnung» eine einmalige Finanzhilfe von 500 Mark
erhalten. Die Stiftung, die von Deutschland mit 500 Millionen Mark
ausgestattet wurde, zahlt keine Entschädigung, sondern leistet lediglich
«humanitäre Hilfe».
Jüdische Claims Conference steht dem
VW-Hilfsfonds für Zwangsarbeiter skeptisch gegenüber
Mit einem gewissen Maß an Skepsis
hat die Jewish Claims Conference am Mittwoch in Frankfurt die
Entscheidung des VW-Konzerns zur Einrichtung eines Hilfsfonds für
ehemalige Zwangsarbeiter aufgenommen. «Es bleibt abzuwarten, wie die
Einzelheiten, so zum Beispiel die Höhe der Entschädigungssumme und die
Voraussetzungen für die Berechtigung aussehen werden», sagte der
Bevollmächtigte der Organisation, Karl Brozik, in Frankfurt. Brozik
bedauerte, daß es mehr als 50 Jahre gedauert habe bis zur Entscheidung
des VW-Konzerns, die historische und moralische Verpflichtung für
ehemalige Zwangsarbeiter anzuerkennen. Die Claims Conference habe die
Erklärung des VW-Vorstandes jedoch mit großer Genugtuung zur Kenntnis
genommen.
«Obwohl ein großer Teil der deutschen Industrieunternehmen im Zweiten
Weltkrieg Zwangsarbeiter beschäftigte, haben sich nur wenige, und auch
dies erst nach politischem und wirtschaftlichem Druck, zu Zahlungen
bereitgefunden», kritisierte er. Die meisten der Überlebende seien
gestorben, ohne je eine Anerkennung oder irgendeine materielle
Entschädigung erhalten zu haben.
VW hatte angekündigt, einen «privaten Hilfsfonds» für Überlebende
einzurichten, die in den letzten Kriegsjahren in Wolfsburg zwangsweise
im Volkswagenwerk arbeiten mußten. Der Konzern reagierte damit
überraschend auf die jüngste öffentliche Debatte um die Entschädigung
von Zwangsarbeitern, nachdem 30 ehemalige jüdische VW-Zwangsarbeiter
eine Klage gegen das Unternehmen vorbereiteten, in der sie für bisher
nicht ausgezahlte Löhne eine Entschädigung von 4000.-DM pro Monat
Zwangsarbeit fordern.
Im Fall der 30 ehemaligen
Zwangsarbeiter von Volkswagen will deren Rechtsvertreter Münchhausen die
inzwischen vorbereitete Klageschrift nun vorerst nicht einreichen. Er
wolle jetzt abwarten, wie der Hilfsfonds im einzelnen organisiert werde.
Die Wende bei VW sei aber ein Durchbruch. VW wird den Hilfsfonds Ende
September einrichten. Bis dahin würden die Juristen ein konkretes
Konzept erarbeiten, sagte VW-Sprecher Klaus Kocks. Die Höhe der
Entschädigungen stehe ebenfalls noch nicht fest.
VW werde den Fonds unabhängig von den Plänen
der Sozialdemokraten zur Schaffung eines nationalen Entschädigungsfonds
einrichten, sagte Kocks. Gegebenenfalls könne später darüber nachgedacht
werden, den VW-Fonds in einen Bundesfonds einzubringen.
SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder hatte erklärt, nach einem Wahlsieg
in Bonn einen Bundesfonds zur Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter zu
gründen.
Auch dänische Zwangsarbeiter von Varta und
Hochtief fordern Entschädigungen
Rund 100 dänische ehemalige Häftlinge eines
Konzentrationslagers, die 1944/45 bei den beiden Firmen gearbeitet
hätten, wollen Ansprüche für entgangenen Lohn geltend machen. Bei den
Dänen handele es sich um Überlebende einer größeren Gruppe ehemaliger
Widerstandskämpfer, die von den Nationalsozialisten in die
Konzentrationslager Neuengamme und Sachsenhausen gebracht worden seien.
Rund 80 von ihnen haben bei der Baufirma Hochtief arbeiten müssen, 20
beim Batteriehersteller Varta, sagte Münchhausen.
Das sagte deren Bevollmächtigter Klaus von
Münchhausen (Bremen), der auch rund 30 ehemalige VW-Zwangsarbeiter
vertritt. Er wolle jetzt mit den Unternehmen beraten, ob eine ähnliche
Lösung wie bei Volkswagen möglich sei. Insgesamt hätten bei Varta nach
Aussagen der Betroffenen mehrere hundert Dänen gearbeitet. Die
Forderungen in den bisher von ihm vertretenen Fällen beliefen sich auf
eine Entschädigung von 4 000 Mark pro Arbeitsmonat.
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Samstag, 14. Dezember 2013 |