Vor genau fünf Jahrzehnten kamen die Kissingers auf
der Flucht vor den Nazis nach New York. Der 15jährige Henry arbeitet
tagsüber in einer Rasierpinsel-Fabrik, geht in die Abendschule und
bringt es mit energischem Einsatz und Ausdauer zum Professor der
renommierten Harvard-Universität. Schlagartig bekannt wurde Henry
Kissinger mit der Dissertation «A World Restored: Metternich,
Castlereagh and the Problems of Peace 1812-13». Dieses Großwerk («Das
Gleichgewicht der Mächte») ist rasch zu einem Klassiker moderner
Geschichtsschreibung geworden. An den glanzvollen Harvard-Aufstieg
sollte Kissinger, als Demokrat eingetragen, mit einer furiosen
Polit-Karriere anknüpfen.
Kissinger berät die Regierungen Kennedy und Johnson,
wird 1968 dann überraschend Sicherheitsberater und später Außenminister
des Republikaners Nixon. Kissinger war damit der erste Einwanderer, der
zum US-Außenminister ernannt wurde. Er ist damit auf seinem eigentlichen
Parkett angekommen. Nach Geheimverhandlungen schließt Kissinger 1973 mit
dem Nord-Vietnamesen Le Duc Tho einen Friedensvertrag zur Beendigung des
Vietnamkrieges - und erhält den Friedensnobelpreis, obwohl der Krieg
nicht endete und Süd-Vietnam 1975 an den kommunistischen Norden fiel.
Ebenfalls heimlich bereitete er normalere
US-Beziehungen zu China (1971) vor und legte als Pendeldiplomat auch
eine Grundlage für den Friedensschluß zwischen Israel und Ägypten. Die
Regierungskarriere endete dann nach der Wahlniederlage Gerald Fords im
Herbst 1976. Heute ist er der wohl teuerste Strategie-Berater auf diesem
Planeten - und vielfacher Millionär.
Seine Geburtsstadt Fürth hat ihn gerade zum
Ehrenbürger ernannt. Das erinnert daran, daß Kissinger seinen
ungemindert schweren deutschen Akzent wie ein Markenzeichen pflegt.
Als Kommentator, Dozent, Autor und Berater ist der
Polit-Star wohl noch lange nicht reif für einen Abschied: Wann immer
Washington über den eigenen Nabel hinausschaut und sich internationalen
Fragen zuwendet, von Asien bis zur NATO-Erweiterung, ist Kissingers
Meinung gefragt.