Peter Finkelgruen:
Unterwegs als sicherer OrtEine
bewegende dokumentarische Studie über das Unbeheimatetsein und die Suche
nach den eigenen Wurzeln in einer Welt, die nur zögernd Zuflucht bietet.
Finkelgruens Schicksal steht exemplarisch für eine Generation, die auch
heute noch im Bewußtsein erlittenen Unrechts leben muß.
(Prädikat: Sehenswert ab 14).
Der
in Köln lebende Schriftsteller Peter Finkelgruen sucht einen Mörder.
Besser gesagt, er versucht, den SS-Mann Anton Malloth, Aufseher in der
"Kleinen Festung" Theresienstadt, der Justiz zu überantworten,
schließlich ist Malloth für den Tod von Finkelgruens Großvater
verantwortlich. Doch Malloth lebt unbehelligt in Pullach bei München,
kassiert Sozialhilfe und hat die Gewissheit, den perfekten Mord begangen
zu haben. Einen Mord, der aktenkundig ist - Malloth wurde in der CSSR
zum Tode verurteilt. In Deutschland wird die Tat dennoch nicht geahndet.
Von Köln über Pullach nach Meran, wo Malloth bis 1988 wohnte, begleitet
der Dokumentarfilmer Dietrich Schubert seinen Freund Peter Finkelgruen,
um dann in ferne Orte wie Shanghai, Prag und Haifa abzuschweifen, die
zwar nichts mehr mit Malloth zu tun haben, jedoch für des unstete Leben
Finkelgruens stehen.
Im japanisch besetzten Shanghai wurde er 1942 geboren,
den Gaskammern zwar entkommen, doch nicht dem Einflußbereich der Nazis.
Diese konnten die verbündete Achsenmacht Japan von der "Endlösung der
Judenfrage" überzeugen, woraufhin 1943 ein Ghetto für staatenlose
Ausländer - überwiegend Juden - eingerichtet wurde. Finkelgruens Vater
erlag den Strapazen. 1946 übersiedelte der kleine Peter mit seiner
Mutter zur Großmutter, die das KZ Theresienstadt überlebt hatte, nach
Prag, verlebte dort die glücklichsten Jahre seiner Kindheit, um 1951,
nach dem Tod der Mutter, nach Haifa verschifft zu werden, wo er mit
seiner Großmutter endlich Wurzeln schlagen sollte. Doch das "gelobte
Land" war für die "arische" Frau, die treu zu ihrem jüdischen Mann
gehalten hatte, alles andere als ein Paradies. Wegen ihrer deutschen
Sprache wurde sie im Kibuzz als "Nazifrau" eingestuft; Peter
Finkelgruen, ungefragter Weltbürger, fühlte sich als Kind zweiter Klasse
und konnte in Israel kein zu Hause finden. Irgendwann führte seine Spur
dann doch zurück nach Deutschland.
Schubert drehte keinen Film über den pefekten Mord, auch
keinen Film über Anton Malloth. Entstanden ist ein Film über das
Unbeheimatetsein. Über die Suche nach den eigenen Wurzeln. Heimat findet
Finkelstein zwar auch in Schuberts Film nicht, immerhin aber Spuren
seiner Vergangenheit. Den abgegriffenen Paß seines Vaters etwa, mit dem
großen "J", Dokument eines unfreiwillig unsteten Lebens. Spuren der
Erinnerung, wie jene verschwundenen jüdischen Friedhöfe in Shanghai, die
längst eingeebnet sind und nur noch im Geiste existieren; die Namen der
Opfer in Theresienstadt, die Erinnerung an Prag, wo Hans Martin Schleyer
als SS-Offizier stationiert war.
Haifa endlich, wo zumindest ein Grabstein steht - der
der Tante. Auf seiner Rückseite sind die Namen der Eltern eingemeißelt.
Erinnerungen schließlich auch an die Jahre in Israel, das Finkelgruen
mitunter wie ein Tollhaus erlebte, da sich die Verhaltensweisen, die
sich in den Jahren des Nazi-Terrors tief in die Psyche eingegraben
haben, nur schwer mit der Normalität vereinbahren lassen. Es ist ein
bewegender Dokumentarfilm, der ein erschütterndes Schicksal darstellt.
Finkelgruen hat den direkten Terror am eigenen Leib kaum erfahren, war
aber zeitlebens mit den Auswirkungen konfrontiert.
Eine engagierte Erinnerungsarbeit und zugleich das
Porträt eines Schriftstellers, der sich an dem Begriff "Heimat"
abarbeitet: Entweder ist alles, sind alle Lebensstationen ein wenig
Heimat, oder das ungewollt Unstete ist der eigentliche Ort.
Hans Messias
Publizistisch hat sich Finkelgruen mit der eigenen Vergangenheit
und dem des jüdischen Volkes in den Büchern "Haus Deutschland oder Die
Geschichte eines ungesühnten Mordes" und "Erlkönigs Reich - Geschichte
einer Täuschung" auseinandergesetzt.
Unterwegs als sicherer Ort, Deutschland 1997. Produktion:
Dietrich Schubert Prod./WDR. Produzentin: Katharina Schubert. Regie:
Dietrich Schubert. Buch: Katharina Schubert, Dietrich Schubert. Kamera:
Uwe Schäfer. Musik: Wolfgang Hamm. Schnitt: Ingrid Terheggen. 92 Min.
Verleih: Real Fiction.
haGalil onLine: Mai 98 |