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In Deutschland hat der Synagogenbau Hochkonjunktur:
Weg vom Provisorium

VON ALEXIS CANEM - JÜDISCHE RUNDSCHAU / BASEL

Fast 60 Jahre nach der «Kristallnacht», in der die Synagogen Deutschlands entweder zerstört oder schwer beschädigt wurden, sind die 90er Jahre in Deutschland von einem Bau-Boom ganz besonderer Art gekennzeichnet. Überall entstehen neue Synagogen als ein sichtbares, steinernes Zeichen eines stärkeren, selbstbewussten jüdischen Lebens. Vor allem durch den Zustrom aus der ehemaligen Sowjetunion ist die Zahl der Juden Deutschlands in nur wenigen Jahren auf etwa 80.000 Mitglieder angestiegen. Die alten G'tteshäuser sind vielerorts total überfüllt, während neue Gemeinden sich mit provisorischen Unterkünften behelfen müssen. Synagogen werden dringendst benötigt.

Wie sehr Synagogen benötigt werden, zeigten in diesen Tagen erneut die Mitglieder der nach Frankfurt zweitgrössten Gemeinde Hessens. In Offenbach am Main war der Bau der neuen Synagoge knapp vor Rosch Haschana fertiggestellt, und schon begann der Umzug ins neue Haus. Der offizielle Termin der Einweihung mit dem grossen Festakt ist aus politischen Gründen für den November vorgesehen. Doch bis dahin wollte die Gemeinde nicht mehr improvisieren. Und so wurden eineinhalb Monate vorher zu den Hohen Feiertagen bereits mit dem G'ttesdienst in der neuen Synagoge begonnen, die bis auf den letzten Platz gefüllt war. In Offenbach entstand 1956 eines der ersten nach dem Holocaust wieder neu gebauten Gemeindezentren und eine kleine Synagoge mit Sitzplätzen für 60 Männer im Erdgeschoss und 30 Frauenplätzen auf der Empore. Architekt Hermann Guttmann stellte den kleinen, einstöckigen Bau mitten in einem Park, versteckt durch hohe Bäume. Zu gross war noch der Schrecken des Holocaust in den Gemeinden, die sich kaum an die Öffentlichkeit trauten. Die frühere grosse Synagoge schräg gegenüber auf der Strasse, die, einst von den Nationalsozialisten enteignet, zu einem Kino umgebaut wurde, blieb auch nach Kriegsende in städtischem Besitz und wurde zu einem Musical-Theater umgebaut, das einen Flop nach dem anderen produzierte und inzwischen Pleite ist. Anders als in anderen Orten kämpfte die Offenbacher Gemeinde nicht um die Rückgabe ihres ehemaligen G'tteshauses. Man glaubte in den 50er und auch 60er Jahren nicht, dass normales jüdisches Leben wirklich wieder in Deutschland möglich sein würde.

Wieder jüdisches Leben

Die Geschichte beweist anderes. 900 Mitglieder ist die jüdische Gemeinde Offenbachs heute stark, und nachwachsende Generationen zwingen zum Gemeindeaufbau. Auch veränderte die Stadt ihr Gesicht. Der Park, in dem die von Guttmann erbaute Synagoge stand, wurde inzwischen eine Hauptverkehrsstrasse, der Bau selber unter Denkmalschutz gestellt. Architekt Alfred Jacoby, der den Auftrag erhielt, die Synagoge zu erweitern, kam auf die Idee, Wände herauszunehmen, sie so zu vergrössern und den Anbau trapezförmig um das Gebäude zu legen. Zu dem Erweiterungsbau gehören neue Gemeinderäume, ein Kindergarten, ein Jugendzentrum im Untergeschoss, Unterrichtsräume, ein Seniorenclub und ein grosser Gemeindesaal. Nicht mehr versteckt steht dieses neue Zentrum jüdischen Lebens, sondern direkt an der Hauptverkehrsstrasse, mitten im Herzen der Stadt. «Früher musste die Synagoge per Dekret versteckt werden», erzählt Architekt Jacoby. Sie durften in keinem Fall eine Konkurrenz zur christlichen Kirche werden, mussten bescheiden sich in die Reihe der umliegenden Bauten einfügen oder konnten nur in einem Hinterhof errichtet werden. Erst im 19. Jahrhundert wurde dieses Gesetz geändert, und grosse Synagogen begannen für kurze Zeit auch die Silhouetten der Städte zu prägen. «An diese Tradition will ich erneut anknüpfen», erklärt Jacoby, «weil man sonst eingeht, wenn man gar nichts mehr sagt.»

G'tteshaus und Mahnmal

Grosse Auseinandersetzungen gab es um den Bau der Synagoge in Giessen, die G'tteshaus und Mahnmal zugleich ist. Fünfhundert Synagogen gab es vor 1933 allein im Bundesland Hessen. Eine davon stand im Dorf Wohra. Alle Juden, die einst dort lebten, wurden vertrieben oder ermordet. Übrig blieb die Synagoge, eines von über zweihundert G'tteshäusern, die verwüstet stehen blieben. Schliesslich diente die Synagoge von Wohra einem Klempner als Lagerraum.Wenigstens eine der vielen Landsynagogen zu retten und zu neuem Leben erwecken, wollte die jüdische Gemeinde Giessen. Doch kaum wurde das Projekt bekannt, kam es zu Protesten. Man könne unmöglich zulassen, dass eine ehemalige Synagoge von einem Platz entfernt und an einem anderen wieder aufgebaut werde, hiess es. Trotzdem wurde im August 1995 die Synagoge Stein für Stein abgetragen und nun im Zentrum von Giessen in enger Nachbarschaft zum evangelischen Pfarramt und zur Kirche eingeweiht. Ob der Platz, den die Synagoge bietet, für die heute schon 200 Mitglieder zählende Gemeinde reichen wird, ist fraglich. Die Synagoge ist klein, 20 Frauen haben auf der Empore Platz, 40 Männer unten. Werden mehr Menschen erwartet, wie z. B. zu den Hohen Feiertagen, muss die Verbindungstür zu einem Mehrzweckraum geöffnet werden. In der Unterkellerung des sich oval anschliessenden Gemeindezentrums befindet sich die Mikwe, sowie Wohn- und Unterrichtsräume. Auch eine Bibliothek gibt es, ein Archiv und Platz für die Verwaltung sowie Studentenwohnungen für etwa 40 vorwiegend jüdische Studenten. Die enge Nachbarschaft zur Synagoge, so hofft man, könnte Nichtjuden neugierig machen und zu Toleranz und zum friedlichen Nebeneinander anregen. Noch muss das Gelände von der Polizei überwacht werden.

Ort der Begegnung

Gerettet und schön restauriert wurde auch die Weisenau-Synagoge in Mainz. Ihre Wiedererrichtung ermöglichte ein Synagogen-Förderverein, dem vorwiegend Nichtjuden angehören. «Damit haben sie eine generationsübergreifende Verantwortung wahrgenommen», betonte Bischof Lehmann bei der Eröffnung. Seine Anwesenheit, so der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, sei auch Ausdruck des neuen Verhältnisses der katholischen Kirche zum Judentum. Ganz bewusst war die Einweihung des restaurierten G'tteshauses auf einen Tag gelegt worden, an dem vor 900 Jahren die Mainzer Synagogengemeinschaft im Zuge des ersten Kreuzzuges einem Pogrom zum Opfer fiel, obwohl der damalige Bischof Schutz zugesagt hatte. Nun soll nach Worten christlicher Geistlicher die Weisenauer Synagoge zum Ort der Begegnung und des Dialogs zwischen Juden und Nichtjuden werden, zum Haus, in dem jüdische Geschichte und jüdische Kultur vermittelt werde. Und ganz nebenbei, so hofft der Förderverein, könne auch die Jüdische Gemeinde Mainz den Bau nutzen. Zwar sei dies «grundsätzlich möglich», meinte Joel Berger, Sprecher der Rabbinerkonferenz, «wenn man die notwendigen Kultgegenstände» einbringt, doch die Mainzer blicken skeptisch. «Viel zu klein», klagt Esther Epstein, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, «mit der Weisenauer Synagoge sind wir kein Stückchen weiter.» Gegenwärtig verhandeln die Stadt, das Land Rheinland-Pfalz und die Mainzer Jüdische Gemeinde über einen neuen Standort für eine wirklich nutzbare Synagoge, deren Bau dann jedoch von der Jüdischen Gemeinde gelenkt wird.

Von Kirchen zu Synagogen?

In mehreren Orten bot die Kirche nicht mehr genutzte G'tteshäuser jüdischen Gemeinden zum Umbau an. Aus halachischer Sicht ist wenig gegen die Umwandlung in eine Synagoge einzuwenden, wenn alle christlichen Symbole vorher entfernt werden, doch Kirchen, deren Grundriss ein Kreuz bilden sind für den Umbau in ein jüdisches G'tteshaus unbrauchbar. Anders verhält es sich mit Rundbauten oder Achtecken. Kirchen dieses Stils wurden den Gemeinden in Dresden und Potsdam und im Norden Deutschlands angeboten. Der Umbau in eine Synagoge, meinte Potsdams Superintendent Hans-Ulrich Schulz, sei steingewordene Theorie und «sichtbares Zeichen für unsere Einsicht, dass die Kirche ihre tiefsten Wurzeln im G'tteshaus mit dem Volk Israel hat». Doch die versöhnlichen Worte stehen vor dem Hintergrund der Intoleranz, die bis in die Gegenwart hinein das Verhältnis zwischen Kirche und Judentum prägte und der Umwandlung von Synagogen in Kirchen in der Vergangenheit. Salomon Korn, Synagogenbaufachmann und Mitglied des Zentralrates der Juden in Deutschland erklärt: «In der Regel wurde entweder das Synagogengebäude unter Gewalt in eine Kirche umgewandelt oder aber die Synagoge wurde zerstört und an dieser Stelle eine Kirche errichtet. Dieses jahrhundertealte blutige Verhältnis in der Vergangenheit kann nicht einfach übergangen werden und muss auch optisch beispielsweise als Bruch Eingang in die Architektur, in die Darstellung finden. Man kann nicht plötzlich alles harmonisieren und dabei die Geschichte zu leugnen versuchen, sondern muss die Vergangenheit klar zum Ausdruck bringen.» Nicht nachvollziehen, weshalb nun unbedingt Kirchen in Synagogen umgebaut werden sollten, konnte auch Michel Friedmann, ebenfalls Mitglied des Zentralrates der Juden in Deutschland. Inzwischen führte diese Diskussion, die 1996 in grosser Heftigkeit geführt wurde, dazu, dass überall das Angebot der Kirchen abgelehnt wurde. Man will nun Neubauten errichten. Einerseits, so Salomon Korn, «weil die Umwandlung einer Kirche immer mit Zwängen verbunden ist», andererseits «h

ben wir in diesem Jahrhundert eine besonders leidvolle Entwicklung mitgemacht, die im Synagogenbau auch zum Ausdruck kommen sollte.» Ein frühes Beispiel dafür ist dass Berliner Gemeindezentrums von 1959. Reste der zerstörten ehemaligen Fasanenstrassensynagoge wurden mit ins Portal eingebaut. Auch bei der Restaurierung der grossen Westendsynagoge in Frankfurt/Main 1986, wurde die Vergangenheit in die Gegenwart integriert. Ganz bewusst verzichte man darauf, den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen, um so auch auf Spuren der Vernichtung hinzuweisen.

Stein gewordene Geschichte

Doch ganz so provisorisch scheint das Selbstverständnis der jüdischen Gemeinden in Deutschland nicht mehr zu sein. Dafür sprechen auch die vielen Synagogenneubauten, die in den letzten Jahren entstanden und die gegenwärtig entstehen. Das zehnjährige Bestehen ihres Gemeindezentrums feiert die Jüdische Gemeinde Mannheim in diesem Herbst und ist stolz darauf, dass hier «eine der schönsten Synagogen Deutschlands der Neuzeit» steht. Anfang 1996 erhielt die Drei-Städte-Gemeinde Bochum-Herne-Recklinghausen eine neue Synagoge, und Alfred Jacoby wurde zum ersten Mal in der Geschichte der BRD für den Neubau der Heidelberger Synagoge mit dem «Hugo-Haering-Preis» des Bundes Deutscher Architekten geehrt. Gleich vier Synagogen baute Architekt Jacoby in den 90er Jahren, was ihm die Bezeichnung «Deutschlands Synagogenbauer» einbrachte. Seine Bauten in Darmstadt, Heidelberg, Aachen und Offenbach sind vor allem auch stein- und betongewordene Manifestationen jüdischen Glaubens. Zum sakralen Bau kam Alfred Jacoby, wie er selber sagt, rein zufällig. Als jüdischer Architekt war er zu einem Wettbewerb für den Bau einer Synagoge in Darmstadt eingeladen worden. Er gewann die Ausschreibung. Damals begann Jacoby, sich ausgiebig mit den nach dem Holocaust in Deutschland gebauten Synagogen zu beschäftigen. Dabei fiel ihm auf, dass die Bauten alle anonym wirkten und man sie im Vorbeigehen meist nur an den symbolischen Zutaten als Synagogen erkennt. Das wollte Jacoby anders machen. «Dabei bin ich auch geblieben. Nur die Sprache, in der ich es mache, hat sich geändert.» Immer unverwechselbarer wird dabei der Stil der Jacoby-Synagogen, die stets einen Bezug zum lokalen Standpunkt haben. Ausgebildet wurde der 1950 geborene Architekt in Cambridge und an der ETH Zürich. Wie sein Lehrer Aldo Rossi entwirft er auch Einrichtungsgegenstände der Innenarchitektur, wie z. B. Waschbecken, Stühle oder in Offenbach den Aron Hakondesch. Anders als noch vor hundert Jahren stehen Synagogen nicht mehr allein im Raum, sondern werden stets in Verbindung mit Gemeindezentren gebaut.

Als nächstes plant Alfred Jacoby den Bau der Synagoge in Kassel. In Duisburg wurde bereits der Grundstein für ein neues Gemeindezentrum mit Synagoge gelegt, das der in Berlin lebende israelische Architekt Zvi Hecker entworfen hat. Einen ganz neuen Stil wird die neue Synagoge von Dresden aufweisen. Ein Vorhang aus filigranem Goldnetz hebt sich im Innern von den Grundmauern ab, und man wird den Eindruck erhalten, sich nicht in einem festen Haus, sondern in einem Zelt zu befinden. «Hier ist das Spannungsverhältnis zwischen Bleiben und Auf-der-Durchreise-Sein, das, was die Situation der Juden in Deutschland kennzeichnet, zum ersten Mal konsequent in der Architektur ausgedrückt worden», lobt Salomon Korn, der als Jury-Mitglied aktiv an der Entscheidung beteiligt war, diesen Entwurf von Karl-Joseph Schattner.

Ein einheitlicher Stil jedoch ist auch in nächster Zeit in der deutschen Synagogenarchitektur nicht erkennbar. So unterschiedlich wie die Meinungen, so unterschiedlich sind auch die Bauten, eben ein steinernes Spiegelbild des facettenreichen wirklichen jüdischen Lebens in Deutschland, das allerdings ein neues Merkmal aufweist, nämlich ein gewachsenes Selbstbewusstsein, das nun darauf dringt, gleichberechtigt neben anderen auch gehört und gesehen zu werden.

ALEXIS CANEM - JÜDISCHE RUNDSCHAU / BASEL

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